Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 21.03.2013, Az.: 8 LA 22/13
Gesetzmäßigkeit der Verwaltung; kommunale Anstalt öffentlichen Rechts; Rücknahme; Träger öffentlicher Verwaltung; Vertrauensschutz; WOM; Zuwendung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 21.03.2013
- Aktenzeichen
- 8 LA 22/13
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2013, 64452
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 10.12.2012 - AZ: 6 A 1375/12
Rechtsgrundlagen
- § 124 Abs 2 Nr 3 VwGO
- § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO
- § 48 Abs 2 S 3 Nr 3 VwVfG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Kommunale Selbstverwaltungskörperschaften und von diesen getragene Anstalten des öffentlichen Rechts als Träger öffentlicher Verwaltung können sich auf ein nach § 48 Abs. 2 VwVfG schutzwürdiges Vertrauen in den (Fort-)Bestand eines rechtswidrigen Zuwendungsbescheides nicht berufen.
Gründe
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses ihre Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 4. Januar 2012 über die Rücknahme des Zuwendungsbescheides vom 23. September 2008 in der Fassung des 4. Änderungsbescheides vom 17. November 2009 in Höhe eines Teilbetrages von 16.241,59 EUR abgewiesen hat, bleibt ohne Erfolg.
Die Klägerin hat ihren Antrag auf die Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (2.) gestützt. Diese Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind zu bejahen, wenn aufgrund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten (vgl. Senatsbeschl. v. 11.2.2011 - 8 LA 259/10 -, juris Rn. 3). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 -, NVwZ-RR 2004, 542, 543).
Die Klägerin wendet gegen die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ein, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des zurückgenommenen Zuwendungsbescheides verneint. Die Klägerin habe die Rechtswidrigkeit des Zuwendungsbescheides nicht gekannt; eine grobe Fahrlässigkeit sei ihr nicht vorzuwerfen. Die von der Beklagten angenommene Begrenzung der Beihilfeintensität auf 70 % ergebe sich nicht ohne Weiteres aus den einschlägigen Rechtsgrundlagen. In der Förderrichtlinie und im Internetauftritt weise die Beklagte auf eine Beihilfeintensität von bis zu 75 % hin. Die niedrigere Beihilfeintensität für Projekte unter Beteiligung mittelständischer Unternehmen erschließe sich erst nach eingehender Prüfung der Rechtsgrundlagen, die von der Klägerin nicht erwartet werden könne. Selbst die Beklagte habe die tatsächlich erhöhte Beihilfeintensität von 74,88 % erst im Nachhinein nach genauer Prüfung erkannt.
Diese Einwände sind nach dem eingangs dargestellten Maßstab nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung zu begründen. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der teilweisen Rücknahme des Zuwendungsbescheides vom 23. September 2008 in der Fassung des 4. Änderungsbescheides vom 17. November 2009 ein nach § 48 Abs. 2 VwVfG schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin in den Bestand dieses Verwaltungsaktes nicht entgegen steht.
Die Klägerin kann sich als kommunale Anstalt öffentlichen Rechts, die als Träger öffentlicher Verwaltung öffentliche Aufgaben wahrnimmt (vgl. §§ 1, 2 der Unternehmenssatzung der kommunalen Anstalt öffentlichen Rechts des Landkreises C. "A. kAöR" v. 23.6.2011), schon von vorneherein nicht auf den Vertrauensschutz nach § 48 Abs. 2 VwVfG berufen. Das Institut des Vertrauensschutzes ist in Anlehnung an die Rechtsprechung zu § 242 BGB im Verwaltungsrecht entwickelt worden, um den Staatsbürger unter gewissen Voraussetzungen im Vertrauen auf Maßnahmen der Verwaltung zu schützen. Eines solchen Schutzes bedarf die öffentliche Verwaltung selbst nicht. Die Träger öffentlicher Verwaltung sind vielmehr an den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gebunden und können sich nicht auf den Fortbestand eines rechtswidrigen Zustands berufen (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2006 - 3 C 23.05 -, BVerwGE 126, 7, 12 mit weiteren Nachweisen zur ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts). Dies gilt ohne Einschränkungen auch für kommunale Selbstverwaltungskörperschaften (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.4.1999 - 8 B 87.99 -, juris Rn. 4; Senatsurt. v. 11.3.2010 - 8 LB 43/08 -, juris Rn. 71) und von diesen getragene Anstalten des öffentlichen Rechts, die als Glieder der mittelbaren staatlichen Verwaltung auch an den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gebunden sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.5.2012 - 1 BvR 1065/03 u.a. -, NVwZ 2012, 1463 [BVerfG 08.05.2012 - 1 BvR 1065/03; 1 BvR 1082/03]; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 28.4.2004 - 8 A 3924/03 -, juris Rn. 55; Chae, Die Staatsaufsicht über die Anstalten des Öffentlichen Rechts im deutsch-koreanischen Vergleich, 2011, S. 148 m.w.N.).
Selbst wenn aber der Klägerin die Berufung auf einen Vertrauensschutz nicht von vorneherein versagt wäre, könnte sie ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des zurückgenommenen Zuwendungsbescheides hier nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG nicht geltend machen. Denn die Klägerin hat die Rechtswidrigkeit des teilweise zurückgenommenen Zuwendungsbescheides jedenfalls grob fahrlässig nicht erkannt.
Die Begrenzung der Zuwendungshöhe auf höchstens 70 % der zuwendungsfähigen Ausgaben ist entgegen der Darstellung der Klägerin nicht erst nach einer eingehenden Prüfung der einschlägigen Rechtsgrundlagen zu erkennen. Sie ergibt sich vielmehr für jeden Zuwendungsempfänger ohne Weiteres sowohl aus der der Förderung zugrunde liegenden Ausschreibung zum "2. Ideenwettbewerb zum ESF-Programm Weiterbildungsoffensive für den Mittelstand (WOM) für die Zielgebiete Konvergenz und Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung (RWB) - Systematische Personalentwicklung und Qualifizierung in KMU unter besonderer Berücksichtigung des demografischen Wandels und älterer Beschäftigter", wo es unter I. heißt:
"Die Zuwendung wird als nicht rückzahlbarer Zuschuss in Form einer Anteilfinanzierung zur Projektförderung gewährt. Die Förderung aus ESF-Mitteln darf max. 50 % der zuwendungsfähigen Ausgaben im Zielgebiet RWB und max. 70 % der zuwendungsfähigen Ausgaben im Zielgebiet Konvergenz betragen.",
als auch aus der in den Zuwendungsbescheid einbezogenen vom Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr erlassenen Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Maßnahmen im Rahmen des Programms "Weiterbildungsoffensive für den Mittelstand (WOM)" vom 27. November 2007 (Nds. MBl. 2008, 34) - Förderrichtlinie -, wo es in Nr. 5.2 Satz 2 und 3 heißt:
"Darüber hinaus darf die Summe aller öffentlichen Zuwendungen (staatliche Kofinanzierung zuzüglich EU-Mittel) die in Artikel 4 der Verordnung (EG) Nr. 68/2001 genannten Beihilfeintensitäten nicht überschreiten. Bei Projekten nach den Nummern 2.2.1, 2.2.2 oder 2.2.3 ist grundsätzlich die Höhe aller öffentlichen Zuwendungen bei KMU auf einen Anteil von 70 v.H. der zuwendungsfähigen Ausgaben und bei Großunternehmen auf einen Anteil von 50 v.H. der zuwendungsfähigen Ausgaben beschränkt."
Ob auch die Beklagte bei Erlass des 4. Änderungsbescheides vom 17. November 2009 ein Überschreiten der danach maßgeblichen Beihilfeintensität erkannt hat, ist für das Vorliegen eines schutzwürdigen Vertrauens der Klägerin im Sinne des § 48 Abs. 2 VwVfG unerheblich (vgl. Senatsbeschl. v. 22.6.2011 - 8 LA 23/11 -, juris Rn. 19).
2. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
Eine solche grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine höchstrichterlich oder obergerichtlich noch nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine obergerichtlich bislang ungeklärte Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich im Rechtsmittelverfahren stellen würde und im Interesse der Einheit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung durch das Berufungsgericht bedarf (vgl. Senatsbeschl. v. 12.7.2010 - 8 LA 154/10 -, juris Rn. 3; Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: August 2012, § 124 Rn. 30 f. m.w.N.). Um die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO darzulegen, hat der Zulassungsantragsteller die für fallübergreifend gehaltene Frage zu formulieren sowie näher zu begründen, weshalb sie eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat und ein allgemeines Interesse an ihrer Klärung besteht. Darzustellen ist weiter, dass sie entscheidungserheblich ist und ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten steht (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 17.2.2010 - 5 LA 342/08 -, juris Rn. 12; Schoch/Schneider/Bier, a.a.O., § 124a Rn. 103 f.).
Hieran gemessen kommt der von der Klägerin formulierten Frage,
"was ein Beihilfeempfänger überprüfen muss, damit sein Vertrauensschutz nicht entfällt,"
eine grundsätzliche Bedeutung nicht zu.
Diese Frage wäre in einem Berufungsverfahren schon nicht entscheidungserheblich, da sich die Klägerin, wie zu 1. dargestellt, von vorneherein nicht auf den Vertrauensschutz nach § 48 Abs. 2 VwVfG berufen kann. Darüber hinaus ist die Frage, soweit dies fallübergreifend möglich ist, in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits beantwortet (vgl. zuletzt BVerwG, Beschl. v. 12.12.2007 - 2 B 93.07 -, Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 120), ohne dass die Klägerin mit ihrem Zulassungsantrag einen weitergehenden Klärungsbedarf aufgezeigt hätte.