Amtsgericht Hannover
Urt. v. 26.08.2008, Az.: 534 C 5012/08

Bibliographie

Gericht
AG Hannover
Datum
26.08.2008
Aktenzeichen
534 C 5012/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 46388
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGHANNO:2008:0826.534C5012.08.0A

Fundstelle

  • VersR 2009, 348-349 (Volltext mit red. LS)

In dem Rechtsstreit

...

hat das Amtsgericht Hannover - Abt. 534 - auf die mündliche Verhandlung vom 15.07.2008 durch den Richter am Amtsgericht ...

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Die Klage wird abgewiesen.

  2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der Beklagen durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen Verletzung der Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes in Anspruch.

2

Der Ehemann der Klägerin unterhält bei der Beklagten eine private Kranken- und Pflegeversicherung zur Ergänzung bestehender Beihilfeansprüche. Am 05.01.2008 beantragte die Klägerin als Familienangehörige bei der Beklagten die Aufnahme in diese private Kranken- und Pflegeversicherung. Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin in der 22. Woche schwanger. Die Beklagte bot der Klägerin daraufhin den Abschluss der Versicherung nur unter Ausschluss der Heilbehandlungskosten an, die durch die bestehende Schwangerschaft und anschließende Entbindung entstehen. Daraufhin blieb die Klägerin bis zur Entbindung als freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung, wofür sie bei der Krankenkasse monatlich 234,77 € aufwandte.

3

Die Klägerin meint, sie sei durch die Ablehnung eines uneingeschränkten Krankenversicherungsschutzes durch die Beklagte unberechtigt wegen ihres Geschlechts benachteiligt worden. Sie behauptet, ihr sei ein wirtschaftlicher Schaden insofern entstanden, als die Kranken- und Pflegeversicherung bei der Beklagten als Ergänzung zu einem 70 %igen Beihilfeanspruch monatlich 120,02 € gekostet hätte. Die Differenz von 114,75 € macht sie neben einem Schmerzensgeld bis zum 01.08.2008 geltend, weil dies unter Berücksichtigung der Kündigungsfrist in der gesetzlichen Krankenversicherung nach der Entbindung im Mai der frühest mögliche Termin zum erneuten Wechsel in die private Krankenversicherung gewesen wäre.

4

Die Klägerin beantragt,

  1. 1.

    die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 229,50 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus 114,75 € seit dem 01.03.2008 und aus 229,50 € seit dem 01.04.2008 zu zahlen.

  2. 2.

    Festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin für die Monate Mai bis einschließlich Juli 2008 monatlich 114,75 € zu zahlen.

  3. 3.

    Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zu zahlen.

5

Die Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

6

Sie meint, eine Benachteiligung der Klägerin liege nicht vor, jedenfalls sei diese nicht grundlos erfolgt, weil sie versicherungsrechtlich berechtigt gewesen sei, Versicherungsschutz nur zu bestimmten Bedingungen anzubieten. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) begründe keinen Kontrahierungszwang im Privatrecht.

7

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

9

Der Klägerin stehen gegen die Beklagte keine Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld nach § 21 Abs. 2 AGG zu. Zur Begründung einer unmittelbaren Benachteiligung wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft kann sich die Klägerin zunächst nicht auf § 3 Abs. 1 S. 2 AGG berufen. Dieser verweist auf die Regelungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 AGG, die sämtlichst im Zusammenhang mit einem Beschäftigungs- und Arbeitsverhältnis stehen. Diese Regelung kann die Klägerin nicht auf eine Benachteiligung im Zivilrechtsverkehr nach dem 3. Abschnitt (§§ 19 ff. AGG) übertragen. Eine ergänzende Gesetzesauslegung setzt zunächst eine systemwidrige Regelungslücke voraus, die der Gesetzgeber übersehen hat. Dies ist gerade nicht der Fall, denn der Gesetzgeber hat in den §§ 19 ff. AGG für den Zivilrechtsverkehr und insbesondere in § 19 Abs. 1 Ziff. 2 i.V.m. § 20 Abs. 2 AGG eine Regelung für die privatrechtliche Versicherung getroffen.

10

Dies entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht mit einem zu engen Wortlaut bei Kosten im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschaft die auch bei der Beklagten keine unterschiedlichen Prämien oder Leistungen zur Folge haben. Der von der Beklagten angebotene Vertrag mit Leistungsausschluss beruht lediglich auf einem anerkannten Prinzip risikoadäquater Kalkulation (§ 20 Abs. 2 S. 3 AGG).

11

Zur Begründung einer unmittelbaren Benachteiligung ist eine Vergleichsbetrachtung verschiedener Personen in vergleichbaren Situationen erforderlich (§ 3 Abs. 1 S. 1 AGG). Ansatzpunkt für die Klägerin ist dabei nicht die Überlegung, dass allein Frauen schwanger werden können und insoweit eine unberechtigte Benachteiligung gegenüber Männern vorliegt.

12

Anders als die gesetzliche Krankenversicherung folgt die private Krankenversicherung nicht dem Solidarprinzip, sondern ist eine echte Risikoversicherung. Bei der versicherungsmathematischen Risikobewertung folgt sie gleichen Grundsätzen wie die Sachversicherung. Die Behandlungskosten im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft und der Entbindung gehören zu den versicherten Leistungen und müssen daher von der Beklagten in der Kalkulation einbezogen werden, auch wenn eine Schwangerschaft rein begrifflich weder ein "Risiko" noch eine "Krankheit" darstellt. Das Wesen einer Risikoversicherung liegt darin, dass man die Kosten eines nach statistischen Erhebungen möglichen Eintritts eines Versicherungsfalles von der Versicherung erstattet bekommt, die ihre hierauf zu entrichtende Prämie nach versicherungsmathematischen Grundsätzen berechnet (§ 20 Abs. 2 AGG). Versicherungsmathematisch liegt jedoch kein Risiko mehr vor, wenn der Versicherungsfall bei Antragstellung bereits eingetreten und insoweit zur Gewissheit geworden ist. Daher schließen private Krankenversicherungen als Risikoversicherungen grundsätzlich die Leistungen für solche Versicherungsfälle aus, die als sogenannte "Vorerkrankungen" bereits bei Antragstellung vorhanden sind und vom Versicherungsnehmer mitgebracht werden. Die Kosten der Schwangerschaft und Entbindung sind von der Versicherung umfasst, weshalb sie insoweit der gleichen Betrachtung unterliegen. Hierbei wird die Klägerin genauso behandelt, wie ein Antragsteller, der beispielsweise infolge eines Unfalles einen Knochenbruch erlitten hat, deren weitere Behandlungskosten die Beklagte oder eine andere private Krankenversicherung in Übereinstimmung mit § 20 Abs. 2 AGG ausschließt.

13

Dass die Beklagte von Frauen generell wegen der Möglichkeit einer Schwangerschaft und Mutterschaft höhere Prämien verlangt oder Leistungen hierzu ausschließt, wird nicht dargetan.

14

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Ziff. 11, 711 ZPO.