Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 27.11.2002, Az.: 7 B 4836/02
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 27.11.2002
- Aktenzeichen
- 7 B 4836/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 35984
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2002:1127.7B4836.02.0A
Amtlicher Leitsatz
Die vorsorgliche Androhung der Abschiebung für den Fall der Wiedereinreise ist unzulässig.
Für Bürger der Elfenbeinküste besteht auf Grund der derezeitigen bürgerkriegsähnlichen Unruhen kein Abschiebungshindernis in verfassungskonformer Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG.
In der Verwaltungsrechtssache
des Herrn K.,
Staatsangehörigkeit: ivorisch,
Antragsteller,
Proz.-Bev.: Rechtsanwalt ...
gegen
die Bundesrepublik Deutschland, ...
Antragsgegnerin,
Streitgegenstand: Asylrecht, Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung
hat das Verwaltungsgericht Oldenburg - 7. Kammer - am 27. November 2002 durch den Berichterstatter als Einzelrichter beschlossen:
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (7 A 4835/02) gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 6. November 2002 wird angeordnet, soweit dem Antragsteller die Abschiebung für den Fall einer erneuten unerlaubten Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland angedroht wird.
Im Übrigen wird der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werde nicht erhoben.
Gründe
1.
Das in erster Linie nach § 80 Abs. 5 VwGO, 36 Abs. 3 und 4 AsylVfG zu beurteilende Begehren ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen geringen Umfang begründet, im Wesentlichen unbegründet.
Das Bundesamt hat den Asylantrag des Antragstellers nach den hierfür bestehenden gesetzlichen Vorgaben (§ 30 AsylVfG) und den von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Juli 1983 - 1 BvR 1470/82 - BVerfGE 65, 7695 ff.) zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Insoweit kann gem. § 77 Abs. 2 AsylVfG auf die im Wesentlichen zutreffenden Ausführungen in dessen Bescheid vom 6. November 2002 verwiesen werden, denen der Antragsteller nicht entgegengetreten ist.
Soweit der Antragsteller auf die schwierige allgemeine Sicherheitslage in Folge der bürgerkriegsähnlichen Kämpfe zwischen der Regierung der Elfenbeinküste und rebellierenden Soldaten, welche am 19. September 2002 ausgebrochen sind, hinweist, kommen keine Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1 - 4 AuslG, sondern allenfalls solche nach Abs. 6 Satz 1 der Vorschrift in Betracht (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 15.95 - BVerwGE 99, 331335). Letztere berühren die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamtes jedoch nicht (vgl. §§ 34 Abs. 1 AsylVfG, 50 Abs. 3 Satz 2 AuslG; BVerwG, Urteil vom 15. April 1997 - 9 C 19.96 - BVerwGE 104, 260265).
Die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamtes vom 6. November 2002 (Nr. 4 des Tenors) findet hinsichtlich der des 1. und 2. Absatzes ihre rechtliche Grundlage in den §§ 34 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylVfG, 50 AuslG. Dabei bewertet das Gericht die Entscheidung im 1. Absatz entsprechend ihrer Begründung (S. 12) nicht nur als Abschiebungsankündigung, sondern auch als Abschiebungsandrohung. Der Verzicht auf die Bestimmung einer Ausreisefrist rechtfertigt sich aus §§ 34 Abs. 1 AsylVfG, 50 Abs. 5 Satz 1 1. Halbsatz, 49 Abs. 2 Satz 1 AuslG.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen jedoch hinsichtlich der vorsorglichen Androhung der Abschiebung für den Fall der unerlaubten Wiedereinreise des Antragstellers (3. Absatz). Eine solche Möglichkeit eröffnet §§ 34 AsylVfG, 50 AuslG nicht. Sie ist nur für den speziellen Fall des sog. Flughafenverfahrens vorgesehen (§ 18 a Abs. 2 AsylVfG). Ein praktisches Bedürfnis besteht auch im Hinblick auf ein mögliches Folgeverfahren nicht. Angesichts des Umstandes, dass - wie ausgeführt - Absatz 1 der Nr. 4 des Bescheides des Bundesamtes vom 6. November 2002 bei verständiger Würdigung als Abschiebungsandrohung anzusehen ist, stünden - soweit deren Voraussetzungen im Übrigen vorliegen - der Anwendung des § 71 Abs. 5 AsylVfG keine rechtlichen Hindernisse entgegen (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 5. Juli 2001 - A 14 S 2181/00 -juris; OVG Münster, Beschluss vom 23. März 2000 - 10 A 1284/00.A -juris).
2.
Soweit man das Begehren des Antragstellers im Hinblick auf die allgemeine Situation in der Elfenbeinküste aus den oben zu 1. erwähnten Gründen auch als Antrag, die Antragsgegnerin nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO einstweilen zu verpflichten, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG festzustellen, ansieht, ist es unbegründet.
Es fehlt bereits ein Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit der Sache. Es ist nämlich nicht erkennbar, dass eine Abschiebung des Antragstellers konkret bevorsteht. Ausweislich seiner Angaben in der Anhörung beim Bundesamt verfügt er nicht über Personalpapiere. Diese sind für eine Rückführung nach Côte d`Ivoire erforderlich (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 14. Mai 1999, S. 5). Außerdem sind derzeit in die Elfenbeinküste begleitete Rückführungen nur eingeschränkt möglich (vgl. Erlass der Hamburgischen Behörde für Inneres vom 1. November 2002).
Es fehlt aber auch an einem Anordnungsanspruch, d.h. bei dem Antragsteller liegen derzeit die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht vor. Da er eine allgemeine Gefahr im Sinne des Satzes 2 der Regelung geltend macht, bedarf es grds. einer politischen Leitentscheidung der obersten Landesbehörden und des Bundesministeriums des Innern gem. § 54 AuslG über die Aussetzung der Abschiebung. Im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist allerdings eine verfassungskonforme Auslegung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG geboten. Danach findet die Vorschrift auch in den Fällen des Satzes 2 Anwendung, wenn eine so extreme Gefahrenlage besteht, dass der Ausländer in Folge einer Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwerster Verletzungen ausgesetzt würde. Es bedarf einer hohen Wahrscheinlichkeit des baldigen Eintritts der genannten Rechtsgutsverletzungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1 4 ff.).
Eine derartig extreme Gefahrenlage lässt sich in der Elfenbeinküste derzeit nicht feststellen. Am 19. September 2002 ist eine Rebellion abtrünniger Soldaten ausgebrochen. Diese hat dazu geführt, dass die "Patriotische Bewegung Elfenbeinküste" derzeit den Norden des Landes kontrolliert. Allerdings ist am 18. Oktober 2002 ein Waffenstillstand in Kraft getreten (vgl. Kurzinformation des Auswärtigen Amtes vom 14. November 2002). Dieser ist zwar brüchig (vgl. FAZ vom 19. November 2002, worin von Scharmützeln im Osten des Landes berichtet wird), wird aber bisher von französischen Soldaten überwacht. Deren Aufgaben werden demnächst von einer westafrikanischen Friedenstruppe wahrgenommen (vgl. FR vom 20. November 2002 und FAZ a.a.O.). Die Vereinten Nationen gehen - angesichts geringer Fortschritte bei den Friedensgesprächen in Lome - von einem militärischen Stillstand aus. Die Sicherheitslage ist allerdings im ganzen Land gespannt und die brutale Straßenkriminalität nimmt zu (vgl. Auswärtiges Amt a.a.O.). Dies wird durch den Zerfall staatlicher Strukturen begünstigt (vgl. taz vom 20. November 2002). Auch gibt es Exzesse gegen im Lande ansässige ausländische Staatsbürger. Diese fliehen zu Zehntausenden in ihre Heimatländer (vgl. taz a.a.O.; FR a.a.O.). Außerdem haben wochenlang Ausschreitungen u.a. gegen die muslimische Bevölkerung stattgefunden (vgl. FR vom 10. Oktober 2002). Darüber hinaus sollen sich Übergriffe gegen oppositionelle Parteien häufen. Seit Ausbruch der Krise sind zahlreiche ihrer Mitglieder, mutmaßlich durch Sicherheitskräfte, ermordet und misshandelt worden oder verschwunden (vgl. FAZ vom 16. Oktober, 16. und 19. November 2002).
Das Auswärtige Amt (a.a.O.) rät aber selbst deutschen Staatsbürgern generell lediglich zur Ausreise aus den Gebieten nördlich von Yamoussoukrou; den im Süden des Landes ansässigen Deutschen wird ein Verlassen des Landes nur nahegelegt, wenn der Verbleib nicht aus übergeordneten Gründen erforderlich ist. Hinzu kommt, dass bisher keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die geschilderten Übergriffe permanent auftreten und es im ganzen Land nicht möglich wäre, sich ihnen zu entziehen. Es scheinen auch in erster Linie Bevölkerungsgruppen betroffen zu sein, denen der Antragsteller nicht angehört.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, 83 b Abs. 1 AsylVfG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).