Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 28.11.2002, Az.: 12 B 4398/02
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 28.11.2002
- Aktenzeichen
- 12 B 4398/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 35985
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2002:1128.12B4398.02.0A
In der Verwaltungsrechtssache
der Frau S.,
Antragstellerin,
Proz.-Bev.: Rechtsanwälte ...,
gegen
den Landkreis ...,
Antragsgegner,
Streitgegenstand: Gewerbeuntersagung,
hat das Verwaltungsgericht Oldenburg - 12. Kammer - am 28. November 2002 beschlossen:
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
...
Gründe
Der auf Wiederherstellung und Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gerichtete Antrag ist nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig, aber nicht begründet. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 22. Oktober 2002 gegen die im Bescheid des Antragsgegners vom 25. September 2002 verfügte Untersagungsverfügung entfällt, da der Antragsgegner die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat; diese Anordnung hat er in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügenden Weise schriftlich begründet. Soweit der Antragsgegner die Schließung androht, entfaltet der Widerspruch gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 70 Niedersächsisches Verwaltungsvollsteckungsgesetz, § 64 Abs. 4 Satz 1 Niedersächsisches Gefahrenabwehrgesetz keine aufschiebende Wirkung.
Der Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs ist nicht begründet, da ihr Interesse an der vorläufigen Aussetzung der Vollziehung des belastenden Bescheides das Interesse der Allgemeinheit an seiner sofortigen Durchsetzung nicht überwiegt. Bei der Interessenabwägung sind bei der im vorläufigen Verfahren gebotenen summarischen Prüfung die Aussichten des Begehrens im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen. Diese Interessenabwägung geht zu Ungunsten der Antragstellerin aus, weil die für sofort vollziehbar erklärte Gewerbeuntersagung offensichtlich rechtmäßig ist.
1.
Nach allen gegenwärtig erkennbaren Umständen wird der Widerspruch der Antragstellerin gegen die Untersagungsverfügung aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben und rechtfertigt deshalb nicht den Vorrang ihres Interesses an der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs vor dem besonderen öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung der Verfügung.
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin nach der für das vorliegende Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung zu Recht das von ihr ausgeübte Gewerbe untersagt (a.). Auch die Erstreckung der Untersagung auf alle anderen Gewerbe ist rechtmäßig (b.).
a.
Die Voraussetzungen für die Untersagung des von der Antragstellerin ausgeübten Gewerbes liegen vor. Gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 Gewerbeordnung (GewO) ist die Ausübung eines Gewerbes zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in Bezug auf dieses Gewerbe dartun, und die Untersagung insbesondere zum Schutze der Allgemeinheit erforderlich ist.
Gewerberechtlich unzuverlässig ist ein Gewerbetreibender, der nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreibt. Dies trifft auch für denjenigen zu, der zur Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse als Gewerbetreibender vorgeschoben wird (der sogenannte Strohmann), indes das in Frage stehende Gewerbe in Wirklichkeit von einem anderen (der sog. Hintermann) betrieben wird. Die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit des sog. Strohmanns folgt aus dem Umstand, dass dieser ohne eigene unternehmerische Tätigkeit nur als Marionette des unzuverlässigen Hintermanns am Wirtschaftsleben teilnimmt und er als jederzeit steuerbare Marionette vorgeschoben wird, um zwecks Täuschung des Rechts- und Wirtschaftsverkehrs die wahren faktisch-wirtschaftlichen Machtverhältnisse zu verschleiern (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Februar 1982 - 1 C 3.81 -, BVerwGE 65, 12; Marcks in: Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, § 35 Rdnr. 71 f. mit weiteren Nachweisen der Rechtsprechung).
Nach diesen Grundsätzen und nach der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen - aber auch ausreichenden - summarischen Prüfung der Sachlage ist die Antragstellerin gewerberechtlich unzuverlässig: Der gewerberechtlich unzuverlässige Lebensgefährte der Antragstellerin, Herr X., ist der eigentliche Gewerbetreibende und die Antragstellerin ist lediglich von ihm vorgeschoben worden, um die eigentlichen Machtverhältnisse zu verschleiern.
Dabei ist offenkundig, dass der wiederholt wegen Betruges und anderer Vermögensdelikte vorbestrafte und vermögenslose Lebensgefährte der Antragstellerin gewerberechtlich unzuverlässig ist. Ihm wurde bereits mit Bescheid des Antragsgegners vom 12. Juli 1988 das Gewerbe "Einzelhandel mit Bauelementen/Handelsvertretung" infolge erheblicher Abgabenrückstände untersagt, dessen Vollziehbarkeit mit Bescheid des Antragsgegners vom 24. September 1992 festgestellt wurde. Dennoch übte Herr X. das Gewerbe weiterhin über mehrere Jahre aus (gemäß Bl. 335 und 343 der Beiakte B jedenfalls noch im März 1997). Hierbei machte er sich erneut wegen Betruges strafbar (vgl. Urteil des Amtsgerichtes Westerstede vom 19. April 1996 und Urteil des Amtsgerichtes Norden vom 22. April 1998).
Nach dem aus den Verwaltungsvorgängen gewonnenen Gesamteindruck ist die Kammer davon überzeugt, dass die Antragstellerin von ihrem Lebensgefährten lediglich nach außen hin als Gewerbetreibende vorgeschoben worden ist, um durch Täuschung über die wahren Machtverhältnisse weiterhin gewerblich tätig zu sein; er ist der eigentliche Gewerbetreibende. Das unsubstantiierte Bestreiten der Antragstellerin rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.
Es kann zwar nicht davon ausgegangen werden, dass allein die Übernahme eines Gewerbes durch nahe Familienmitglieder oder durch den Lebensgefährten die Annahme eines Strohmannverhältnisses rechtfertigt; vielmehr müssen weitere Tatsachen hierfür vorliegen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Januar 1996, a.a.O.; Marcks, a.a.O., Rdnr. 70). Indes ist weiterhin zu berücksichtigten, dass eine Verbundenheit im vorgen. Sinne eine solche Einflussnahme in vielen Fällen erleichtern und begünstigen kann (Marcks, a.a.O.).
Für die Annahme eines Strohmannverhältnisses spricht bereits der zeitliche Zusammenhang. Der Lebensgefährte der Antragstellerin ist trotz der seit September 1992 vollziehbaren Gewerbeuntersagung noch im März 1997 in dem genannten Gewerbe unter eigenem Namen tätig gewesen (...). Im Juni 1997 leitete die Staatsanwaltschaft Oldenburg dann ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen § 148 Nr. 1 GewO (verbotene Ausübung eines untersagten Gewerbes) gegen Herrn X. ein. Sodann meldete die Antragstellerin das o.a. Gewerbe zum 15. Juli 1997 an, für das Herr X. unter dem Namen der Antragstellerin jedenfalls zeitnah tätig wurde (vgl. Aufträge vom Oktober 1997 ...).
Dass das bisher von Herrn X. zuvor selbständig ausgeübte Gewerbe nunmehr lediglich unter dem Namen der Antragstellerin fortgeführt worden ist und sich an den tatsächlichen Umständen der konkreten Gewerbeausübung nichts Wesentliches geändert hat, findet seine Bestätigung auch darin, das die bisherigen Kunden "übernommen" wurden. Dies ist aus den in den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners befindlichen Referenzlisten, die bisherige Kunden des Herrn X. nennen, ersichtlich. So heißt es dort: "Bauelementevertrieb E. S. (vormals X. FT)"; ... Ebenso ist Herr X. nach seinen Angaben bei seiner Zeugenvernehmung in der Sitzung des Amtsgerichtes Westerstede am 14. Januar 2000 (...) der einzige Außenmitarbeiter der unter dem Namen der Antragstellerin geführten Firma. Die Antragstellerin sei die Chefin und mache die Büroarbeiten. Der sich bereits hieraus ergebende Eindruck, dass Herr X. den Betrieb wie bisher allein führt und die Antragstellerin die Büroarbeiten erledigt und sie lediglich zusätzlich ihren Namen als Betriebsnamen hergibt, wird durch die weiteren Umstände erhärtet:
Die den wesentlichen Kern des Geschäftsbetriebes ausmachenden Geschäftsabschlüsse, Vertragsverhandlungen und Preisabsprachen, Vereinbarungen über Zahlungsmodalitäten und Aufmaß übernahm weiterhin Herr X. - ebenso wie zuvor als selbständiger Gewerbetreibender (...). Auch erinnerte Herr X. an ausstehende Zahlungen (...). Zudem führten befragte Zeugen aus, dass Herr X. "hauptsächlicher Ansprechpartner" gewesen sei (...). Nach den Beschreibungen der Zeugen vermittelte Herr X. den Eindruck, dass er von den Geschäftsabschlüssen selbst betroffen sei. So führte Herr L. aus, dass Herr X. für den Fall der Zahlungsverweigerung gedroht habe, die Fenster wieder ausbauen zu wollen (...). Des Weiteren wird dies bestätigt durch die Beschreibung des Mitarbeiters des Antragsgegners Sch. bei der Herausgabe beschlagnahmter, für die Fortführung des Betriebes notwendiger Aktenordner am 30. März 2001. Dort wird u.a. ausgeführt, dass allein Herr X. die entsprechenden Akten gesichtet und benannt habe. Ebenso sei er bei einer Besprechung beim Antragsgegner als Wortführer aufgetreten (...). Dies wird auch durch die festgehaltene Erklärung des Herrn X. bestätigt, aus den gesamten beschlagnahmten Unterlagen ergebe sich kein Beweis für eine handwerkliche Betätigung. Hieraus ist zu folgern, dass er über den gesamten Inhalt der beschlagnahmten Geschäftsunterlagen des Gewerbebetriebes informiert gewesen ist (...). Auch durch die protokollierte Erklärung des Herrn L. vom 21. November 2001 wird bestätigt, dass Herr X. die "fachlich-technische Betriebsleitung" ausübe. Herr L. führte weiter aus, dass sich allein Herr X. nach ersten Ermittlungen des Antragsgegner bei ihm gemeldet und die Situation erklärt habe (...). Auch die Erklärung der damaligen Steuerberaterin B. gegenüber dem Finanzamt Westerstede im Juli 1998, wonach Herr X. "Geschäftsführer" sei, bestätigt dies. Zwar mag der Einwand der Antragstellerin, es gebe keinen Geschäftsführervertrag mit Herrn X., zutreffend sein. Indes kommt hierin zum Ausdruck, dass der Lebensgefährte der Antragstellerin jedenfalls die maßgeblichen Entscheidungen getroffen hat.
Dem entgegenstehende, eine abweichende Beurteilung tragende Gesichtspunkte für eine eigenverantwortliche gewerbliche Betätigung der Antragstellerin selbst sind weder aus den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners ersichtlich noch von der Antragstellerin substantiiert vorgetragen worden. Vielmehr sind in den gesamten, bei der Durchsuchung der Geschäftsräume vorgefundenen Unterlagen keine wesentlichen geschäftsleitenden Entscheidungen seitens der Antragstellerin dokumentiert. Auch findet sich nicht ein Anhaltspunkt in diesen Unterlagen, dass die Antragstellerin neben ihrem Lebensgefährten die in dem Gewerbe typischen Tätigkeiten überhaupt ausgeübt hat. So ist nicht ein Geschäftsabschluss durch die Antragstellerin festgehalten.
Daneben erweist sich ein Gewerbetreibender auch dann als gewerberechtlich unzuverlässig, wenn er einem unzuverlässigen Dritten einen maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung einräumt oder auch nur nicht willens oder in der Lage ist, einen derartigen Einfluss auszuschalten. Dabei muss der Dritte einen maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung haben, wobei die Unzuverlässigkeit auf demselben Gebiet der betrieblichen Rechts- und Wirtschaftsverkehr zu Tage treten muss, auf dem der Dritte unzuverlässig ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Januar 1996 - 1 B 202.95 -, GewArch 1996, 250; Marcks, a.a.O., Rdnr. 69 f. m.w.N.). Aus den oben dargestellten Erwägungen ist offenkundig, dass der gewerberechtlich unzuverlässige Lebensgefährte der Antragstellerin jedenfalls maßgeblichen Einfluss auf den Geschäftsbetrieb genommen hat, so dass auch hiernach die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit der Antragstellerin gegeben ist.
Schließlich ist die Untersagung des von der Antragstellerin ausgeübten Gewerbes zum Schutze der Allgemeinheit erforderlich. Ihre fehlende gewerberechtliche Zuverlässigkeit und die fortgesetzte maßgebliche Beeinflussung des Geschäftsbetriebes durch einen gewerberechtlich Unzuverlässigen begründen schwerwiegende Gefahren für die Allgemeinheit.
b.
Soweit sich die Untersagungsverfügung weiterhin auf alle anderen selbständigen Gewerbe erstreckt, ist diese Verfügung aller Voraussicht nach ermessensfehlerfrei nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO ergangen, da aufgrund der bisherigen Umstände davon ausgegangen werden muss, dass sich das gewerberechtlich unzuverlässige Verhalten der Antragstellerin auch im Rahmen derartiger Tätigkeiten fortsetzt. Die erweiterte Gewerbeuntersagung ist bereits dann als erforderlich anzusehen, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, die es ausschließen, dass der Gewerbetreibende das andere Gewerbe in Zukunft ausübt (vgl. BVerwG, Urteil vom 02. Februar 1982 - 1 C 17.79 -, BVerwGE 65, 9, 11 [BVerwG 02.02.1982 - BVerwG 1 C 17.79]). Solche besonderen Umstände sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Die Antragstellerin geht weiterhin von ihrer gewerberechtlichen Zuverlässigkeit aus und ist folglich bestrebt, ihre gewerbliche Tätigkeit fortzuführen. Es ist nicht ersichtlich, dass sie ein anderes Gewerbe nicht betreiben will. Schließlich unterliegt die vom Antragsgegner getroffene Ermessensentscheidung keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
2.
Des Weiteren ist die Androhung der Schließung der Betriebs- und Geschäftsräume durch die Anwendung unmittelbaren Zwangs aller Voraussicht nach rechtmäßig. Die Regelung ist so zu verstehen, dass die Schließung für den Fall der selbständigen Fortführung des Gewerbes angedroht wird. Rechtsgrundlage hierfür sind § 70 Nds. Verwaltungsvollstreckungsgesetz i.V.m. §§ 70, 64 Abs. 1, 65 Abs. 1 Nr. 3, 69 Nds. Gefahrenabwehrgesetz. Dabei ist insbesondere die Auswahl des angedrohten Zwangsmittels nicht ermessensfehlerhaft. Die Androhung der Schließung durch Anwendung des unmittelbaren Zwanges ist im Hinblick hierauf verhältnismäßig. Es ist geeignet und erforderlich, da das - grundsätzlich mildere - Zwangsmittel des Zwangsgeldes in diesem Fall ungeeignet ist. Zum einen übte der Lebensgefährte der Antragstellerin trotz wirtschaftlich Leistungsunfähigkeit und entgegen der Untersagung das von ihm betriebene Gewerbe weiter aus; im Zusammenhang mit der weiteren Gewerbeausübung hat er wiederholt Straftaten (u.a. wegen Betruges) begangen. Er hat sich von ordnungsrechtlichen Verfügungen des Antragsgegners nicht beeindrucken lassen und setzte die ihm untersagte Ausübung des Gewerbes fort. Dementsprechend ist es nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner davon ausgegangen ist, dass allein die Schließung des vom Lebensgefährten der Antragstellerin eigentlich betriebenen Gewerbebetriebes in Anwendung des unmittelbaren Zwanges - und nicht die Androhung eines Zwangsgeldes - zur Unterbindung einer verbotenen Ausübung des Gewerbes geeignet ist. Da es insbesondere nicht offenkundig fernliegend ist, dass der Antragstellerin den Gewerbebetrieb fortführen wird, war die Androhung des Zwangsmittels auch erforderlich.
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