Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 21.11.2002, Az.: 12 B 4825/02
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 21.11.2002
- Aktenzeichen
- 12 B 4825/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 35982
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2002:1121.12B4825.02.0A
Amtlicher Leitsatz
§ 56 Abs. 6 AuslG greift auch dann ein, wenn aufeinander folgende Duldungen für insgesamt länger als ein Jahr erteilt worden sind.
Die Ankündigung der Abschiebung gemäß § 56 Abs. 6 AuslG bedarf nicht der Schriftform; ein konkreter Termin muss nicht genannt werden.
Ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung zur Durchführung des Scheidungsverfahrens besteht grundsätzlich nicht.
In der Verwaltungsrechtssache
des Herrn L.,
Staatsangehörigkeit: vietnamesisch,
Antragsteller,
Proz.-Bev.: Rechtsanwälte ...,
gegen
den Landkreis ...,
Antragsgegner,
Streitgegenstand: Abschiebemaßnahmen,
hat das Verwaltungsgericht Oldenburg - 12. Kammer - am 21. November 2002 beschlossen:
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
...
G R Ü N D E :
Das Begehren des Antragstellers, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, bis zur unanfechtbaren Entscheidung im Klageverfahren ... die Abschiebung auszusetzen, hat keinen Erfolg.
Es ist auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 123 VwGO gerichtet und wendet sich gegen die für den 26. November 2002 vorgesehene Abschiebung des Antragstellers. Diese Abschiebung stützt sich auf die im Bescheid des Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 17. Mai 1993 verfügte Abschiebungsandrohung, die bestandskräftig ist.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn dies um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass sowohl der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch die Eilbedürftigkeit der begehrten Regelung (Anordnungsgrund) vom Antragsteller glaubhaft gemacht worden sind (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).
Der erforderliche Anordnungsgrund liegt hier vor, da der Antragsgegner beabsichtigt, den Antragsteller am 26. November 2002 nach Vietnam abzuschieben.
Der Antragsteller hat aber den erforderlichen Anordnungsanspruch auf Verpflichtung des Antragsgegners, von der vorgesehenen Abschiebung abzusehen, bis über seine Klage auf Erteilung einer Duldung in dem Verfahren zu dem Aktenzeichen: 12 A 4712/02 entschieden ist, nicht hinreichend glaubhaft gemacht.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die bevorstehende Abschiebung ordnungsgemäß nach § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG angekündigt worden. Die Vorschrift sieht vor, dass dann, wenn ein Ausländer länger als ein Jahr geduldet ist, die für den Fall des Erlöschens der Duldung durch Ablauf der Geltungsdauer oder durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen ist. Zwar ist mit dem Antragsteller davon auszugehen, dass er länger als ein Jahr geduldet worden ist. Die vom Antragsgegner vertretene Auffassung, wonach aufeinander folgende Duldungen, die zusammen über ein Jahr hinaus gingen, die Ankündigungspflicht der genannten Vorschrift nicht auslösten, ist unzutreffend und mit dem Zweck der Vorschrift nicht zu vereinbaren. Dieser besteht darin, dem betroffenen Ausländer die Möglichkeit zu geben, sich rechtzeitig auf die Beendigung des Aufenthalts einzustellen und seine persönlichen Angelegenheiten zu erfüllen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Dezember 1997 - 1 C 14/96 -, NVWZ-RR 1998, 454 ff.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 21. März 1997, - 9 M 1674/97 -, Nds. Rechtspflege 1997, 229). Zur Erreichung dieses Zweckes ist es nicht erforderlich, dass die Ankündigung der Abschiebung schriftlich erfolgt. Die Schriftform ist auch in § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG nicht vorgesehen und auch im Hinblick auf den Zweck der Ankündigung nicht erforderlich (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 21. März 1997 a.a.O.). Der Antragsteller wusste spätestens seit dem 23. September 2002, dass er kurzfristig mit seiner Abschiebung nach Vietnam rechnen müsse. Das ergibt sich aus einem Schreiben seines Prozessbevollmächtigten an den Antragsgegner, in dem ausgeführt wird, dass der Antragsgegner erklärt habe, eine weitere Duldung des Antragstellers sei auch zur Durchführung des Scheidungsverfahrens nicht möglich. Insofern sei der Landkreis verpflichtet, da die Voraussetzungen einer Abschiebung vorlägen, Herrn L.. kurzfristig abzuschieben. Danach musste dem Antragsteller spätestens ab diesem Zeitpunkt klar sein, dass er kurzfristig mit seiner Abschiebung rechnen musste. Er hatte ab diesem Zeitpunkt auch hinreichend Gelegenheit, seine persönlichen Angelegenheiten zu regeln. Dass ihm erst am 15. November 2002 der konkrete Abschiebetermin mitgeteilt worden ist, führt zu keiner anderen Beurteilung, da es rechtlich nicht erforderlich ist, dass zusammen mit der Ankündigung ein bestimmter Termin für die Abschiebung genannt oder auch nur der Monat angegeben wird, in dem die Abschiebung stattfinden soll (OVG Lüneburg, Beschluss vom 21. März 1997, a.a.O.).
Der Antragsteller hat auch nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass ihm ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 55 Abs. 3 oder Abs. 4 AuslG zusteht. Die Vorschrift des § 55 Abs. 4 AuslG greift schon deshalb nicht ein, weil die Abschiebung weder rechtlich noch tatsächlich unmöglich ist.
Das Vorbringen des Antragstellers betreffend das Scheidungsverfahren begründet auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 55 Abs. 3 AuslG. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die Entscheidung des Antragsgegners auch nicht ermessensfehlerhaft. Der Antragsteller hat nämlich nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass überhaupt die Voraussetzungen für die Ausübung des Ermessens vorliegen.
Nach § 55 Abs. 3 AuslG kann einem Ausländer eine Duldung erteilt werden, solange er nicht unanfechtbar ausreisepflichtig ist oder wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Der Hinweis des Antragstellers, diese Voraussetzungen lägen vor, weil es für das zu erwartende Scheidungsverfahren - insbesondere unter Berücksichtigung des § 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO - unbedingt erforderlich sei, dass er an dem zu erwartenden Gerichtstermin persönlich teilnehme, greift nicht durch.
§ 613 Abs. 1 ZPO sieht insoweit zwar vor, dass das Gericht das persönliche Erscheinen der Ehegatten anordnen und sie anhören soll; es kann sie als Parteien vernehmen. In Satz 2 der genannten Vorschrift wird ausgeführt, dass dann, wenn ein Ehegatte am Erscheinen vor dem Prozessgericht verhindert ist oder er sich in so großer Entfernung von dessen Sitz aufhält, dass ihm das Erscheinen nicht zugemutet werden kann, er durch einen ersuchten Richter angehört oder vernommen werden kann.
Zutreffend ist zwar, dass die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Ehegatten nach der genannten Vorschrift der Regelfall ist. Im vorliegenden Fall kann sich der Antragsteller hierauf jedoch schon deshalb nicht berufen, weil derzeit nicht ersichtlich ist, wann und ob es überhaupt zu einer entsprechenden mündlichen Verhandlung kommen wird. Der Antragsteller führt insoweit in seinem Schriftsatz vom 20. November 2002 selbst aus, dass zur Zeit ein Scheidungsverfahren nicht anhängig sei. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass der Antragsgegner darauf hingewiesen habe, dass die Ehefrau des Antragstellers mitgeteilt habe, sie habe zwischenzeitlich die Scheidung eingereicht. Es sei damit zu rechnen, dass diese spätestens zum Ende des Trennungsjahres einen entsprechenden Antrag stellen werde. Auch der Antragsteller werde frühestens 3 Monate vor Ablauf des Trennungsjahres einen entsprechenden Scheidungsantrag stellen. Im selben Schriftsatz verweist er darauf, dass durchaus die Möglichkeit bestehe, dass sich die Parteien wieder versöhnen könnten, was allerdings nicht zu erwarten sei. Diese Ausführungen zeigen, dass derzeit nicht konkret abzusehen ist, ob und wann damit zu rechnen ist, dass das persönliche Erscheinen des Antragstellers durch das zuständige Gericht angeordnet wird. Das verdeutlicht gleichzeitig, dass derzeit keine dringenden persönlichen Gründe die Anwesenheit des Antragstellers im Bundesgebiet erfordern. Anders mag dies in Fällen zu beurteilen sein, in denen die mündliche Verhandlung im Scheidungsverfahren unmittelbar bevorsteht und das persönliche Erscheinen angeordnet ist.
Unabhängig davon zählen Umstände, denen zumindest durch eine kurzfristige Betretenserlaubnis Rechnung getragen werden kann, nicht zu den dringenden persönlichen Gründen i.S.d. § 55 Abs. 3 AuslG (vgl. Renner, AuslR 7. Aufl. 1999, § 55 Rd.Nr. 14 m.w.N.). Nach § 9 Abs. 3 AuslG kann einem ausgewiesenen oder abgeschobenen Ausländer ausnahmsweise vor Ablauf der nach § 8 Abs. 2 Satz 2 bestimmten Frist erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingend Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte darstellen würde. Solche zwingende Gründe für Einreise und kurzfristigen Aufenthalt während der Sperrzeit nach § 8 Abs. 2 sind anzuerkennen, wenn sie in den persönlichen Verhältnissen begründet sind. Zwingenden Gründe liegen u.a. dann vor, wenn die Anwesenheit des Ausländers unbedingt für die Wahrnehmung von Terminen bei Gerichten und Behörden erforderlich ist (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 9. Januar 2001 - OVG 8 SN 234.00 -, InfAuslR 2001, 169 ff.; Renner, a.a.O., § 9 Rd.Nr. 11). Hinzu kommt die weitere Möglichkeit, dass das zuständige Gericht, sollte es eine persönliche Anhörung des Antragstellers für erforderlich halten, die Möglichkeit hat, den Antragsteller im Rahmen der Rechtshilfe in seinem Heimatland anhören zu lassen (vgl. Baumbach/ Lauterbach/Albers/ Hartmann, ZPO, 55 Aufl. (1997), § 613 Rd.Nr. 7 ).
Nach alledem folgt aus dem Vorbringen des Antragstellers betreffend das von ihm erwartete Scheidungsverfahren kein Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 55 Abs. 3 AuslG.
Der Hinweis des Antragstellers auf seinen langen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland verhilft dem Antrag ebenfalls nicht zum Erfolg. Allein der lange Aufenthalt vermag einen Aufenthaltsstatus nicht zu vermitteln.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.