Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.02.2023, Az.: 9 LA 259/21

im Willen; anerkannt; Ehe; Familienasyl; Handschuhehe; Imam; ordre public; Registrierung, staatliche; Ritus, religiöser; Stellvertretung; Verfolgerstaat; wirksam; Sog. Handschuhehe als wirksame Ehe i. S. v. § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
09.02.2023
Aktenzeichen
9 LA 259/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 12069
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:0209.9LA259.21.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Stade - 10.08.2021 - AZ: 2 A 2134/17

Fundstellen

  • FamRB 2023, 262
  • NJW 2023, 1233
  • NordÖR 2023, 175-176
  • ZAR 2023, 318

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Ist nach dem Recht des Verfolgerstaates eine Ehe, die allein nach religiösem Ritus vor einem Imam geschlossen wurde, auch ohne staatliche Registrierung wirksam, weil die Registrierung nur deklaratorisch wirkt, ist diese Ehe vom Verfolgerstaat anerkannt und deshalb eine nach Maßgabe der Vorschriften des Familienasyls wirksame Eheschließung (hier bezogen auf Irak).

  2. 2.

    Ein Verstoß gegen den ordre public gemäß Art. 6 EGBGB kann vorliegen, wenn die Anwendung fremden Rechts im Einzelfall mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, wozu insbesondere die Grundrechte gehören, unvereinbar ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29.9.2021 XII ZB 309/21 juris Rn. 19). Dies kann bei einer sog. Stellvertretung im Willen der Fall sein, bei der einer dritten Person die Entscheidung über das Ob der Eheschließung und die Auswahl des Ehepartners überlassen bleibt. Die bloße Stellvertretung in der Erklärung zur Eheschließung wie sie in der Handschuhehe erfolgt führt grundsätzlich nicht zu einer Unvereinbarkeit mit dem ordre public Ob das konkrete Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts aus der Sicht des deutschen Rechts zu missbilligen ist, hängt davon ab, ob im Einzelfall Anhaltspunkte für eine Stellvertretung im Willen bei der Beschließung der Handschuhehe vorliegen.

Tenor:

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 10. August 2021 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 2. Kammer, Einzelrichter - wird abgelehnt.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag der Beklagten, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade zuzulassen, mit dem dieses die Beklagte verpflichtet hat, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, bleibt ohne Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat einen Anspruch des Klägers, eines irakischen Staatsangehörigen muslimischen Glaubens, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 26 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 und 2 AsylG bejaht, weil die Flüchtlingsanerkennung der Ehefrau des Klägers unanfechtbar sei. Es ist zu der Einschätzung gelangt, dass der Kläger im Irak in Abwesenheit seiner Frau nach religiösem Ritus eine sog. Handschuhehe geschlossen habe. Zwar habe der Kläger die Ehe nicht bei einem irakischen Gericht registrieren lassen. Eine Ehe könne jedoch im Irak rechtsgültig auch ohne staatliche Registrierung geschlossen werden, da die grundsätzlich vorgeschriebene Registrierung durch das zuständige Gericht nur deklaratorisch wirke. Der Kläger habe auch glaubhaft gemacht, dass die Ehe bereits im Heimatland bestanden habe. Im Übrigen und die Entscheidung insoweit selbständig tragend, komme es zumindest in den Fällen, in denen das Getrenntleben - wie hier andernfalls anzunehmen - verfolgungsbedingte Gründe gehabt habe, nicht auf den Bestand der ehelichen Lebensgemeinschaft im Herkunftsland an. Die eheliche Lebensgemeinschaft bestehe schließlich auch in der Bundesrepublik fort.

Hiergegen macht die Beklagte die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) und eines Verfahrensfehlers (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG) geltend. Diese Zulassungsgründe greifen jedoch nicht durch.

1. Eine Rechtssache ist grundsätzlich bedeutsam i. S. d. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG, wenn sie eine höchstrichterlich oder - soweit es eine Tatsachenfrage betrifft - obergerichtlich noch nicht beantwortete Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsfähig wäre und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf.

Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG verlangt dementsprechend, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage bezeichnet und erläutert wird, weshalb sie im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren. Des Weiteren muss substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als im angefochtenen Urteil zu entscheiden sein könnte und - im Fall einer Tatsachenfrage - welche (neueren) Erkenntnismittel eine anderslautende Entscheidung nahelegen. Die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer Tatsachenfrage setzt eine intensive, fallbezogene Auseinandersetzung mit den von dem Verwaltungsgericht herangezogenen und bewerteten Erkenntnismitteln voraus. Es reicht nicht, wenn der Zulassungsantragsteller sich lediglich gegen die Würdigung seines Vorbringens durch das Verwaltungsgericht wendet und eine bloße Neubewertung der vom Verwaltungsgericht berücksichtigten Erkenntnismittel verlangt (vgl. Senatsbeschluss vom 23.8.2021 - 9 LA 143/20 - juris Rn. 4).

Gemessen hieran ist die Berufung nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

a) Die Beklagte wirft die Frage auf,

"ob Familienasyl nach § 26 Abs. 1 i. V. m. Abs. 5 AsylG auch dann zu gewähren ist, wenn die nach dem Recht des Verfolgerstaates auch ohne staatliche Registrierung wirksame Ehe dort allein nach religiösem Ritus vor einem Imam in Anwesenheit nur des Bräutigams und mit nachträglicher Bestätigung seitens der Braut geschlossen wurde (sog. "Handschuhehe")."

Diese Frage lässt sich anhand der vorhandenen Rechtsprechung und Literatur grundsätzlich bejahen (hierzu unter aa). Im Übrigen ist ihre Beantwortung von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängig (hierzu unter bb).

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist Ehe im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG (jetzt § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) nur eine bereits im Verfolgerstaat eingegangene und von diesem als Ehe anerkannte und registrierte Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.2.2005 - 1 C 17.03 - juris Rn. 9; s. a. Beschluss vom 11.8.1999 - 9 B 19.99 - juris Rn. 3; Urteil vom 15.12.1992 - 9 C 61.91 - juris Rn. 7). Eine nur nach religiösem Ritus mit Eheschließungswillen eingegangene Verbindung, die der Heimatstaat nicht anerkennt, ist dagegen keine Ehe im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. So ist für eine nach islamischem Ritus in der Türkei geschlossene Ehe (sog. Imam-Ehe) - ungeachtet ihrer langen Tradition, ihrer Verbreitung, ihrer staatlichen Tolerierung und ihres Ansehens - die Anwendbarkeit des Familienasyls mit Blick auf die fehlende Rechtsgültigkeit einer solchen Eheschließung abgelehnt worden (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.2.2005, a. a. O., Rn. 9 m. w. N.).

Demnach ist für die Frage der Wirksamkeit einer Verbindung zwischen Mann und Frau, die nach § 26 AsylG als Ehe den Anspruch auf Gewährung von Familienasyl vermitteln kann, nicht das deutsche Eherecht, sondern das Eherecht des Herkunftsstaates maßgeblich (vgl. NdsOVG, Urteil vom 9.12.2002 - 2 L 3490/96 - juris Rn. 44 m. w. N.). Dies gebietet auch Art. 12 Abs. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention, wonach die von einem Flüchtling vorher erworbenen und sich aus seinem Personalstatut ergebenden Rechte, insbesondere die aus der Eheschließung, von jedem vertragschließenden Staat, gegebenenfalls vorbehaltlich der Formalitäten, die nach dem in diesem Staat geltenden Recht vorgesehen sind, geachtet werden. Auch diese völkerrechtliche Verpflichtung legt es nahe, für die Frage der Rechtsgültigkeit einer Ehe auf das Eherecht des Herkunftsstaates des Asylsuchenden (und nicht auf die Rechtsordnung und das Familienrecht der Bundesrepublik) für den Ehebegriff in § 26 AsylG abzustellen (vgl. NdsOVG, Urteil vom 9.12.2002, a. a. O., Rn. 44; OVG RP, Urteil vom 5.7.1993 - 13 A 10564/92 - NVwZ 1994, 514, 515 [VGH Bayern 17.05.1993 - 24 B 88/30625]). Dies folgt auch aus Art. 11 EGBGB, der für die Frage der formellen Wirksamkeit der Ehe maßgeblich ist. Nach Art. 11 Abs. 1 EGBGB ist ein Rechtsgeschäft formgültig, wenn es die Formerfordernisse des Rechts, das auf das seinen Gegenstand bildende Rechtsverhältnis anzuwenden ist, oder des Rechts des Staates erfüllt, in dem es vorgenommen wird. Gemäß § 11 Abs. 3 EGBGB ist, wenn der Vertrag durch einen Vertreter geschlossen wird, bei Anwendung u. a. des Absatzes 1 der Staat maßgebend, in dem sich der Vertreter befindet. Insoweit kann eine Eheschließung abweichend vom deutschen Recht auch wirksam sein, wenn sie im Ausland nach den dort geltenden Formvorschriften wirksam geschlossen worden ist. Die Möglichkeit, im Ausland durch einen Vertreter eine sog. Handschuhehe schließen zu können, wird im Sinne des Art. 11 EGBGB als Formvorschrift angesehen, für die die Einhaltung der Ortsvorschrift ausreicht (vgl. NdsOVG, Beschluss vom 15.3.2001 - 2 MA 522/01, 2 MB 1050/01 - juris Rn. 15).

Ist nach dem Recht des Verfolgerstaates eine Ehe, die allein nach religiösem Ritus vor einem Imam geschlossen wurde, auch ohne staatliche Registrierung wirksam, weil die Registrierung nur deklaratorisch wirkt - dies unterstellt die Beklagte mit ihrer Frage -, ist diese Ehe vom Verfolgerstaat anerkannt und deshalb eine nach Maßgabe der Vorschriften des Familienasyls wirksame Eheschließung (vgl. VG Berlin, Urteil vom 22.7.2022 - 5 K 361.17 A - juris Rn. 21 = FamRZ 2022, 1460 mit Anmerkung Prof. Dr. Ebert; VG Oldenburg, Urteil vom 2.1.2018 - 3 A 4808/16 - juris Rn. 21; VG Sigmaringen, Beschluss vom 5.12.2011 - A 1 K 677/10 - juris Rn. 3).

Die Anerkennung einer Ehe i. S. d. § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG verlangt in einem solchen Fall, in dem eine Ehe im Verfolgerstaat auch ohne staatliche Registrierung wirksam ist, nicht darüber hinaus, dass eine solche Ehe im Verfolgerstaat registriert ist.

Zwar geht das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 22. Februar 2005 (- 1 C 17.03 - juris Rn. 9) - wie ausgeführt - davon aus, dass nur eine bereits im Verfolgerstaat eingegangene und von diesem als Ehe anerkannte und registrierte Lebensgemeinschaft (Hervorhebung durch den Senat) zwischen Mann und Frau eine Ehe im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist. Die "Registrierung der Lebensgemeinschaft" ist jedoch nicht ein - neben der Anerkennung der Ehe durch den Verfolgerstaat - eigenständiges für eine nach § 26 AsylG beachtliche Ehe erforderliches Merkmal, wenn die Registrierung für die Anerkennung der Ehe nach dem Eherecht des Verfolgerstaates nicht zwingende Voraussetzung ist.

Verlangte man in einem solchen Fall für die Anerkennung einer Ehe i. S. d. § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zusätzlich eine Registrierung der Ehe im Verfolgerstaat, ginge dies über die Anforderungen des ausländischen Eherechts hinaus. Dies widerspräche Art. 11 Abs. 1 Alt. 2 EGBGB, der für die Formgültigkeit eines Rechtsgeschäfts - hier der Ehe - allein auf die Formerfordernisse des Rechts des Staates abstellt, in dem das Rechtsgeschäft vorgenommen wird.

Im Übrigen stellt auch das Bundesverwaltungsgericht maßgeblich auf die staatliche Anerkennung der Ehe im Verfolgerstaat als Voraussetzung für eine nach den Vorschriften des Familienasyls wirksame Eheschließung ab. Nach seiner in dem Urteil vom 22. Februar 2005 zitierten Rechtsprechung ist unter einer Ehe im Sinne des § 26 Abs. 1 AsylVfG (jetzt § 26 AsylG) die mit Eheschließungswillen eingegangene, staatlich anerkannte Lebensgemeinschaft zu verstehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.8.1999 - 9 B 19.99 - juris Rn. 3; Urteil vom 15.12.1992 - 9 C 61.91 - juris Rn. 7). An weitere Bedingungen hat das Bundesverwaltungsgericht die Feststellung einer wirksamen Ehe im Sinne des Familienasyls nicht geknüpft.

Auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 9. Dezember 2002 (- 2 L 3490/96 - juris), das Gegenstand des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Februar 2005 gewesen und von diesem im Ergebnis nicht beanstandet worden ist, nicht eine formelle Registrierung der Lebensgemeinschaft neben einer Anerkennung als Ehe durch den Verfolgerstaat gefordert. In jenem Fall hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht eine wirksame in Syrien staatlich anerkannte Ehe verneint, weil für eine wirksame Eheschließung in Syrien eine staatliche Anerkennung der Ehe durch ein syrisches Gericht erforderlich war, welche die dortige Klägerin nicht hat glaubhaft machen können (Rn. 47, 48). Für das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht war es hingegen nicht entscheidend, ob die Ehe im Verfolgerstaat Syrien registriert war. Vielmehr hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht ausgeführt, dass - selbst wenn die Eheschließung im syrischen Zivilregister eingetragen worden wäre - keine nach § 26 AsylVfG (jetzt § 26 AsylG) beachtliche Ehe vorgelegen hätte, weil nach syrischem Eherecht die bloße Eintragung einer Heirat in das Zivilregister für eine staatliche Anerkennung der Eheschließung nicht konstitutiv sei (Rn. 54).

Ob die Anerkennung der Ehe eine Registrierung im Verfolgerstaat erfordert, hängt deshalb allein vom Recht des jeweiligen Staates ab. Ist dort die formelle Registrierung für die staatliche Anerkennung der Ehe nicht erforderlich, kann man diese nicht fordern. Wird die Ehe dagegen nur unter Beachtung zwingender Formvorschriften als wirksam angesehen, wird man deren Einhaltung verlangen müssen (vgl. Marx, AsylG, Kommentar, 11. Aufl. 2022, § 26 Rn. 10; s. a. VG Berlin, Urteil vom 22.7.2022 - 5 K 361.17 A - juris Rn. 21 = FamRZ 2022, 1460 mit Anmerkung Prof. Dr. Ebert; VG Oldenburg, Urteil vom 2.1.2018 - 3 A 4808/16 - juris Rn. 23; VG Sigmaringen, Beschluss vom 5.12.2011 - A 1 K 677/10 - juris Rn. 3, wonach eine im Irak religiös geschlossene Ehe auch ohne Mitwirkung staatlicher Stellen rechtsgültig sei, weil es zwingende konstitutive Formvorschriften für die Begründung der Ehe nicht gebe und auf die zusätzliche (im Irak rein deklaratorische) Registrierung nicht ankomme).

Ist - wie in dem von der Beklagten mit ihrer Frage unterstellten Fall - nach dem Recht des Verfolgerstaates eine allein nach religiösem Ritus vor einem Imam geschlossene Handschuhehe auch ohne staatliche Registrierung wirksam, folgt hieraus zugleich, dass in einem solchen Fall eine staatliche Registrierung keine zwingende Formvorschrift für die Gültigkeit der Ehe ist. In einem solchen Fall ist die Handschuhehe nach religiösem Ritus vor einem Imam auch ohne eine staatliche Registrierung als Ehe i. S. d. § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG anzuerkennen.

bb) Eine grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage ergibt sich auch nicht im Hinblick auf den Einwand der Beklagten, eine solche Handschuhehe verstoße gegen den ordre public (Art. 6 EGBGB).

Für die Beantwortung der Frage, ob eine Handschuhehe gegen den deutschen ordre public gemäß Art. 6 EGBGB verstößt, kommt es darauf an, ob die Anwendung fremden Rechts im Einzelfall mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, wozu insbesondere die Grundrechte gehören, unvereinbar ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29.9.2021 - XII ZB 309/21 - juris Rn. 19). Diese Frage ist deshalb insoweit nicht allgemeingültig klärungsfähig.

Gemäß Art. 6 EGBGB ist eine Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist. Ein Verstoß gegen den deutschen "ordre public" liegt dabei vor, wenn das Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts sittenwidrig ist oder sonst zu den Grundgedanken und Gerechtigkeitsvorstellungen des deutschen Rechts in untragbarem Widerspruch steht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29.5.1986 - 1 B 20.86 - juris Rn. 6).

Die Beklagte wendet ein, eine nach islamischem Recht geschlossene Handschuhehe böte keinerlei Gewähr dafür, dass die Ehefrau sie freiwillig eingehe. Nach deutschem Recht müssten die Eheschließenden die auf die Eingehung der Ehe gerichteten Erklärungen persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit vor dem Standesbeamten abgegeben (§§ 1310 Abs. 1, 1311 BGB). Auch wenn die Handschuhehe, bei der Stellvertreter an der Trauungszeremonie mitwirkten, von der deutschen Rechtsordnung grundsätzlich anerkannt werde, erscheine es zweifelhaft, ob das auch dann gelten könne, wenn die Ferntrauung allein durch religiösen Ritus vor einem Imam und ohne nachfolgende Registrierung bei einer staatlichen Stelle erfolge. In einem solchen Fall bestehe keinerlei Gewähr dafür, dass die Ehe freiwillig eingegangen worden sei. Dies sei aber ein wesentlicher Grundsatz des deutschen Eherechts.

Es trifft zwar zu, dass eine Handschuhehe von der deutschen Regel des § 1311 BGB abweicht. Nach § 1311 BGB müssen die Eheschließenden die Erklärungen nach § 1310 Abs. 1 BGB, die Ehe miteinander eingehen zu wollen, persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit abgeben.

Ob der Inhalt einer ausländischen Vorschrift den Vorstellungen deutschen Rechts entspricht, ist jedoch für sich genommen unerheblich. Insoweit ist nicht zu prüfen, ob eine Eheschließung nach ausländischem Recht gemessen an Art. 6 Abs. 1 GG allgemeinen Bedenken unterliegt (vgl. BGH, Beschluss vom 29.9.2021 - XII ZB 309/21 - juris Rn. 19). Auch wenn nach deutschem Recht eine Stellvertretung bei der Eheschließung ausscheidet, bedeutet dies nicht zwangsläufig einen ordre-public-Verstoß. Vielmehr stände dies der Wertung des Gesetzes entgegen. Denn nach Art. 11 Abs. 1 EGBGB genügt grundsätzlich die Ortsform. Dies muss auch für im Ausland geschlossene Ehen gelten (vgl. Staudinger/Beiderwieden, jurisPR-IWR 1/2022 Anm. 3). Die bloße Stellvertretung in der Erklärung zur Eheschließung - wie sie in der Handschuhehe erfolgt - führt deshalb grundsätzlich nicht zu einer Unvereinbarkeit mit dem ordre public (vgl. BGH, Beschluss vom 29.9.2021, a. a. O., Rn. 18 ff.; BayOLG, Beschluss vom 28.11.2000 - 1Z BR 59/00 - juris Rn. 13). Der Gesetzgeber hat vielmehr die Wirksamkeit von nach fremdem Ortsrecht geschlossenen Ehen sowohl bei den Beratungen zur Ursprungsfassung der Art. 11 und 13 EGBGB als auch bei den Beratungen zur IPR-Reform 1986 bewusst in seinen Willen aufgenommen (vgl. BGH, Beschluss vom 29.9.2021, a. a. O., Rn. 19).

Allerdings kann ein Verstoß gegen den ordre public gemäß Art. 6 EGBGB - wie bereits ausgeführt - vorliegen, wenn die Anwendung fremden Rechts im Einzelfall mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, wozu insbesondere die Grundrechte gehören, unvereinbar ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29.9.2021 - XII ZB 309/21 - juris Rn. 19; Urteil vom 6.10.2004 - XII ZR 225/01 - juris Rn. 41; vgl. auch D. Baetge in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, Art. 6 EGBGB Rn. 56 m. w. N.).

Dies kann bei einer sog. Stellvertretung "im Willen" der Fall sein. Eine derartige Stellvertretung "im Willen", bei der einer dritten Person die Entscheidung über das "Ob" der Eheschließung und die Auswahl des Ehepartners überlassen bleibt, verstößt gegen die Menschenwürde sowie die Grundrechte auf Eheschließungsfreiheit und auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 30.1.2020 - 12 W 63/19 (PS) - juris Rn. 16; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 8.12.2010 - 3 W 175/10 - juris Rn. 7). Der ordre public ist aber dann nicht verletzt, wenn feststeht, dass die Handschuhehe unter Beteiligung des Stellvertreters gerade mit der Person geschlossen wird, welcher die/der vertretene Verlobte aufgrund eigenen Willensentschlusses tatsächlich zu diesem Zeitpunkt heiraten will (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 8.12.2010, a. a. O., Rn. 7; BayOLG, Beschluss vom 28.11.2000 - 1Z BR 59/00 - juris Rn. 9; Mäsch in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, a. a. O., Art. 13 EGBGB Rn. 46).

Ob das konkrete Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts aus der Sicht des deutschen Rechts zu missbilligen ist, hängt demnach davon ab, ob im Einzelfall Anhaltspunkte für eine Stellvertretung im Willen bei der Beschließung der Handschuhehe vorliegen (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 8.12.2010 - 3 W 175/10 - juris Rn. 7). Dies ist einer grundsätzlichen Klärung im Berufungsverfahren nicht zugänglich.

b) Die weitere von der Beklagten aufgeworfene Frage,

"ob in Fällen, in denen das Getrenntleben im Verfolgerstaat verfolgungsbedingte Gründe hat, es entgegen dem Wortlaut von § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG für die Gewährung von Familienasyl nicht auf den Bestand der ehelichen Lebensgemeinschaft im Verfolgerstaat ankommt,"

ist nicht entscheidungserheblich.

Denn das Verwaltungsgericht ist - seine Entscheidung selbständig tragend - zu der Einschätzung gelangt, dass der Kläger mit seiner Ehefrau im Irak zumindest kurzfristig vor seiner Ausreise in ehelicher Lebensgemeinschaft gelebt habe, und hat deshalb das Tatbestandserfordernis des § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (Bestand der Ehe schon im Verfolgerstaat) als erfüllt angesehen. Diese Feststellung hat die Beklagte nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angefochten (hierzu siehe unter 2.).

Ob die weitere alternative Begründung des Verwaltungsgerichts zutrifft, es komme zumindest in den Fällen, in denen das Getrenntleben - wie hier andernfalls anzunehmen sei - verfolgungsbedingte Gründe gehabt habe, nicht auf den Bestand der ehelichen Lebensgemeinschaft im Herkunftsland an, kann deshalb dahinstehen.

2. Die von der Beklagten erhobene Verfahrensrüge in der Form eines Begründungsmangels (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 6 VwGO) greift nicht durch.

Die Beklagte wendet ohne Erfolg ein, die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass "der Kläger mit seiner Ehefrau zumindest kurzfristig vor seiner Ausreise in ehelicher Lebensgemeinschaft gelebt hat", erscheine willkürlich. Es fehle an jedweder sachbezogenen Begründung.

Als nicht mit Gründen versehen im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO ist eine Entscheidung nur dann anzusehen, wenn die Entscheidungsgründe keine Kenntnis darüber vermitteln, welche tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte für die Entscheidung maßgebend waren, und wenn den Beteiligten und dem Rechtsmittelgericht deshalb die Möglichkeit entzogen ist, die Entscheidung auf ihre inhaltliche Richtigkeit zu überprüfen. Das ist nur dann der Fall, wenn die Entscheidungsgründe vollständig oder zu wesentlichen Teilen des Streitgegenstandes fehlen oder rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder aus sonstigen Gründen derart unbrauchbar sind, dass sie unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet sind, den Urteilstenor zu tragen. Der in § 138 Nr. 6 VwGO vorausgesetzte grobe Verfahrensfehler liegt indessen nicht schon dann vor, wenn die Entscheidungsgründe lediglich unklar, unvollständig, oberflächlich oder unrichtig sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.3.2021 - 4 B 14.20 - juris Rn. 38 m. w. N.).

Bei Anwendung dieses Maßstabs liegt hier ein Begründungsmangel im Sinne von § 138 Nr. 6 VwGO nicht vor.

Das Verwaltungsgericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger mit seiner Ehefrau im Irak zumindest kurzfristig vor seiner Ausreise in ehelicher Lebensgemeinschaft gelebt habe. Es hat gewürdigt, dass der Kläger nicht vortrage, "lange mit seiner Ehefrau im Irak gemeinsam gelebt zu haben", und dass er ausdrücklich erklärt habe, "die Ehe sei im Irak nicht vollzogen worden, wie wohl er bereits vor dem Eheschluss mit seiner zukünftigen Frau geschlafen habe". Das Verwaltungsgericht ist sodann zu der Einschätzung gelangt, dass der Kläger daher nicht den für ihn günstigsten und kaum überprüfbaren Sachverhalt schildere, "sondern einen solchen, der einen Bestand der ehelichen Lebensgemeinschaft im Irak zumindest in Frage" stelle.

Diese Begründung ist nicht mangelhaft i. S. v. § 138 Nr. 6 VwGO.

Das Verwaltungsgericht hat begründet, warum es den Vortrag des Klägers für glaubhaft gehalten hat. Es hat dem Kläger zugutegehalten, dass er einen für sich günstigeren Sachverhalt hätte vortragen können, der kaum überprüfbar gewesen wäre und der den Vortrag, dass die eheliche Lebensgemeinschaft bereits im Irak bestanden habe, bestärkt hätte.

Diese Erwägungen des Verwaltungsgerichts sind weder willkürlich noch sachfremd.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83b AsylG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).