Landgericht Hannover
Urt. v. 29.08.2007, Az.: 23 O 139/06

Anforderungen an die Einladung zu einer Hauptversammlung; Anforderungen an die Berichterstattung über eine beabsichtigte Kapitalverkehrsmarkt-Maßnahme; Anforderungen an die Wahl der Mitglieder eines Aufsichtsrates

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
29.08.2007
Aktenzeichen
23 O 139/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 54735
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2007:0829.23O139.06.0A

Fundstellen

  • AG 2008, 426-428 (Volltext mit red. LS)
  • NZG 2008, 152-155 (Volltext mit red. LS u. Anm.)

Verfahrensgegenstand

Nichtigkeit/Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen

In dem Rechtsstreit
...
hat die 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hannover
auf die mündliche Verhandlung am 4. Juli 2007
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Landgericht ... und
der Handelsrichter ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Es wird festgestellt, dass der Beschluss der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 30. August 2006 zum Tagesordnungspunkt 10 mit nachfolgendem Worlaut:

"Der Vorstand wird ermächtigt und beauftragt, den Widerruf der Zulassung aller auf den Inhaber lautenden Vorzugsaktien der Gesellschaft nach §38 Abs. 4 Börsengesetz in Verbindung mit §50 Hannoversche Börsenordnung bei der Niedersächsischen Börse zu Hannover zu beantragen und alle erforderlichen Anträge zu stellen und Maßnahmen zu ergreifen, um den Börsenhandel mit Vorzugsaktien der Gesellschaft im amtlichem Markt vollständig zu beenden (das "reguläre Delisting")."

unwirksam ist.

Im übrigen werden die Klagen abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden wie folgt verteilt:

Die Kläger zu 2. und 5. tragen die Gerichtskosten zu je 1/4; die Beklagte hat die Gerichtskosten zur Hälfte zu tragen.

Die Beklagte trägt die gesamten außergerichtlichen Kosten der Kläger zu 1., 3. und 4..

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu 2. und 5. zur Hälfte. Im übrigen tragen die Kläger zu 2. und 5. ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Die Kläger zu 2. und 5. tragen außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu je 1/4. Im übrigen trägt die Beklagte ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Die Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Nebenintervenienten zu 2. bis 4.. Im übrigen tragen die Nebenintervenienten zu 2. bis 4. ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Die Nebenintervenienten zu 1. und 5. tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Soweit die Verfahrensbeteiligten aus diesem Urteil vollstrecken können, ist dies gegen Sicherheitsleistung möglich. Die Sicherheitsleistung beträgt 120 % des jeweiligen Betrages, wegen dessen vollstreckt werden soll.

Der Streitwert wird wie folgt festgesetzt:

  • für die Gerichtskosten sowie für die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu 2. und 5. und für die außergerichtlichen Kosten der Beklagten jeweils auf 150.000 €;

  • für die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu 1., 3. und 4. jeweils auf 75.000 €

    und

  • für die außergerichtlichen Kosten der Nebenintervenienten zu 1. bis 5. jeweils auf 150.000 €.

Tatbestand

1

Die Beklagte hat fristgerecht am 6. Juli 2006 zur ordentlichen Hauptversammlung am 30. August 2006 eingeladen. Wegen des im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlichten Inhalts der Einladung wird auf die Anlage B 1 Bezug genommen.

2

Die Tagesordnung enthielt unter anderem Vorschläge zur Beschlussfassung über die

  • Entlastung des Vorstands der Gesellschaft für das Geschäftsjahr 2005

    (Tagesordnungspunkt 3),

  • Entlastung des Aufsichtsrats der Gesellschaft für das Geschäftsjahr 2005

    (Tagesordnungspunkt 4),

  • Wahlen zum Aufsichtsrat der Gesellschaft

    (Tagesordnungspunkt 6)

    sowie

  • Ermächtigung und die Beauftragung des Vorstands, den Widerruf der Zulassung der Vorzugsaktien der Gesellschaft bei der Niedersächsischen Börse zu Hannover zur Beendigung des Börsenhandels der Vorzugsaktien im amtlichen Markt zu beantragen (sogenanntes reguläres Delisting) einschließlich einem Bericht des Vorstands zum Delisting-Beschluss.

3

Im Zusammenhang mit dem vorgenannten Delisting-Beschluss unterbreitete die Mehrheitsaktionärin der Beklagten, die ..., allen übrigen Vorzugsaktionären ein Angebot auf Erwerb ihrer Vorzugsaktien. Das Abfindungsangebot war der Hauptversammlungseinladung als Anhang beigefügt und wurde ebenfalls im elektronischen Bundesanzeiger am 6. Juli 2006 bekanntgemacht. Wegen des Inhalts des Abfindungsangebots wird auf die Anlage B 2 Bezug genommen. Das Delisting-Vorhaben wurde durch die Gesellschaft im übrigen bereits am 26. Juni 2006 im Wege einer ad-hoc-Mitteilung bekanntgemacht. Insoweit wird auf die Anlage B 3 Bezug genommen.

4

Die Hauptversammlung der Gesellschaft fand sodann am 30. August 2006 statt. Zu den vorgenannten Tagesordnungspunkten 3, 4, 6 und 10 wurde dabei antragsgemäß mit Mehrheit Beschluss gefasst. Wegen des Verlaufs der Hauptversammlung und der gefassten Beschlüsse wird auf die Niederschrift des Notars (Urkundenrolle Nr. 659/2006) Bezug genommen (Anlage B 4).

5

Im Anschluss an den Beschluss der Hauptversammlung beantragte der Vorstand der Beklagten bei der Niedersächsischen Börse zu Hannover den Widerruf der Zulassung der Vorzugsaktien zum amtlichen Handel. Der Börsenvorstand entsprach diesem Antrag und beschloss, die Zulassung der Vorzugsaktien der Beklagten zum amtlichen Handel mit Wirksamkeit zum Ablauf des 29. Juni 2007 zu widerrufen und den amtlichen Handel zum Ablauf desselben Datums einzustellen. Diese Entscheidung wurde durch die Niedersächsische Börse zu Hannover in der Börsen-Zeitung vom 20. Dezember 2006 veröffentlicht. Im elektronischen Bundesanzeiger wurde sie am 15. Dezember 2006 bekanntgemacht. Insoweit wird auf die Anlage B 5 Bezug genommen.

6

Das Grundkapital der Beklagten beträgt 5.575.680 €. Es ist eingeteilt in 132.000 nennwertlose Stammaktien und 85.000 nennwertlose Vorzugsaktien ohne Stimmrecht. Nur die Vorzugsaktien, nicht jedoch die Stammaktien sind börsennotiert. Die Hauptaktionärin der Beklagten hält rund 99,46 % der Stammaktien und 82,05 % der Vorzugsaktien.

7

Sämtliche Kläger wenden sich gegen die Wirksamkeit des Beschlusses der Hauptversammlung der Beklagten am 30. August 2006 zum Tagesordnungspunkt 10, also zur Einleitung eines Delisting betreffend die Börsennotierung der Vorzugsaktien.

8

Die Kläger halten schon die Einladung des Vorstands der Beklagten zur Hauptversammlung am 30. August 2006 wegen fehlerhafter Information über die Hinterlegungsbestimmungen für unzureichend und deshalb die getroffene Entscheidung für nichtig. Im übrigen beanstanden die Kläger ein unzureichende, unausgewogene und unvollständige Berichterstattung über die beabsichtigte Kapitalverkehrsmarkt-Maßnahme.

9

Die Kläger zu 2. und 5. halten darüber hinaus die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat sowie die Wahlen zum Aufsichtsrat für unwirksam. Vorstand und Aufsichtsrat seien ihren Berichtspflichten gegenüber der Hauptversammlung nicht ausreichend nachgekommen. Die Wahlen zum Aufsichtsrat seien unwirksam, weil der Satzung der Beklagten (Anlage B 11) nicht eindeutig und klar zu entnehmen sei, dass der Aufsichtsrat nur drei (und nicht sechs) Mitglieder habe.

10

Wegen der Klagebegründungen im einzelnen wird auf die Schriftsätze vom 28. September 2006 (Band I, Blatt 12-22 d.A.), 2. Oktober 2006 (Band II, Blatt 1-9 d.A.), 29. September 2006 (Band III, Blatt 1-13 d.A.) und 2. Oktober 2006 (Band IV, Blatt 2-13 a d.A.) Bezug genommen.

11

Die Kläger zu 1. bis 5. beantragen,

der Beschluss der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 30. August 2006 zu TOP 10 mit nachfolgendem Wortlaut:

"Der Vorstand wird ermächtigt und beauftragt, den Widerruf der Zulassung aller auf den Inhaber lautenden Vorzugsaktien der Gesellschaft nach §38 Abs. 4 Börsengesetz in Verbindung mit §50 Hannoversche Börsenordnung bei der Niedersächsischen Börse zu Hannover zu beantragen und alle erforderlichen Anträge zu stellen und Maßnahmen zu ergreifen, um den Börsenhandel mit Vorzugsaktien der Gesellschaft im amtlichen Markt vollständig zu beenden (das "reguläre Delisting")."

wird für nichtig erklärt.

12

Hilfsweise:

Es wird festgestellt, dass der Beschluss der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 30. August 2006 zu TOP 10 mit dem im Hauptantrag wiedergegebenen Wortlaut nichtig ist.

13

Äußerst hilfsweise:

Es wird festgestellt, dass der Beschluss der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 30. August 2006 zu TOP 10 mit dem im Hauptantrag wiedergegebenen Wortlaut unwirksam ist.

14

Die Kläger zu 2. und 5. beantragen darüber hinaus,

  1. 1.

    der in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 30. August 2006 zu Punkt 3 der Tagesordnung gefasste Beschluss über die Entlastung des Vorstandes für das Geschäftsjahr 2005 wird für nichtig erklärt.

  2. 2.

    Der in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 30. August 2006 zu Punkt 4 der Tagesordnung gefasste Beschluss über die Entlastung des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2005 wird für nichtig erklärt.

  3. 3.

    Der in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 30. August 2006 zu Punkt 6 der Tagesordnung gefasste Beschluss über die Wahl des Aufsichtsrats wird für nichtig erklärt.

  4. 4.

    Es wird hilfsweise festgestellt, dass der in der in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 30. August 2006 zu Punkt 3 der Tagesordnung gefasste Beschluss über die Entlastung des Vorstandes für das Geschäftsjahr 2005 unwirksam ist.

  5. 5.

    Es wird hilfsweise festgestellt, dass der in der in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 30. August 2006 zu Punkt 4 der Tagesordnung gefasste Beschluss über die Entlastung des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2005 unwirksam ist.

  6. 6.

    Es wird hilfsweise festgestellt, dass der in der in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 30. August 2006 zu Punkt 6 der Tagesordnung gefasste Beschluss über die Wahl des Aufsichtsrats unwirksam ist.

15

Die Beklagte beantragt,

die Klagen abzuweisen.

16

Die Beklagte hält sämtliche in der Hauptversammlung am 30. August 2006 gefassten Beschlüsse der Beklagten für wirksam. Die Beschlüsse seien weder nichtig noch anfechtbar. Wegen der Erwägungen der Beklagten dazu im einzelnen wird auf die Seiten 8 bis 45 des Schriftsatzes vom 22. Dezember 2006 (Band V, Blatt 12-52 d.A.) und die Seiten 5-31 des Schriftsatzes vom 20. März 2007 (Band V, Blatt 110-136 d.A.) Bezug genommen.

17

Soweit die Beklagte Einwendungen gegen die Antragsbefugnisse der Kläger zu 3. und 5. erhoben hatte, hat sie davon in der mündlichen Verhandlung am 4. Juli 2007 Abstand genommen (Sitzungsniederschrift Band VI Blatt 221 d.A.).

18

Dem Rechtsstreit sind fünf Nebenintervenienten auf Seiten der Kläger beigetreten. Die Nebenintervenienten zu 1. bis 5. wenden sich gegen die Wirksamkeit der Tagesordnungspunkte 3, 4, 6 und 10 der Hauptversammlung der Beklagten am 30. August 2006.

19

Die Nebenintervenienten zu 1. bis 3. haben in der mündlichen Verhandlung am 4. Juli 2007 keine eigenen Anträge gestellt.

20

Die Nebenintervenientin zu 4. ist

21

den Anträgen der Kläger zu 1. bis 5. beigetreten.

22

Der Nebenintervenient zu 5. beantragt,

festzustellen, dass die in der Hauptversammlung der Beklagten vom 30. August 2006 gefassten Beschlüsse unter den Tagesordnungspunkten 3 (Entlastung des Vorstands), 4 (Entlastung des Aufsichtsrats), 6 (Neuwahlen zum Aufsichtsrat) und 10 (Ermächtigung zur Durchführung eines regulären Delisting der Vorzugsaktien) nichtig sind.

Entscheidungsgründe

23

Die in der Hauptversammlung der Beklagten am 30. August 2006 getroffenen Entscheidungen sind nicht wegen unzureichender Information über die Voraussetzungen für die Teilnahme an der Hauptversammlung und für die Ausübung des Stimmrechts nichtig (siehe unter II.).

24

Ein hinreichender Grund zur Anfechtung der Entscheidungen über die Entlastung des Vorstands und des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2005 besteht nicht (siehe unter III.).

25

Die Wahl der Mitglieder des Aufsichtsrates ist ordnungsgemäß (siehe unter IV.).

26

Die Anfechtung der Entscheidung der Hauptversammlung zur Ermächtigung des Vorstands für einen Antrag gegenüber dem Vorstand der Niedersächsischen Börse zu Hannover auf Widerruf der Zulassung der Vorzugsaktien der Beklagten zum amtlichen Handel an der Börse greift demgegenüber durch. Die insoweit getroffene Entscheidung ist unwirksam (siehe unter V.).

27

I.

Sämtliche Kläger sind nach §245 AktG zur Anfechtung der Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten am 30. August 2006 befugt und haben ihre Klage innerhalb der Anfechtungsfrist rechtzeitig und ordnungsgemäß (§246 Absätze 1 und 2 AktG) erhoben.

28

1.

Die Anfechtungsbefugnis nach §246 AktG ist zwar von Anfechtungsklägern darzulegen, jedoch nicht von Amts wegen zu prüfen. Eine solche Prüfung ist lediglich in den Fällen konkret erhobener Einwendungen gegen die Anfechtungsbefugnis erforderlich.

29

Ihre insoweit gegen die Kläger zu 3. und 5. erhobenen Einwendungen, die sich auf die Ordnungsmäßigkeit der Erhebung von Widersprüchen zur Niederschrift der Hauptversammlung (§246 Nr. 1 3. Alternative AktG) bezogen, hat die Beklagte durch Erklärung in der mündlichen Verhandlung am 4. Juli 2007 fallengelassen.

30

2.

Soweit die Beklagte zu erwägen gegeben hat, den Stichtag für den Nachweis der Anteilsinhaberschaft entgegen der Regelung in §245 Nr. 1 2. Alternative AktG (Bekanntmachung der Tagesordnung) auf den Zeitpunkt der erstmaligen Information über die Absicht zur Durchführung eines regulären Delisting vorzuverlegen, tritt die Kammer dieser Rechtsauffassung der Beklagten nicht bei. Die Rechtsansicht der Beklagten findet im Gesetz keine Stütze. Ein sachlich tragfähiger Grund für die nochmalige Vorverlegung des Zeitpunktes wird von der Beklagten auch nicht aufgezeigt.

31

3.

Aus den Akten ergibt sich, dass sämtliche Klagen fristgerecht und formgerecht (§246 Absätze 1 und 2 AktG) erhoben worden sind.

32

II.

Die in der Hauptversammlung der Beklagten am 30. August 2006 gefassten Beschlüsse sind nicht wegen Mängeln der Einladung zur Hauptversammlung nichtig (§§241 Nr. 1, 121 Abs. 3 AktG).

33

1.

Die Satzung der Beklagten in der am 30. August 2006 noch geltenden Fassung enthält eine Hinterlegungsregelung für die Teilnahme an der Hauptversammlung und für die Ausübung von Stimmrechten (§21). Eine besondere Anmeldungsverpflichtung - nach altem Recht - enthält die Satzung demgegenüber nicht. Eine Hinterlegungsnachweispflicht für die Aktien von Hauptversammlungsteilnehmern sieht die Satzung der Beklagten nur für den Fall der Notarhinterlegung vor. Im übrigen besteht keine Hinterlegungsnachweispflicht.

34

Die Einladung der Beklagten zur Hauptversammlung am 30. August 2006 enthält keine davon abweichende Information für die Teilnahme an der Hauptversammlung und für die Ausübung des Stimmechtes. Die Beklagte spricht in der Einladung lediglich die Bitte aus, die Hinterlegungsbescheinigung einzureichen. Dass die Teilnahme an der Hauptversammlung und die Ausübung des Stimmrechtes im Falle der Hinterlegung der Aktien ohne Vorlage eines Nachweises vor Beginn der Hauptversammlung ausgeschlossen sei, ergibt sich aus dem Einladungstext nicht.

35

2.

Die Beklagte hat bei der Formulierung der Einladung zur Hauptversammlung auch erkannt, dass §21 der Satzung in der am 30. August 2006 geltenden Fassung nicht dem Nachweisverfahren nach §123 Abs. 3 Satz 2 AktG n.F. entspricht und dass deshalb nach §16 Satz 1 EGAktG sowohl über das satzungsrechtliche Hinterlegungsverfahren als auch - alternativ dazu - auf das gesetzlich jetzt vorgesehene Nachweisverfahren hinzuweisen war, es vorsorglich zumindest empfehlenswert sein konnte, dies zu tun.

36

Bei der Umsetzung der Information ist der Beklagten kein, jedenfalls kein relevanter Fehler unterlaufen. Die Beklagte hat zum einen die in §123 Abs. 2 Satz 3 AktG genannten Bezugszeitpunkte und Nachweiszeitpunkte zutreffend benannt und daneben den kürzeren Vorlagezeitpunkt aus §21 der Satzung ergänzend - alternativ - berücksichtigt. Dass die Beklagte dabei den in ihrer Satzung enthaltenen Übermittlungszeitpunkt für den Nachweis der Aktieninhaberschaft (Tag nach Ablauf der Hinterlegungsfrist) nicht noch zusätzlich angegeben hat, ist unschädlich, weil der jetzt geltende gesetzliche Vorlagezeitpunkt (sieben Tage vor der Hauptversammlung) länger und damit für den Anteilsinhaber eher ungünstiger ist als die lediglich fünftägige Hinterlegungsfrist in der Satzung der Beklagten.

37

Die von der Beklagten insoweit gegebene Information erscheint der Kammer vertretbar, jedenfalls nicht zum Nachteil der Anteilsinhaber bewusst rechtsverkürzend zu sein.

38

III.

Die Entscheidungen der Hauptversammlung der Beklagten, die Mitglieder des Vorstands und die Mitglieder des Aufsichtsrates für deren Tätigkeit als Organwalter im Geschäftsjahr 2005 zu entlasten (§120 Abs. 1 Satz 1 AktG) sind wirksam.

39

Die Kläger zeigen keine Tatsachen auf, dass die organschaftlichen Vertreter der Beklagten im Geschäftsjahr 2005 Gesetzesverstöße oder schwerwiegende Satzungsverstöße begangen haben oder auch nur begangen haben könnten und um welche Sachverhalte es sich dabei handeln soll.

40

Da sich die Entlastungsbeschlüsse der Hauptversammlung nur auf einen bestimmten, zeitlich begrenzten Zeitraum - das Geschäftsjahr 2005 - beziehen, ist es für ihre rechtliche Wirksamkeit ohne Bedeutung, ob im Zusammenhang mit der Vorbereitung des unter Tagesordnungspunkt 10 behandelten Delistings Unterlassungen festzustellen sind, die etwa als Pflichtverstöße gegenüber den Mitgliedern des Vorstands und/oder des Aufsichtsrats der Beklagten gewertet werden könnten. Es ist nicht erkennbar und wird von den Klägern auch weder aufgezeigt noch behauptet, dass die Entlastungsbeschlüsse der Hauptversammlung eine allgemeine Billigung der Vorstands- und/oder Aufsichtsratsarbeit durch die Hauptversammlung auch für nachfolgende Zeiträume haben sollten.

41

Danach ist nicht zu erkennen, warum die Hauptversammlung der Beklagten die Billigung der Verwaltungstätigkeit der organschaftlichen Vertreter (§120 Abs. 2 Satz 1 AktG) hätte verweigern müssen oder auch nur verweigern können.

42

IV.

Auch die unter Tagesordnungspunkt 6 der Hauptversammlung der Beklagten am 30. August 2006 durchgeführte Aufsichtsratswahl und das danach festgestellte Wahlergebnis begegnet keinen rechtlichen Bedenken und ist deshalb wirksam.

43

Die Wahlhandlung wird nicht dadurch gesetzes- oder satzungswidrig, dass die Satzung der Beklagten Regelungen über die Handlungsfähigkeit des Aufsichtsrates enthält (§12 Abs. 2 Satz 4; vor allem aber §15 Abs. 1), die der Satzungsregelung in §12 Abs. 1 Satz 1 widersprechen, dass der Aufsichtsrat der Beklagten nur - noch - drei Mitglieder hat. Die Schwierigkeiten, die die nicht aufeinander abgestimmten Regelungen der Satzung der Beklagten in der am 30. August 2006 geltenden Fassung für die ordnungsgemäße Amtsführung und Willensbildung des Aufsichtsrates aufwerfen, haben auf die Ordnungsmäßigkeit und Rechtmäßigkeit der Wahlen zum Aufsichtsrat keinen Einfluss. Sie erschweren den Gewählten und damit auch der Beklagten nur die Ausübung des Amtes für das die Wahlen durchgeführt und in das die Gewählten gebracht worden sind.

44

V.

Der Beschluss der Hauptversammlung der Beklagten, den Vorstand der Beklagten zu ermächtigen, das Widerrufsverfahren dafür einzuleiten und zu betreiben, um die Zulassung der Vorzugsaktien der Beklagten zum amtlichen Handel an der Niedersächsischen Börse zu Hannover zu beenden, ist unwirksam. Für die ordnungsgemäße Umsetzung des Ermächtigungsbeschlusses bedurfte es zum einen einer Sonderabstimmung allein unter den Vorzugsaktionären (siehe unter V. 1. a)-d)). Außerdem war es unerlässlich, das Abfindungsangebot der Beklagten vor der Beschlussfassung über die Ermächtigung zum Delisting durch einen gerichtlich bestellten Prüfer auf seine Angemessenheit hin überprüfen zu lassen und das Ergebnis der Prüfung zusammen mit der Einladung zur Hauptversammlung am 30. August 2006, soweit dort eine Delisting-Ermächtigung beschlossen werden sollte, den Aktionären der Beklagten vorzulegen und transparent zu machen (siehe unter V. 2. a)-g)).

45

1.

Der Beschluss der Hauptversammlung der Beklagten zum Tagesordnungspunkt 10 ist schon deshalb unwirksam, weil er nicht von einem Sonderbeschluss der Vorzugsaktionäre nach §141 Abs. 3 Satz 1 AktG getragen, sondern lediglich durch einen allgemeinen Mehrheitsbeschluss der Hauptversammlung gedeckt ist.

46

a)

Nach §141 Abs. 1 AktG bedarf jede Aufhebung oder Beschränkung des Inhalts der Rechte von Vorzugsaktionären zu seiner Wirksamkeit der ausdrücklichen Zustimmung - auch - der Vorzugsaktionäre, die durch einen dahingehenden Sonderbeschluss der Inhaber dieser Aktiengattung ausdrücklich umzusetzen ist (§141 Abs. 3 Satz 1 AktG).

47

b)

Ob allgemein die Zulassung - auch - von Vorzugsaktien zum amtlichen Handel an der Börse und damit die geordnete Feststellung ihres Kurses in einem geregelten und kontrollierten Verfahren als fundamentaler Bestandteil des Rechtsinhalts von Vorzugsaktien gewertet werden muss, mit der Folge, dass bei jedem Delisting, das auch Vorzugsaktien betreffen soll, ein Sonderbeschlussverfahren nach §141 Abs. 3 Satz 1 AktG erforderlich ist, bedarf keiner endgültigen Entscheidung.

48

Denn in jedem Fall ist ein solches Verfahren dann unerlässlich, wenn - wie bei der Beklagten - nur eine von zwei Aktiengattungen börsennotiert ist und zwar nur die Vorzugsaktien, während die Aktien der anderen Aktiengattung (die Stammaktien) nicht zum Börsenhandel mit börsenmäßiger Kursfeststellung zugelassen sind. Hier ist die Börsennotierung fester Bestandteil des mit dieser - und nur dieser - Aktiengattung verbundenen (Vorzugs-)Rechts.

49

Dies gilt unabhängig davon, ob die Börsennotierung der Vorzugsaktien nach dem Inhalt der Satzung zum Bestandteil des Vorzugsrechts gemacht, also von Anfang an damit ausgestattet, oder nur kraft tatsächlicher Handhabung nachträglich zum Bestandteil der Vorzugsbeteiligung gemacht worden ist.

50

Im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Ermächtigung zur Änderung des Ausstattungsmerkmals der Vorzugsaktien ("börsennotiert") war diese wirtschaftlich und rechtlich vorteilhafte Position für die von der Beklagten ausgegebenen Vorzugsaktien jedenfalls tatsächlich und rechtlich gesichert vorhanden. Sie war damit kraft tatsächlicher Übung Bestandteil der Vorzugsaktien der Beklagten.

51

c)

Der am 30. August 2006 zur Beschlussfassung stehende Ermächtigungsbeschluss zu einem Delisting sollte und konnte nur und ausschließlich die Vorzugsaktien der Beklagten betreffen und damit die Inhaber dieser Anteilsberechtigungen wirtschaftlich und rechtlich nachteilig treffen. Gerade für einen solchen Fall greift die gesetzliche Schutzvorschrift des §141 Abs. 1 AktG, wonach die Betroffenen ausdrücklich ihre Zustimmung erteilen müssen und dies im Verfahren der Sonderbeschlussfassung festzustellen ist.

52

d)

Da die Hauptversammlung der Beklagten am 30. August 2006 einen dahingehenden Beschluss nicht gefasst hat, fehlt der stattdessen getroffenen Entscheidung die ausreichende verfahrensmäßige Legitimationsgrundlage.

53

2.

Die Beschlussfassung der Beklagten am 30. August 2006 zum Tagesordnungspunkt 10 ist auch deshalb unwirksam, weil der Ermächtigungsbeschluss nicht ausreichend vorbereitet, seine rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen nicht ordnungsgemäß geprüft und das Prüfungsergebnis nicht transparent macht worden ist.

54

Insbesondere sind die rechtlichen und verfahrensmäßigen Anforderungen nicht ausreichend beachtet und umgesetzt worden, die an die Vorbereitung von Beschlüssen einer Hauptversammlung zu stellen sind, die für außenstehende Aktionäre zu derartig wirtschaftlich nachteiligen Folgen führen können, dass ein wirtschaftlicher Ausgleich unerlässlich ist und zur Prüfung seiner Angemessenheit ein Spruchverfahren geführt werden kann.

55

a)

In der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 25. November 2002 (II ZR 133/01 - ...) ist ausgesprochen worden, dass es für die Ermächtigung des Vorstands einer Aktiengesellschaft zur Einleitung eines regulären Delisting des Beschlusses der Hauptversammlung bedarf.

56

Der Bundesgerichtshof hat dies damit begründet, dass die Börsennotierung von Aktien die Anteilsinhaber in die Lage versetzt, den Wert der Anteile jederzeit durch Veräußerung zu realisieren. Gerade für die Minderheits- und Kleinaktionäre, deren Engagement bei einer Aktiengesellschaft allein in der Wahrnehmung von Anlegerinteressen besteht, bringe der Rückzug der Gesellschaft aus dem amtlichen Handel oder dem geregelten Markt wirtschaftlich gravierende Nachteile mit sich, die auch nicht durch die Einbeziehung der Aktien in den Freihandel ausgeglichen werden könne. Der Verkehrsfähigkeit der Aktien einer an der Börse zugelassenen Aktiengesellschaft sei eine besondere Bedeutung für die Wertbestimmung der Anteile beizumessen. Der Verkehrswert und die jederzeitige Möglichkeit seiner Realisierung seien danach Eigenschaften des Aktieneigentums, die - wie das Aktieneigentum selbst - verfassungsrechtlichen Schutz genössen.

57

Dies habe unmittelbare Auswirkungen auf den Umfang des vermögensrechtlichen Schutzes des Mitgliedschaftsrechts des Aktionärs. Zwar erstrecke sich der mitgliedschaftsrechtliche Vermögensschutz nach der gesetzlichen Regelung unmittelbar lediglich auf die Gewährleistung des Gewinnbezugsrechtes, des Liquidationsanteils und des relativen Vermögenswertes der Beteiligung. Da der Verkehrswert einschließlich der Verkehrsfähigkeit des Aktienanteils an der Eigentumsgarantie des Artikel 14 Abs. 1 GG teilhabe, so sei dieser selbst auch im Verhältnis der Gesellschaft zu den Aktionären zu beachten. Der Schutz betreffe nicht nur das außermitgliedschaftliche Rechtsverhältnis des Aktionärs zu Dritten; er sei vielmehr bei börsennotierten Gesellschaften unerlässlicher Bestandteil des Rechtsverhältnisses zwischen Aktiengesellschaft und Aktionär.

58

Aus diesen Grundsätzen folgert der Bundesgerichtshof zum einen die Entscheidungszuständigkeit der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft für Delisting-Entscheidungen. Zum anderen erachtet es der Bundesgerichtshof zum besonderen Schutz der Minderheitsaktionäre als unerlässlich, dass ihnen der Wert ihrer Aktie ersetzt und die Möglichkeit eröffnet wird, die Richtigkeit der Wertbemessung in einem gerichtlichen Verfahren überprüfen zu lassen.

59

Da besondere Schutzregelungen für die Minderheitsaktionäre in den Normen des Börsengesetzes und in den Börsenordnungen fehlten, aber auch dort nicht ausgeschlossen seien, könne der Minderheitenschutz nur dadurch gewährleistet werden, dass zusammen mit dem Beschlussantrag über ein Delisting ein Pflichtangebot über den Kauf der Aktien durch die Gesellschaft oder durch einen Großaktionär vorgelegt werde, das den Minderheitsaktionären durch den Kaufpreis eine volle Entschädigung für den Anteilswert gewährleiste. Der betroffene Aktionär habe das Recht, die Angemessenheit der ihm angebotenen Entschädigung überprüfen zu lassen. Es sei sinnvoll und zweckmäßig, die Angemessenheitsprüfung in einem Spruchverfahren durchzuführen und zwar in entsprechender Anwendung unternehmensvertraglicher oder umwandlungsrechtlicher Vorschriften.

60

b)

Die Macroton-Entscheidung des Bundesgerichtshofes erging zu einem Zeitpunkt, zu dem das Spruchverfahrensgesetz noch nicht existierte.

61

Weder im Katalog des dann zeitlich später in kraft getretenen Spruchverfahrensgesetzes noch bei den nachfolgenden Ergänzungen dieses Kataloges ist eine Delisting-Beschlussfassung in den Anwendungsbereich des Spruchverfahrensgesetzes aufgenommen worden.

62

Die daraus an sich naheliegendste Schlussfolgerung, das Spruchverfahren für Delisting-Fälle als gesetzgeberisch abgeschafft anzusehen (" ... ein Federstrich des Gesetzgebers macht ganze Bibliotheken zu Makulatur ...") wird - zu Recht - von niemandem gezogen. Auch die Parteien dieses Rechtsstreits tun dies nicht. Wegen der besonderen verfassungsrechtlichen Relevanz der Verkehrsfähigkeit von Aktien als Bestandteil des Aktieneigentums und der darauf beruhenden verfahrensmäßigen Sicherungen für den gerichtlichen Schutz der Rechte von Minderheitsaktionären kommt eine Abweichung von den Rechtssprechungsgrundsätzen des Bundesgerichtshofs nicht in Betracht. Ohne jeden ernstlichen Widerspruch wird deshalb auch nach dem Inkrafttreten des Spruchverfahrensgesetzes von dessen entsprechender Anwendung auch in den Fällen eines regulären Delisting ausgegangen (statt aller: Bay OLG, Beschluss vom 01.12.2004; 3Z BR 106/04).

63

c)

Das Spruchverfahrensgesetz ist allerdings eine - reine - gerichtliche Verfahrensordnung. Es enthält keinerlei normative Vorgaben für die unternehmensinterne Vorbereitung, Publikation und Willensbildung bei Unternehmensstrukturentscheidungen, für deren wirtschaftlich nachteilige Folgen eine gerichtliche Angemessenheitsprüfung im Spruchverfahren durchgeführt werden kann. Diese Anforderungen an die unternehmensinterene Willensbildung, Entscheidungsvorbereitung und Entscheidungstransparenz werden vielmehr bei allen Sachkomplexen, im Hinblick auf die Spruchverfahren geführt werden können, in maßnahmebezogenen Einzelnormkomplexen verbindlich - und abschließend - geregelt. Für die Unternehmensmaßnahme "Delisting" fehlt es indes an einem solchen spezialgesetzlichen Regelungszusammenhang mit Maßstäben für den korrekten unternehmensinternen Willensbildungsprozess. Auch die ...-Entscheidung des Bundesgerichtshofes enthält zu dieser Frage nur allgemeine Hinweise.

64

d)

Das Normprogramm für die ordnungsgemäße unternehmensinterne Willensbildungsvorbereitung und Willensbildung bei Ermächtigungsbeschlüssen für ein reguläres Delisting muss deshalb in analoger Anwendung solcher Vorschriften gefunden werden, die für solche unternehmensinternen Strukturentscheidungen gesetzlich vorgesehen sind, die zu Spruchverfahren führen können. Dies sind (Katalog des §1 Spruchverfahrensgesetz):

  • Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträge,

  • andere Unternehmensverträge nach §292 AktG,

  • Fälle der Übertragung von Aktien,

  • Eingliederungsfälle,

  • Umwandlungsfälle nach dem Umwandlungsgesetz,

  • Sitzverlegungen bei Europäischen Gesellschaften und

  • Gründungen von Europäischen Gesellschaften.

65

Allen diesen Unternehmenssturkturentscheidungen, die zu Spruchverfahren führen können, ist gemeinsam, dass sie besondere Anforderungen an die Vorbereitung und Transparenz der unternehmensinternen Entscheidung stellen. Diese Anforderungen sind vor allem:

  • die Notwendigkeit einer qualifizierten Berichterstattung über die beabsichtigte Unternehmensstrukturmaßnahme,

  • die Transparenz dieser Berichterstattung,

  • die Notwendigkeit eines Angebotes an nachteilig betroffene Anteilsinhaber zum Ausgleich der wirtschaftlichen Folgen der beabsichtigten Unternehmensstrukturmaßnahme,

  • die Transparenz dieses Angebotes,

  • die Prüfung der Angemessenheit des Nachteilsausgleichsangebots durch einen Pflichtprüfer, dessen Auswahl und Bestellung - nur - durch das Gericht erfolgt,

  • die Transparenz dieser Prüfung und sodann

  • die Beschlussfassung durch die Hauptversammlung der betroffenen Gesellschaft.

66

e)

Aus welchem einzelgesetzlichen Regelungszusammenhang die analog anzuwendenden normativen Anforderungen an das unternehmensinterne Verfahren in Delisting-Fällen zu entnehmen ist, ist anhand einer Angemessenheitsprüfung zu bestimmen. Dabei ist dem Regelungsbereich der Vorzug zu geben, der die meisten strukturellen Ähnlichkeiten mit der Strukturmaßnahme aufweist, die in Delisting-Fällen zum Tragen kommt. Nach der rechtlichen Beurteilung der Kammer ist dies die formwechselnde Umwandlung nach den §§190 f UmwG (vergleiche dazu auch: BayOLG; Beschluss vom 01.12.2004; 3Z BR 106/04; unter III. 5. b)).

67

Die Bestimmung der materiellen und verfahrensmäßigen Voraussetzungen für die Delisting-Entscheidung einer Hauptverhandlung ist von großer rechtlicher Bedeutung. Denn nur dadurch lassen sich die Maßstäbe gewinnen, anhand derer die Rechtmäßigkeit einer getroffenen Entscheidung beurteilt und die Ordnungsmäßigkeit des dazu erforderlichen Verfahrens geprüft und festgestellt werden kann.

68

Zu welchen nicht hinnehmbaren Folgen der nicht ausreichend geklärte materiellrechtliche Status und das verfahrensmäßige Prozedere in Delisting-Fällen führen kann, zeigt nicht zuletzt der vorliegende Rechtsstreit:

69

Unmittelbar nach der Hauptversammlung am 30. August 2006 leiteten die Kläger des vorliegenden Verfahrens und 32 weitere Anteilsinhaber ein gerichtliches Spruchverfahren ein, das beim Landgericht Hannover unter dem Aktenzeichen 23 AktE 130/06 geführt wird. Das Verfahrensregime dieses Verfahrens ist derzeit noch völlig offen. Es ist beispielsweise unklar und zweifelhaft, welcher Zeitpunkt für die Bestimmung der Antragsfrist entsprechend §4 Spruchverfahrensgesetz maßgebend ist (Beschluss der Hauptverhandlung oder Beschluss/Beschlussveröffentlichung des Börsenvorstands oder Wirksamwerden des Delistings), welcher Stichtag für den durchschnittlichen Drei-Monats-Börsenkurs als Untergrenze einer angemessenen Abfindung zugrundezulegen ist, ob das Unternehmen oder seine Hauptaktionärin Antragsgegner des Spruchverfahrens ist, ob auch in Delisting-Fällen ein gemeinsamer Vertreter nach §6 Spruchverfahrensgesetz zu bestellen ist und ob einer Entscheidung in einem derartigen Verfahren die besonderen anspruchsbegründenden und anspruchsbegrenzenden Rechtswirkungen nach §13 Spruchverfahrensgesetz zukommen kann.

70

Alles dies kann vernünftiger Weise gerichtlich nur bearbeitet und abgeschlossen werden, wenn zumindest das zugrundeliegende unternehmensinterne Willensbildungsverfahren in einer Art und Weise vorbereitet, geführt und abgeschlossen worden ist, die den Anforderungen voll und ganz entspricht, die auch im übrigen an die spruchverfahrenvorbereitenden Unternehmensstrukturentscheidungen gestellt werden müssen und gesetzlich gestellt sind.

71

Ein Sonderspruchverfahren für Delisting-Fälle darf es im Interesse einer geordneten und die Belange der miteinander streitenden Aktionärsgruppen gleichermaßen berücksichtigenden Rechtspflege nicht geben.

72

f)

Es kommt ein weiterer Gesichtspunkt hinzu:

73

Durch die gesetzliche Einführung des sogenannten kapitalmarktrechtlichen Squeezeout nach den §§39 a bis 39 c WpÜG kommt der Börsennotierung von Aktien und damit auch dem Verfahren auf Rückzug von der Börsennotierung noch viel größere Bedeutung zu, als dies bereits in der Vergangenheit der Fall war. Denn die Börsennotierung von Aktien bietet danach noch deutlich mehr als bisher schon eine außerordentlich wichtige Maßgröße für die Beurteilung und Bewertung der wirtschaftlichen Folgen von Unternehmensstrukturentscheidungen zum Ausgleich der Interessen und Rechte von Mehrheiten und Minderheiten. Die Auseinandersetzung um "den Rückzug von der Börse", das Delisting, erhält dadurch noch mehr als bisher schon eine Qualität, die anderen ausgleichsbedürftigen Entscheidungen in Unternehmen in nichts mehr nachsteht. Eine solche Maßnahme bedarf der gleichen rechtlichen Voraussetzungen wie andere ausgleichspflichtige Strukturmaßnahme-Entscheidungen.

74

g)

Für die Entscheidung des vorliegenden Rechtdsstreits bedarf es allerdings keiner abschließenden Entscheidung jeder der vorstehend angesprochenen rechtlichen Einzelheiten.

75

Denn für die Kammer steht fest, dass die der Hauptversammlung der Beklagten am 30. August 2006 zum Tagesordnungspunkt 10 gegebene Berichterstattung zwar vielleicht gerade noch den Anforderungen an eine qualifizierte Berichtspflicht nach §192 Abs. 2 UmwG analog entsprochen haben mag, jedoch keine Prüfung des Barabfindungsangebotes der Hauptaktionärin der Beklagten nach den §§208, 30 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1, 10 Abs. 1 Satz 1 UmwG analog erfolgt und deshalb eine Transparenz der Prüfung nach den §§12 und 8 UmwG analog nicht umgesetzt worden ist.

76

Dem trotzdem gefassten Beschluss der Hauptversammlung der Beklagten am 30. August 2006 zum Tagesordnungspunkt 10 kommt deshalb auf jeden Fall rechtliche Wirkung nicht zu. Er ist vielmehr unwirksam.

77

VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 100 Absätze 1 und 2, 101 Abs. 2 ZPO.

78

In vollem Umfang obsiegen im vorliegenden Verfahren nur die Kläger zu 1., 3. und 4.. Dabei unterscheidet die Kammer sachlich und wertmäßig nicht danach, ob dem Hauptbegehren (Nichtigkeit) oder nur dem Hilfsbegehren (Anfechtbarkeit) dieser Kläger entsprochen wird, weil das rechtliche Ergebnis - Unwirksamkeit - in beiden Fällen gleich ist. Die Kläger zu 2. und 5. bleiben demgegenüber mit ihren Anträgen betreffend die Tagesordnungspunkte 3, 4 und 6 erfolglos.

79

Die Kammer gewichtet die rechtliche und wirtschaftliche Bedeutung der Tagesordnungspunkte 3, 4 und 6 jeweils für sich deutlich geringer als den Tagesordnungspunkt 10. Die Angriffe gegen die Tagesordnungspunkte 3, 4 und 6 haben für die Kammer zusammen das gleiche Gewicht wie der Angriff gegen den Tagesordnungspunkt 10 allein.

80

Daraus folgt die unterschiedliche Verteilung der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten auf die Kläger und die Beklagte.

81

Die Nebenintervenienten zu 2. bis 4. teilen für ihre außergerichtlichen Kosten das Schicksal der Kläger, die alle Tagesordnungspunkte angegriffen haben. Denn der Beitritt der Nebenintervenienten zu 2. bis 4. erfolgte uneingeschränkt zu sämtlichen Klageanträgen, nicht nur zu den Klageanträgen der Kläger zu 1., 3. und 4..

82

Die Nebenintervenientin zu 1. muss ihre gesamten außergerichtlichen Kosten selbst tragen, weil sie ihre Anfechtungsbefugnis nach §246 Nr. 1 AktG (Nachweis der Anteilsinhaberschaft) nicht belegt hat.

83

Der Nebenintervenient zu 5. muss seine außergerichtlichen Kosten ebenfalls in vollem Umfang selbst tragen. Er hat ebenso wie die Nebenintervenientin zu 1. seine Anfechtungsbefugnis nach §246 Nr. 1 AktG nicht belegt. Der Nebenintervenient zu 5. hat zudem ausschließlich die Nichtigkeit der Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten am 30. August 2006 geltend gemacht, die nicht festgestellt werden kann. Schließlich hat der Nebenintervenient zu 5. die Frist für seinen Beitritt nach §246 Abs. 4 Satz 2 AktG nicht gewahrt. Denn diese Frist wird nur einmal in Lauf gesetzt, nämlich durch die Veröffentlichung über die Erhebung der Anfechtungsklage, die im vorliegenden Verfahren am 2. November 2006 erfolgt ist, während der Antrag des Nebenintervenienten zu 5. erst am 11. April 2007 bei Gericht einging. Wird - wie hier - bei Eingang einer Anfechtungsklage nicht sofort Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt und deshalb auch nur die Erhebung der Anfechtungsklage als solche von der betroffenen Gesellschaft veröffentlicht, dann kann die spätere Veröffentlichung einer nachfolgenden Terminsbestimmung die bereits abgelaufene Nebeninterventionsfrist nach §246 Abs. 4 Satz 2 AktG nicht erneut in Lauf setzen.

84

VII.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung ergeht nach §709 ZPO.

85

VIII.

Den Streitwert hat die Kammer nach §247 Abs. 1 AktG geschätzt. Die erfolgte Festsetzung ist Bestandteil und Grundlage der getroffenen differenzierten Kostenverteilungsentscheidung.