Landgericht Hannover
Urt. v. 15.08.2007, Az.: 6 O 279/06

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
15.08.2007
Aktenzeichen
6 O 279/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 60621
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2007:0815.6O279.06.0A

In dem Rechtsstreit

...

hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Hannover auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juni 2007 durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht ... als Einzelrichterin

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Die Klage wird abgewiesen.

  2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

  3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer für seinen Pkw Chrysler Stratus 2.5 LX Cabriolet abgeschlossenen Kaskoversicherung auf Zahlung einer Diebstahlsentschädigung in Anspruch.

2

Am 18. April 2004 kaufte der Kläger den vorstehend bezeichneten Pkw vom Zeugen ... zum Preis von 7 900,00 €. Unstreitig zeigte der Wegstreckenzähler des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrages eine Zahl zwischen 78 000 und 79 000 an. Der Tachometer des Wagens weist die Fahrtgeschwindigkeit sowohl in Meilen pro Stunde (mph) als auch in Kilometern pro Stunde (km/h) aus. Der Kläger schloss mit der Beklagten für den Pkw eine Teilkaskoversicherung ab, wobei er eine Selbstbeteiligung je Versicherungsfall in Höhe von 150,00 € vereinbarte. Im Zusammenhang mit der Finanzierung des Erwerbs übereignete er das Fahrzeug sicherungshalber an die ..., der er auch seine Ansprüche aus dem mit der Beklagten abgeschlossenen Versicherungsvertrag abtrat.

3

Mit Schadenanzeige vom 13.02.2006 zeigte der Kläger der Beklagten den Diebstahl des Pkw an, wobei er die Gesamtfahrleistung des Wagens mit 92 000 km angab. Er erwarb ein Ersatzfahrzeug für den (angeblich) entwendeten Pkw Chrysler.

4

Nachdem die Beklagte es abgelehnt hat, die von ihm geforderte Entschädigung zu entrichten, verlangt der Kläger - gestützt auf das von der Beklagten eingeholte Wertgutachten des Sachverständigen ... vom 28.02.2006 - Zahlung in Höhe des darin auf der Basis einer angenommenen Laufleistung von 92 000 km mit 11 400,00 € ermittelten Wiederbeschaffungswertes des Pkw abzüglich  150 € Selbstbeteiligung.

5

Der Kläger trägt vor, er sei aktivlegitimiert. Denn die das Fahrzeug finanzierende ... habe mit Schreiben vom 15. Februar 2007 die Sicherungsabtretung in Bezug auf den geltend gemachten Anspruch gegen die Beklagte für gegenstandslos erklärt.

6

Er behauptet, er habe den Pkw am 28.01.2006 gegen 17:00 Uhr verschlossen auf dem öffentlichen Parkplatz an der ... Straße in ... in unmittelbarer Nähe des ... abgestellt. Als er nach Besuch der Radsportveranstaltung im ... gegen 1:30 Uhr zusammen mit dem Zeugen ... habe wegfahren wollen, hätten sie festgestellt, dass sich der Wagen nicht mehr dort befand.

7

Die Laufleistung des Pkw habe zur Zeit des Diebstahls etwa 92 000 km betragen. Dafür spreche die in der Rechnung der Fa. ... vom 26.11.2005 enthaltene Angabe der Laufleistung mit 92 437 km sowie der Umstand, dass der Kfz-Sachverständige ... in seinem im Auftrag des Vorversicherers erstatteten Gutachten vom 03.01.2005 zu der Laufleistung ausgeführt hat: "90 821 km abgelesen".

8

Der Kläger trägt weiter vor, sofern die von ihm in der Schadensanzeige angegebene Gesamtlaufleistung von 92 000 km nicht zutreffe, sei ihm insoweit kein Verschulden zur Last zu legen. Denn er habe angenommen und davon ausgehen dürfen, dass der Wegstreckenzähler Kilometer anzeige. Kurz vor Abschluss des Kaufvertrages habe der Verkäufer ... im Internet nämlich eine Annonce veröffentlicht, in der er die Laufleistung mit 78 000 km angegeben habe. Er - der Kläger - habe mit dem Verkäufer nicht über die Laufleistung gesprochen. Dieser habe ihn zu keiner Zeit darauf hingewiesen, dass die Ziffern des Wegstreckenzählers des Pkw, die die Laufleistung auswiesen, Meilen und nicht Kilometer bedeuteten. Das sei auch nicht aus der Beschriftung des Tachometers zu entnehmen gewesen. In diesem sei die Maßeinheit des Wegstreckenzählers nicht mit der Aufschrift "Miles" gekennzeichnet.

9

Der Kaufpreis von 7 900,00 € sei marktgerecht gewesen. Das Fahrzeug habe erst anschließend aufgrund verschiedener von ihm durchgeführter Arbeiten sowie der Ausstattung mit neuen Reifen und höherwertigen Aluminiumfelgen einen Wertzuwachs erfahren.

10

Der Kläger trägt ferner vor, in dem im Wertgutachten vom 28.02.2006 ermittelten Betrag des Wiederbeschaffungswertes von 11 400,00 € sei keine Mehrwertsteuer in Höhe von 16 % enthalten. Denn bei der Wiederbeschaffung eines vergleichbaren Fahrzeugs würde keine Mehrwertsteuer anfallen. Derartige Fahrzeuge würden nämlich fast ausschließlich von Privatleuten zum Verkauf angeboten. Auch im Fall der Ersatzbeschaffung über einen Gebrauchtwagenhändler wäre allenfalls ein Abzug nach der sog. Differenzbesteuerung in Höhe von 2 % zugrunde zu legen.

11

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 11 250,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 2. Juni 2006 zu zahlen.

  2. 2.

    Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere € 441,66 nicht festsetzbare, außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.

12

Die Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

13

Sie bestreitet die vom Kläger behauptete Entwendung des Pkw und behauptet, der Kläger habe die Gesamtlaufleistung des Wagens zur Zeit des angeblichen Diebstahls in der Schadensanzeige unzutreffend mit 92 000 km angegeben. Tatsächlich habe sie mindestens 92 000 amerikanische Meilen, d.h. 148 059 km betragen. Denn der in das Fahrzeug eingebaute Wegstreckenzähler habe die Laufleistung in Meilen gemessen und angezeigt. Er sei auf dem Tachometer mit der Überschrift "Miles" bezeichnet gewesen.

14

Die Beklagte behauptet weiter, bei einer Laufleistung von nur 92 000 km hätte der Kaufpreis von 7 900,00 € weit unter dem tatsächlichen Wert des Fahrzeugs gelegen. Der Zeuge ... habe den Kläger bei Erwerb des Pkw am 18.04.2004 ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass die vom Wegstreckenzähler abzulesende Laufleistung in Meilen und nicht in Kilometern angegeben werde.

15

Die Beklagte meint, sie sei wegen vorsätzlicher falscher Angabe des Klägers über die Laufleistung des Fahrzeugs zur Zeit des Diebstahls von ihrer Leistungspflicht befreit.

16

Die Beklagte trägt weiter vor, nach § 13 Abs. 5 der dem Versicherungsvertrag der Parteien zugrundeliegenden AKB könne der Kläger die in dem Wiederbeschaffungswert enthaltene Mehrwertsteuer von 1 572,41 € nicht geltend machen, da er bisher nicht nachgewiesen habe, dass er für die Ersatzbeschaffung Mehrwertsteuer habe aufwenden müssen.

17

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

18

Das Gericht hat gemäß Beschluss vom 11. April 2007 Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen ... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Sitzung vom 25. Juli 2007 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

19

Die Klage ist unbegründet. Denn die Beklagte ist - ungeachtet der Frage, ob das Fahrzeug des Klägers tatsächlich entwendet worden ist - nach § 7 I Abs. 2 S. 4, V Abs. 4 der dem Vertrag der Parteien zugrunde liegenden AKB in Verbindung mit § 6 Abs. 3 VVG von einer Verpflichtung zur Leistung einer Entschädigung für den vom Kläger behaupteten Diebstahlschaden frei.

20

Nach § 7 I Abs. 2 S. 4 AKB ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestandes dienlich sein kann. Gegen diese Obliegenheit hat der Kläger verstoßen, indem er in dem Schadensanzeigeformular die Gesamtfahrleistung des Pkw mit 92 000 Kilometern angegeben hat.

21

Diese Angabe ist objektiv falsch. Das ergibt sich aus der Aussage des Zeugen ..., wonach die Wegstrecke bei dem Fahrzeug nach amerikanischen Meilen und nicht nach Kilometern gemessen wird. Das Gericht hat keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Aussage. Denn für sie spricht der Umstand, dass der Tachometer des Pkw die Geschwindigkeit durch große weiße Ziffern und die Großbuchstaben "MPH" in optisch hervorgehobener Weise in Meilen pro Stunde anzeigt und durch kleinere blaue Ziffern und die Buchstaben "km/h" lediglich daneben auch noch in Kilometern pro Stunde. Das deutet darauf hin, dass es sich um ein in erster Linie für den amerikanischen Markt hergestelltes Fahrzeug handelt und dass dementsprechend auch die auf dem Tachometer angegebene Laufleistung auf der Maßeinheit Meilen basiert.

22

Es ist auch davon auszugehen, dass der Kläger wusste, dass die Laufleistung seines Pkw zur Zeit des (angeblichen) Diebstahls nicht 92 000 Kilometer, sondern 92 000 Meilen betrug.

23

Bereits aufgrund des Umstandes, dass es sich um ein amerikanisches Fahrzeug handelt und im Hinblick auf die beschriebene Gestaltung des Tachometers ist nämlich zu vermuten, dass dem Kläger bekannt war, dass die Laufleistung seines Fahrzeugs nicht in Kilometern, sondern in Meilen gemessen wurde. Dagegen spricht nicht, dass sie in der Internetanzeige, durch die der Kläger (angeblich) auf den Pkw aufmerksam wurde, mit 78 000 Kilometern angegeben war. Denn das beruhte ersichtlich auf dem Umstand, dass dort für die Laufleistung nur die Maßeinheit Kilometer vorgesehen war. Dass der Sachverständige ... in der Reparatur-Kalkulation vom 03.01.2005 die Laufleistung mit "90 821 km" angegeben hat und dass sie in der Rechnung der Firma ... vom 26.11.2005 ebenfalls mit 92 437 Kilometern bezeichnet ist, steht der genannten Vermutung nicht entgegen. Für den Sachverständigen ... war es nämlich bei der von ihm vorzunehmenden Reparaturkostenkalkulation ebenso wie für die Firma ... bei der Erstellung ihrer Rechnung unerheblich, ob die Laufleistung des Pkw in Meilen oder Kilometern gemessen wurde, so dass in beiden Fällen davon auszugehen ist, dass der Fehler auf Routine und mangelnder Aufmerksamkeit beruhte. Deshalb steht er der Annahme nicht entgegen, dass der Käufer eines amerikanischen Pkw, dessen Tachometer die Geschwindigkeit in erster Linie in Meilen anzeigt, auch weiß, dass die Laufleistung ebenfalls in Meilen gemessen wird.

24

Hinzu kommt, dass dem Kläger bei der Benutzung des Pkw kaum entgangen sein kann, dass die Laufleistung nicht in Kilometern angezeigt wurde. Denn er hat mit dem Fahrzeug nach Abschluss des Kaufvertrages eine Strecke von ca. 13 000 Meilen, d.h. ca. 20 920 Kilometern zurückgelegt. Dabei muss ihm aufgefallen sein, dass der Tachometer keine entsprechende Kilometerleistung auswies. Auch deshalb ist zu vermuten, dass dem Kläger bekannt war, dass die von ihm in der Schadensanzeige angegebene Laufleistung von 92 000 Kilometern nicht zutraf, weil der Wegstreckenzähler des Pkw die Laufleistung auf der Basis von Meilen ermittelte. Aus diesen Gründen genügt die Behauptung des Klägers, der Verkäufer ... habe ihn zu keiner Zeit darauf hingewiesen, dass der Wegstreckenzähler des Pkw die Laufleistung in Meilen und nicht in Kilometern anzeigt, nicht, um die für die Kenntnis dieses Umstandes sprechende Vermutung zu entkräften. Dementsprechend muss über diese Behauptung Beweis nicht erhoben werden.

25

Gemäß § 7 Ziffer V Abs. 4 AKB, § 6 Abs. 3 VVG führt eine Obliegenheitsverletzung, die nach Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllen ist, selbst dann, wenn sie für den Versicherer folgenlos geblieben ist, zur völligen Leistungsfreiheit, wenn nicht der Versicherungsnehmer beweisen kann, dass die Verletzung nicht vorsätzlich erfolgt ist, sie nicht geeignet war, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu beeinträchtigen oder ihn kein erhebliches Verschulden trifft und wenn er ausdrücklich und unmissverständlich über den Verlust seines Leistungsanspruchs auch für den Fall, dass die Obliegenheitsverletzung keinen Nachteil für den Versicherer hatte, belehrt worden ist.

26

Dass der Kläger vorsätzlich gehandelt hat, als er die unzutreffende Laufleistung in die Schadensanzeige eintrug, wird nach § 6 Abs. 3 VVG vermutet. Umstände, die diese Vermutung widerlegen könnten, hat der Kläger nicht dargelegt.

27

Die danach vom Kläger begangene vorsätzliche Obliegenheitsverletzung war auch geeignet, die Interessen der Beklagten als Versicherer ernsthaft zu gefährden.

28

Falsche Angaben über die Laufleistung eines Fahrzeugs sind generell geeignet, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden, wenn die Abweichung als erheblich anzusehen ist. Bei der Ermittlung des Wiederbeschaffungswertes, der für die Bemessung der vom Versicherer zu leistenden Entschädigung maßgeblich ist (§ 13 AKB), ist die Laufleistung nämlich ein wesentlicher Bewertungsfaktor. Falsche Angaben des Versicherungsnehmers dazu verhindern die Ermittlung des konkreten Wertes durch den Versicherer. Dieser ist in Entwendungsfällen umso mehr auf zuverlässige und zutreffende Angaben des Versicherungsnehmers angewiesen, als das Fahrzeug für eine Begutachtung durch einen Sachverständigen nicht mehr zur Verfügung steht. Abweichungen der Kilometerleistung um mehr als 10 % sind generell geeignet, die berechtigten Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden, weil sich eine solche Kilometerdifferenz nicht nur marginal auf den Kaufpreis auswirkt (vgl. Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken RuS 2005, 322 m.w.N.).

29

Im vorliegenden Fall beträgt die Abweichung 56 059 Kilometer (148 059 Kilometer - 92 000 Kilometer) und damit fast 38 %, d.h. deutlich mehr als 10 %. Dass sich diese Abweichung bei der Bewertung erheblich auswirkt, ergibt sich aus dem Umstand, dass der Sachverständige ... in seinem Gutachten vom 28.02.2006 den Wiederbeschaffungswert auf Basis einer Laufleistung von 92 000 Kilometern mit 11 400,00 € und unter dem 13.11.2006 auf der Basis einer Gesamtlaufstrecke von 148 059 Kilometern mit 9 525,00 € inklusive Mehrwertsteuer ermittelt hat.

30

Dem Kläger ist auch ein erhebliches Verschulden zur Last zu legen. Denn sein Verhalten kann nicht bloß als geringfügiges Fehlverhalten gewertet werden, welches auch einem ordentlichen Versicherungsnehmer unterlaufen kann und für das deshalb ein einsichtiger Versicherer Verständnis aufzubringen mag. Es liegt nämlich auf der Hand, dass er mit seiner falschen Angabe der Laufleistung, die generell geeignet ist, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden, gezielt Einfluss auf die Höhe der Entschädigungsleistung der Beklagten nehmen wollte.

31

Der Kläger ist in dem Schadensanzeigeformular hinreichend über den Verlust seines Leistungsanspruchs belehrt worden. Denn in diesem Formular heißt es unmittelbar über der für die Unterschrift vorgesehenen Zeile:

"Die gestellten Fragen sind eingehend und wahrheitsgemäß beantwortet. ... Bewusst unwahre oder unvollständige Angaben führen zum Verlust des Anspruchs auf Versicherungsschutz, auch wenn dem Versicherer durch diese Angaben ein Nachteil entsteht."

32

Aus diesen Gründen steht dem Kläger der geltend gemachte Entschädigungsanspruch und dem entsprechend auch der Anspruch auf Ersatz der durch seine Verfolgung entstandenen vorprozessualen Rechtsanwaltskosten nicht zu und ist die Klage abzuweisen.

33

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.