Amtsgericht Hannover
Urt. v. 21.11.2008, Az.: 537 C 9178/08

Bibliographie

Gericht
AG Hannover
Datum
21.11.2008
Aktenzeichen
537 C 9178/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 46386
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGHANNO:2008:1121.537C9178.08.0A

In dem Rechtsstreit

...

wegen Entschädigung

hat das Amtsgericht Hannover Abt. 537

auf die mündliche Verhandlung vom 24.10.2008

durch den Richter am Amtsgericht Kreimeyer

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Klage und Widerklage werden abgewiesen.

  2. Die Kosten des Rechtsstreit werden gegeneinander aufgehoben.

  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H. von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger ist Mitbürger türkischer Herkunft. Die Beklagte betreibt eine bekannte Diskothek in der hannoverschen Innenstadt. Diese war am 23.03.2008 geschlossen.

2

Mit einem an ... Cocktails und Party" gerichteten Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 20.05.2008 ließ der Kläger eine Entschädigung von  300 € fordern. Man habe ihm am 23.03.2008 aufgrund seiner erkennbaren Herkunft keinen Einlass in die Diskothek gewährt, während andere Gäste nordeuropäischen Aussehens Einlass gefunden hätten. Die zur Akte gelangte Kopie dieses Schreibens trägt den Vermerk: ....eingeworfen am 21.05.2008 ....

3

Im Prozess hat der Kläger nun vorgetragen, die Angabe des Datums beruhe auf einem Irrtum. Tatsächlich sei ihm der Einlass am 22.03.2008 verweigert worden.

4

Er beantragt deshalb, nachdem er die Klage gegen die zunächst beklagte Fa. Living Gastronomiekonzepte GmbH zurückgenommen hat,

  1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine Entschädigung nach Ermessen des Gerichts, mindestens aber  300 € zu zahlen

    und

    die Beklagte zu verpflichten, den Kläger von den nicht anrechenbaren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten auf einen Wert von  300 € freizustellen.

5

Die Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

6

Sie hat Widerklage erhoben und mit dem Antrag,

  1. den Widerbeklagten zu verurteilen, an die Widerklägerin eine Geldentschädigung von 1 000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

7

Der Widerbeklagte beantragt,

  1. die Widerklage abzuweisen.

8

Die Beklagte und Widerklägerin steht auf dem Standpunkt, sich Ihre Gäste selbst aussuchen zu können. Im Übrigen bestreitet sie, den Kläger nicht bzw. aus den von ihm behaupteten Gründen nicht eingelassen zu haben. Mehr als 17 % ihrer Clubgäste seien nichtdeutscher Herkunft, die von ihr eingesetzten Sicherheitsleute ohnehin überwiegend.

9

Sie fühlt sich durch die öffentlich gewordene Darstellung des Klägers in ihren Persönlichkeitsrechten herabgewürdigt und verletzt und verlangt mit der Widerklage einen Ausgleich "immaterieller Schäden".

10

Wegen des weiteren Vertrages der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

11

Klage und Widerklage sind vor dem angerufenen Gericht zulässig. Es ist sowohl sachlich als auch örtlich zuständig.

12

Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf eine Entschädigung aus § 21 Abs. 2 des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes (AGG). Dieser Anspruch ist entsprechend § 21 Abs. 5 AGG an eine zweimonatige Frist gebunden, die der Kläger nicht eingehalten hat.

13

Das Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 20.05.2008 war zur Wahrung der Frist nicht geeignet, wobei schon dahinstehen kann, ob es überhaupt an den richtigen Empfänger adressiert war. Darin wird der 23.03.2008 als der Tag der Rechtsverletzung genannt. An diesem Tage kann der Vorfall sich aber nicht ereignet haben, weil die Diskothek geschlossen war.

14

Diese Falschbezeichnung ist innerhalb der Zweimonatsfrist des § 21 Abs. 5 AGG nicht berichtigt worden. Erst nach Zustellung der Klage ist der Irrtum aufgefallen und die Sachverhaltsdarstellung zur Datierung korrigiert worden. Dies war als reine Berichtigung des Prozessvortrages zwar nach § 264 ZPO zulässig, kann aber nach Fristablauf nicht "analog" auf das Anspruchsschreiben zurückbezogen werden. Dieses unterliegt anders als prozessualer Vortrag materiell-rechtlichen Vorschriften, nämlich denen des AGG bzw. BGB.

15

Die vom Gesetzgeber vorgesehen Frist für das Anspruchsschreiben ist der entsprechenden Vorschrift über das Reiserecht (§ 651g BGB) nachgebildet. Auch dies macht Gewährleistungsansprüche von einer fristgebundenen Anmeldung abhängig, was dem Veranstalter/Rechtsverletzer die zeitnahe Prüfung gegen ihn erhobener Ansprüche ermöglichen soll (vergl. Grüneberg in Palandt BGB Kommentar, 66. Aufl., § 21 AGG, Rndz. 8). Dies ermöglicht das Anspruchsschreiben des Klägers nicht.

16

Richtig ist zwar, das an ein solches Schreiben keine überzogenen oder gar formalistischen Erwartungen gestellt werden dürfen. Ausreichen d ist, wenn der den Anspruch begründende Sachverhalt dem um Verständnis bemühten Anspruchsgegner so hinreichend deutlich dargestellt wird, dass er den Vorgang zweifelsfrei identifizieren und überprüfen kann.

17

Gerade diese Voraussetzungen treffen für das Schreiben des Klägers jedoch nicht zu. Sicherlich hat der Geschäftsführer der Beklagten sofort erkennen können, dass das Datum nicht korrekt war. Die Erkenntnis ermöglichte ihm aber noch nicht die zweifelsfreie Identifizierung des von dem Kläger beanstandeten Vorkommnisses. Worin der Irrtum lag, nämlich welchen Tag der Kläger mit dem 23.03.2008 tatsächlich meinte, war nicht erkennbar. Er konnte den 22.03. meinen, aber auch den 24., den 21. oder irgend einen anderen Tag.

18

Die Fristversäumnis ist nicht unverschuldet. Der Kläger selbst hat das Vorkommnis falsch datiert, sich dies jedenfalls zurechnen zu lassen. Das der Geschäftsführer der Beklagten den Irrtum nicht binnen der Frist aufgeklärt hat, war nicht treuwidrig i.S. des § 242 BGB. Die Parteien stehen nicht in einem Treuepflichtbegründen Vertragsverhältnis. Das Anspruchsschreiben kann ihm außerdem erst unmittelbar vor Fristablauf, nämlich am 21.05.2008 zugegangen sein, wenn wegen der unkorrekten Anschrift überhaupt. Nicht vorwerfbar wäre auch, wenn die Öffnung des Schreibens nicht sofort sondern erst nach einigen Tagen und mithin nach Fristablauf erfolgt wäre.

19

Auch die Widerklage ist unbegründet. Unabhängig von der Frage, ob in der gerichtlichen Verfolgung eines tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen individuellen Anspruchs überhaupt eine schadensersatzbegründende unerlaubte Handlung i.S. des § 823 BGB liegen kann und wie dieser Umstand in die Medien geraten ist, kann die Widerklägerin als Kapitalgesellschaft schon begrifflich keinen "Schmerzensgeldanspruch" haben. Ob ihr materieller Schadensersatz zusteht kann dahinstehen, sie hat konkret entstandenen Schäden nicht beziffert.

20

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

21

Die Berufung des Klägers ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache mag für ihn eine hohe individuelle Bedeutung haben, ist jedoch nicht von grundsätzlicher Bedeutung. In diesem Rechtsstreit kann nur geklärt werden, ob gerade der Kläger infolge einer Rechtverletzung gerade durch die Beklagte einen Entschädigungsanspruch hat. Das ist eine Einzelfallentscheidung. Die Grundsatzfrage, nämlich ob aus Gründen der Herkunft die Teilhabe an Geschäften des täglichen Lebens verweigert werden darf oder nicht, ist mit dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz geklärt. Zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einheitlicher Rechtssprechung ist die Berufung ebenfalls nicht erforderlich. Diese Entscheidung weicht, was die Voraussetzungen an ein Anspruchschreiben anbetrifft, soweit ersichtlich nicht von anderen Entscheidungen der Instanzgerichte ab.

Kreimeyer