Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 26.03.2013, Az.: 5 LA 125/12

Wirksamkeit eines Antrags auf Zulassung der Berufung durch Stellen eines Antrags in der mündlichen Verhandlung vor dem VG vor der Verkündung des Urteils mit den Worten "im Falle der Klageabweisung die Berufung zuzulassen"

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
26.03.2013
Aktenzeichen
5 LA 125/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 33615
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2013:0326.5LA125.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 19.03.2012 - AZ: 13 A 2419/11

Amtlicher Leitsatz

Ein in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vor der Verkündung des Urteils gestellter Antrag "im Falle der Klageabweisung die Berufung zuzulassen", ist kein rechtlich wirksamer Antrag auf Zulassung der Berufung.

Gründe

1

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unzulässig.

2

Die Klägerin hat keinen Zulassungsantrag innerhalb der Antragsfrist des § 124 a Abs. 4 Satz 1 VwGO gestellt. Die Zulassung der Berufung ist gemäß § 124 a Abs. 4 Satz 1 VwGO innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Lauf der Frist beginnt demnach mit der Zustellung des Urteils. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat nach der Zustellung des angefochtenen Urteils am 22. März 2012 nicht innerhalb eines Monats einen Zulassungsantrag gestellt. Soweit er bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 19. März 2012 beantragt hat, "im Falle der Klageabweisung die Berufung zuzulassen", hat er keinen rechtlich wirksamen Zulassungsantrag gestellt. Denn das Urteil war zu diesem Zeitpunkt weder verkündet - das Verwaltungsgericht hatte statt der Verkündung die Zustellung der Entscheidung beschlossen - noch zugestellt und somit noch nicht rechtlich existent (vgl. hierzu OVG Lüneburg, Bescheid vom 18.1.1950 - II OVG A 20/49 -, OVGE 1, 160). Zu keiner anderen Einschätzung führt der Umstand, dass das Verwaltungsgericht zunächst durch den Gerichtsbescheid vom 27. Januar 2012 entschieden hatte. Denn nach § 84 Abs. 3, 2. Halbsatz VwGO gilt der Gerichtsbescheid als nicht ergangen, nachdem die Klägerin mündliche Verhandlung beantragt hatte. Ferner dürfte der in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag nicht der in §§ 125 Abs. 1 Satz 1, 82 VwGO vorgeschriebenen Form genügen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung kann nur schriftlich oder elektronisch durch den nach § 67 Abs. 4 VwGO zwingend vorgeschriebenen Prozessvertreter gestellt werden (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, § 124a Rn. 46). Schließlich können Rechtsmittel grundsätzlich nicht unter einer Bedingung oder einem Vorbehalt eingelegt werden (vgl. Kopp/Schenke, a. a. O., vor § 124 Rn. 25).

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Der Klägerin wird nicht gemäß § 60 Abs. 1 VwGO auf ihren hilfsweise gestellten Antrag vom 11. Juni 2012 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Denn sie hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihr Prozessbevollmächtigter ohne Verschulden verhindert war, die Zulassungsantragsfrist einzuhalten. Die Voraussetzungen von Form und Frist des Zulassungsantrags ergeben sich aus den oben zitierten Vorschriften der VwGO, die ihrem Prozessbevollmächtigten bekannt sein mussten.

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2. Im Übrigen wäre der Zulassungsantrag auch unbegründet.

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a) Es bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts.

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Die Klägerin trägt ohne Erfolg vor, der Beklagte habe zu Unrecht die Benotungen gegenüber den Anlassbeurteilungen vom 9. Juli 20 und 12. September 20 , deren Beurteilungszeiträume mit dem der streitigen Beurteilung deckungsgleich seien, um eine Rangstufe von B auf C verschlechtert. Zum einen war der Beklagte nicht gehindert, in die Regelbeurteilung den Zeitraum einzubeziehen, der bereits von den Anlassbeurteilungen umfasst ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.7.2001 - BVerwG 2 C 41.00 -, [...] Rn. 17). Zum anderen hat der Beklagte - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - die gegenüber den in den Anlassbeurteilungen vergebenen Bewertungen schlechteren Noten in der Regelbeurteilung hinreichend damit begründet, dass für die Beurteilungen zum Stichtag 1. November 20 ein neuer strengerer Maßstab angelegt worden ist. Es handelt sich dabei entgegen der Auffassung der Klägerin nicht um eine unzulässige nachträgliche Verschlechterung der Beurteilungen in den Anlassbeurteilungen. Denn entscheidend ist allein, welches Beurteilungssystem im Zeitpunkt der Beurteilung gegolten hat. Nur nach diesem war die Beurteilung für den gesamten Beurteilungszeitraum zu erstellen (BVerwG, Urteil vom 2.3.2000 - BVerwG 2 C 7.99 -, [...] Rn. 15; Beschluss vom 14.2.1990 - BVerwG 1 WB 181.88 -, [...] Rn. 6). Galt mithin zum Beurteilungsstichtag ein strengerer Beurteilungsmaßstab, war dieser für den gesamten Beurteilungszeitraum zugrunde zu legen, auch wenn nach diesem neuen Beurteilungsmaßstab Leistungen der Klägerin bewertet worden sind, die zum größten Teil unter der Geltung des früheren Beurteilungsmaßstabes erbracht worden sind. Es entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der sich der beschließende Senat angeschlossen hat, dass durch die Anwendung neuer Beurteilungsrichtlinien mit strengeren Maßstäben auf vor deren Bekanntgabe liegende Beurteilungszeiträume nicht belastend in die Rechtsposition eines Beamten eingegriffen wird, da sich die Rechts- und Pflichtenstellung des Beamten nicht aus den Vorschriften über die dienstliche Beurteilung, sondern aus dem materiellen Beamtenrecht ergibt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.12.2008 - BVerwG 2 A 7.07 -, [...] Rn. 12; Urteil vom 2. März 2000, a. a. O.; Urteil vom 26.6.1980 - BVerwG 2 C 13.79 -, [...] Rn. 36; Nds. OVG, Beschluss vom 6.1.2010 - 5 LA 223/08 -, [...] Rn. 15).

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Erfolglos rügt die Klägerin, die zunächst zuständigen Beurteiler hätten sich als Ruhestandsbeamte nicht mehr zu ihren Leistungen äußern dürfen. Zwar trifft es - wie auch das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat - zu, dass ein im Ruhestand befindlicher Beamter grundsätzlich nicht mehr an dem Erlass verwaltungsrechtlicher Maßnahmen mitwirken darf. Deshalb ist er nicht in der Lage, eine dienstliche Beurteilung zu erstellen und eine solche in dienstlicher Eigenschaft zu verantworten. Davon unberührt bleibt aber die Möglichkeit, auch nach Eintritt in den Ruhestand wie ein sachverständiger Zeuge Auskunft über die Leistungen des Beamten in der Vergangenheit zu geben und eine persönliche Leistungsbewertung vorzunehmen (BVerwG, Beschluss vom 20.8.2004 - BVerwG 2 B 64.04 -, [...] Rn. 9). Diese Voraussetzungen lagen hier vor. Die Erstbeurteilerin hat in ihrer dienstlichen Erklärung vom 12. Dezember 20 angegeben, dass sie mit ihrem Vorgänger über Leistungen und Befähigung der Klägerin umfassend gesprochen habe. Der in den Ruhestand versetzte frühere Erstbeurteiler ist mithin hinzugezogen worden (vgl. auch Ziff. 9.5 Abs. 2 Satz 1 BRL) und hat Auskünfte über die Leistungen der Klägerin erteilt. Ferner hatte der frühere Erstbeurteiler einen Beurteilungsentwurf gefertigt und damit schriftlich eine persönliche Leistungsbewertung vorgenommen. Der Vortrag der Klägerin, die Äußerung des Ruhestandsbeamten hätte in schriftlicher Form erfolgen müssen, geht deshalb ins Leere. Der weiteren Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass sich auch der Zweitbeurteiler bei seinem in den Ruhestand versetzten Vorgänger über die Klägerin informiert habe, ist die Klägerin nicht entgegengetreten. Soweit die Klägerin meint, der in den Ruhestand versetzte Zweitbeurteiler hätte einen schriftlichen Beitrag fertigen müssen, finden sich für diesen Vortrag in der BRL (vgl. insbesondere Ziff. 9.6 BRL) keine Anhaltspunkte. Überdies hat die Klägerin die weitere Feststellung des Verwaltungsgerichts, der Zweitbeurteiler habe als stellvertretender Abteilungsleiter und in der Einarbeitungsphase als Abteilungsleiter eigene Erkenntnisse über die Klägerin erlangen können, nicht in Abrede gestellt.

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Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, bei der Aushändigung der Regelbeurteilung sei entgegen Ziff. 9.7 BRL kein Gespräch geführt worden. Die Erstbeurteilerin hat in ihrer dienstlichen Erklärung vom 12. Dezember 20 im Einzelnen ausgeführt, weshalb eine detaillierte Eröffnung der Beurteilung nicht zielführend gewesen sei und dass dies seinerzeit durch die Klägerin bestätigt worden sei. Diese Erklärung hat die Klägerin mit ihrem Zulassungsvortrag nicht in Zweifel gezogen.

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b) Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Die von der Klägerin aufgeworfenen, für grundsätzlich bedeutsam gehaltenen Fragen "der rückwirkenden Veränderung von Beurteilungen" und "ob bei Beurteilungen Äußerungen von Personen, die keine Dienstpflichten - mehr - haben, hinzugezogen werden können, und welche Formerfordernisse insoweit gelten", sind durch die oben dargelegte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt bzw. im konkreten Einzelfall anhand der geltenden Beurteilungsrichtlinien und -maßstäbe zu beantworten.

10

c) Verfahrensfehler im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO liegen nicht vor. Die Klägerin rügt insoweit, das Verwaltungsgericht habe eine gebotene Beweisaufnahme durch Vernehmung der Beurteiler als Zeugen unterlassen. Die durch einen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten vertretene Klägerin muss sich entgegenhalten lassen, dass sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 19. März 2012 einen formellen Beweisantrag im Sinne des § 86 Abs. 2 VwGO nicht gestellt hat. Bei dieser Sachlage käme ein Verstoß des Verwaltungsgerichts gegen seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nur dann in Betracht, wenn sich eine Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 6.2.2008 - 5 LA 21/07 -). Eine solche Situation war hier indes nicht gegeben. Denn einer Beweiserhebung bedurfte es nach dem materiell-rechtlich zutreffenden Standpunkt des Verwaltungsgerichts, auf den insoweit abzustellen ist, nicht. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen zum geltend gemachten Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel verwiesen. Soweit die Klägerin meint, dass ein "Hinweis der Erstbeurteilerin auf eine Äußerung des Referats B." aufklärungsbedürftig wäre, lässt sich der dienstlichen Erklärung der Erstbeurteilerin vom 12. Dezember 20 ("Anforderung seitens Referat B.") entnehmen, dass das Referat B. ( ) offenkundig lediglich die Regelbeurteilung angefordert hat.

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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).