Amtsgericht Hannover
Urt. v. 22.07.2008, Az.: 483 C 945/08

Gültigkeit eines Beschlusses der Wohnungseigentümerversammlung bei Zurückweisung einer Stimmrechtsvollmacht am Tage der Versammlung mit dem Hinweis auf eine Interessenkollision

Bibliographie

Gericht
AG Hannover
Datum
22.07.2008
Aktenzeichen
483 C 945/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 38587
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGHANNO:2008:0722.483C945.08.0A

Fundstelle

  • NJW-Spezial 2008, 643 (Kurzinformation)

Verfahrensgegenstand

Erklärung der Ungültigkeit von Beschlüssen

In dem Rechtsstreit ...
hat das Amtsgericht Hannover - Abt. 483 -
auf die mündliche Verhandlung vom 08.07.2008 am 22.07.2008
durch
den Richter am Amtsgericht Dr. Löffler
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Beschlüsse der Wohnungseigentümerversammlung vom 28.12.2007 zu TOP 2 und 3 werden für ungültig erklärt.

Der Verwalter hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Verwalter bleibt nachgelassen, die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, soweit nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Parteien bilden die Wohnungseigentümergemeinschaft Waldhausenstraße 7 in Hannover, wobei de Beklagte Eigentümerin der Wohnung im Dachgeschoss und die Klägerin Eigentümerin der beiden darunter liegenden Wohnungen ist.

2

Mit Schreiben vom 10.12.2007 (Bl. 38 d.A.) ist zur außerordentlichen Eigentümerversammlung am 28.12.2007 eingeladen worden. Zu TOP 2 wurden die Abrechnungen 2006 und zu TOP 3 die Entlastung der vorherigen Hausverwaltung Sielmann genehmigt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Versammlungsniederschrift (Bl. 47 ff. d.A.) verwiesen. Es existierten Abrechnungen vom 22.11.2007, 14.12.2007 (Bl. 199 ff. d.A.).

3

Die Klägerin hält die Abrechnungen für fehlerhaft und begründet dies insbesondere mit von ihr im Jahre 2006 geleistete Zahlungen, die sich nicht der Abrechnungen wiederspiegelten. Es geht insbesondere um die Rechnung der Glaserei Tippenhauer GmbH vom 20.6.2006 (Bl. 63 d.A.) und die Rechnung der Firma Kurz vom 17.8.2006 (Bl. 64 d.A.). Die Klägerin wendet gegen die Abrechnung weiterhin ein, dass die Kosten betreffend die Abgaswegüberprüfung konkret nach Miteigentumsanteilen hätten abgerechnet werden müssen. Schließlich ist sie der Auffassung, die Rechnungen der Firma Arch Pro Vita hätten nicht in die Abrechnung einfließen dürfen, da diese Firma nicht von der Wohnungseigentümergemeinschaft beauftragt worden sei. Die Anfangssalden stimmten nicht überein. Auch insoweit wird auf den gesamten schriftsätzlichen Vortrag der Klägerin Bezug genommen. Im Übrigen wendet die Klägerin gegen die beiden Beschlüsse ein, sie sei der Willkür der neuen Hausverwaltung ausgesetzt, die offensichtlich mit der Beklagten zusammen spiele. Die Hausverwaltung habe unberechtigt die Vertretungsvollmacht für die Versammlung (Bl. 43 d.A.) willkürlich zurückgewiesen erst am Tage der Sammlung zurückgewiesen (Bl. 46 d.A.), so dass sie wegen ihres Alters von 86 Jahren und ihrer Gehbehinderung (Bl. 37 d.A.) gehindert gewesen sei, ihr Stimmrecht auszuüben. Insoweit wird insbesondere auf die Ausführungen im Schriftsatz vom 27.5.2008 Bezug genommen.

4

Die Klägerin beantragt,

wie erkannt

5

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

6

Sie meint, die Abrechnung 2006 sei richtig und verweist darauf, dass die Klägerin in den Vorjahren immer wieder ohne Einschaltung der Hausverwaltung Arbeiten am Gemeinschaftseigentum in Auftrag gegeben habe, obwohl sie hierzu nicht berechtigt gewesen sei, das heißt insbesondere ohne entsprechende Genehmigungsbeschlüsse im Rahmen einer ordnungsgemäßen Wohnungseigentümerversammlung. Hinsichtlich des Erstattungsverlangens für die Rechnung der Glaserei Tippenhauer bestreitet sie, dass Arbeiten am Gemeinschaftseigentum durchgeführt worden seien. Das Gleiche gilt hinsichtlich der Rechnung der Firma Kurz. Insoweit verweist sie auch auf TOP 4 der Eigentümerversammlung vom 9.8.2006, wonach sich die Klägerin bereit erklärt habe, den Rückschnitt auf eigene Kosten vorzunehmen (Bl. 86 d.A.). Sie hält 1.044,-- Euro auch für überhöht. Die Beklagte verweist zudem darauf, dass ein allenfalls in Betracht kommender Anspruch aus dem Gesichtspunkt einer Notgeschäftsführung nicht ersichtlich sei. Hinsichtlich der Verteilung der Kehrgebühren verweist die Beklagte auf TOP 2 der Versammlung vom 9.8.2006, wonach die differenzierte Kostenverteilung für die Abrechnung 2005 erläutert und von der Klägerin dann nicht mehr beanstandet worden sei. Auch sieht die Beklagte in § 13 der Teilungserklärung (Bl. 18 d.A.) die Grundlage für eine verbrauchs- bzw. verursachungsorientierte Kostenverteilung. Es sei der Einzelverbrauch vom Schornsteinfeger festgestellt und berechnet worden. Hinsichtlich der Rechnungen der Firma Arch Pro Vita verweist die Beklagte darauf, dass diese Rechnung vom Gemeinschaftskonto bezahlt worden sei. Bei der Angabe des Anfangssaldo von 0,-- Euro handele es sich um ein unschädliches Versehen, da der Endbestand am 13.12.2006 richtig mit 1.702,17 Euro wiedergeben sei. Die Parteien hätten sich in dem Verfahren Amtsgericht Hannover 70 II 269/04 dahingehend geeinigt, durch einen Gutachter dem Umfang der durchzuführenden Arbeiten am Dachstuhl feststellen zu lassen (Bl. 93 d.A.). Entsprechend sei der Dipl.-Ing. Jacobs beauftragt worden.

7

Im übrigen wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die gem. §§ 43 Ziff. 4 und 46 Abs. 1 WEG zulässige Anfechtungsklage ist begründet.

9

Die angefochtenen Beschlüsse zu TOP 2 und 3 der Eigentümerversammlung vom 28.12.2007 waren für ungültig zu erklären, weil sie den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung gem. § 21 Abs. 3 WEG widersprechen. Denn es war nicht rechtens, dass die Hausverwaltung die Stimmrechtsvollmacht der Klägerin für die Versammlung vom 27.12.2007 am Tag der Versammlung mit Schreiben vom 28.12.2007 (Bl. 46 d.A.) mit dem schlichten Hinweis auf eine "Interessenkollision" zurückgewiesen hat.

10

Das Stimmrecht eines Wohnungseigentümers zählt zu seinen zentralen Rechten. Da das Stimmrecht keinen höchstpersönlichen Charakter besitzt, kann sich der Wohnungseigentümer insoweit vertreten lassen. Ein Wohnungseigentümer kann daher - soweit er vom Stimmrecht nicht ausgeschlossen ist - grundsätzlich einen Dritten zur Stimmabgabe bevollmächtigten. Allerdings kann die Befugnis der Wohnungseigentümer, sich in den Versammlungen vertreten zu lassen, durch Vereinbarung beschränkt werden (Jennißen, WEG, § 25 Rand Nr. 46 ff.). Hier ergibt sich aus der Teilungserklärung § 14 Abs. 4, dass sich ein Wohnungseigentümer nur durch den Verwalter, seinen Ehegatten oder einen anderen der Wohnungseigentümergemeinschaft auf Grund schriftlicher Vollmacht vertreten lassen kann (Bl. 20 d. A). Dementsprechend hatte die Klägerin unter dem 27.12.2007 den Hausverwalter Ingo Hermes für die Vertretung in der Versammlung bevollmächtigt und diese Vollmacht mit konkreten Weisungen versehen, was so zulässig ist. Durch die Ablehnung dieser Vollmacht seitens der Hausverwaltung ist das Stimmrecht der Klägerin vereitelt worden, was sich auf Grund ihrer Stimmrechtsmehrheit auch kausal auf die angefochtenen Beschlüsse ausgewirkt hat. Die Zurückweisung der Vollmacht unter Hinweis auf eine "Interessenkollision" war nicht zulässig.

11

Im Schreiben vom 28.12.2007 wird die Interessenkollision damit begründet, dass bereits eine Vollmacht seitens der Beklagten vorläge. Entgegen der Auffassung der Hausverwaltung ist jedoch eine Mehrfachvertreung grundsätzlich nicht ausgeschlossen, da der Hausverwalter auf Grund seiner Neutralitätspflicht gehalten ist, für jeden Wohnungseigentümer ordnungsgemäß Erklärungen abzugeben. Dies konnte hier auch auf keine weiteren Probleme stoßen, weil keine pauschale Vertretungsmacht durch die Klägerin erteilt wurde, sondern eine dezidierte mit konkreten Weisungen. Soweit die Hausverwaltung in dem genannten Schreiben schlicht darauf verweist, dass die Klägerin die Beklagte als Bevollmächtigte hätte beauftragen sollne, ist dies vor dem Hintergrund der zu Grunde liegenden langjährigen Streitigkeiten der Parteien in der hier gegebenen sogenannten Zweier-Gemeinschaft ausgeschlossen und fast zynisch, da jedenfalls die Beklagte eindeutig einer solchen Interessenkollision unterliegen würde. Im Ergebnis war also die Beklagte aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation bewußt daran gehindert worden, ihr Stimmrecht auszuüben, wobei insoweit sogar an eine Nichtigkeit der Beschlüsse gedacht werden könnte.

12

Da nach dem Vorstehenden die angefochtenen Beschlüsse antragsgemäß für ungültig zu erklären waren, kommt es auf die weiteren materiellen Einwendungen zu den Beschlüssen nicht an, wobei allerdings angemerkt sein soll, dass die Verteilung der Kehrgebühren, soweit sie nicht nach Miteigentumsanteilen verteilt wurden trotz der klaren Regelung in § 13 Abs. 1 der Teilungserklärung (Bl. 18 d.A.), rechtswidrig sein dürfte. Eine Regelung über eine Verbrauchsverteilung ergibt sich ausdrücklich nur für den Wasserverbrauch, nicht dagegen für übrige Kosten, die als gemeinschaftliche Betriebskosten und damit gem. § 16 Abs. 2 WEG nach Miteigentumsanteilen zu verteilen sind.

13

Die Kostenentscheidung ergibt sich ausnahmsweise gem. § 49 Abs. 2 WEG. Danach können dem Verwalter die Prozesskosten auferlegt werden, soweit die Tätigkeit des Gerichts durch ihn veranlasst wurde und ihn ein grobes Verschulden trifft, auch wenn er nicht Partei des Rechtsstreits ist. Ein solches grobes Verschulden ergibt sich hier durch die vorsätzliche und willkürliche Zurückweisung der Vollmacht der Klägerin. Es ist deshalb billig, die Kosten nicht gem. der §§ 91 ff. BGB zu verteilen, sondern diese gem. § 49 Abs. 2 WEG dem Verwalter aufzuerlegen.

14

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 11 WEG.

Dr. Löffler Richter am Amtsgericht