Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 07.11.2002, Az.: 4 B 4165/02
Baugenehmigung; Bordell; Nutzungsuntersagung; Nutzungsverbot; Nutzungsänderung; Sofortvollzug
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 07.11.2002
- Aktenzeichen
- 4 B 4165/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 43674
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs 5 VwGO
- § 68 BauO ND
- § 69 BauO ND
- § 89 BauO ND
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 6.000 € festgesetzt.
Gründe
Der Antragsteller wendet sich gegen eine nach Bauordnungsrecht erlassene Nutzungsuntersagungsverfügung. Er ist Eigentümer des Grundstücks ... Straße .. in ... . Nachdem am 11. Juni 2002 und 3. Juli 2002 örtlich festgestellt wurde, dass in dem rechten zu Wohnzwecken genehmigten Gebäudeteil (Baugenehmigung vom 9. Dezember 1969) ein Bordell betrieben wurde, untersagte der Antragsgegner mit Verfügung vom 9. September 2002 nach Anhörung des Antragstellers die ungenehmigte Nutzung des Gebäudes. Dem Antragsteller wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 1.500 € angedroht. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet.
Der Antragsteller hat am 2. Oktober 2002 Widerspruch erhoben und um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Da das Gebäude vermietet sei, könne er nicht als Störer in Anspruch genommen werden. Die nähere Umgebung des Baugrundstücks stelle sich als Gewerbe- oder Kerngebiet dar, in dem eine Vergnügungsstätte zulässig sei. Der von dem Antragsgegner angenommene Bordellbetrieb ohne zusätzliche Einrichtungen sei wie ein Gewerbetrieb aufgrund der vorhandenen Bebauung in der näheren Umgebung genehmigungsfähig. Tatsächlich werde in dem Gebäude kein Bordell betrieben. An der sofortigen Vollziehung bestehe kein besonderes öffentliches Interesse, zumal die Nutzungsuntersagungsverfügung erst ca. 3 Monate nach der Ortsbesichtigung erlassen worden sei.
Der Antragsgegner führt aus, dass das Baugrundstück nicht in einem faktischen Gewerbe- oder Kerngebiet liege. In der näheren Umgebung seien mehrere Wohnhäuser vorhanden. Der Bordellbetrieb sei im Rahmen der Besichtigungen eindeutig festgestellt worden. Der Antragsteller habe diese Nutzung im Rahmen des Anhörungsverfahrens auch eingeräumt. Bei dem ungenehmigten Betrieb handele es sich um eine kerngebietstypische Vergnügungsstätte, die nicht genehmigungsfähig sei. Auf Vertrauensschutz könne der Antragsteller sich nicht berufen, da er mehrfach auf die Genehmigungspflicht der Nutzungsänderung hingewiesen worden sei. Als Eigentümer sei er für den baurechtmäßigen Zustand des Gebäudes verantwortlich. Angaben über die Mieter habe der Antragsteller bisher verweigert. Nach Mitteilung würden diesen gegenüber Duldungsverfügungen erlassen werden.
Der zulässige Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.
Nach § 80 Abs. 1 VwGO hat ein Widerspruch grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt jedoch, wenn die Behörde die sofortige Vollziehung einer Verfügung im öffentlichen Interesse gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO besonders angeordnet hat. Das Verwaltungsgericht kann nach § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs ganz oder teilweise wieder herstellen. Dabei ist aufgrund einer Abwägung der sich gegenüberstehenden öffentlichen oder privaten Interessen darüber zu entscheiden, ob die angefochtene Verfügung trotz des eingelegten Widerspruchs sofort oder erst nach ihrer bestandskräftig gewordenen Bestätigung vollzogen werden darf. Jedoch ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung einer Nutzungsuntersagung dann stets höher zu bewerten, wenn die beanstandete Nutzung ohne die erforderliche Baugenehmigung aufgenommen worden ist (OVG Lüneburg, Beschluss vom 8. Mai 1987 - 6 OVG B 10/87 - NVwZ 1989, 170 = Nds.Rechtspflege 1987, 264 = BRS 47 Nr. 199; Beschluss vom 14. September 1984 - 6 B 77/84 - BRS 42 Nr. 226; Beschluss vom 26. Januar 1994 - 1 M 5660/93 -Nds.Rechtspflege 1994, 169). In diesen Fällen ist die sofortige Vollziehung der Verfügung grundsätzlich im überwiegenden öffentlichen Interesse ohne Rücksicht darauf geboten, ob die Bauaufsichtsbehörde zur Begründung der Nutzungsuntersagung auch auf die materielle Baurechtswidrigkeit abgestellt hat und ob die bauliche Anlage bzw. deren Nutzung genehmigt werden kann oder nicht. Denn zum einen besteht an der Beachtung und strikten Durchführung eines formellen Genehmigungsverfahrens ein gewichtiges öffentliches Interesse, das soweit reicht, dass bis zum Abschluss dieses Verfahrens selbst materiell rechtmäßige Baumaßnahmen nicht begonnen werden dürfen (§ 78 Abs. 1 NBauO). Zum anderen stünde ansonsten derjenige, der das gesetzlich vorgeschriebene Baugenehmigungsverfahren nicht beachtet, mit der (noch nicht erlaubten) tatsächlichen Nutzung der baulichen Anlage besser da als derjenige, der gesetzestreu den Ausgang des Baugenehmigungsverfahrens abwartet und damit unter Umständen erhebliche Nachteile, jedenfalls aber Wartezeiten auf sich nimmt. Dies ist nicht hinzunehmen, zumal dadurch auch andere Bauherren dazu verleitet werden könnten, ihre geplanten Baumaßnahmen oder Nutzungen ohne die erforderliche Baugenehmigung zu beginnen, wenn sie nicht mit wirksamen Sofortmaßnahmen der Bauaufsichtsbehörde zu rechnen hätten. Im übrigen kann das Genehmigungsverfahren auch nicht etwa in das gerichtliche Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO verlagert werden, wofür es schon wegen seines Charakters als Eilverfahren ungeeignet ist.
Diese Grundsätze gelten auch hier, da für die von dem Antragsgegner aufgegriffene Nutzung gemäß § 68 Abs. 1 NBauO eine Baugenehmigung erforderlich ist. Soweit der Antragsteller im gerichtlichen Verfahren bestreitet, dass in dem Gebäude ein Bordellbetrieb geführt wird, widerspricht dieses Vorbringen sowohl den dokumentierten Feststellungen des Antragsgegners anlässlich der Ortsbesichtigungen im Juni und Juli 2002 als auch dem Vorbringen des Antragstellers im Rahmen des Anhörungsverfahrens. Mit Schriftsatz vom 22. August 2002, hat der Antragsteller eingeräumt, dass ein Bordellbetrieb eingerichtet worden sei und betrieben werde. Für die Nutzungsänderung werde eine Genehmigung beantragt. Da für diesen Gebäudetrakt bisher Wohnnutzung genehmigt war (Baugenehmigung vom 9. Dezember 1969) ist die Änderung in einen gewerbsmäßigen Bordellbetrieb nach §§ 68, 69 NBauO baugenehmigungspflichtig.
Besondere Gründe, die in seltenen Fällen eine Ausnahme von dem Grundsatz rechtfertigen können, dass bereits das Fehlen der erforderlichen Baugenehmigung ein Nutzungsverbot rechtfertigt (vgl. OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 8. Mai 1987 - 6 B 10/87 - und vom 26. Januar 1994 - 1 M 5660/93 -, a.a.O.), liegen hier nicht vor. Insbesondere ist die materielle Legalität der Baumaßnahme nicht ohne weiteres offensichtlich und außer Zweifel. Zwischen den Beteiligten ist bereits die Frage streitig, ob der aufgegriffene Betrieb als "Vergnügungsstätte" anzusehen ist. Weiterhin bestehen Differenzen zwischen den Beteiligten, ob das Baugrundstück nach der vorhandenen Bebauung in der näheren Umgebung als Mischgebiet oder Gewerbe-/Kerngebiet anzusehen ist. Zudem wurden auch keine prüffähigen Bauvorlagen für die Nutzungsänderung eingereicht.
Weiterhin ist der Antragsteller als Eigentümer gem. § 61 NBauO für den baurechtmäßigen Zustand des Grundstücks verantwortlich, so dass die Verfügung an ihn zu richten war. Da er die Anschriften der Mieter des Gebäudeteiles bisher trotz Aufforderung durch den Antragsgegner nicht mitgeteilt hat, kann er sich auf fehlende Duldungsverfügungen den Mietern gegenüber nicht berufen. Abgesehen davon, berührt dieses nicht die Rechtmäßigkeit der Bauordnungsverfügung vom 9. September 2002 sondern ist allenfalls eine Frage der Vollstreckbarkeit (vgl. Große-Suchsdorf, Lindorf, Schmaltz, Wiechert, NBauO, 7. Aufl., § 89 RdZiff. 36 m.w.N.).
Die angefochtene Maßnahme stellt sich auch nicht wegen der mit ihrer Durchsetzung möglicherweise für den Antragsteller verbundenen wirtschaftlichen Auswirkungen als unverhältnismäßig dar. Die Einhaltung des öffentlichen Baurechts rechtfertigt grundsätzlich auch erhebliche Nachteile für den Verantwortlichen, zumal wenn diese - wie auch hier - die rechtswidrigen Zustände zu vertreten haben. Es würde nämlich eine nicht zu rechtfertigende Begünstigung desjenigen darstellen, der "schwarz" gebaut oder Nutzungsänderungen vollzogen hat, würde man seinem Einwand nachgeben, die Beseitigungsanordnung oder das Nutzungsverbot vernichte seine Existenz (vgl. Große-Suchsdorf u.a. a.a.O § 89 Rdnr. 41).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG und orientiert sich der Höhe nach an dem Streitwertkatalog des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts für baurechtliche Verfahren (Nds. VBl. 2002, S. 192; dort Ziff. 11 b, 18 b). Bei einem geschätzten Jahresmietwert von 12.000 € war ein halbierter Streitwert von 6.000 € angemessen.