Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.03.2013, Az.: 5 LA 239/12
Voraussetzungen für die Möglichkeit des Absehens von der Entlassung aus der Bundeswehr im Falle der Feststellung der Ungeeignetheit eines Laufbahnanwärters für die angestrebte Laufbahn
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 07.03.2013
- Aktenzeichen
- 5 LA 239/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2013, 32725
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2013:0307.5LA239.12.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Stade - 12.07.2012 - AZ: 3 A 677/10
Rechtsgrundlagen
- § 55 Abs. 4 S. 2 SG
- Nr. 444 ZDV 20/7
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Erweist sich ein Laufbahnanwärter als ungeeignet für die angestrebte Laufbahn, soll er gemäß § 55 Abs. 4 Satz 2 SG entlassen werden. Ein Ermessen, von der Entlassung abzusehen, ist nur in atypischen Fällen eröffnet.
- 2.
Nach Nr. 444 ZDV 20/7 liegt ein atypischer Fall vor, wenn der Soldat die Befähigung für eine Verwendung in der Laufbahngruppe der Mannschaften oder einer Laufbahn der Fachunteroffiziere besitzt und für eine solche Verwendung des Soldaten Bedarf besteht. Erforderlich ist insofern, dass der Soldat sowohl über die allgemeine Laufbahnbefähigung verfügt, als auch die in der anderen Laufbahn bestehenden Anforderungen an den erreichten Dienstgrad erfüllt und der Soldat zudem einen bestehenden Personalbedarf deckt.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich gegen seine Entlassung aus der Bundeswehr.
Der Kläger stand als Soldat auf Zeit und Anwärter für die Laufbahn der Feldwebel mit dem Dienstgrad eines Stabsunteroffiziers im Dienst der Beklagten. Vorgesehen war eine Verwendung als Medizinisch-Technischer Laboratoriumsassistent. Die erforderliche zivile Ausbildung am Klinikum C. -Mitte bestand der Kläger im Januar 2010 endgültig nicht. Die Beklagte nahm dies zum Anlass, den Kläger mit Verfügung vom 26. März 2010 vorzeitig, d. h. vor Ablauf der regulären Dienstzeit zum 30. Juni 2011, aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit zu entlassen. Seine dagegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen.
II.
Der Zulassungsantrag bleibt ohne Erfolg.
Die Voraussetzungen des geltend gemachten Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind nicht erfüllt.
Ernstliche Zweifel sind erst dann zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also aufgrund der Begründung des Zulassungsantrages und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zu Tage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Die Richtigkeitszweifel müssen sich auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führt. Um ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils darzulegen, muss sich der Zulassungsantragsteller substantiiert mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Welche Anforderungen an Umfang und Dichte seiner Darlegung zu stellen sind, hängt deshalb auch von der Intensität ab, mit der die Entscheidung des Verwaltungsgerichts begründet worden ist. Ist das angegriffene Urteil auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, müssen hinsichtlich aller dieser Begründungen Zulassungsgründe hinreichend dargelegt werden (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 25.4.2008 - 5 LA 154/07 -).
Gemessen daran ist es dem Kläger nicht gelungen, das Urteil des Verwaltungsgerichts ernstlich im Zweifel zu ziehen. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die auf § 55 Abs. 4 Satz 2 SG gestützte Entlassungsverfügung keinen rechtlichen Bedenken begegnet.
Nach der vorgenannten Vorschrift soll ein Feldwebelanwärter, der sich nicht zum Feldwebel eignen wird, entlassen werden. Die Regelung beruht auf der Überlegung, dass ein Laufbahnanwärter in die Bundeswehr in der Erwartung eingestellt wird, dass er die entsprechende Befähigung für die angestrebte Laufbahn erwirbt. Erweist er sich dazu als ungeeignet, besteht keine Veranlassung, ihn weiterhin im Dienstverhältnis zu belassen (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Soldatengesetzes und anderer Vorschriften vom 11.9.2000, BT-Drs. 14/4062, S. 23). Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber die Vorschrift bewusst als Soll-Regelung gefasst, sodass von der im Grundsatz gebotenen Entlassung nur in atypischen Fällen nach Ermessen abgesehen werden kann (vgl. zur Wirkung von Soll-Vorschriften Nds. OVG, Beschluss vom 20.8.2012 - 5 LA 45/11 -, [...] Rn. 6 f.).
Ein solcher atypischer Fall, der ein Ermessen der Beklagten erst eröffnet, liegt nach der unter der Nr. 444 ZDV 20/7 niedergelegten Auffassung der Beklagten dann vor, wenn der Soldat die Befähigung für eine Verwendung in der Laufbahngruppe der Mannschaften oder einer Laufbahn der Fachunteroffiziere besitzt und für eine solche Verwendung des Soldaten Bedarf besteht. Mit der Forderung, dass der Soldat die Befähigung für die Verwendung in einer anderen Laufbahngruppe bzw. Laufbahn besitzen muss, lehnt sich Nr. 444 ZDV 20/7 an die allgemeine Bestimmung des § 6 Abs. 2 Satz 1 SLV an. Auch nach dieser Vorschrift kommt ein Laufbahnwechsel nur dann in Betracht, wenn der Soldat die Befähigung für die neue Laufbahn besitzt.
Nach diesen Maßgaben scheitert eine anderweitige Verwendung bereits daran, dass dem Kläger die Befähigung für die - angesichts seines Dienstgrades allein in Betracht zu ziehende - Laufbahn der Fachunteroffiziere fehlt. Zwar verfügt er über die entsprechende Befähigung, weil er neben dem Hauptschulabschluss eine verwertbare Berufsausbildung nachweisen kann (§ 27 Abs. 6 Satz 1 SG i. V. m. § 13 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 SLV). Wäre indes dies allein ausreichend, wäre die in Nr. 444 ZDV 20/7 geforderte Laufbahnbefähigung zumindest weithin ohne Bedeutung. Wer nämlich als Anwärter für die in § 55 Abs. 4 Satz 2 SG bezeichneten Laufbahnen zugelassen wird, besitzt angesichts der strengeren Zulassungsanforderungen jedenfalls in aller Regel zugleich die Befähigung für die Laufbahngruppen der Mannschaften bzw. die Laufbahn der Fachunteroffiziere mit ihren grundsätzlich geringerwertigen Dienstposten. Zu verlangen ist deshalb, dass der Soldat nicht bloß über die allgemeine Laufbahnbefähigung, sondern zusätzlich über die für den erreichten Dienstgrad in der anderen Laufbahn erforderlichen Qualifikationen verfügt. Abzustellen ist mit anderen Worten nicht abstrakt auf die Laufbahn, sondern konkret auf den erreichten Dienstgrad. Nur ein solches Verständnis stellt sicher, dass das Absehen von einer Entlassung gemäß § 55 Abs. 4 Satz 2 SG - wie vom Gesetzgeber vorgesehen - eine Ausnahme bleibt. Hinzu kommt, dass nicht einsichtig ist, aus welchen Gründen ein in einer höheren Laufbahn gescheiterter Soldat mit einem Dienstgrad in einer anderen Laufbahn verbleiben soll, den er bei einem sofortigen Eintritt in diese Laufbahn von vornherein nicht hätte erreichen können.
Legt man dies zugrunde, fehlt dem Kläger die erforderliche Befähigung. Er hat als Feldwebelanwärter den Dienstgrad eines Stabsunteroffiziers erreicht, ohne indes über die in der Laufbahn der Fachunteroffiziere für diesen Dienstgrad erforderliche Qualifikation zu verfügen. In der Laufbahn der Fachunteroffiziere erfordert der Dienstgrad des Stabsunteroffiziers gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 SLV bei Hauptschulabsolventen einen für die vorgesehene Verwendung verwertbaren Berufsabschluss und eine anschließende mindestens zweijährige förderliche berufliche Tätigkeit. Eine solche förderliche Berufserfahrung kann der Kläger nicht nachweisen.
Selbst wenn aber ein Absehen von der Entlassung schon dann möglich wäre, wenn der Betroffene die allgemeine Laufbahnbefähigung ohne Rücksicht auf den Dienstgrad besitzt, hätte die Beklagte eine weitere Verwendung zu Recht abgelehnt.
Da der Kläger bei der Bundeswehr keine fachbezogene Qualifikation erlangt hat, kam eine Verwendung als Fachunteroffizier schon im Ausgangspunkt nur im Rahmen seiner im zivilen Bereich vor Eintritt in die Bundeswehr abgeschlossenen Fachausbildung in Betracht (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 b) SLV). Eine der Fachausbildung des Klägers als Elektroinstallateur entsprechende Verwendung hat die Beklagte indes unter Verweis auf - gerichtlich ohnehin nur eingeschränkt zu überprüfende - dienstliche Erfordernisse plausibel abgelehnt. Sie hat insofern dargelegt, dass eine entsprechende Verwendung eine weitere zeitaufwändige Ausbildung und Qualifikation erfordert hätte, bevor der Kläger auf einem entsprechenden Dienstposten zu verwenden gewesen wäre. Angesichts der zum Zeitpunkt der Entlassung nur noch verbliebenen Dienstzeit von gut einem Jahr sei der entsprechende Aufwand nicht lohnend erschienen. Diese Erwägungen, denen der Kläger im Übrigen nicht substantiiert entgegen getreten ist, sind - insoweit ist dem Verwaltungsgericht zuzustimmen - nicht zu beanstanden.
Eine atypische Fallkonstellation, die ein Ermessen der Beklagten eröffnen würde, liegt auch sonst nicht vor. Insbesondere ist die Entlassung des Klägers nicht unverhältnismäßig, weil sie ihn zu einem Zeitpunkt trifft, zu dem er schon länger als vier Jahre Soldat war. Der Gesetzgeber hat bewusst darauf verzichtet, die Entlassungsmöglichkeit nach § 55 Abs. 4 Satz 2 SG zeitlich auf die ersten vier Dienstjahre zu begrenzen. Die Entlassung ist deshalb so lange möglich, wie sich der Soldat im Anwärterstatus befindet (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Soldatengesetzes und anderer Vorschriften vom 11.9.2000, a. a. O.). Angesichts der Tatsache, dass sich die der Einstellung zugrunde liegende - beiderseitige - Erwartung, der Kläger werde die erforderlichen Prüfungen erfolgreich absolvieren, nicht verwirklicht hat, ist das Fehlen einer zeitlichen Grenze auch nicht zu beanstanden. Der Kläger steht nicht anders, als jeder Laufbahnanwärter, der die Laufbahnprüfung endgültig nicht besteht. Weder aus der allgemeinen Fürsorgepflicht des § 31 Abs. 1 SG, noch aus dem Vergleich mit § 55 Abs. 5 SG, der einen gänzlich anderen Sachverhalt betrifft, ergeben sich engere Grenzen.
Soweit der Kläger schließlich fehlende Ermessenserwägungen beanstandet, übersieht er, dass ein Ermessen der Beklagten, von der Entlassung abzusehen, in seinem Fall - wie ausgeführt - nicht eröffnet war.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).