Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 03.02.2023, Az.: 4 ME 6/23

Ausnahme vom artenschutzrechtlichen Zugriffsverbot aus anderen zingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses gemäß § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG; Vorgaben zum Schutz europäischer Vogelarten

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
03.02.2023
Aktenzeichen
4 ME 6/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 11194
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:0203.4ME6.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Stade - 03.01.2023 - AZ: 1 B 1527/22

Fundstellen

  • NordÖR 2023, 232
  • NuR 2023, 269-271

Amtlicher Leitsatz

Trotz der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs mit Urteil vom 26. Januar 2012 - C-192/11 - ist eine auf § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG gestützte Ausnahme von Vorgaben zum Schutz europäischer Vogelarten nicht von Vornherein offensichtlich rechtswidrig.

Tenor:

Die Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade - 1. Kammer - vom 3. Januar 2023 wird zurückgewiesen.

Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde der Beigeladenen gegen den erstinstanzlichen Beschluss hat keinen Erfolg.

Die von der Beigeladenen dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat sich nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen keine Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses, mit dem das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 16. September 2022 gegen die für sofort vollziehbar erklärte Ausnahme von dem artenschutzrechtlichen Zugriffsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG im Bescheid des Antragsgegners vom 30. März 2022 wiederhergestellt hat.

Anders als das Verwaltungsgericht meint, ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers allerdings nicht bereits wegen eines Verstoßes gegen die formellen Anforderungen an die durch den Antragsgegner unter dem 20. Oktober 2022 erfolgte Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheids vom 30. März 2022 wiederherzustellen.

Das Verwaltungsgericht hat einen Verfahrensfehler angenommen, da der Antragsteller vor der Anordnung des Sofortvollzugs nicht angehört worden sei (Beschlussabdruck, S. 4 f.). Der Senat vermag auf der Grundlage des Vorbringens der Beteiligten im Beschwerdeverfahren, insbesondere unter Berücksichtigung der im Beschwerdeverfahren eingereichten Gesprächsnotiz des Leiters des Naturschutzamts des Antragsgegners vom 26. Januar 2023, nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung jedoch nicht festzustellen, dass sich hier aus dem verfassungsunmittelbaren Gebot des fairen Verfahrens eine Pflicht zur Anhörung des Antragstellers vor der Anordnung des Sofortvollzugs bestanden hat, weil sich die Anordnung für diesen als eine Überraschungsentscheidung dargestellt hat, mit welcher er nicht hat rechnen können (zur Anhörungspflicht aus dem Gebot des fairen Verfahrens vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 2.8.2022 - 12 MS 88/22 -, juris Rn. 22 f. m.w.N.).

Nach der Gesprächsnotiz vom 26. Januar 2023 hat der Bevollmächtigte des Antragstellers in dem am 29. September 2022 geführten Telefonat angekündigt, bis zum 17. Oktober 2020 (Anmerkung des Senats: gemeint 2022) im Urlaub zu sein und im Anschluss die im Widerspruch vom 16. September 2022 angekündigte erweiterte Begründung abzugeben. Dass der Leiter des Naturschutzamts in diesem Zusammenhang auch erklärt hat, dass bis dahin auch kein Sofortvollzug der an die Beigeladene erteilten Ausnahmegenehmigung erklärt wird, lässt sich dem Inhalt der Gesprächsnotiz nicht entnehmen. Der genaue Inhalt des am 29. September 2022 geführten Telefonats kann in diesem Verfahren auch nicht weiter ermittelt werden, so dass vom Senat in diesem Verfahren auch nicht geklärt werden kann, wie die Äußerungen des Leiters des Naturschutzamts zur weiteren Vorgehensweise für den Bevollmächtigten des Antragstellers zu verstehen gewesen sind. Der Umstand, dass der Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung der artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung vom 30. März 2022 von der Beigeladenen erst unter dem 30. September 2022 und damit nach dem Telefonat am 29. September 2022 gestellt worden ist, spricht allerdings dafür, dass sich die von dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers wiedergegebene Äußerung des Leiters des Naturschutzamts, "dass er trotz des Interesses der Genehmigungsinhaberin an einer schnellen Erledigung mit der weiteren Bearbeitung des Vorgangs die angekündigte weitere Widerspruchsbegründung für einen angemessenen Zeitraum nach Rückkehr des Unterzeichners abwarten wolle" (Antragsschrift vom 23. Oktober 2022, S. 4), allein auf den Fortgang des Widerspruchverfahrens bezogen haben dürfte und nicht auch auf die weitere Verfahrensweise hinsichtlich einer Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausnahmegenehmigung vom 30. März 2022, die zu diesem Zeitpunkt von der Beigeladenen noch nicht beantragt worden war. Lässt sich nach der in diesem Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung nicht feststellen, dass der Leiter des Naturschutzamts dem Bevollmächtigten des Antragstellers zugesagt hat, vor Eingang einer erweiterten Widerspruchsbegründung auch keinen Sofortvollzug der angegriffenen Genehmigung zu erklären, geht dies zu Lasten des Antragstellers, der sich auf diesen ihn begünstigenden Umstand beruft.

Selbst wenn man von einer entsprechenden mündlichen Zusage und damit zur Vermeidung einer "Überraschungsentscheidung" von einer Pflicht zur Anhörung des Antragstellers vor der Anordnung der sofortigen Vollziehung ausgehen wollte, wäre ein daraus möglicherweise resultierender Anhörungsmangel aber jedenfalls geheilt. Auch soweit eine Pflicht zur Anhörung aus dem verfassungsunmittelbaren Gebot des fairen Verfahrens folgt, kommt eine Nachholung der Anhörung in entsprechender Anwendung des § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG in Betracht (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 19.4.2018 - 11 S 311/18 -, juris Rn. 4, ferner Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 80 Rn. 82 m.w.N.; a.A. Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Werkstand 43. EL August 2022, § 80 VwGO Rn. 261). Eine Heilung setzt danach voraus, dass die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Die Behörde darf sich nicht darauf beschränken, die einmal getroffene Sachentscheidung zu verteidigen, sondern muss das Vorbringen des Betroffenen erkennbar zum Anlass nehmen, die getroffene Entscheidung kritisch zu überdenken (BVerwG, Urt. v. 22.2.2022 - 4 A 7.20 -, juris Rn. 25 m.w.N.). Verfährt die Behörde entsprechend, wird das Äußerungsrecht des Betroffenen gewahrt (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.3.2012 - 3 C 16.11 -, juris Rn. 18; v. 17.12.2015 - 7 C 5.14 -, juris Rn. 17 und v. 6.2. 2019 - 1 A 3.18 -, juris Rn. 23). Wird das Äußerungsrecht im gerichtlichen Verfahren in dieser Weise gewahrt, besteht auch in dem Fall, dass vor der Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts ausnahmsweise eine Pflicht zur Anhörung eines Beteiligten wegen des verfassungsunmittelbaren Gebots des fairen Verfahrens bestanden hat, kein Anlass, die Beteiligten auf die Durchführung eines neuen Verwaltungsverfahrens zur Anordnung der sofortigen Vollziehung und erneute Anhörung in diesem Verfahren zu verweisen.

Ein unterstellter Anhörungsmangel wäre hier nach den vorgenannten Maßgaben geheilt. Der Antragsgegner hat sich mit dem Vorbringen des Antragstellers in seinem Schriftsatz vom 10. November 2022 auseinandergesetzt und mit Schriftsatz vom 30. Januar 2023 klargestellt, dass er sämtliche Kritikpunkte des Antragstellers aus dessen Rechtsschutzgesuch überdacht hat und an der von ihm getroffenen Entscheidung festhält. Das Äußerungsrecht des Antragstellers zur erfolgten Anordnung der sofortigen Vollziehung ist damit hinreichend gewahrt.

Das Verwaltungsgericht hat die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die für sofort vollziehbar erklärte Ausnahmegenehmigung vom 30. März 2022 daneben auch auf eine Abwägung der widerstreitenden Interessen gestützt (Beschlussabdruck, S. 5 ff.). Der Senat folgt dem Verwaltungsgericht, dass die Erfolgsaussichten des Widerspruchs des Antragstellers als offen anzusehen sind. Die daher vorzunehmende Interessenabwägung geht bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Senats zu Lasten der Beigeladenen aus.

Entgegen dem Beschwerdevorbringen der Beigeladenen erweist sich die erteilte Ausnahmegenehmigung nicht als offensichtlich rechtmäßig.

Ob mit Blick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs mit Urteil vom 26. Januar 2012 - C-192/11 - eine Ausnahme von dem artenschutzrechtlichen Zugriffsverbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG bei europäischen Vogelarten (hier Dohle und Waldeule) auf den Ausnahmetatbestand des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG ("aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art") gestützt werden kann, ist - wie vom Verwaltungsgericht aufgezeigt - in der Rechtsprechung der nationalen Gerichte umstritten. Soweit die Beigeladene mit ihrer Beschwerde geltend gemacht hat, dass die obergerichtliche Rechtsprechung (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 12.3.2021 - 7 B 8/21 -, juris Rn. 40 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 20.2.2020 - OVG 11 S 8/20 -, juris Rn. 39) überwiegend davon ausgehe, dass Art. 9 der Richtlinie 2009/147/EG (Vogelschutzrichtlinie) einer Ausnahme nach § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG zugunsten geschützter Vogelarten nicht entgegenstehe, folgt hieraus nicht, dass die hier erteilte Ausnahmegenehmigung "offensichtlich rechtmäßig ist". Auch nach Auffassung des Senats sprechen zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zwar gute Gründe für eine Harmonisierung der Ausnahmemöglichkeiten des Art. 16 der Richtlinie 92/43/EWG (FFH-Richtlinie) und des Art. 9 der Vogelschutzrichtlinie, so dass es nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint, dass auch eine Ausnahme von unionsrechtlichen Vorgaben zum Schutz europäischer Vogelarten auf § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG gestützt werden kann (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 12.3.2021 - 7 B 8/21 -, juris Rn. 40). Dies führt aber lediglich dazu, dass trotz der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs mit Urteil vom 26. Januar 2012 - C-192/11 - eine auf § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG gestützte Ausnahme von Vorgaben zum Schutz europäischer Vogelarten nicht von Vornherein offensichtlich rechtswidrig ist mit der Folge, dass insoweit wegen offener Erfolgsaussichten Raum für eine Interessenabwägung verbleibt, wie sie im Übrigen auch das OVG Nordrhein-Westfalen in dem von der Beigeladenen zitierten Beschluss vorgenommen hat (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 12.3.2021 - 7 B 8/21 -, juris Rn. 51 ff.).

Für den Senat ist nach der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Prüfung auch nicht ersichtlich, dass die erteilte Ausnahmegenehmigung aus anderen Gründen offensichtlich rechtswidrig oder rechtmäßig ist. Die Erfolgsaussichten des vom Antragsteller eingelegten Widerspruchs sind deshalb offen.

Insbesondere ist es entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht offensichtlich, dass "andere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art" im Sinne des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG für die erteilte Ausnahme nicht vorliegen. Öffentliche Interessen sind alle öffentlichen Interessen gleich welcher Art, ausgenommen sind lediglich rein private Belange (Lau in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 3. Aufl. 2021, § 45 BNatSchG Rn. 25). Zwingend sind die Gründe des öffentlichen Interesses, wenn sie einem durch Vernunft und Verantwortungsbewusstsein geleiteten staatlichen Handeln entsprechen. Zwingend bedeutet nicht, dass Sachzwänge vorliegen müssen, denen niemand ausweichen kann, sondern es ist sicherzustellen, dass das betreffende Vorhaben gerade die Verwirklichung des jeweils verfolgten öffentlichen Interesses zum Zweck hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.1. 2000 - 4 C 2.99 -, juris Rn. 39; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 22.8.2022 - 5 S 2372/21 -, juris Rn. 91).

Zwingende öffentliche Interesse in diesem Sinn dürften nach summarischer Prüfung entgegen der Auffassung des Antragstellers vorliegen. Die Ausnahmegenehmigung ist erteilt worden, um die Errichtung eines Nahversorgungszentrums in F. entsprechend den Festsetzungen der Satzung der Gemeinde F. über den Bebauungsplan Nr. 34 "Zwischen B G. und H." zu ermöglichen. Die Beigeladene hat mit ihrer Beschwerdebegründung nachvollziehbar dargelegt, dass die Errichtung eines Nahversorgungszentrums der städtebaulichen Entwicklung, der Erhaltung der Funktionsfähigkeit und Entwicklung des zentralen Versorgungsbereichs "Ortszentrum" sowie der Schaffung von Arbeitsplätzen vor Ort dient. Dass - wie der Antragsteller einwendet - aufgrund der bereits vorhandenen Infrastruktur an Lebensmittelmärkten die Versorgung der Bevölkerung bereits jetzt gewährleistet sei, steht dem Vorliegen eines gewichtigen öffentlichen Interesses an der Errichtung eines Nahversorgungszentrums, welches auch die beeinträchtigten Belange des Artenschutzes überwiegen kann, nicht entgegen. Auch ist entgegen dem Vorbringen des Antragstellers nicht ersichtlich, dass der Bebauungsplan Nr. 34 offensichtlich rechtswidrig und nicht vollzugsfähig ist, weil er gegen Ziele der Raumordnung verstößt. Es spricht vielmehr Überwiegendes dafür, dass sich das geplante Vorhaben an den im Regionalen Raumordnungsprogramm des Antragsgegners im Bereich F. festgesetzten Versorgungskern räumlich "anschmiegt" und städtebaulich integriert ist, wie es die Beigeladene im erstinstanzlichen Verfahren mit ihrem Schriftsatz vom 6. Dezember 2022 dargelegt hat.

Die wegen der offenen Erfolgsaussichten des Widerspruchs vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Vollziehung der ihr erteilten Ausnahmegenehmigung vom 30. März 2022 und dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers geht nach den zum Zeitpunkt der Senatsentscheidung vorliegenden Umständen zum Nachteil der Beigeladenen aus.

Im Rahmen der von den Erfolgsaussichten des Widerspruchs des Antragstellers losgelösten Abwägung der widerstreitenden Interessen fällt maßgeblich ins Gewicht, dass mit der Durchführung der durch den Bescheid vom 30. März 2022 genehmigten Beseitigung einer Fortpflanzungs- und Ruhestätte eines Dohlen-Brutpaares sowie für den Lebensraumverlust von Dohlen (Corvus monedula), einer Fortpflanzungs- und Ruhestätte eines Brutpaares der Waldohreule (Asio otus), eines Zwischenquartiers des Großen Abendseglers (Nyctalus Noctula), eines Zwischenquartiers der Mückenfledermaus (Pipistrellus pygmaeus) sowie von zwei Zwischenquartieren der Rauhautfledermaus (Pipistrellus nathusi) ein nicht mehr revisibler Zustand geschaffen wird, der sich möglicherweise nachteilig auf den Erhaltungszustand der jeweiligen Arten auswirkt.

Ausweislich der artenschutzrechtlichen Ausnahmeprüfung vom 14. Februar 2022, verfasst von der I. Umweltplanung, der J. Stadtentwicklung und Planung GmbH sowie der Beigeladenen, besteht ein Erfordernis für Maßnahmen zur Sicherung des Erhaltungszustands (FCS-Maßnahmen) zwar nur hinsichtlich des Großen Abendseglers und der Mückenfledermaus (Ausnahmeprüfung vom 14. Februar 2022, S. 35 f.), während hinsichtlich der Arten Waldohreule, Dohle und Rauhautfledermaus kein Bedarf an Sicherungsmaßnahmen gesehen wird (Ausnahmeprüfung vom 14. Februar 2022, S. 34 ff.), wobei für die Arten Waldohreule und Dohle freiwillige Maßnahmen befürwortet werden, um in dem von dem Eingriff betroffenen Naturraum den Bestand dieser Arten weiter zu fördern und so zu einer Stabilisierung des landesweiten Bestandstrends beizutragen bzw. eine Verschlechterung des Erhaltungszustands zu vermeiden (Ausnahmeprüfung vom 14. Februar 2022, S. 34 f.). Mit Blick auf die von dem Antragsteller erhobenen Einwände gegen die erfolgte artenschutzrechtliche Ausnahmeprüfung, insbesondere gegen die Wirksamkeit der in Kapitel 5.2 der Ausnahmeprüfung vom 14. Februar 2022 beschriebenen FCS-Maßnahmen zur Sicherung des Erhaltungszustands (S. 37 ff.), die gemäß Ziffer 4 der Verfügung vom 30. März 2022 vor der Beseitigung des hier in Rede stehenden Baumbestands umzusetzen sind, bedürfte es allerdings einer weiteren, wenn auch summarischen Überprüfung der erfolgten artenschutzrechtlichen Ausnahmeprüfung und insbesondere der Wirksamkeit der verfügten FCS-Maßnahmen durch den Senat, um im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Interessen annehmen zu können, dass selbst bei einem nicht revisiblen Wegfall von Fortpflanzungs- und Ruhestätten, Lebensräumen und Zwischenquartieren für die betroffenen Arten keine nachteiligen Auswirkungen für ihren Erhaltungszustand zu erwarten sein dürften. Ließe sich nach summarischer Prüfung eine derartige Feststellung treffen, spräche dies zwar für ein überwiegendes Vollzugsinteresse. Eine auch nur summarische hinreichende Prüfung ist dem Senat aufgrund des sehr knappen Zeitfensters für eine Entscheidung und der umfangreichen Unterlagen zu der erfolgten artenschutzrechtlichen Ausnahmeprüfung in diesem Verfahren auch unter Berücksichtigung der Ausführungen der Beigeladenen in den Schriftsätzen vom 16. November 2022 (S. 17 ff.) und vom 6. Dezember 2022 (S. 8 f.) jedoch nicht mehr möglich, zumal sich der Antragsgegner in diesem Verfahren nicht dezidiert mit den Einwänden des Antragstellers hierzu auseinandergesetzt und aus naturschutzfachlicher Sicht Stellung genommen hat.

Das Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Vollziehung der bis zum 28. Februar 2023 befristeten Ausnahmegenehmigung überwiegt zum Zeitpunkt der Senatsentscheidung nicht das wegen möglicher irrevisibler nachteiliger Folgen für die von der Baumaßnahme betroffenen Arten gewichtige Interesse der Beigeladenen an der Aussetzung der sofortigen Vollziehung der Ausnahmegenehmigung vom 30. März 2022. Insbesondere vermag der Senat auf der Grundlage des Vorbringens der Beigeladenen im Beschwerdeverfahren nicht zu erkennen, dass sie auf den Vollzug der Ausnahmegenehmigung bis zum 28. Februar 2023 zwingend angewiesen ist, um weitere Verzögerungen zu vermeiden, die die Realisierung des Vorhabens gefährden könnten.

Verbleibt es bei der durch das Verwaltungsgericht angeordneten Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers, erledigt sich zwar die erteilte Ausnahmegenehmigung zum 28. Februar 2023 durch Zeitablauf und wegen der Verbotsregelung des § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG könnte die Beigeladene - vorbehaltlich einer Befreiung gemäß § 67 BNatSchG - von einer erneuten Ausnahmegenehmigung des Antragsgegners frühestens ab dem 1. Oktober 2023 Gebrauch machen. Die Beigeladene hat insoweit zwar geltend gemacht, dass es wegen Unwägbarkeiten, insbesondere durch die nicht absehbaren Bau- und Finanzierungskosten zweifelhaft sei, ob die Errichtung des Nahversorgungszentrums im Jahr 2024 oder 2025 noch wirtschaftlich umsetzbar sei. Ohne weitere Angaben zu den erwarteten Auswirkungen auf die Finanzierbarkeit und Wirtschaftlichkeit des Vorhabens bei einem späteren Beginn der Bautätigkeiten ab Oktober 2023 lässt sich für den Senat aber auch im Rahmen einer summarischen Prüfung nicht hinreichend sicher beurteilen, inwieweit die Realisierung des Vorhabens allein durch diese auftretende Verzögerung gefährdet ist.

Hinzu kommt, dass bereits zum jetzigen Zeitpunkt absehbar ist, dass unabhängig von einer Erledigung der zeitlich bis zum 28. Februar 2023 befristeten Ausnahmegenehmigung auch aus anderen Gründen nicht deutlich vor Oktober 2023 mit einem Beginn der Bauarbeiten zu rechnen sein dürfte. Die Beigeladene hat auf Nachfrage des Senats mitgeteilt, dass bei einem Vollzug der Ausnahmegenehmigung vom 30. März 2022 bereits im März 2023 mit der Erteilung einer Baugenehmigung zu rechnen sei und nach Ausschreibung der Bauleistungen sodann im Mai/Juni 2023 mit den erforderlichen Bauarbeiten begonnen werden könne. Nach Mitteilung des Antragsgegners vom 30. Januar 2023 kann die von der Beigeladenen beantragte Baugenehmigung "voraussichtlich im 1. Halbjahr 2023" erteilt werden, wobei aktuell allerdings noch Stellungnahmen der beteiligten Stellen und Behörden als auch vom Vorhabenträger nachgeforderte Bauvorlagen ausstehen. Bei dieser Sachlage ist es fraglich, ob bei einem kurzfristigen Vollzug der Ausnahmegenehmigung bereits tatsächlich im Mai/Juni 2023 mit den Bauarbeiten begonnen werden kann, wie es der von der Beigeladenen mitgeteilte Zeitplan vorsieht. Vielmehr bestehen Anhaltspunkte, dass wegen des Stands des laufenden Baugenehmigungsverfahrens selbst bei einem vollständigen Vollzug der Ausnahmegenehmigung bis zum 28. Februar 2023 mit den erforderlichen Baumaßnahmen ohnehin erst wenige Monate vor Oktober 2023 begonnen werden könnte, so dass sich die eintretende Verzögerung bei einem Ablauf der befristeten Ausnahmegenehmigung dann auf einen relativ kurzen Zeitraum beschränken würde.

Ein überwiegendes Vollzugsinteresse besteht auch nicht deshalb, weil - wie die Beigeladene einwendet - eine vollziehbare artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung nach der "Schlusspunkttheorie" Voraussetzung für die Erteilung der Baugenehmigung ist (zur Schlusspunkttheorie vgl. Senatsbeschl. v. 30.9.2020 - 4 ME 104/20 -, juris Rn. 17). Denn dem Antragsgegner ist es möglich, zeitnah eine erneute Ausnahmegenehmigung von artenschutzrechtlichen Schutzbestimmungen zu erteilen und diese für sofort vollziehbar zu erklären, um zügig die Voraussetzungen für die Erteilung einer Baugenehmigung zu schaffen. Sofern auch insoweit erneut ein Rechtsbehelf des Antragstellers und die Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes zu erwarten sein dürfte, käme es im gerichtlichen Verfahren bei weiterhin bestehenden "offenen" Erfolgsaussichten zwar erneut auf eine Interessenabwägung an. Allerdings wäre in einem gerichtlichen Verfahren dann Raum für eine hinreichende summarische Prüfung der erfolgten artenschutzrechtlichen Ausnahmeprüfung und insbesondere der Wirksamkeit der laut Mitteilung der Beigeladenen mittlerweile zum 24. Januar 2023 umgesetzten FCS-Maßnahmen unter Auseinandersetzung mit den Einwendungen des Antragstellers, die wie aufgezeigt für die vorzunehmende Interessenabwägung von Bedeutung ist und gegebenenfalls ein überwiegendes Vollzugsinteresse der Beigeladenen begründen könnte. Der Senat vermag daher nicht zu erkennen, dass die Realisierung des Vorhabens bei einer Erledigung der erteilten Ausnahmegenehmigung durch Zeitablauf "auf unabsehbare Zeit hinausgeschoben" wird, wie die Beigeladene im Beschwerdeverfahren vorgebracht hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Ziffern 1.2 und 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).