Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.08.2021, Az.: 9 LA 143/20
Afghanistan; Änderung der Sach- und Rechtslage; Antragsfrist; Corona-Pandemie; Folgeantrag; Machtübernahme; Taliban
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 23.08.2021
- Aktenzeichen
- 9 LA 143/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2021, 70917
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 09.06.2020 - AZ: 1 A 875/17
Rechtsgrundlagen
- § 78 Abs 4 AsylVfG1992
- § 78 Abs 4 S 1 AsylVfG 1992
- § 78 Abs 4 S 4 AsylVfG 1992
- § 78 Abs 4 S AsylVfG 1992
- § 60 AufenthG
- § 60 Abs 5 AufenthG
- Art 3 MRK
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Bei der Entscheidung über den Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) sind entscheidungserhebliche Änderungen der Sach- oder Rechtslage nach Erlass der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nur zu berücksichtigen, sofern diese Änderungen innerhalb der Antragsfrist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG hinreichend dargelegt werden. Nach Ablauf der Antragsfrist kann ein innerhalb der Antragsfrist hinreichend dargelegter Zulassungsgrund noch ergänzt werden; neue Zulassungsgründe können aber nicht berücksichtigt werden.
2. Tritt eine wesentliche Änderung der Sachlage nach Ablauf der Antrags- und Begründungsfrist ein, die im Verfahren auf Zulassung der Berufung aus rechtlichen Gründen nicht berücksichtigt werden kann, muss der Kläger auf die Stellung eines Folgeantrags nach § 71 AsylG verwiesen werden.
Tenor:
Die Anträge des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 9. Juni 2020 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück – Einzelrichter der 1. Kammer – sowie auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten werden abgelehnt.
Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Prozesskostenhilfeverfahrens werden nicht erstattet.
Gründe
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück, soweit dieses seine Klage auf Zuerkennung subsidiären Schutzes und hilfsweise auf Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten abgewiesen hat, bleibt ohne Erfolg.
1. Der von dem Kläger im Antragsschriftsatz vom 24. Juli 2020 geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor bzw. ist von ihm nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechenden Weise dargelegt worden.
Eine Rechtssache ist i. S. d. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfrage oder eine obergerichtlich bislang noch nicht beantwortete Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf.
Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG verlangt dementsprechend, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage bezeichnet und erläutert wird, weshalb sie im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren. Des Weiteren muss substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als im angefochtenen Urteil zu entscheiden sein könnte und – im Fall einer Tatsachenfrage – welche (neueren) Erkenntnismittel eine anderslautende Entscheidung nahelegen (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. nur die Senatsbeschlüsse vom 4.3.2019 – 9 LA 189/19 –; vom 31.1.2019 – 9 LA 126/19 –; vom 15.1.2019 – 9 LA 107/19 –; vom 8.1.2019 – 9 LA 97/19 – m. w. N.). Die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer Tatsachenfrage setzt eine intensive, fallbezogene Auseinandersetzung mit den von dem Verwaltungsgericht herangezogenen und bewerteten Erkenntnismitteln voraus. Es reicht nicht, wenn der Zulassungsantragsteller sich lediglich gegen die Würdigung seines Vorbringens durch das Verwaltungsgericht wendet und eine bloße Neubewertung der vom Verwaltungsgericht berücksichtigten Erkenntnismittel verlangt (hierzu Senatsbeschluss vom 3.1.2018 – 9 LA 163/17 –).
Gemessen hieran ist die Berufung im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) über die innerhalb der Frist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG dargelegten Gründe nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Der Kläger, ein afghanischer Staatsangehöriger schiitischer Religionszugehörigkeit, der dem Volk der Hazara angehört und Afghanistan im Alter von 12 Jahren verlassen und vor seiner Einreise nach Deutschland im Iran gelebt hat, wirft in seinem Zulassungsantrag die Frage auf:
„Sind junge, alleinstehende, gesunde Männer ohne Unterhaltsverpflichtungen unter Berücksichtigung der Folgen der Corona-Pandemie für ganz Afghanistan, insbesondere aber auch die großen Städte wie Kabul, Herat oder Masar-i-Sharif, auch ohne verwandtschaftliche Bindungen und entsprechende Unterstützung in der Lage, das für den Lebensunterhalt notwendige Existenzminimum vollständig aus eigener Kraft zu erwirtschaften?“
Diese Frage ist – wie vom Kläger ausdrücklich geltend gemacht – weder im Hinblick auf die mit erstinstanzlichem Urteil versagte Gewährung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG noch hinsichtlich der ebenso versagten Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK bzw. gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für eine fallübergreifende Klärung in einem Berufungsverfahren entscheidungserheblich.
Im Hinblick auf die Gewährung subsidiären Schutzes stellt sich die aufgeworfene Frage bereits nicht, weil das Verwaltungsgericht hierauf im Zusammenhang mit der Feststellung, dass dem Kläger in Afghanistan ein ernsthafter Schaden u. a. auch nicht wegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung drohe, nicht abgestellt hat (S. 12 des Urteilsabdruckes – UA). Die dieser Auffassung des Verwaltungsgerichts zugrundeliegenden Feststellungen hat der Kläger nicht erfolgreich mit Verfahrensrügen angegriffen (hierzu unter 2.).
Soweit das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang nur sehr knapp ausgeführt hat, eine veränderte Beurteilung wegen der Ausbreitung der Corona-Pandemie in Afghanistan ergebe sich auch am Maßstab der Zumutbarkeit der Niederlassung i. S. v. § 3e AsylG nicht, nimmt es damit auf seine Ausführungen Bezug, wonach der Kläger auf eine inländische Fluchtalternative zu verweisen sei (S. 9 ff. UA). Der Senat hat bereits entschieden, dass eine Frage, die auf die Klärung einer inländischen Fluchtalternative i. S. d. § 3e AsylG in Großstädten wie Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat abzielt, einer fallübergreifenden Klärung im Berufungsverfahren nicht zugänglich ist. Ob ein nach Afghanistan zurückkehrender junger erwachsener Mann in den genannten Städten seine Existenz in einer Form sichern kann, dass von ihm i. S. d. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Von Bedeutung sind insoweit z. B. das Alter, die Volks- und Religionszugehörigkeit, der Gesundheitszustand, die Sprachkenntnisse, die schulische und berufliche Bildung, die Berufs- und Lebenserfahrung und eine etwaige familiäre oder sonstige Unterstützung (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.2.2021 – 1 C 4.20 – juris Rn. 31; Senatsbeschluss vom 18.2.2019 – 9 LA 164/19 – juris Rn. 10). Ist die Beantwortung der Frage, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, von den individuellen Umständen in der Person der jeweils schutzsuchenden Person abhängig, kann sie nicht grundsätzlich geklärt werden (so bereits die Senatsbeschlüsse vom 11.3.2021 – 9 LA 340/19 –; 11.12.2020 – 9 LA 294/19 –; vom 11.11.2020 – 9 LA 295/19 – vom 26.4.2019 – 9 LA 153/19 –; vom 10.1.2019 – 9 LA 168/18 – juris Rn. 17).
Die aufgeworfene Frage ist auch nicht entscheidungserheblich, soweit das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Ausnahmefalles im Sinne des § 60 Abs. 5 bzw. der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG verneint. Es hat insoweit darauf abgestellt, dass der junge, gesunde, alleinstehende Kläger bei einer Rückkehr in der Lage wäre, eine Arbeit zu finden und auszuführen, die ihn ausreichend versorge (S. 23 UA). Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht wegen der Ausbreitung des Corona-Virus in Afghanistan (S. 23 ff. UA). Es sei dem Kläger auch zuzumuten, verwandtschaftliche Beziehungen, beispielsweise in den Iran und zu seinem dort lebenden Onkel oder seiner Großmutter zu reaktivieren, um entsprechende Unterstützung (in finanzieller Hinsicht) zu erhalten (S. 33 UA). Diese Feststellung hat der Kläger nicht mit eigenständigen Verfahrensrügen angegriffen.
Unabhängig davon hat der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Frage im Hinblick auf die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK aufgrund der humanitären Lage nicht dargelegt. Soweit er in dem Zulassungsantrag allein auf eine Stellungnahme von Frau Stahlmann vom 27. März 2020 verweist, hat das Verwaltungsgericht diese berücksichtigt und bewertet (S. 27, 28, 29, 30, 31, 32 UA). Der Kläger wendet sich insoweit gegen die Würdigung des Verwaltungsgerichts und verlangt eine bloße Neubewertung des vom Verwaltungsgericht berücksichtigten Erkenntnismittels. Dies genügt nicht den Darlegungsanforderungen.
Aus dem vom Kläger angeführten Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 9. Juli 2020 (– A 11 S 1196/20 –, juris) ergibt sich nichts Anderes. Dieser hatte die Berufung in dem dortigen Verfahren im Hinblick auf die Personengruppe der leistungsfähigen erwachsenen Männer ohne Unterhaltspflichten und ohne bestehendes familiäres oder soziales Netzwerk zugelassen (a. a. O., Rn. 5; siehe nunmehr auch das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 17.12.2020 – A 11 S 2042/20 – juris). Zu dieser Personengruppe gehört der Kläger nach den im Zulassungsverfahren nicht mit eigenständigen Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht.
Die weiteren vom Kläger aufgeworfenen Fragen, ob gegenwärtig die Auszahlung von Rückkehrbeihilfen und ähnlichen finanziellen Unterstützungen nach einer Ausreise wirksam sei und tatsächlich umgesetzt werden könne sowie, ob und inwieweit die Prognose des Verwaltungsgerichts zutreffe, dass es sich dabei nur um den Fall einer Organisation handele, welche die Auszahlung der Beihilfen koordiniere und überdies nicht dauerhaft mit einer Schließung zu rechnen sei, stellen sich – unabhängig davon, dass der Kläger insoweit eine grundsätzliche Bedeutung nicht hinreichend dargelegt hat – nach den voranstehenden Ausführungen im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht angenommene mögliche Unterstützung des Klägers gleichfalls nicht.
2. Die Berufung ist ferner nicht wegen eines Gehörsverstoßes nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Aus der Zulassungsbegründung des Klägers im Antragsschriftsatz vom 24. Juli 2020 ergibt sich keine Verletzung seines Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs.
Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen, soweit das Vorbringen nicht ausnahmsweise aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts unberücksichtigt bleiben muss oder kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.6.2002 – 1 BvR 670/91 – BVerfGE 105, 279 = juris Rn. 99). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht dies getan hat. Es ist nicht gehalten, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen, sondern darf sich auf die für seine Entscheidung leitenden Gründe beschränken. Aus einem Schweigen der Urteilsgründe zu Einzelheiten des Prozessstoffs allein kann daher noch nicht der Schluss gezogen werden, das Gericht habe das Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen. Nur wenn sich aus den besonderen Umständen des Falls ergibt, dass das Gericht seine Pflicht zur Kenntnisnahme und Erwägung entscheidungserheblichen Vorbringens verletzt hat, liegt eine Gehörsversagung vor. Nicht hingegen verpflichtet das Gebot rechtlichen Gehörs das Gericht dazu, dem zur Kenntnis genommenen und erwogenen Vorbringen in der Sache zu folgen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5.11.2018 – 1 B 78.18 – juris Rn. 2).
Ausgehend hiervon hat der Kläger einen Gehörsverstoß nicht dargelegt. Er trägt vor, das Gericht habe entscheidungserheblichen Vortrag nicht beachtet und sich im Rahmen der Prüfung der Gewährung subsidiären Schutzes insbesondere nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob – bei zugleich fehlender innerstaatlicher Fluchtalternative aufgrund der Unzumutbarkeit der dortigen Ansiedlung wegen der Unmöglichkeit eines Lebens oberhalb des Existenzminimums – in seiner Herkunftsregion eine Gefahr einerseits durch den örtlichen Machthaber Alipua und einem von diesem veranlassten zwangsweisen Einsatz im Kampf gegen die Taliban, andererseits durch die Kuchi drohe, die seinen Vater getötet hätten. Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil festgestellt, dass die Zuerkennung subsidiären Schutzes ausscheide. Dem Kläger drohe weder die Todesstrafe noch eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Ihm drohe auch nicht die ernsthafte individuelle Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit als Zivilperson in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts (S. 12 UA). Dass das Verwaltungsgericht insoweit nicht ausdrücklich auf die Ausführungen des Klägers zu seinem Verfolgungsschicksal in der mündlichen Verhandlung Bezug genommen hat, begründet allein keinen Gehörsverstoß. Besondere Umstände, dass das Gericht den Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen eingestellt hätte, sind von dem Kläger weder dargetan noch ersichtlich.
Soweit der Kläger darauf verweist, dass er nach Schluss der mündlichen Verhandlung am 9. Juni 2020 (um 11.55 Uhr) noch mit Schriftsatz vom gleichen Tage (eingegangen um 16.16 Uhr) auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart hingewiesen habe, in dem dem dortigen Kläger aufgrund der widerspruchsfreien Schilderung körperlicher Misshandlungen, Überfällen und der Ausraubung durch Kuchi-Nomaden subsidiärer Schutz gewährt worden ist, wendet er sich – unabhängig davon, ob das Verwaltungsgericht diesen Schriftsatz noch berücksichtigen musste – gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts. Etwaige diesbezügliche Fehler sind grundsätzlich dem sachlichen Recht zuzuordnen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 5.11.2018 – 1 B 78.18 – juris Rn. 5; vom 23.10.2017 – 1 B 144.17 – juris Rn. 6) und nicht nach § 78 AsylG im Berufungszulassungsverfahren angreifbar, da § 78 Abs. 3 AsylG den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils – anders als § 124 Abs. 2 VwGO – nicht kennt. Dass ein schwerwiegender Mangel in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung gegeben ist, der ausnahmsweise einen Verfahrensmangel (und damit unter Umständen eine Gehörsversagung) darstellen könnte, ist nicht ersichtlich. Solche schwerwiegenden Mängel sind insbesondere dann anzunehmen, wenn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3.9.2018 – 1 B 41.18 – juris Rn. 3). Ein Verstoß gegen einer der vorgenannten Grundsätze ist den Darlegungen des Klägers nicht zu entnehmen, zumal der Kläger in der mündlichen Verhandlung keine eigene Verfolgung durch Kuchi-Nomaden geschildert hat, sondern Vorfälle im Zusammenhang mit der Tötung seines Vaters.
3. Die Berufung kann trotz der spätestens mit der Machtübernahme durch die Taliban am 15. August 2021 veränderten tatsächlichen Verhältnisse in Afghanistan nicht zugelassen werden. Der ergänzte Vortrag des Klägers unter I. in dem Schriftsatz vom 13. August 2021 sowie die unter II. dieses Schriftsatzes neu aufgeworfenen, nach Auffassung des Klägers grundsätzlich bedeutsamen Fragen nebst der darauf bezogenen Begründung, verhelfen dem Zulassungsantrag nicht zum Erfolg.
Zwar sind bei der Entscheidung über den Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG grundsätzlich auch entscheidungserhebliche Änderungen der Sach- oder Rechtslage zu berücksichtigen, die erst nach Erlass der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung eingetreten sind; dies gilt jedoch nur für vom Kläger innerhalb der Antragsfrist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG hinreichend dargelegte Änderungen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 30.1.2019 – 13a ZB 17.31111 – juris Rn. 8 m. w. N.; siehe auch bereits Senatsbeschluss vom 16.9.2003 – 9 LA 218/03 – juris). Hieraus folgt, dass der Vortrag neuer, selbstständiger Zulassungsgründe nach Ablauf der Antragsfrist nicht berücksichtigt werden kann, hingegen ein innerhalb der Antragsfrist hinreichend dargelegter Zulassungsgrund noch ergänzt werden kann (vgl. auch GK-AsylG, Stand: August 2021, § 78 Rn. 548 f.). Eine für grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage muss bereits im Zulassungsantrag in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechenden Weise dargelegt werden. Nach Fristablauf kann eine unzureichende Begründung nicht nachgeholt, sondern nur eine zureichende Begründung vertieft werden (vgl. GK-AsylG, a. a. O., § 78 Rn. 547, 548). Anderenfalls könnten (ergänzende) Ausführungen nach Ablauf der Antragsfrist einen Darlegungsmangel heilen und hierdurch die strenge Fristenregelung in § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG unterlaufen werden.
Dies zugrunde gelegt, sind die im Hinblick auf die bereits geltend gemachte Grundsatzfrage aufgrund der aktuellen Entwicklung ergänzten Ausführungen des Klägers unter I. des Schriftsatzes vom 13. August 2021 zum Vormarsch der Taliban, zur Destabilisierung der Sicherheitslage und zur Aussetzung von Abschiebungen nach Afghanistan durch die Beklagte schon deswegen nicht zu berücksichtigen, weil der Kläger – wie bereits ausgeführt – in seinem fristgerecht eingereichten Zulassungsantrag vom 24. Juli 2020 eine grundsätzliche Bedeutung der von ihm aufgeworfenen Frage nicht hinreichend dargelegt hat. Außerdem betrifft der ergänzte Vortrag des Klägers zur veränderten Sicherheitslage (bis zum 13. August 2021) nicht die von ihm aufgeworfene Frage zu den Folgen der Corona-Pandemie für die Erwirtschaftung des notwendigen Existenzminimums.
Die von dem Kläger in seinem Schriftsatz vom 13. August 2021 unter II. ausdrücklich zur Ergänzung der bereits aufgeworfenen Grundsatzfrage neu formulierten Fragen sind – unabhängig davon, ob der Kläger insoweit eine grundsätzliche Bedeutung darlegt bzw. eine solche vor dem Hintergrund der sich seit dem 15. August 2021 völlig veränderten Lage in Afghanistan (noch) gegeben wäre – nicht zu berücksichtigen, denn diese Fragen hat der Klägers ersichtlich erst nach Ablauf der Antragsfrist gestellt. Es handelt es sich bei den Ausführungen des Klägers unter II. seines Schriftsatzes vom 13. August 2021 auch nicht um eine (zulässige) Ergänzung seines fristgerecht erfolgten Zulassungsantrages zu der ursprünglich aufgeworfenen Grundsatzfrage, denn sie beziehen sich ausdrücklich nur auf die in diesem Abschnitt ergänzten, neuen aufgeworfenen Fragen. Selbst wenn man das Vorbringen auch als Ergänzung des bisherigen Vortrages im Zulassungsantrag verstünde, wären sie ebenfalls deswegen unbeachtlich, weil der Kläger in seinem Zulassungsantrag eine grundsätzliche Bedeutung der von ihm dort aufgeworfenen Frage nicht hinreichend dargelegt hat.
Kann danach eine wesentliche Änderung der Sachlage aus rechtlichen Gründen nach Ablauf der Antragsfrist aus § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG im Verfahren auf Zulassung der Berufung nicht berücksichtigt werden, muss der Kläger auf die Stellung eines Folgeantrags nach § 71 AsylG verwiesen werden (vgl. BayVGH, Beschluss vom 30.1.2019, a. a. O., Rn. 8). Insofern indizieren die nach Ablauf der Antragsfrist neu aufgeworfenen Fragen entgegen der Auffassung des Klägers auch bei einem unterstellten Klärungsbedarf nicht die Zulassung der Berufung.
Die Bewilligung der von dem Kläger beantragten Prozesskostenhilfe kommt nicht in Betracht, weil sein Antrag auf Zulassung der Berufung nicht die nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht bietet. Aus diesem Grund war auch dem Beiordnungsantrag nicht stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylG sowie auf § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).