Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 28.11.2002, Az.: 7 B 4838/02
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 28.11.2002
- Aktenzeichen
- 7 B 4838/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 35986
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2002:1128.7B4838.02.0A
In der Verwaltungsrechtssache
des ivorischen Staatsangehörigen
Herrn Q.,
Antragsteller,
Proz.-Bev.: Rechtsanwälte ...,
gegen
die Bundesrepublik Deutschland, ...
Antragsgegnerin,
Streitgegenstand: Asylrecht, Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung
hat das Verwaltungsgericht Oldenburg - 7. Kammer - am 28. November 2002 durch den Berichterstatter als Einzelrichter beschlossen:
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (7 A 4837/02) gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 12. November 2002 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Das nach § 80 Abs. 5 VwGO, § 36 Abs. 3 und 4 AsylVfG zu beurteilende Begehren ist begründet.
Das Bundesamt hat den Asylantrag des Antragstellers nach den hierfür bestehenden gesetzlichen Vorgaben (§ 30 AsylVfG) und den von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Juli 1983 - 1 BvR 1470/82 - BVerfGE 65, 7695 ff.) zu Unrecht als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Elfenbeinküste kann nicht eindeutig verneint werden.
Dabei bedarf derzeit keiner Beurteilung, ob der Antragsteller - wie er vorträgt - in seinem Heimatland selbst staatlichen Maßnahmen ausgesetzt war. Dies ist nämlich u. a. bei Gruppenverfolgungssituationen nicht erforderlich (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200203 ff.).
Der Einzelrichter hat derzeit keine durchgreifenden Bedenken, dass der Antragsteller moslemischen Glaubens ist. Soweit er zunächst angegeben hat, dass er der Volksgruppe der Malinke angehöre, später dann aber vortrug, er sei Djoula, widerspricht sich dies nicht. Als "Djoula" werden umgangssprachlich alle muslimischen Völker des Nordens bezeichnet (vgl. Auskunft des Instituts für Afrikakunde an das VG Aachen vom 18. Februar 2002).
Dass Moslems in der Elfenbeinküste mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung zu befürchten haben, ist derzeit nach den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen nicht auszuschließen.
Von Anfang 2000 bis etwa März 2001 hat es staatliche wie nichtstaatliche Übergriffe gegen Anhänger der RDR und die von ihr überwiegend repräsentierte muslimische Bevölkerung gegeben (vgl. Auskünfte des Instituts für Afrika-Kunde an das VG Aachen vom 18. Februar 2002 und an das VG Hannover vom 3. Mai 2002). In der Auskunft vom 4. Januar 2002/4. September 2001 an das VG Aachen hat das Auswärtige Amt die Einschätzung geäußert, es sei gegenwärtig nicht auszuschließen, dass Anhänger der RDR in Einzelfällen Opfer von Übergriffen durch Personen aus dem Staatsdienst bzw. staatlich nicht unterbundenen Verfolgungsmaßnahmen werden. Es wird auch ausgeführt, dass für Angehörige der Djoula ein höheres Risiko bestehe als für Ethnien aus dem Süden oder Westen des Landes. Verfolgungen seien möglich, wenn das Gefühl entstehe, dass die Regierung derartige Verfolgungen tolerieren würde. Das Institut für Afrika-Kunde berichtet in seiner Auskunft vom 3. Mai 2002 an das VG Hannover, dass sich die Lage seit dem Abschluss des "Forum für nationale Versöhnung" im Dezember 2001 weiter entspannt habe (vgl. auch Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Hannover vom 28. Januar 2002). Es könne wegen der weiter bestehenden ökonomischen, finanziellen und politischen Instabilität aber nicht ausgeschlossen werden, dass es zu einem Wiederaufleben der politischen Repressionen gegen RDR-Anhänger sowie gegen Muslime allgemein komme. Auch amnesty international (Auskunft an das VG Hannover vom 25. April 2002) ist der Ansicht, dass sich die Bedingungen für eine politische Betätigung der RDR-Anhänger verbessert hätten. Es bleibe aber zu berücksichtigen, dass ein religiös-ethnischer Konflikt bestehe, der ein nicht unerhebliches Potenzial für weitere innere Auseinandersetzungen biete.
Es spricht Einiges dafür, dass die ethnischen und politischen Spannungen wieder aufgebrochen sind. Am 19. September 2002 hat ein Aufstand eines Teils der ivorischen Armee begonnen. Dieser ist derzeit durch einen brüchigen Waffenstillstand unterbrochen. Der Konflikt hat zunehmend den Charakter einer Auseinandersetzung zwischen dem muslimischen Norden und dem christlichen Süden des Landes angenommen (vgl. FTD vom 1. und 8. Oktober 2002; NZZ vom 28. September 2002) . Es haben wochenlang Ausschreitungen u.a. gegen die muslimische Bevölkerung stattgefunden (vgl. FR vom 10. Oktober 2002). Außerdem sollen sich Übergriffe gegen die RDR häufen. Seit Ausbruch der Krise sind zahlreiche ihrer Mitglieder, mutmaßlich durch Sicherheitskräfte, ermordet und misshandelt worden oder verschwunden. Alle namhaften Vertreter der Partei haben Zuflucht in Botschaften gesucht (vgl. FAZ vom 16. Oktober, 16. und 19. November 2002). Der Vorsitzende der Partei, Alassane Quattara, soll verdächtigt worden sein, den Aufstand angezettelt zu haben (vgl. NZZ a.a.O.).
Ob der ivorische (Rest-) Staat noch eine hinreichende Gebietsgewalt besitzt, was auch in Bürgerkriegssituationen denkbar ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. August 2000 - 2 BvR 260/98 und 1353/98 - NVwZ 2000, 11651166 f.), ihm ggfs. die teilweise nichtstaatlichen Handlungen zugerechnet werden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 1.94 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 173, S. 1416) oder dem Antragsteller im Norden des Landes eine zumutbare inländische Fluchtalternative (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Januar 2001 - 9 C 16.00 - BVerwGE 112, 345347 ff.) offen steht, kann angesichts der unübersichtlichen Verhältnisse in der Elfenbeinküste und des Fehlens hinreichender Erkenntnismittel derzeit nicht eindeutig beantwortet werden.
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b Abs. 1 AsylVfG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).