Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.03.2013, Az.: 5 LB 246/12
Anrechnung von Leistungen aus der freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung auf die Beihilfe bei zahnärztlichen Leistungen nach den Beihilfevorschriften des Bundes (BhV 2001)
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 07.03.2013
- Aktenzeichen
- 5 LB 246/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2013, 32721
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2013:0307.5LB246.12.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Göttingen - 17.12.2010 - AZ: 3 A 486/09
Rechtsgrundlagen
- § 5 Abs. 3 S. 1 BhV
- § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BhV
Amtlicher Leitsatz
Zur Anrechnung von Leistungen aus der freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung auf die Beihilfe bei zahnärztlichen Leistungen nach den Beihilfevorschriften des Bundes (BhV 2001).
Tatbestand
Der Kläger begehrt weitere Beihilfeleistungen für eine zahnärztliche Behandlung seiner Ehefrau.
Der Kläger steht als Erster Justizhauptwachtmeister im Dienst des Landes Niedersachsen. Seine ebenfalls beihilfeberechtigte Ehefrau ist freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Unter dem 8. April 20 beantragte der Kläger die Gewährung einer Beihilfe für die zahnärztliche Versorgung seiner Ehefrau mit Kronen bzw. Brücken. Die Behandlung fand am 9. Februar 20 statt. Für die Versorgung berechnete die Zahnärztin einen Betrag in Höhe von 2.747,20 EUR; von diesem Betrag entfielen 1.168,08 EUR auf das - hinsichtlich aller Positionen den Schwellenwert des § 5 Abs. 2 Satz 4 GOZ überschreitende - zahnärztliche Honorar und 1.579,12 EUR auf Material- und Laborkosten. Abzüglich des von der gesetzlichen Krankenversicherung gezahlten Festzuschusses in Höhe von 886,58 EUR belief sich der Rechnungsbetrag auf 1.860,62 EUR.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 11. Mai 20 eine Beihilfe in Höhe von 285,03 EUR. Dabei berechnete sie den beihilfefähigen Betrag, indem sie das den Schwellenwert nicht überschreitende Zahnarzthonorar (947,59 EUR) sowie 40 Prozent der Material- und Laborkosten addierte (631,65 EUR) und von diesem Betrag (1.579,24 EUR) 65 Prozent des Betrages für die Regelversorgung der gesetzlich Krankenversicherten als (fiktivem) Festzuschuss abzog (1.157,77 EUR). Der sich ergebende Betrag in Höhe von 421,47 EUR war Grundlage der Bemessung der Beihilfe.
Am 20. Mai 20 erhob der Kläger Widerspruch, mit dem er sich unter anderen gegen die Nichtberücksichtigung des vollen Zahnarzthonorars aufgrund der Überschreitung des Schwellenwertes sowie die Art und Weise der Anrechnung der Krankenkassenleistung wandte. Im Verlauf des Widerspruchsverfahrens korrigierte die Beklagte mit Änderungsbescheiden vom 5. Juni 20 und vom 10. Juli 20 ihre Festsetzung, sodass die gezahlte Beihilfe schließlich 411,47 EUR betrug. Mit Widerspruchsbescheid vom 28. September 20 wies die Beklagte den Widerspruch im Übrigen zurück.
Der Kläger hat am 2. November 2009 Klage erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die behandelnde Zahnärztin die Überschreitung des Schwellenwertes ausreichend begründet habe, sodass das volle Honorar als beihilfefähig anzusehen sei. Zudem habe die Beklagte zu Unrecht einen den tatsächlich gezahlten Krankenkassenzuschuss übersteigenden Betrag abgesetzt und diesen Betrag ebenfalls zu Unrecht nicht anteilig auf die beihilfefähigen und die nicht beihilfefähigen Aufwendungen bezogen.
Der Kläger hat sinngemäß beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Beihilfebescheide des Niedersächsischen Landesamtes für Bezüge und Versorgung vom 11. Mai 20 , 5. Juni 20 und 10. Juli 20 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. September 20 , soweit sie entgegenstehen, zu verpflichten, ihm eine weitere Beihilfe auf die Rechnung Nr. 951 der Zahnärztin B. vom 12. Februar 20 in Höhe von 787,46 EUR zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die angefochtenen Bescheide unter Hinweis auf die Beihilfevorschriften verteidigt.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Beihilfevorschriften genügten nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Sie seien zwar für einen Übergangszeitraum und damit grundsätzlich auch im Fall des Klägers weiter anzuwenden. Die Beklagte habe es jedoch entgegen Nr. 5.2 der Hinweise zu § 5 Abs. 1 BhV unterlassen, zu der Frage der Überschreitung des Schwellenwertes eine Stellungnahme der Zahnärztekammer oder ein Sachverständigengutachten einzuholen. Ihre Entscheidung sei deshalb rechtswidrig. Eine bloße Verpflichtung zu einer Neubescheidung komme nicht in Betracht, weil der Übergangszeitraum zum Zeitpunkt einer erneuten Behördenentscheidung abgelaufen sein werde und es der Landesgesetzgeber versäumt habe, rechtzeitig eine verfassungskonforme Neuregelung zu schaffen. Über den Beihilfeantrag sei deshalb allein anhand der Kriterien der Notwendigkeit und Angemessenheit der ärztlichen Leistungen zu entscheiden. Das führe dazu, dass der volle Rechnungsbetrag, nur gekürzt um den tatsächlich gewährten Krankenkassenzuschuss, beihilfefähig sei.
Gegen das Urteil hat die Beklagte die Zulassung der Berufung beantragt. Im Zulassungsverfahren hat sie mit Schriftsatz vom 13. Januar 20 die Begründung für die Überschreitung des Schwellenwertes anerkannt und dem Kläger eine weitere Beihilfe in Höhe von 220,49 EUR bewilligt. Insoweit hat der Senat das Verfahren mit Beschluss vom 4. September 2012 auf der Grundlage übereinstimmender Erledigungserklärungen eingestellt und die Berufung im Übrigen wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils zugelassen.
Die Beklagte ist der Auffassung, die Beihilfe sei nach den fortgeltenden Beihilfevorschriften zu bemessen. Dass eine fiktive Kassenleistung in Höhe von 65 Prozent des Betrages für die Regelversorgung der gesetzlich Krankenversicherten anzurechnen sei, folge aus § 5 Abs. 3 Satz 2 BhV. Dabei handele es sich nicht um den tatsächlich gezahlten Festzuschuss, sondern um den Maximalbetrag einschließlich möglicher Bonusleistungen. Der sich ergebende Betrag sei in vollem Umfang auf die beihilfefähigen Aufwendungen anzurechnen. Aus § 14 Abs. 4 Satz 1 BhV ergebe sich nichts anderes.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen vom 17. Dezember 2010 - soweit nicht durch Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 4. September 2012 für wirkungslos erklärt - zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil. Ergänzend trägt er vor, aus § 14 Abs. 4 Satz 1 BhV ergebe sich, dass die Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung nur im tatsächlich erbrachten Umfang anzurechnen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat trifft diese Entscheidung nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss (§ 130 a Satz 1 VwGO), weil er die Berufung einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Die Berufung der Beklagten ist begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer weiteren Beihilfe über den bereits bewilligten Betrag in Höhe von 631,96 EUR hinaus. Der Beihilfebescheid vom 11. Mai 20 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 5. Juni 20 , vom 10. Juli 20 sowie vom 13. Januar 20 und der Widerspruchsbescheid vom 28. September 20 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist deshalb - soweit es fortwirkt - zu ändern und die Klage abzuweisen.
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist grundsätzlich - und so auch hier - die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen, für die Beihilfen beansprucht werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.2.2011 - BVerwG 2 C 40.09 -, [...] Rn. 7; Nds. OVG, Beschluss vom 4.1.2012 - 5 LA 82/11 -, [...] Rn. 4). Zu diesem Zeitpunkt am 9. Februar 20 beruhte die Gewährung von Beihilfeleistungen gemäß § 87 c Abs. 1 NBG in der Fassung vom 17. Dezember 2004 (Nds. GVBl. S. 664) auf den Beihilfevorschriften des Bundes in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. November 2001 (GMBl S. 919) - BhV -, zuletzt geändert durch Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern vom 30. Januar 2004 (GMBl. S. 379). Diese Vorschriften sind für Aufwendungen, die bis zum Inkrafttreten der Niedersächsischen Beihilfeverordnung vom 7. November 2011 am 1. Januar 2012 entstanden sind, trotz ihrer Verfassungswidrigkeit weiterhin anwendbar. Denn der Übergangszeitraum für die Beihilfeansprüche niedersächsischer Landesbeamter, für den das alte Recht weiter Geltung beansprucht, war auf die fünfjährige 16. Legislaturperiode des Niedersächsischen Landtags bezogen, die erst am 18. Februar 2013 abgelaufen ist (vgl. ausführlich Nds. OVG, Beschluss vom 4.1.2012, a. a. O., Rn. 10 f.).
Legt man dies zugrunde, hat die Beklagte den Beihilfeanspruch des Klägers für die zahnärztliche Behandlung seiner Ehefrau in vollem Umfang erfüllt. Die noch streitige Anrechnung der Leistungen der freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung seiner Ehefrau ist weder der Höhe nach noch hinsichtlich der Modalitäten der Anrechnung zu beanstanden.
Gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 BhV sind bei Ansprüchen auf Heilfürsorge, Krankenhilfe, Geldleistung oder Kostenerstattung aufgrund von Rechtsvorschriften oder arbeitsvertraglichen Vereinbarungen vor Berechnung der Beihilfe die gewährten Leistungen in voller Höhe von den beihilfefähigen Aufwendungen abzuziehen. Ergänzend dazu sieht § 5 Abs. 3 Satz 2 BhV vor, dass bei der Versorgung mit Zahnersatz und Zahnkronen nach Maßgabe der Anlage 2 65 vom Hundert als gewährte Leistung anzurechnen sind. Berechnungsgrundlage ist der Betrag, aus dem sich der Zuschuss der Krankenkasse errechnet. Auf dieser Grundlage hat die Beklagte 65 Prozent der nach § 57 Abs. 1 Satz 6 und Abs. 2 Satz 6 und 7 SGB V festgesetzten Beträge für die jeweilige Regelversorgung der gesetzlich Krankenversicherten von den nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BhV i. V. m. der Anlage 2 beihilfefähigen Aufwendungen abgezogen. Der für die Behandlung der Ehefrau des Klägers relevante Betrag für die Regelversorgung betrug zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen 1.781,20 EUR; 65 Prozent hiervon entsprechen abgerundet einem Betrag in Höhe von 1.157,77 EUR. Diesen Betrag hat die Beklagte zu Recht in Abzug gebracht.
Soweit der Kläger demgegenüber meint, § 5 Abs. 3 Satz 2 BhV werde von § 14 Abs. 4 Satz 1 BhV überlagert, findet diese Auffassung im Gesetz keine Stütze. Nach § 14 Abs. 4 Satz 1 BhV erhöht sich bei freiwilligen Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung mit der Höhe nach gleichen Leistungsansprüchen wie Pflichtversicherte der Bemessungssatz auf 100 vom Hundert der sich nach Anrechnung der Kassenleistung ergebenden beihilfefähigen Aufwendungen. Die Vorschrift steht nicht in einem Konkurrenzverhältnis zu § 5 Abs. 3 BhV, sondern ergänzt sie vielmehr. Während nämlich § 5 Abs. 3 BhV Art und Umfang der Anrechnung der Kassenleistung abschließend regelt, bestimmt § 14 Abs. 4 Satz 1 BhV, welcher Beihilfebemessungssatz zugrunde zu legen ist (vgl. VGH BW, Urteil vom 27.6.1990 - 4 S 911/90 -, [...] Rn. 21; BayVGH, Beschluss vom 18.7.2006 - 14 ZB 03.710 -, [...] Rn. 18; der Sache nach auch BVerwG, Urteil vom 24.11.1988 - BVerwG 2 C 18.88 -, [...] Rn. 17). Das folgt bereits aus dem Wortlaut des § 14 Abs. 4 Satz 1 BhV, der lediglich generalisierend von einer "Anrechnung der Kassenleistung" spricht und nicht - wie § 5 Abs. 3 Satz 1 und 2 BhV - ausdrücklich auf die "gewährten Leistungen" Bezug nimmt. Auch die systematische Stellung der Regelung, die sich ausweislich der Überschrift (nur) mit der "Bemessung der Beihilfen" und nicht - wie § 5 BhV - mit der "Beihilfefähigkeit von Aufwendungen" beschäftigt, spricht entscheidend dafür, den Regelungsgehalt allein in der Bestimmung des Beihilfebemessungssatzes zu sehen. Überdies würde die Rechtsansicht des Klägers zu einer nicht zu rechtfertigenden Privilegierung seiner Ehefrau führen. Hätte sie ihre Zähne regelmäßig gepflegt und die vorgesehenen Vorsorgeuntersuchungen nachgewiesen, hätte sich der Festzuschuss der gesetzlichen Krankenversicherung auf 65 Prozent der nach § 57 Abs. 1 Satz 6 und Abs. 2 Satz 6 und 7 SGB V festgesetzten Beträge für die jeweilige Regelversorgung erhöht. Dass sie dies nicht getan und deshalb einen geringeren Festzuschuss erhalten hat, führt nicht dazu, dass das Land Niedersachsen gehalten ist, den auf ihrem eigenen Verhalten beruhenden Nachteil auszugleichen.
Zu Unrecht meint der Kläger schließlich, der Abzug der Kassenleistung dürfe nur anteilig im Verhältnis der beihilfefähigen Aufwendungen zu den Gesamtaufwendungen erfolgen. § 5 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Satz 1 BhV sieht vielmehr vor, dass der Abzug der Kassenleistung von den beihilfefähigen Aufwendungen in voller Höhe erfolgt. Für eine nur anteilige Berücksichtigung gibt es in den Beihilfevorschriften keinen Anhaltspunkt. Im Gegenteil führte eine anteilige Berücksichtigung dazu, dass der Kläger im Ergebnis - wie er in seinem Schriftsatz vom 12.11.20 selbst vorrechnet - mehr als 100 Prozent der dem Grunde nach beihilfefähigen Aufwendungen in Höhe von 1.799,73 EUR von der gesetzlichen Krankenversicherung und der Beihilfe erstattet erhielte. Eine derart weitgehende Erstattung sieht das Beihilferecht nicht vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.3.1991 - BVerwG 2 C 44.88 -, [...] Rn. 15).