Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 24.04.2003, Az.: 13 Verg 4/03
Ausschluss eines Bieters auf Grund eines 30 Prozent niedrigeren Angebots als das des nächstgünstigen Bieters; Ausschreibung von Reinigungsmaßnahmen und Desinfektionsmaßnahmen für ein Klinikum im offenen Verfahren
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 24.04.2003
- Aktenzeichen
- 13 Verg 4/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 31845
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2003:0424.13VERG4.03.0A
Verfahrensgang
Rechtsgrundlage
- § 25 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A
Fundstellen
- EUK 2003, 90
- IBR 2003, 324
Amtlicher Leitsatz
Ein Bieter ist nicht allein deshalb auszuschließen, weil der angebotene Preis erheblich unter den Preisen der anderen Bieter liegt (hier: mehr als 30%), sofern sachliche Gründe vorliegen, die den niedrigen Preis rechtfertigen.
In der Vergabesache
hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ....... sowie
die Richter am Oberlandesgericht ....... und .......
auf die mündliche Verhandlung vom 8. April 2003
beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg vom 29. Januar 2003 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist.
Der Auftraggeberin wird aufgegeben, erneut in die Wertung der Angebote einzutreten und dabei die vom Senat geäußerte Rechtsauffassung zu beachten.
Die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Auftraggeberin zu tragen.
Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Es wird festgestellt, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts notwendig war.
Gegenstandswert: 95.870,81 EUR.
Gründe
A.
Unter dem 21. Mai 2002 schrieb die Auftraggeberin im offenen Verfahren Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen für das von ihr betriebene Klinikum aus.
Die Antragstellerin bot die ausgeschriebenen Leistungen bei einem Stundenverrechnungssatz von 14,89 EUR für insgesamt 53.261,56 EUR monatlich an, mithin nahezu 10.000 EUR preiswerter als der nächstgünstige Bieter. Die Beigeladene verlangte in ihrem Angebot 69.608,44 EUR und lag damit an dritter Stelle. Die Auftraggeberin entschied, der Beigeladenen den Auftrag zu erteilen. Daraufhin rief die Antragstellerin die Vergabekammer an, welche den bereits erteilten Zuschlag an die Beigeladene für nichtig erklärte und der Auftraggeberin mit Beschluss vom 11. September 2002 aufgab, erneut in die Wertung einzutreten (Az.: 203-VgK-17/2002).
Mit Schreiben vom 15. Oktober 2002 übersandte die Antragstellerin der Auftraggeberin verschiedene Kalkulationsblätter, auf die Bezug genommen wird.
Im Rahmen der erneuten Bewertung der Angebote stellte die Auftraggeberin fest, dass ihre langjährige Zusammenarbeit mit der Antragstellerin zwar nicht gänzlich unproblematisch gewesen sei, sah aber keinen Anlass, die Antragstellerin deswegen auszuschließen; die eigentlichen Reinigungsleistungen hatten den hohen hygienischen Anforderungen in den Operationssälen des Klinikums genügt.
Auf der nächsten Wertungsstufe schloss die Auftraggeberin die Antragstellerin aus, weil ihr Angebot zu niedrig sei (§ 25 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A). Die Kalkulation sei mit der Fachliteratur und den Erfahrungswerten des Klinikums nicht in Einklang zu bringen. Da die ausgeschriebene Leistung zu diesen Bedingungen nicht zu erbringen sei, sei mit Schlechtleistungen zu rechnen. Wiederum beabsichtigt die Autraggeberin, der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen.
Die Antragstellerin hat die Vergabekammer erneut angerufen und die Auffassung vertreten, ihr Angebot sei im Ergebnis auskömmlich; immerhin habe sie - unstreitig - mit einem höheren Stundenverrechnungssatz kalkuliert als bis zum 30. September 2002. Sie kenne die Situation im ....... Klinikum seit vielen Jahren und habe die dortigen Besonderheiten bei der Kalkulation berücksichtigen können. Mit Schriftsatz vom 13. Januar 2003 hat die Antragstellerin die Grundlagen ihrer Kalkulation ausführlich erläutert.
Die Antragstellerin hat beantragt,
festzustellen, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt sei sowie die Auftraggeberin anzuweisen, erneut in die Wertung der Angebote einzutreten und dabei die von der Vergabekammer geäußerte Rechtsauffassung zu beachten.
Die Auftraggeberin und die Beigeladene haben beantragt,
den Nachprüfungsantrag abzulehnen.
Die Auftraggeberin hat sich auf ein Gutachten des Sachverständigen ....... berufen. Danach sei der von der Antragstellerin angesetzte durchschnittliche Stundenverrechnungssatz von 14,89 EUR einschließlich der Zuschläge für Sonn- und Feiertage nicht kostendeckend. Erforderlich sei ein Stundenverrechnungssatz von mindestens 17,23 EUR für Werktage und ca. 29,75 EUR für Sonn- und Feiertage. Die der Kalkulation der Antragstellerin zu Grunde liegenden Leistungszahlen lägen teilweise erheblich über denen, die der Sachverständige ....... ermittelt habe.
Die Beigeladene hat sich der Auffassung der Auftraggeberin angeschlossen.
Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen. § 25 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A bezwecke auch den Schutz des öffentlichen Auftraggebers vor den mit unterpreisigen Angeboten verbundenen Risiken. Der von der Antragstellerin angebotene Preis liege ca. 34 % unter dem Mittel der übrigen Angebotspreise. Dann aber sei mit dem Auftreten von Leistungsstörungen zu rechnen, ohne dass die Antragstellerin diese Befürchtung habe ausräumen können. Das von der Auftraggeberin vorgelegte Gutachten des Sachverständigen ....... sei nachvollziehbar und mit einer von der ....... Gebäudereiniger-Handwerk ermittelten Musterkalkulation in Einklang zu bringen. Dem gegenüber verbliebe der Antragstellerin neben den lohngebundenen Kosten nur noch ein unzureichender Betrag für sonstige auftragsgebundene Kosten. Weder die besondere Ortskenntnis der Antragstellerin noch ihre bislang ordnungsgemäße Arbeit seien geeignet, die Bedenken gegen die Kalkulation der Antragstellerin auszuräumen.
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde. Die von der Auftraggeberin beanstandeten Leistungszahlen beträfen nur 2,3 % des Gesamtvolumens und seien schon deshalb irrelevant. Sie fange diese mutmaßlichen Probleme durch einkalkulierte Kapazitätsüberhänge ohne Weiteres auf. Vor allem aber sei sie mit geringeren Stundenverrechnungssätzen seit vielen Jahren sehr gut ausgekommen und habe ordnungsgemäß gearbeitet.
Die Antragstellerin beantragt,
festzustellen, dass sie in ihren Rechten verletzt ist, sowie die Auftraggeberin anzuweisen, erneut in die Wertung der Angebote einzutreten und dabei die vom Senat geäußerte Rechtsauffassung zu beachten,
hilfsweise,
das Verfahren an die Vergabekammer zurückzuweisen mit der Auflage, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.
Die Auftraggeberin und die Beigeladene beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Auftraggeberin verteidigt die angefochtene Entscheidung; die Kalkulation der Antragstellerin sei nicht transparent. Ihre Erläuterungen dienten allein dazu, den fehlerhaft ermittelten zu niedrigen Preis durch die Annahme unrealistischer Reinigungsleistungen halten zu können. Der von der Antragstellerin kalkulierte Personaleinsatz - der niedriger ist als nach den bisherigen Verträgen - sei zwar nicht zu beanstanden. Der kalkulierte Stundenverrechnungssatz sei jedoch nicht auskömmlich. Die Antragstellerin würde daher im Ergebnis weniger Stunden ableisten als von der Auftraggeberin kalkuliert seien.
Die Beigeladene schließt sich diesen Ausführungen an. Sie hält die Kalkulation des Stundenverrechnungssatzes für falsch. Es seien nicht alle lohngebundenen Kosten angemessen berücksichtigt.
Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf den angefochtenen Beschluss sowie die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
B.
Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet; der Beschluss der Vergabekammer ist aufzuheben (§ 123 GWB); der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil weitere Feststellungen nicht erforderlich sind:
Die Beschwerdeführerin ist durch den Ausschluss in ihren Rechten verletzt (§§ 107, 97 GWB). Ihre Preiskalkulation - insbesondere der niedrige Stundenverrechnungssatz - rechtfertigt den Ausschluss nicht. Die Auftraggeberin hat erneut in die Wertung einzutreten.
I.
Die Voraussetzungen für einen Ausschluss der Antragstellerin gemäß § 25 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A liegen nicht vor. Es ist nicht ersichtlich, dass der angebotene Endpreis eine einwandfreie Ausführung einschließlich Gewährleistung nicht erwarten lässt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin trotz ihres niedrigen Preises ordnungsgemäße Leistungen erbringen kann.
1.
Die Antragstellerin hat ihre Kalkulation im Verfahren vor der Vergabekammer im Einzelnen offengelegt; diese ist in sich schlüssig und nachvollziehbar, ohne dass die Auftraggeberin oder die Beigeladene insoweit Einwendungen erhoben hätten. Zwischen den Beteiligten ist auch nicht in Streit, dass die von der Antragstellerin angesetzten Stunden den Vorgaben der Auftraggeberin entsprechen und ausreichen, um die erforderlichen Arbeiten hygienisch einwandfrei zu erbringen.
2.
Es ist nicht erkennbar, dass die Kalkulation der Antragstellerin hinsichtlich der Stundenverrechnungssätze - vor allem hierum wird gestritten - zu niedrig ist, um ordnungsgemäße Reinigungsarbeiten zu erbringen.
a.
Die Kalkulation des Stundenverrechnungssatzes ist leicht nachzuvollziehen. Die Antragstellerin hat erläutert, dass und wo in dem von ihr kalkulierten Stundenverrechnungssatz die Zuschläge für OP-Reinigung und Feiertagszuschläge enthalten sind. Dass gesetzliche oder tarifliche Vorgaben unberücksichtigt geblieben sind, ist nicht ersichtlich.
Eine ins Einzelne gehende Auseinandersetzung mit der Kalkulation haben weder die Auftraggeberin noch die Beigeladene vorgelegt. Der bloße Hinweis auf dieüberreichte Musterkalkulation mit teilweise anderen Ansätzen reicht insoweit nicht aus. Die Antragstellerin hat dargelegt, dass und warum ihre nicht lohngebundenen Kosten gering sind, ohne dass die Auftraggeberin oder die Beigeladene dies substantiiert in Frage gestellt haben.
Die entgegenstehende Kalkulation im Gutachten des Sachverständigen ....... vom 15. November 2002 ist nicht geeignet, die Kalkulation der Antragstellerin entscheidend in Frage zu stellen. Der Sachverständige geht von allgemeinen Erfahrungssätzen im Gebäudereinigerhandwerk aus. Ein derartiger Ansatz hilft im vorliegenden Fall nicht weiter. Denn die Antragstellerin hat gegenüber dem Sachverständigen ....... - allein bezogen auf das hier streitgegenständliche Objekt - einen erheblichen Erfahrungsvorsprung. Die Antragstellerin reinigt die fraglichen Räume bereits seit vielen Jahren, so dass die gewonnenen Erfahrungen in die Kalkulation einfließen konnten:
Sie kennt das zu reinigende ....... Klinikum genau, und weiß daher, welches Einsparpotenzial dort im Einzelnen vorhanden ist. Es ist nämlich immer wieder möglich, während der Wartezeit zwischen den OP-Reinigungen die Nebenräume zu reinigen, ohne dass die Bereitschaft, auch sofort mit der dann dringenden Reinigung des OP zu beginnen, gefährdet ist. Diese besondere Ortskenntnis bringt für die Antragstellerin gegenüber den Mitbewerbern erhebliche Vorteile, und zwar selbst dann, wenn diese andere Großkliniken reinigen.
Aus demselben Grund kann die Auftraggeberin im Ergebnis nicht damit gehört werden, wenn sie vorträgt, die Kalkulation der Antragstellerin sei nur dann profitabel, wenn die dem Angebot zu Grunde liegenden Arbeitsstunden verringert würden. Die auch von der Antragstellerin angenommenen Arbeitsstunden reichen
- das ist unstreitig - in jedem Falle aus, eine ordnungsgemäße Reinigung zu gewährleisten. Wenn dies aber für alle Bieter gilt, kann unterstellt werden, dass die objekterfahrene Antragstellerin mit einer geringeren Anzahl von Arbeitsstunden auskommen kann, ohne dass die Reinigungsleistung leidet.
Die Möglichkeit, die Arbeitsstundenzahl zu reduzieren ist in der Ausschreibung angelegt. Denn bislang hatte die Auftraggeberin eine bestimmte Anzahl von Arbeitsstunden ausgeschrieben, die zur Reinigung zu erbringen waren. Nunmehr hat sie einen Pauschalauftrag ausgeschrieben, in dem es weniger auf die Anzahl der geleisteten Stunden als vielmehr auf die pauschale Arbeitsleistung ankommt.
Unbeachtlich ist, dass die Antragstellerin den Stundenverrechnungssatz in Prozentzahlen - statt absoluter Beträge - kalkuliert hat; denn die Bezugsgröße, der tarifliche Stundenlohn von 7,75 EUR, ist offensichtlich, die Berechnungen sind nachvollziehbar. Es ist nicht zulässig, allein aus der Kalkulation zu schließen, die Antragstellerin lasse die erforderliche Tariftreue vermissen.
c.
Weiter ist zu bedenken, dass die Reinigungsleistungen der Antragstellerin schon bei einem niedrigeren Stundenverrechnungssatz nicht zu Beanstandungen geführt haben. Dann ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, warum sie künftig bei der Annahme leicht erhöhter Sätze mangelhaft arbeiten wird. Dazu verhält sich der Vortrag der Auftraggeberin nicht.
d.
Schließlich ist auch nicht deshalb mit mangelhafter Arbeit der Antragstellerin zu rechnen, weil der Endpreis im Ergebnis monatlich um 10.000 EUR niedriger liegt als nach den Bedingungen, zu denen die Antragstellerin bis Ende September 2002 gearbeitet hat. Denn zum einen ist die bislang zum Leistungsumfang gehörende Schuhreinigung nicht wieder ausgeschrieben. Zum anderen ist die Auftraggeberin selbst davon ausgegangen, dass die erforderlichen Reinigungsleistungen in kürzerer Zeit erbracht werden können, als der alte Vertrag mit der Antragstellerin vorsah (s. o.).
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO analog. Die rechtlichen Schwierigkeiten der Sache rechtfertigen die Beauftragung eines Rechtsanwalts.
Streitwertbeschluss:
Gegenstandswert: 95.870,81 EUR.
Der Gegenstandswert für die sofortige Beschwerde ist gemäß § 12 a Abs. 2 GKG festgesetzt. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, insoweit den Netto-Auftragswert zu Grunde zu legen. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Er orientiert sich insoweit an den Schwellenwerten, die durch Nettobeträge bestimmt sind. § 12a Abs. 2 GKG stellt für den Streitwert auf den - wenn auch pauschalierten - Gewinn ab, den ein Unternehmer erwarten kann, falls er den ausgeschriebenen Auftrag erhält. Dabei ist die Umsatzsteuer zu vernachlässigen, weil sie nur einen "durchlaufenden Posten" darstellt und auf den Gewinn letztlich keinen Einfluss hat.