Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 19.11.2002, Az.: 12 A 514/01
Anlieferungsreferenzmenge; Bescheinigung; Besitzwechsel; Milchquote; Nachpächter; Neupachtvertrag; normativer Übergang; Pachtzeitablauf; Referenzmengenübergang; unmittelbarer Besitz; Vertragseintritt
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 19.11.2002
- Aktenzeichen
- 12 A 514/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 43417
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 9 MilchGarMV
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Der bloße Ablauf eines Pachtvertrages bewirkt keinen Referenzmengenübergang.
Entscheidendes Kriterium für den normativen Referenzmengenübergang ist der Wechsel des Besitzes und damit die Verfügungsbefugnis an der Pachtfläche. Erforderlich ist eine Besitzwechsel bzw. eine Änderung der personalen Zuordnung des Betriebes oder der Pachtflächen auf den Antragsteller.
Bei einem Eintritt eines neuen Pächters in ein laufendes Pachtverhältnis erfolgt regelmäßig keine Rückgabe der Pachtfläche an den Verpächter. Dementsprechend geht auch eine Referenzmenge nicht auf den Verpächter über (hier bei sog. Altpachtflächen).
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Bescheinigung des Übergangs einer Anlieferungs-Referenzmenge.
Die Klägerin ist Eigentümerin einer 4,0485 ha großen landwirtschaftlichen Nutzfläche in der Gemarkung S.. Mit Pachtvertrag vom 30. Juni 1978 verpachtete sie die Fläche an den (vormaligen) Pächter, Herrn U., zunächst bis zum 31. Oktober 1987. Unter dem 23. September 1987/5. November 1987 verlängerten die Vertragsparteien das Pachtverhältnis bis zum 31. Oktober 1999.
Der Vorpächter U. bewirtschaftete einen landwirtschaftlichen Betrieb von ca. 39,8 ha. Für die Milcherzeugung nutzte er Eigentumsflächen zur Größe von 27,6982 ha, die Pachtfläche der Klägerin zur Größe von 4,0485 ha und eine weitere Pachtfläche des Verpächters T. zur Größe von 2,6081 ha. Auf diese Milcherzeugungsflächen zur Größe von insgesamt 34,3548 ha ruhte zum 1. April 1993 eine Anlieferungs-Referenzmenge von 279.741 kg. Der Vorpächter beabsichtigte, seinen landwirtschaftlichen Betrieb zum 30. April 1993 aufzugeben. Er schloss unter dem 27. Oktober 1992 mit dem Beigeladenen einen Pachtvertrag, mit dem er seinen Hof zur Größe von 28,4 ha verpachtete. Der Pachtvertrag sah u.a. für eine Referenzmenge von 293.660 kg einen Pachtpreis von 0,06 DM je kg und Jahr vor.
Unter dem 3. Dezember 1992 schlossen die Klägerin, der Vorpächter U. sowie der Beigeladene eine als "Pachtänderungsvertrag" bezeichnete Vereinbarung betreffend den oben angeführten Pachtvertrag vom 23. September 1987.
Auf Antrag des Beigeladenen vom 17. Mai 1993 bescheinigte die Beklagte - Landwirtschaftsamt Norden - mit Bescheid vom 23. August 1993 den Übergang einer Referenzmenge von 279.741 kg vom Vorpächter U. auf den Beigeladenen zum 1. Mai 1993, weil Letztgenannter mit Beginn des 1. Mai 1993 einen ganzen Betrieb mit einer zur Milcherzeugung dienenden Fläche von 34,3546 ha übernommen habe.
Unter dem 13. März 2000 vereinbarten die Klägerin und der Beigeladene eine Verlängerung des Pachtverhältnisses bis zum 31. Oktober 2011.
Am 11. September 2000 beantragte die Klägerin, den Übergang einer Referenzmenge von 34.540 kg vom Vorpächter U. auf sie zum 30. April 1993 zu bescheinigen. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 15. November 2000 den Antrag ab und führte zur Begründung im Wesentlichen an, dass eine Pachtrückgabe der Fläche an die Klägerin durch den Vorpächter sowie eine anschließende Neuverpachtung an den Beigeladenen nicht stattgefunden habe.
Die Klägerin legte am 24. November 2000 Widerspruch ein und machte geltend; Die Vertragsübernahme seitens des Beigeladenen sei nichts anderes als die summierte Schuldübernahme/Forderungsabtretung. Tatsächlich habe ein Bewirtschaftungswechsel stattgefunden, der auch durch die Bescheinigung vom 23. August 1993 dokumentiert worden sei. Der Vorgang unterscheide sich im Hinblick auf die Milchreferenzmenge nicht von dem Fall, in dem ein Pachtvertrag zwischen dem Verpächter und dem alten Pächter auslaufe und sich ein Pachtverhältnis zwischen dem Verpächter und dem neuen Pächter "nahtlos" anschließe. Es sei davon auszugehen, dass sie für eine logische Sekunde Inhaberin der Referenzmenge geworden sei. Hierdurch würden auch die Übergänge der Referenzmengen lückenlos (vollständig) dokumentiert.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13. Februar 2001 zurück. Sie führte an, eine Nutzungsüberlassung während des Pächterwechsels an die Klägerin habe zum 30. April 1993 nicht stattgefunden, auch nicht für eine logische Sekunde. Im Pachtänderungsvertrag vom 3. Dezember 1992 sei festgelegt worden, dass der Beigeladene in den bestehenden Pachtvertrag mit allen Rechten und Pflichten eintrete und sich verpflichte, den Vertrag anstelle des Vorpächters zu erfüllen. Eine Beendigung des Pachtverhältnisses zwischen der Klägerin und dem Vorpächter und die anschließende Neuverpachtung der Flächen an den Beigeladenen habe nicht stattgefunden.
Die Klägerin hat am 21. Februar 2001 Klage erhoben. Sie wiederholt und vertieft ihr bisheriges Vorbringen im Widerspruchsverfahren.
Sie beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 15. November 2000 sowie den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 13. Februar 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Übergang einer Milchreferenzmenge von 34.540 kg mit Ablauf des 30. April 1993 zu bescheinigen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung nimmt sie Bezug auf die Gründe in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid.
Der Beigeladene beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung schließt er sich dem Vorbringen der Beklagten an. In dem bloßen "Bewirtschafterwechsel" liege keine "Rückgabe". Maßgeblich sei der Pachtänderungsvertrag vom 3. Dezember 1992, wonach er in den bestehenden Pachtvertrag des Vorpächters U. mit der Klägerin mit allen Rechten und Pflichten eingetreten sei. Zu einer Beendigung des Pachtverhältnisses des Vorpächters und der Klägerin sei es nie gekommen, sondern zu seinem (vorzeitigen) Eintritt in den vorgenannten Pachtvertrag, der im Übrigen bis heute fortbestehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte in diesem Verfahren sowie in dem Parallelverfahren unter dem Aktenzeichen 12 A 4462/00 sowie der jeweils beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten; sie sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage, über die im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO); sie hat keinen Anspruch auf Bescheinigung eines Übergangs einer Anlieferungs-Referenzmenge im Hinblick auf den Wechsel der Pächter zum 30. April 1993.
Der Anspruch der Klägerin auf Bescheinigung eines Übergangs einer Anlieferungs-Referenzmenge aufgrund ihres Antrages vom September 2000 bestimmt sich nach § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 MGV in der Fassung der Dreiunddreißigsten Verordnung zur Änderung der Milch-Garantiemengen-Verordnung vom 25. März 1996 (BGBl. I S. 535); gemäß §§ 28 a, 30 der Verordnung zur Durchführung der Zusatzabgabenregelung (Zusatzabgabenverordnung) vom 12. Januar 2000 (BGBl. I S. 27) bleiben die bisherigen Vorschriften der MGV für bei Inkrafttreten der Zusatzabgabenverordnung bereits anhängige Verfahren anwendbar .
Indes sind die Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch auf Bescheinigung eines Referenzmengenübergangs nicht gegeben. Zwar ist davon auszugehen, dass auf der Pachtfläche der Klägerin im Zeitpunkt des Vertragseintritts des Beigeladenen eine Referenzmenge von 32.966 kg ruhte (279.741 kg Gesamt-Referenzmenge / 34,3548 ha Gesamt-Milcherzeugungsfläche x 4,0485 ha Pachtfläche der Klägerin). Der Übergang einer Referenzmenge auf die Klägerin zum 30. April 1993 infolge einer Rückgabe der Pachtfläche seitens des Pächters kann indes nur erfolgen, wenn die Pachtfläche (tatsächlich) auf die Klägerin übergegangen ist. Art. 7 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 3950/92 des Rates vom 28. Dezember 1992 (ABl. EG Nr. L 405 S. 2) mit nachfolgenden Änderungen setzt nämlich u.a. voraus, dass eine zur Milcherzeugung dienende Fläche auf den Antragsteller übertragen worden ist.
Dies ist vorliegend nicht der Fall. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes ist geklärt, dass u.a. der bloße Ablauf eines Pachtvertrages keinen Referenzmengenübergang bewirkt, wenn der bisherige Pächter dem Verpächter den unmittelbaren Besitz an der Pachtsache vorenthält. Entscheidendes Kriterium für den normativen Referenzmengenübergang ist nämlich der Wechsel des Besitzes und damit der Verfügungsbefugnis an dem zugrunde liegenden Pachtgegenstand. Erforderlich ist dementsprechend ein Besitzwechsel bzw. eine Änderung der personalen Zuordnung des Betriebes oder der Pachtfläche auf den Antragsteller. Dieses Ergebnis kann auch durch keine Parteivereinbarungen abbedungen werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 1997 - 3 B 154.96 -, Buchholz 451.512 MGVO Nr. 125, m.w.N.).
Ein Wechsel des unmittelbaren Besitzes des Vorpächters zur Klägerin als Verpächterin infolge der vertraglichen Vereinbarung vom Dezember 1992 hat nicht stattgefunden. Dies könnte anzunehmen sein, wenn das bis dahin laufende Pachtverhältnis beendet worden und der bisherige Pächter in Erfüllung seiner Pflicht zur Rückgabe der Pachtfläche an den Verpächter (§ 596 Abs. 1 BGB) nachgekommen wäre und dieser anschließend dem Neupächter den unmittelbaren Besitz einräumt. Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich bei der am 3. Dezember 1992 getroffenen Vereinbarung aber lediglich um den Eintritt eines Nachpächters. Dort heißt es u.a.:
"Wegen der Aufgabe seines landwirtschaftlichen Betriebes tritt Herr Landwirt U. mit Wirkung vom 30. April 1993 von dem vorstehenden Pachtvertrag zurück. Von diesem Tage an tritt der mitunterzeichnende Landwirt L. ... mit allen Rechten und Pflichten in den vorstehenden Pachtvertrag ein und verpflichtet sich zur Erfüllung des Vertrages. Die Bedingungen des Pachtvertrages sind den Beteiligten in allen Teilen bekannt. Die nach der Berechnung der Landwirtschaftskammer in Norden auf den Pachtgrundstücken liegende Referenzmilchmenge in Höhe von 34.540 kg wird dem Pächter für die Dauer der Pachtzeit entsprechend den jeweils geltenden gesetzlichen Bestimmungen zur Nutzung überlassen. Bei Beendigung der Pachtzeit muss der Pächter die gesamte übernommene Referenzmilchmenge an die Verpächterin zurückgeben, wobei die gesetzlichen Kürzungen oder Erhöhungen zu berücksichtigen sind."
Aus diesen Vertragsformulierungen geht hervor, dass eine Beendigung des laufenden Pachtverhältnisses des Vorpächters mit der Klägerin nicht gewollt war. Vielmehr sollte das Pachtverhältnis unter Auswechslung des Pächters fortgeführt werden. Dementsprechend wurde die Vereinbarung auch mit "Pachtänderungsvertrag" überschrieben. Die wesentlichen Rechte und Pflichten des laufenden Pachtvertragen wurden nicht verändert. Die Beteiligten waren sich darüber einig, dass ausschließlich eine Änderung in der Person des Pächters eintreten soll.
Hierin kann der Abschluss eines neuen Pachtvertrages nicht gesehen werden. Das Vorbringen der Klägerin rechtfertigt keine abweichende Entscheidung. Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich aus dem vorgenannten Pachtänderungsvertrag kein Anhalt dafür, dass das bisherige Pachtverhältnis mit dem Vorpächter beendet werden sollte und dass der Beigeladene unabhängig vom vorangegangenen Pachtverhältnis mit der Klägerin ein eigenständiges, neues Pachtverhältnis begründen wollte. Auch die weiteren Umstände und insbesondere das nachvertragliche Verhalten der Beteiligten - Zeitpunkt des Auslaufens des Pachtvertrages und Vereinbarung über die Verlängerung des Pachtvertrages - sprechen für das Vorliegen eines Eintritts in das laufende Pachtverhältnis des Vorpächters mit der Klägerin. Soweit die Vertragsparteien eine Regelung über die Nutzung und die Rückgabe der Referenzmenge bei Beendigung des Pachtvertrages aufgenommen haben, rechtfertigt dies keine abweichende Beurteilung. Hieraus kann nicht entnommen werden, dass die Vertragsparteien entgegen der o.a. Gesichtspunkte dennoch einen neuen Pachtvertrag und damit einen sog. Neupachtvertrag im Sinne des § 7 Abs. 5 MGV abschließen wollten. Wäre dies vor allem von der Klägerin beabsichtigt gewesen, hätte sie zeitnah die Bescheinigung eines Referenzmengenübergangs beantragt; dies ist aber nicht geschehen.
Dementsprechend hat allein die Person des Pächters gewechselt, so dass die Klägerin im Zusammenhang mit der Pächterwechsel zum 1. Mai 1993 nicht in den unmittelbaren Besitz der Pachtfläche gelangte. Eine Referenzmenge vom Vorpächter auf die Klägerin zum 1. Mai 1993 ist somit nicht übergegangen.