Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 17.02.2023, Az.: 4 LA 127/22

Besetzungsrüge; Geschäftsverteilungsplan; Besetzungsrüge

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
17.02.2023
Aktenzeichen
4 LA 127/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 12068
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:0217.4LA127.22.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 04.05.2022 - AZ: 3 A 216/19

Fundstellen

  • AUAS 2023, 75-78
  • NordÖR 2023, 296

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die zulässige Rüge einer fehlerhaften Besetzung des Gerichts (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 1 VwGO) erfordert eine Auseinandersetzung mit den Einzelheiten der einschlägigen Geschäftsverteilung sowie gegebenenfalls die Einholung von Erkundigungen und die Vornahme eigener Ermittlungen, um sich über das Vorgehen des Gerichts Aufklärung zu verschaffen.

  2. 2.

    Eine vorschriftswidrige Besetzung im Sinne des § 138 Nr. 1 VwGO ist nur dann gegeben, wenn in dem behaupteten Verstoß gegen die Vorschriften zur Geschäftsverteilung nach § 4 VwGO i.V.m. § 21e GVG zugleich ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG liegt. Mängel bei der Auslegung und Anwendung eines Geschäftsverteilungsplans im Einzelfall begründen einen solchen Verfassungsverstoß nur, wenn sie auf unvertretbaren, mithin sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruhen.

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichter der 3. Kammer - vom 4. Mai 2022 wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist nicht wegen eines mit dem Zulassungsantrag geltend gemachten Verfahrensmangels (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nrn. 1 und 6 VwGO) zuzulassen.

Die von der Klägerin erhobene Rüge einer fehlerhaften Besetzung des Gerichts (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 1 VwGO) ist nur dann zulässig vorgebracht, wenn die den geltend gemachten Mangel begründenden Tatsachen in einer Weise vorgetragen werden, die dem Rechtsmittelgericht deren Beurteilung ermöglicht (BVerwG, Beschl. v. 10.12. 2020 - 2 B 6.20 -, juris Rn. 14). Dies erfordert eine Auseinandersetzung mit den Einzelheiten der einschlägigen Geschäftsverteilung sowie gegebenenfalls die Einholung von Erkundigungen und die Vornahme eigener Ermittlungen, um sich über das Vorgehen des Gerichts Aufklärung zu verschaffen (BVerwG, Beschl. v. 10.12. 2020 - 2 B 6.20 -, juris Rn. 14).

Diesen Anforderungen genügt die von der Klägerin erhobene Besetzungsrüge bereits deshalb nicht, weil sie sich weder mit den §§ 7 Abs. 3 Satz 1 und 11 Abs. 1 des Geschäftsverteilungsplans des Verwaltungsgerichts Hannover für das Geschäftsjahr 2022 vom 16. Dezember 2021, auf den der erkennende Einzelrichter der 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover seine Zuständigkeit gestützt hat, noch mit der hierauf bezogenen Begründung (Urteilsabdruck, S. 7) inhaltlich auseinandergesetzt hat. Der Einwand der Klägerin, das Gericht habe ihr "wesentliches Begehren" verkannt, es seien die "Verhältnisse in Somalia" maßgeblich und "die Prüfung der Zustände in Somalia könne nicht akzessorisch sein zu den Prüfungen der Zustände in Äthiopien", stellt keine hinreichende Auseinandersetzung mit den vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Regelungen zur Geschäftsverteilung dar.

Eine vorschriftswidrige Besetzung eines Gerichts im Sinne des § 138 Nr. 1 VwGO ist im Übrigen der Sache nach nur dann gegeben, wenn in dem behaupteten Verstoß gegen die Vorschriften zur Geschäftsverteilung nach § 4 VwGO i.V.m. § 21e GVG zugleich ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG liegt. Mängel bei der Auslegung und Anwendung eines Geschäftsverteilungsplans im Einzelfall begründen einen solchen Verfassungsverstoß nur, wenn sie auf unvertretbaren, mithin sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruhen (BVerwG, Beschl. v. 10.2.2022 - 8 B 3.22 -, juris Rn. 16 m.w.N.). Allein die unrichtige Handhabung des Geschäftsverteilungsplans rechtfertigt daher nicht die Rüge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts nach § 138 Nr. 1 VwGO (BVerwG, Urt. v. 22.2.2012 - 6 C 11.11 -, juris Rn. 14 m.w.N.). Der Senat vermag eine unvertretbare, mithin sachfremde und damit willkürliche Auslegung und Anwendung des Geschäftsverteilungsplans durch das Verwaltungsgericht nicht festzustellen.

Nach § 11 Abs. 1 des Geschäftsverteilungsplans 2022 ist für die bis zum 31. Dezember 2020 eingegangenen Verfahren die Kammer zuständig, bei der sie registriert wurden. Das Verfahren zu dem Aktenzeichen hat die Klage der Klägerin gegen den Bescheid der Beklagten vom 7. November 2018 zum Gegenstand, mit welchem u.a. der Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens als unzulässig abgelehnt wird (Nr. 1 des Bescheids), festgestellt wird, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 2 des Bescheids), und der Klägerin die Abschiebung nach Äthiopien angedroht wird (Nr. 3 des Bescheids). Die Beklagte hat bei ihrer Entscheidung die äthiopische Staatsbürgerschaft der Klägerin zugrunde gelegt. Die Klage gegen diesen Bescheid ist am 7. Januar 2019 und damit vor dem 31. Dezember 2020 in der 3. Kammer des erkennenden Gerichts registriert worden, welche im Geschäftsjahr 2019 nach § 5 Nr. 3 j) des Geschäftsverteilungsplans 2019 des Verwaltungsgerichts Hannover vom 26. November 2018 für asylrechtliche Verfahren betreffend Staatsangehörige aus Äthiopien zuständig gewesen ist. Die 3. Kammer ist damit zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung für das zum Aktenzeichen geführte Verfahren zuständig gewesen.

Die Annahme des erkennenden Einzelrichters der Vorinstanz, dass die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts auch für die Entscheidung in dem zunächst zu dem Aktenzeichen 3 A 5318/21 geführten Verfahren zuständig gewesen ist, beruht nicht auf unvertretbaren, mithin sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen.

Das zunächst unter dem Aktenzeichen 3 A 5318/21 geführte Verfahren hat die isoliert erhobene Klage der Klägerin gegen den Bescheid der Beklagten vom 7. September 2021 zum Gegenstand, mit welchem die durch Bescheid vom 7. November 2018 erlassene Abschiebungsandrohung dahingehend geändert worden ist, dass die Klägerin für den Fall, dass sie der Ausreiseaufforderung nicht nachkommt, nach Somalia abgeschoben wird. Dieses Verfahren ist am 15. September 2021 beim Verwaltungsgericht eingegangen und durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichter der 3. Kammer - vom 19. April 2022 mit dem Verfahren gemäß § 93 Satz 1 VwGO zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und unter dem Aktenzeichen fortgeführt worden.

Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 des Geschäftsverteilungsplans 2022 bleibt für die bis zum 31. Dezember 2021 eingegangenen Verfahren die bisher zuständige Kammer zuständig. Für die gegen den Bescheid vom 7. September 2021 erhobene Klage ist daher die Kammerzuständigkeit nach Maßgabe des Geschäftsverteilungsplans des Verwaltungsgerichts Hannover für das Geschäftsjahr 2021 vom 29. Juli 2021 maßgeblich gewesen. Nach § 5 Nr. 3 j) des Geschäftsverteilungsplans 2021 ist die 3. Kammer zuständig für asylrechtliche Verfahren betreffend Staatsangehörige aus Äthiopien. Für asylrechtliche Verfahren betreffend Staatsangehörige aus Somalia ist hingegen gemäß § 5 Nr. 4 m) des Geschäftsverteilungsplans 2021 die Zuständigkeit der 4. Kammer gegeben. Nach § 7 Abs. 3 Satz 1 des Geschäftsverteilungsplans 2021 bestimmt sich die Zuteilung der Asylsachen nach der Staatsangehörigkeit bzw. Herkunft des Ausländers, die die Ausländerbehörde bzw. das C. ihrer Entscheidung zugrunde legen, es sei denn, die anderweitige Staatsangehörigkeit bzw. Herkunft des Ausländers stehen fest.

Da die Beklagte in dem Bescheid vom 7. September 2021 eine somalische Staatsangehörigkeit der Klägerin zugrunde gelegt und die durch Bescheid vom 7. November 2018 erlassene Abschiebungsandrohung hinsichtlich des Ziellands einer möglichen Abschiebung entsprechend geändert hat, spricht bei isolierter Betrachtung des Bescheids vom 7. September 2021 einiges dafür, für die hiergegen separat erhobene Klage gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 des Geschäftsverteilungsplans 2021 eine (bisherige) Zuständigkeit der 4. Kammer anzunehmen. Allerdings ist es nicht unvertretbar und willkürlich, zur Bestimmung der Zuständigkeit für die Klage gegen den Bescheid vom 7. September 2021 zu berücksichtigen, dass es sich bei diesem Bescheid um einen Änderungsbescheid handelt, der den Bescheid vom 7. November 2018 nicht vollständig ersetzt. Da die Beklagte in dem Ausgangsbescheid vom 7. November 2018 die äthiopische Staatbürgerschaft der Klägerin zugrunde gelegt und im Änderungsbescheid vom 7. September 2021 ausdrücklich offengelassen hat, ob die Klägerin neben der somalischen Staatsangehörigkeit die äthiopische besitzt (Bescheid, S. 2), steht es den Regelungen des Geschäftsverteilungsplans nicht offensichtlich nach jeder Betrachtungsweise entgegen, in dieser Konstellation eine Zuständigkeit der 3. Kammer anzunehmen. Eine ausdrückliche Regelung, wonach in dem Fall, dass die Behörde im anhängigen Gerichtsverfahren eine Entscheidung trifft, mit der sie die Staatsangehörigkeit oder die Bestimmung des Herkunftslandes des Ausländers ändert, allein diese Behördenentscheidung für die Zuteilung der Asylsache maßgeblich ist (so nunmehr § 7 Abs. 3 Satz 2 des Geschäftsverteilungsplans 2023 des Verwaltungsgerichts Hannover vom 15. Dezember 2022), enthält der insoweit maßgebliche Geschäftsverteilungsplan 2021 nicht.

Die Berufung ist auch nicht wegen des geltend gemachten Verfahrensmangels einer nicht mit Gründen versehenen Entscheidung zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 6 VwGO).

Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist - anders als die Klägerin meint - mit Gründen versehen. Es begründet keinen Verfahrensmangel im Sinne von § 138 Nr. 6 VwGO, dass das mit Tatbestand, Entscheidungsgründen und Rechtsmittelbelehrung versehene vollständige Urteil am 30. September 2022 der Geschäftsstelle übergeben worden ist. Wird das Urteil - wie hier - statt der Verkündung zugestellt, so genügt für die Einhaltung der Frist gemäß § 116 Abs. 2 VwGO zur Übergabe des Urteils binnen zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung an die Geschäftsstelle die Übergabe der unterschriebenen Urteilsformel. Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung sind dann entsprechend § 117 Abs. 4 Satz 2 Hs. 2 VwGO alsbald nachträglich niederzulegen (BVerwG, Beschl. v. 18.6.2010 - 8 B 116.09 -, juris Rn. 9 m. w. N.; Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 116 Rn. 11 m. w. N.). Nicht mit Gründen versehen ist ein Urteil bei dieser Vorgehensweise des Gerichts erst dann, wenn zwischen der Übermittlung der unterschriebenen Urteilsformel an die Geschäftsstelle und der Niederlegung des vollständigen Urteils ein Zeitraum von mehr als fünf Monaten verstrichen ist (BVerwG, Beschl. v. 11.5.2015 - 7 B 18.14 -, juris Rn. 10 und Urt. v. 30.5.2012 - 9 C 5.11 -, juris Rn. 23 m. w. N.).

Die durch eine qualifizierte Signatur unterschriebene (vgl. § 55a Abs. 7 Satz 1 VwGO) Urteilsformel ist am 5. Mai 2022 und damit innerhalb von zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung am 4. Mai 2022 (Fristende am 18. Mai 2022) an die Geschäftsstelle übergeben worden. Das ebenfalls mittels qualifizierter Signatur unterschriebene und mit Tatbestand, Entscheidungsgründen und Rechtsmittelbelehrung versehene vollständige Urteil ist am 30. September 2022 und damit innerhalb der Frist von fünf Monaten nach der Übergabe der unterschriebenen Urteilsformel (Fristende am 5. Oktober 2022) bei der Geschäftsstelle niederlegt worden. Wird die Frist von fünf Monaten gewahrt, so kann ein Urteil zwar auch dann als nicht mit Gründen versehen gelten, wenn zu dem Zeitablauf als solchem besondere Umstände hinzutreten, die bereits wegen des Zeitablaufs bestehende Zweifel zu der Annahme verdichten, dass der gesetzlich geforderte Zusammenhang zwischen der Urteilsfindung und den schriftlich niedergelegten Gründen nicht mehr gewahrt ist (BVerwG, Beschl. v. 22.9.2022 - 5 B 33.21 -, juris Rn. 39 und v. 19.9.2013 - 9 B 20.13, 9 B 21.13 -, juris Rn. 3 m. w. N.). Derartige besondere Umstände liegen indes nicht vor. Insbesondere sind besondere Umstände nicht darin zu erblicken, dass es - wie der Klägerin geltend gemacht hat - "zahlreiche Anlagen von Beiakten gibt, die ebenfalls der Prüfung des Gerichts unterliegen". Denn hieraus allein kann nicht geschlossen werden, dass es vorliegend in besondere Weise auf das Erinnerungsvermögen des erkennenden Richters angekommen ist.

Die Berufung ist auch nicht wegen einer von der Klägerin geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).

Eine Rechtssache ist nur dann im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine höchstrichterlich oder obergerichtlich bislang noch nicht beantwortete Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf (Senatsbeschl. v. 20.8.2015 - 4 LA 107/15 - u.v. 21.7.2015 - 4 LA 224/15 -; GK-AsylG, § 78 Rn. 88 ff. m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, § 78 AsylG Rn. 15 ff. m.w.N.). Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache im Sinne des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG erfordert daher, dass eine derartige Frage konkret bezeichnet und darüber hinaus erläutert worden ist, warum sie im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren. Des Weiteren muss substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als im angefochtenen Urteil zu entscheiden sein könnte und - im Falle einer Tatsachenfrage - welche neueren Erkenntnismittel eine anderslautende Entscheidung nahelegen (Senatsbeschl. v. 20.8.2015 - 4 LA 107/15 - u.v. 21.7.2015 - 4 LA 224/15-; GK-AsylG, § 78 Rn. 591 ff. m.w.N.). Im Rahmen dieser Darlegung ist eine konkrete und im Einzelnen begründete Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung geboten (BVerwG, Beschl. v. 2.5.2022 - 1 B 39.22 -, juris Rn. 18, 21; Senatsbeschl. v. 9.8.2018 - 4 LA 140/18 - m. w. N.).

Gemessen an diesen Vorgaben ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache von der Klägerin nicht hinreichend dargelegt worden.

Die Klägerin hat im Rahmen der von ihr erhobenen Grundsatzrüge folgende von ihr als klärungsbedürftig bezeichnete Frage formuliert: "Ist eine nationale Regelung, nach der ein Antrag auf internationalen Schutz als unzulässiger Folgeantrag abgelehnt werden kann, mit Artikel 33 Abs. 2 d und 2 q Richtlinie 2013/32/EU vereinbar, wenn das erfolglose erste Asylverfahren in einem anderen Mitgliedstaat der EU durchgeführt wurde?"

Das Verwaltungsgericht hat diese Frage "auch in Anbetracht des Vorabentscheidungsersuchens des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts (vom 16.08.2021 - 9 A 178/21, juris) zu ebenjener Frage der Europarechtskonformität dieser Vorschriften" unter ausführlicher Auseinandersetzung mit dem Wortlaut von Art. 2 Buchst. q) und Art. 33 Abs. 2 Buchst. d) der Richtlinie 2013/32/EU sowie unter Berücksichtigung einer systematischen und teleologischen Auslegung der Regelungen dieser Richtlinie bejaht (Urteilsabdruck, S. 9 ff.). Soweit die Klägerin mit ihrem Zulassungsantrag geltend gemacht hat, dass der 8. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts mit Blick auf das Vorabentscheidungsersuchen des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts davon ausgehe, dass die Unionsrechtskonformität von § 71a AsylG vorläufig nicht weiter unter dem Gesichtspunkt der "acte clair"- Doktrin bejaht werden könne (Nds. OVG, Beschl. v. vom 22.6.2022 - 8 MC 74/22 -, juris Rn. 9), liegt hierin keine im Einzelnen begründete Auseinandersetzung mit den Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung, wie es die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache erfordert. Der bloße Hinweis auf das Vorabentscheidungsersuchen des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts durch Beschluss vom 16. August 2021 - 9 A 178/21 - und den Beschluss des 8. Senats des erkennenden Gerichts vom 22. August 2022 - 8 MC 74/22 - genügt diesen Anforderungen bereits deshalb nicht, weil sich diese Entscheidungen auf eine Konstellation bezogen haben, in denen das (erfolglose) erste Asylverfahren in Dänemark durchgeführt worden ist, welches zwar ein Mitgliedstaat der Europäischen Union ist, jedoch ausweislich der Erwägungsgründe Nr. 51 der Richtlinie 2011/95/EU und Nr. 59 der Richtlinie 2013/32/EU nicht an der Annahme dieser Richtlinien beteiligt und weder durch sie gebunden noch zu ihrer Anwendung verpflichtet ist (zum Nichtvorliegen eines "Folgeantrags" im Sinne von Art. 2 Buchst. q) und Art. 33 Abs. 2 Buchst. d) der Richtlinie 2013/32/EU in dieser Konstellation vgl. nunmehr EuGH, Urt. v. 22.9.2022 - C 497/21 -, juris Rn. 40 ff.). Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der von der Klägerin formulierten Frage hätte daher mit dem Zulassungsantrag ausgeführt werden müssen, aus welchen Gründen entgegen der Begründung des Verwaltungsgerichts ein Antrag auf internationalen Schutz auch dann nicht als unzulässiger Folgeantrag abgelehnt werden dürfe, wenn das erste Asylverfahren in einem Mitgliedstaat der Union durchgeführt worden ist, welches im Gegensatz zu Dänemark durch die Richtlinien 2011/95/EU und 2013/32/EU gebunden und zu ihrer Anwendung verpflichtet ist. Hieran fehlt es indes im Zulassungsantrag.

Soweit die Klägerin des Weiteren die Grundsatzrüge erhoben hat, "was die Abschiebung nach Somalia angeht", hat sie eine klärungsbedürftige und einzelfallübergreifende Frage nicht konkret bezeichnet, wie es die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache erfordert.

Die Berufung ist schließlich nicht wegen einer von der Klägerin geltend gemachten Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) zuzulassen.

Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil keinen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt, der mit einem in einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts aufgestellten, dieselbe Rechts- oder Tatsachenfrage betreffenden oder einem in einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten, dieselbe Rechtsfrage betreffenden und die Entscheidung tragenden Rechtssatz nicht übereinstimmt. Divergenzfähig ist eine Entscheidung eines der genannten Gerichte, wenn sie eine materiell-rechtliche Frage oder eine Tatsachenfrage verbindlich und abschließend klärt (GK-AsylG, § 78 Rn. 161 ff. m.w.N.; ferner Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Werkstand: 43. EL August 2022, § 124 VwGO Rn. 40). Auch Entscheidungen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes können divergenzfähige Rechtssätze enthalten, wenn eine materiell-rechtliche Frage nicht nur summarisch geprüft, sondern abschließend beantwortet und dabei ein abstrakter Rechtssatz aufgestellt wird (VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 17.9.2013 - 3 S 1727/13 -, juris Rn. 3; ferner Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Werkstand: 43. EL August 2022, § 124 VwGO Rn. 40).

Einen divergenzfähigen Rechtssatz, von dem die erstinstanzliche Entscheidung abweicht, enthält der in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangene Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 22. Juni 2022 - 8 MC 74/22 - nicht. Denn in diesem Beschluss wird nicht der der erstinstanzlichen Entscheidung entgegenstehende Rechtssatz aufgestellt, dass eine nationale Regelung, nach der ein Antrag auf internationalen Schutz als unzulässiger Folgeantrag abgelehnt werden kann, mit Art. 2 Buchst. q) und Art. 33 Abs. 2 Buchst. d) der Richtlinie 2013/32/EU nicht vereinbar sei, wenn das erfolglose erste Asylverfahren in einem anderen Mitgliedstaat der EU durchgeführt worden sei. In dieser Entscheidung heißt es vielmehr, dass die Unionsrechtskonformität von § 71a AsylG zu den in dem Vorlagebeschluss aufgezählten Fragen vorläufig nicht weiter unter dem Gesichtspunkt der "acte clair"- Doktrin bejaht werden könne (Nds. OVG, Beschl. v. 8.6.2022 - 8 MC 74/22 -, juris Rn 9). Dies stellt jedoch keine abschließende materiell-rechtliche Prüfung und Beantwortung einer konkreten Rechtsfrage dar. Ein divergenzfähiger Rechtssatz, von dem das Verwaltungsgericht mit seiner Entscheidung hätte abweichen können, wird hierdurch nicht aufgestellt.

Soweit die Klägerin im Rahmen der Divergenzrüge auch die Grundsatzrüge "hilfsweise" erhoben hat, führt dies nicht zur Zulassung der Berufung. Denn die Klägerin hat mit der von ihr erhobenen Grundsatzrüge die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache - wie bereits ausgeführt - nicht hinreichend dargelegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).