Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 28.03.2013, Az.: 5 ME 59/13

Unzumutbarkeit einer Zuweisung gemäß § 4 PostPersRG aufgrund der Fahrzeiten zwischen Wohnort und Dienstort

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
28.03.2013
Aktenzeichen
5 ME 59/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 33705
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2013:0328.5ME59.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Göttingen - 23.01.2013 - AZ: 1 B 293/12

Amtlicher Leitsatz

Bei der Entscheidung, ob eine Zuweisung gemäß § 4 PostPersRG aufgrund der Fahrzeiten zwischen Wohnort und Dienstort im Einzelfall unzumutbar ist, ist zu Lasten des Beamten zu berücksichtigen, wenn die lange Fahrzeit nicht auf der Entfernung als solcher, sondern auf der schlechten Verkehrsanbindung einer aus privaten Gründen gewählten entlegenen Wohnlage beruht.

Gründe

1

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Göttingen vom 23. Januar 2013 ist begründet.

2

Die von der Antragsgegnerin dargelegten Gründe rechtfertigen es, den angefochtenen Beschluss zu ändern und den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Zuweisungsverfügung der Deutschen Telekom AG vom 18. Oktober 2012, mit der diese der Antragstellerin eine Tätigkeit als Sachbearbeiterin Backoffice bei der C. D. Service GmbH am Standort E. zugewiesen und die sofortige Vollziehung angeordnet hat, abzulehnen.

3

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt - was auch die Antragstellerin nicht in Zweifel zieht - den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.

4

In der Sache überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Zuweisungsverfügung das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die auf § 4 Abs. 4 Satz 2 PostPersRG (Postpersonalrechtsgesetz vom 14.9.1994 - BGBl. I S. 2325 -, das zuletzt durch Art. 1 des Gesetzes vom 21.11.2012 - BGBl. I S. 2299 - geändert worden ist) gestützte Zuweisungsverfügung der Deutschen Telekom AG vom 18. Oktober 2012 begegnet bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung keinen rechtlichen Bedenken, sodass das private Interesse der Antragstellerin, einstweilen keinen Dienst in E. leisten zu müssen, hinter die von der Antragsgegnerin zutreffend benannten Gründe des öffentlichen Interesses zurücktritt.

5

Gemäß § 4 Abs. 4 Satz 1 PostPersRG kann dem Beamten mit seiner Zustimmung vorübergehend eine Tätigkeit bei einem Unternehmen zugewiesen werden, wenn die Aktiengesellschaft, bei der er beschäftigt ist, hieran ein dringendes betriebliches oder personalwirtschaftliches Interesse hat. Eine dauerhafte Zuweisung einer dem Amt entsprechenden Tätigkeit ist gemäß § 4 Abs. 4 Satz 2 PostPersRG unter anderem dann zulässig, wenn die Zuweisung nach allgemeinen beamtenrechtlichen Grundsätzen zumutbar ist und die Zuweisung der Tätigkeit bei einem Unternehmen erfolgt, dessen Anteile ganz oder mehrheitlich der Aktiengesellschaft gehören. Diese Voraussetzungen liegen vor.

6

Nachdem die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerdebegründung ihren Vortrag zu der fehlenden Möglichkeit eines wohnortnäheren Einsatzes erheblich ergänzt und präzisiert hat, geht der Senat - anders als noch das Verwaltungsgericht auf der Grundlage des ihm vorliegenden Sachvortrags - davon aus, dass keine Möglichkeit eines wohnort-näheren Einsatzes der Antragstellerin besteht. Die Antragsgegnerin hat plausibel dargelegt, dass die bisherige Beschäftigungsstelle in F. geschlossen worden ist und bei den weiteren vier in F. ansässigen ausgegliederten Gesellschaften der Deutschen Telekom AG keine offenen Stellen, die dem Amt und der Qualifikation der Antragstellerin entsprechen, vorhanden sind. Ein nach den angegebenen Daten Ende Januar/Anfang Februar 2013 durchgeführter Suchlauf in der entsprechenden internen Datenbank hat keine passenden Stellen innerhalb des Konzern und seinen Tochtergesellschaften ausgewiesen.

7

Soweit die Antragstellerin demgegenüber einwendet, in der Vergangenheit habe sich vielfach gezeigt, dass trotz gegenteiliger Äußerungen alternative Beschäftigungsmöglichkeiten im Raum F. vorhanden gewesen seien, ist dieses nicht näher konkretisierte Vorbringen nicht geeignet, die Ausführungen der Antragsgegnerin in Zweifel zu ziehen. Auch die Einwände gegen die Art und Weise der Datenbanksuche greifen nicht durch. Wann der Suchlauf durchgeführt worden ist, lässt sich anhand der den einzelnen Stellenangeboten zugeordneten Enddaten der jeweiligen Ausschreibung im Februar/März 2013 ausreichend erkennen. Angesichts des noch ausstehenden Widerspruchsbescheids sind diese Erkenntnisse sowohl im weiteren Verwaltungsverfahren als auch im gerichtlichen Verfahren zu berücksichtigen. Die Datenbanksuche war auch nicht unzulässig beschränkt. Die Antragstellerin benötigt eine Stelle für eine Verwaltungstätigkeit, die ihrem Amt einer Fernmeldeobersekretärin (A 7 BBesO) angemessen ist. Die entsprechende Eingabe ist damit nicht zu beanstanden, zumal das ausgeworfene Suchergebnis zeigt, dass auch höherwertige bzw. fachlich ähnliche Stellen eingeschlossen waren.

8

Die streitige Zuweisung ist auch ermessensfehlerfrei ergangen und der Antragstellerin im Sinne des § 4 Abs. 4 Satz 2 PostPersRG nach allgemeinen beamtenrechtlichen Grundsätzen zumutbar.

9

Grundsätzlich nimmt ein Bundesbeamter die mit der Möglichkeit der Versetzung oder Umsetzung, insbesondere mit einem Ortswechsel durch das ganze Bundesgebiet generell und unvermeidlich verbundenen persönlichen, familiären und auch finanziellen Belastungen mit seinem Dienstantritt in Kauf. Eine Umsetzungs- oder Zuweisungsverfügung erweist sich deshalb regelmäßig nicht schon dadurch als ermessensfehlerhaft, dass der Dienstherr den dienstlichen Bedürfnissen den Vorrang gegenüber den privaten Belangen des Beamten einräumt, auch wenn damit notwendigerweise Veränderungen im persönlichen und beruflichen Umfeld der Familie des Beamten verbunden sind. Die Bewältigung von dienstlich veranlassten Veränderungen ist eine Frage der persönlichen Lebensgestaltung des Beamten und seiner Familie, die diese allein zu beurteilen und zu entscheiden haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.10.1986 - BVerwG 6 A 2.84 -, [...] Rn. 16).

10

Demgegenüber wird die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht gemäß § 78 BBG durch eine Zuweisungsverfügung erst dann berührt, wenn ausnahmsweise besondere Umstände des Einzelfalls bei der Ermessensausübung Beachtung verlangen oder gewichtige Grundrechte des Beamten - darunter auch der Schutz der Gesundheit sowie der Schutz von Ehe und Familie - besonders schwer beeinträchtigt werden. Solche besonders schwerwiegenden Beeinträchtigungen liegen hier nicht vor. Die mit der künftigen Entfernung von Wohn- und Dienstort verbundenen Unannehmlichkeiten sind der Antragstellerin zuzumuten.

11

Soweit ein Umzug insbesondere aufgrund des sonderpädagogischen Förderbedarfs des neunjährigen Sohnes der Antragstellerin und der daraus folgenden Bindung an eine bestimmte Schule nicht in Betracht kommen sollte, ist ihr die tägliche Anfahrt zu ihrem neuen Dienstort im knapp 80 km entfernten E. möglich und zumutbar. Falls die Antragstellerin trotz ihrer Diabetes-Erkrankung das Auto nutzen kann, beträgt die Fahrzeit pro Strecke eine gute Stunde. Das entspricht einer Fahrzeit, die ein Beamter ohne weiteres hinnehmen muss. Soweit die Antragstellerin für die gesamte Strecke auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sein sollte, beträgt die Fahrzeit demgegenüber zwar knapp zwei Stunden pro Strecke. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass bereits die Fahrzeit in das nur rund 30 km entfernte F. mit öffentlichen Verkehrsmitteln weit mehr als eine Stunde beträgt. Die Fahrzeit beruht also nicht in erster Linie auf der Entfernung, sondern auf der schlechten Nahverkehrsanbindung der dörflichen Wohnlage. Wählt ein Bundesbeamter indes aus privaten Gründen eine solche Wohnlage und ist er zum Umzug nicht bereit, ist er in besonderem Maße gehalten, die aus dieser Wohnortwahl folgenden Belastungen selbst zu tragen. Das gilt auch vor dem Hintergrund der Diabetes-Erkrankung der Antragstellerin. Das Messen des Blutzuckerspiegels, das rund vier Mal täglich erfolgt, muss nicht während der Fahrten stattfinden. Am Arbeitsplatz wird die Antragsgegnerin ihr - wie bislang auch - eine entsprechende Möglichkeit eröffnen.

12

Auch die emotional-soziale Störung des Sohnes und der daraus resultierende Förder- und Behandlungsbedarf führen nicht dazu, dass der Antragstellerin die Tätigkeit in E. nicht zuzumuten ist. Ausweislich der vorgelegten Bescheinigungen besucht der Sohn die Schule und anschließend eine Tagesgruppe gemäß § 32 SGB VIII. Tagsüber ist die Betreuung mithin gesichert. Können die Antragstellerin und ihr Ehemann die weitere Betreuung aufgrund der Fahr- bzw. Dienstzeiten nicht sicherstellen, muss die Antragstellerin erforderlichenfalls ihre Arbeitszeit reduzieren oder sich zeitweise beurlauben lassen (§ 92 BBG). Zudem hat die Antragsgegnerin zugesichert, den Arbeitszeitbeginn der Antragstellerin flexibel zu gestalten.

13

Soweit die Antragstellerin schließlich auf die Pflegebedürftigkeit ihrer Eltern hinweist, legt sie bereits nicht substantiiert dar, welche Pflegeleistungen sie neben der Sorge für ihre drei Kinder und ihrer Berufstätigkeit in Vollzeit tatsächlich erbringt.

14

Erweist sich die Zuweisungsverfügung mithin als voraussichtlich rechtmäßig, teilt der Senat die Auffassung der Antragsgegnerin, dass das öffentliche Interesse, die beschäftigungslose, aber voll besoldete Antragstellerin so schnell wie möglich amtsangemessen zu beschäftigen, ihre privaten Interessen überwiegt. Sowohl dem entsprechenden Anspruch des Beamten als auch dem öffentlichen Interesse an einer sparsamen Verwendung von Haushaltsmitteln wird damit entsprochen.