Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 15.05.2023, Az.: 2 LB 444/19

Beweiserleichterung; Hayat Tahrir al-Sham; HTS; Idlib; IS; Islamischer Staat; Reflexverfolgung; Sippenhaft; Sunnit; Syrien; UNHCR; UNHCR Risikogruppen; Verfolgungsakteur; Vorverfolgung; Wehrdienstentziehung; Widerlegung der Vermutung; Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft; Berufung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
15.05.2023
Aktenzeichen
2 LB 444/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 19570
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:0515.2LB444.19.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 07.06.2017 - AZ: 2 A 3297/17

Fundstellen

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Ohne Hinzutreten besonderer risikoerhöhender individueller Umstände folgt eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit aus den Gründen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG für syrische Asylkläger auch weiterhin nicht allein aus der Zugehörigkeit zu einer durch den UNHCR benannten Risikogruppe, hier: Wehrdienstentziehung, Herkunft aus dem (ehemals) von Oppositionellen beherrschten Gouvernement Idlib und sunnitische Religionszugehörigkeit.

  2. 2.

    Eine solche Verfolgungswahrscheinlichkeit aus den Gründen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG droht in Idlib auch nicht seitens der durch die von den Vereinten Nationen als Terrororganisation eingestuften Hayat Tahrir al-Sham (HTS) - früher Al-Nusra-Front / Jabhat Fatah al-Sham - (allein) wegen der Zugehörigkeit syrischer Zivilpersonen zum sunnitischen Glauben.

  3. 3.

    Gleiches gilt für die Furcht vor einer Zwangsrekrutierung durch die HTS; es fehlt insoweit an der gemäß § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und einem Verfolgungsgrund im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG.

  4. 4.

    Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit aus dem Gesichtspunkt der Sippenhaft oder Reflexverfolgung besteht auch weiterhin nicht für nahe Familienangehörige von Wehrpflichtigen, die sich dem Wehrdienst in Syrien entzogen haben.

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Einzelrichter der 2. Kammer - vom 7. Juni 2017 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Der Beschluss ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des auf Grund des Beschlusses vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger, der den Status des subsidiär Schutzberechtigten hat, begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Der im August 1992 in Idlib/Gouvernement Idlib geborene Kläger ist nach den Feststellungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (zukünftig abgekürzt: Bundesamt) syrischer Staatsangehöriger arabischer Volks- und sunnitischer Glaubenszugehörigkeit. Nach eigenen Angaben reiste er im Mitte Juli 2015 illegal, gemeinsam mit anderen Familienangehörigen, aus Syrien in die Türkei und sodann über Griechenland und die sog. Balkanroute Anfang August 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland. Hier stellte er einen Asylantrag, den er im Zuge seiner persönlichen Anhörung bei dem Bundesamt am ... auf die Zuerkennung internationalen Schutzes (Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutzstatus) beschränkte. Zu seinen persönlichen Verhältnissen und den Gründen für seine Ausreise aus Syrien gab der Kläger bei seiner Anhörung im Wesentlichen an, er habe nach dem Schulabschluss an der Universität in C./Gouvernement Latakia D. studiert. Wegen der Situation in Syrien, namentlich weil die syrische Armee begonnen habe, junge Männer zum Militärdienst einzuziehen, habe er sein Studium aber abgebrochen und sei zu seinen Eltern gegangen, die in der Stadt Idlib wohnten. Weil die Situation aber auch in Idlib sehr schlimm gewesen sei, sei er nur zehn Tage dort geblieben. Die Stadt sei von Luftangriffen betroffen gewesen und verschiedene bewaffnete Gruppierungen hätten angefangen junge Männer zwangsweise zu rekrutieren. Er habe weder für das syrische Militär noch für eine andere Gruppierung kämpfen und eine Waffe einsetzen wollen. Deswegen sei er ausgereist. Ihm selbst sei sonst vor seiner Ausreise nichts passiert. Seinen Wehrdienst habe er noch nicht geleistet; wegen seines Studiums sei er zurückgestellt gewesen. Seine Eltern lebten weiterhin in Idlib und außerdem lebten noch einige Onkel und Tanten in Syrien. Im Falle seiner Rückkehr befürchte er durch das syrische Militär oder eine andere bewaffnete Gruppierung zwangsweise zum Militärdienst eingezogen zu werden und im syrischen Krieg kämpfen zu müssen.

Mit Bescheid vom 10. August 2016 erkannte die Beklagte dem Kläger den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Ziffer 1), lehnte aber seinen weitergehenden Asylantrag ab (Ziffer 2).

Mit der dagegen gerichteten Klage hat der Kläger ergänzend vorgetragen, er sei Ende Juni/Anfang Juli 2015 ... zu seinen Eltern nach Idlib gegangen. Idlib sei bereits am 25. April 2015 von der islamistischen Rebellenallianz Dschaisch al-Fatah eingenommen worden. Zu der Rebellenallianz habe auch die radikal-islamistische Al-Nusra-Front gehört, die die Errichtung eines Gottesstaates und die Vertreibung von Alawiten und Christen zum Ziel habe. Als gläubigem Sunnit würde auch ihm im Falle einer Rückkehr nach Idlib religiöse Verfolgung durch diese Rebellenallianz, insbesondere durch die fanatische Al-Nusra-Front drohen. Würde er in einen anderen, von der syrischen Regierung kontrollierten Landesteil einreisen, würde er wegen der Entziehung vom Wehrdienst vom syrischen Regime als Regimegegner betrachtet und deshalb politisch verfolgt und bestraft zu werden. Zudem läge auch eine Verfolgungshandlung gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG vor, weil er wegen der Verweigerung des Wehrdienstes in einem kriegerischen Konflikt bestraft würde, in dem er sich anderenfalls als Soldat der syrischen Armee an Kriegsverbrechen beteiligen müsste. Neben einer Einberufung oder Zwangsrekrutierung durch das syrische Militär drohe ihm auch eine solche durch andere Konfliktparteien. Seitens des syrischen Regimes drohe ihm auch deshalb politische Verfolgung, weil er Syrien illegal verlassen, einen Asylantrag gestellt und sich länger im Ausland aufgehalten habe. Auch aufgrund seiner Herkunft aus Idlib drohe ihm Verfolgung.

Mit der Klage hat der Kläger sinngemäß beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der Regelung zu Ziffer 2 des Bescheides vom ... zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und den Bescheid des Bundesamtes aufgehoben, soweit er der Verpflichtung entgegensteht. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht zusammenfassend ausgeführt, dem Kläger drohe bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung. Er sei illegal ausgereist, habe sich länger im westlichen Ausland aufgehalten und einen Asylantrag gestellt. Diese Risikomerkmale machten es beachtlich wahrscheinlich, dass ihm der syrische Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellen und ihn deshalb bei der Rückkehr verhaften und misshandeln werde. Hinzu komme, dass sich der Kläger im wehrpflichtigen Alter befinde und ihm auch in Anknüpfung daran bei einer Rückkehr Maßnahmen politischer Verfolgung drohten. Wehrpflichtigen Männern im Alter von 18 bis 42 Jahren sei die Ausreise aus Syrien untersagt bzw. nur nach einer zuvor erteilten Genehmigung erlaubt. Jene, die sich durch ihre (unerlaubte) Ausreise einer Einberufung zum Wehrdienst entzogen hätten, müssten im Falle einer Rückkehr nach Syrien mit Inhaftierung und menschenrechtswidriger Behandlung, insbesondere Folter rechnen, weil der syrische Staat ihr Verhalten als regimekritische Gesinnung erachte. Selbst wenn der Kläger nicht inhaftiert, sondern sofort zum Wehrdienst eingezogen würde, läge eine Verfolgungshandlung gemäß § 3 Abs. 1, § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG vor, weil er gezwungen wäre in einer Armee zu kämpfen, aus deren Reihen fortgesetzt und systematisch Kriegsverbrechen begangen würden. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stehe nicht zur Verfügung.

Gegen das stattgebende Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung der Beklagten. Sie ist der Ansicht, der Umstand, dass der Kläger Syrien illegal verlassen, einen Asylantrag gestellt und sich im westlichen Ausland aufgehalten habe, begründe keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Auch der Umstand, dass er sich im wehrpflichtigen Alter befinde, könne nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen; eine politische Verfolgung sei ohne weitere individuelle Umstände nicht erkennbar.

Die Beklagte beantragt,

das erstinstanzliche Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er wiederholt und vertieft sein bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor, er sei zwar wegen seines Studiums in Syrien bis ... zurückgestellt, wegen des Abbruchs des Studiums aber verpflichtet gewesen, sich unverzüglich bei den syrischen Militärbehörden zu melden. Spätestens seit ... 2015 wäre seine Rückstellung nicht mehr berücksichtigt worden. Da er seiner Verpflichtung nicht nachgekommen sei, werde sein Verhalten als Wehrdienstentziehung gewertet. Eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sei auch aus dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung gerechtfertigt. ... Unter dem ... hat der Kläger zudem vorgetragen, Idlib und das gleichnamige Gouvernement stünden aktuell unter der Kontrolle der extremistisch-islamistischen Rebellenallianz des Hayat Tahrir al Sham (zukünftig abgekürzt: HTS). Ähnlich wie der IS installiere der HTS eigene Verwaltungsstrukturen und eigene Gerichte. Im Ganzen drohe ihm bei einer Rückkehr nach Syrien von zwei Seiten flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung. Bei einer Einreise über das vom Assad Regime beherrschte Gebiet würde ihm seitens der syrischen Sicherheitskräfte neben der Verfolgung wegen einer Verweigerung des Wehrdienstes auch Verfolgung wegen seiner Herkunft aus dem Rebellengebiet Idlib und einer ihm deshalb unterstellten oppositionellen Gesinnung und/oder Mitgliedschaft in der Rebellenallianz des HTS drohen. Bei einer Einreise über die türkische Grenze in das Rebellengebiet von Idlib würde ihm politische Verfolgung seitens der Kämpfer des HTS drohen, weil ihm unterstellt würde Spion bzw. Kämpfer des Assad-Regimes zu sein.

Mit Schriftsatz vom ... hat der Kläger vorgetragen, in Idlib würden noch seine Eltern und Mitglieder seiner und der Großfamilie seiner Schwägerin leben, und beantragt,

ein Gutachten zu der Frage einzuholen, ob in der Provinz Idlib in den Fällen wie dem vorliegenden eine Sippenhaft droht und die Verwandten mit Folter und Tod bedroht werden, wenn die nach Deutschland geflüchteten Angehörigen sich nicht den Rebellengruppen, insbesondere dem HTS stellen bzw. sich diesen nicht anschließen würden.

In den Anhörungen vom ... Oktober 2021 und ... Dezember 2022 zu der Absicht des Senats, über die Berufung gemäß § 130a VwGO durch Beschluss zu entscheiden, hat der Senat den Kläger darauf hingewiesen, dass nicht beabsichtigt sei, dem Beweisantrag nachzugehen und dies kurz begründet. Der Senat hat neben der Asylakte des Klägers und seiner Ausländerakte auch die Asylakten der namentlich genannten Geschwister beigezogen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Beiakten Bezug genommen. Die der Entscheidung vom Senat zugrunde gelegten Erkenntnismittel ergeben sich aus der dem Kläger mit der letzten Anhörung zu einer Entscheidung im Wege des Beschlusses nach § 130a VwGO übersandten Erkenntnismitteliste.

II.

1. Der Senat trifft diese Entscheidung nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss (§ 130a Satz 1 VwGO), weil er die Berufung einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (zur Zulässigkeit einer Entscheidung nach § 130a VwGO vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.6.2020 - 2 B 37/19 -, juris Rn. 18 ff. und v. 22.3.2021 - 1 B 4/21 -, juris Rn. 9 ff; Senatsbeschl. v. 5.9.2017 - 2 LB 186/17 -, juris Rn. 18 ff.). Die aufgeworfenen rechtlichen und tatsächlichen Fragen sind in der Senatsrechtsprechung seit längerem geklärt (vgl. Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 - u. v. 22.4.2021 - 2 LB 147/18 und 408/20 -, jeweils veröffentlicht in juris). Die Streitsache ist nach den Gesamtumständen des Einzelfalls in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht schwierig. Weitere Sachverhaltsermittlungen (§ 86 VwGO) und/oder eine persönliche Anhörung des Klägers in einer mündlichen Verhandlung sind rechtlich nicht geboten und auch sonst nicht angezeigt. Es besteht - auch vor dem Hintergrund des Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren und seines Antrags auf Einholung eines Gutachtens - kein Anlass zur weiteren Beweiserhebung.

Bei dem Antrag des Klägers auf Einholung eines Gutachtens handelt es sich in der Sache bereits um einen unzulässigen Beweisermittlungs- oder Ausforschungsbeweisantrag, denn aus dem eigenen Vorbringen des Klägers und den Gesamtumständen ergeben sich keine Anhaltspunkte für die mit dem Antrag formulierte Tatsachenbehauptung der Sippenhaft. Gegen die Tatsachenbehauptung spricht zudem der eigene Vortrag des Klägers, nach dem sich seine Eltern und eine Vielzahl anderer Angehöriger weiterhin in Idlib aufhalten. Anhaltspunkte, dass sie in Syrien wegen der in Deutschland aufhältigen Angehörigen Repressalien ausgesetzt sind, hat der Kläger - auch im Zuge der Vorhaltungen im Rahmen der Anhörung - nicht geschildert. Wie aus den dem Kläger mit den Anhörungen zu einer Entscheidung durch Beschluss (§ 130a VwGO) übersandten Erkenntnismittellisten ersichtlich ist, liegen der Entscheidung des Senats zudem die erforderlichen aktuellen Erkenntnisse verschiedener Stellen zugrunde. Der (Beweis-)Antrag ist schließlich auch aus den nachfolgenden Ausführungen des Senats - worauf der Kläger bereits im Zuge der Anhörungen zu der beabsichtigten Entscheidung im Wege des Beschlusses (§ 130a VwGO) hingewiesen wurde - in der Sache unerheblich.

2. Die zulässige Berufung ist begründet. Die Klage ist unbegründet und daher abzuweisen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG.

Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlings-konvention (GFK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründe) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

Gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG gelten Handlungen als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). In § 3a Abs. 2 Nrn. 1 bis 6 AsylG werden einzelne Beispiele für Verfolgungshandlungen genannt, unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt (Nr. 1), eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung (Nr. 3) oder eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (Nr. 5). Gemäß § 3c AsylG sind Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, u. a. der Staat oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen.

Zwischen den in § 3 Abs. 1 AsylG genannten und in § 3b Abs. 1 AsylG jeweils näher erläuterten Verfolgungsgründen sowie den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG beschriebenen Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Dabei ist unerheblich, ob der Ausländer tatsächlich z. B. die religiösen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger nur zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG). Für den Bereich des Asylrechts hat das Bundesverfassungsgericht diese Verknüpfung von Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund dahingehend konkretisiert, dass es für eine politische Verfolgung ausreicht, wenn der Ausländer der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet wird, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist. Unerheblich ist dabei, ob der Betreffende aufgrund der ihm zugeschriebenen Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung (überhaupt) tätig geworden ist (BVerfG, Beschl. v. 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 -, juris Rn. 5; Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 31). Die Maßnahme muss darauf gerichtet sein, den von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an einen oder mehrere Verfolgungsgründe zu treffen (vgl. näher zu den Voraussetzungen Senatsurt. v. 22.4.2021 - 2 LB 147/18 und 408/20 -, juris Rn. 21 bzw. 20).

Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ("real risk") drohen (st. Rspr, vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 -, juris Rn. 19, 32; Beschl. v. 15.8.2017 - 1 B 120.17 -, juris Rn. 8). Für die anzustellende Verfolgungsprognose gilt - unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht - ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU, nicht (mehr) durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Nach dieser Vorschrift besteht eine tatsächliche Vermutung, dass sich eine frühere Verfolgung bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen wird. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften (vgl. BVerwG, Urt. v. 1.6.2011 - 10 C 25.10 -, juris Rn. 21 f.; Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 34). Eine Verfolgung ist beachtlich wahrscheinlich, wenn einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Ausländers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (vgl. hierzu sowie zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt und den Maßgaben der richterlichen Überzeugungsbildung im Einzelnen Senatsurt. v. 22.4.2021 - 2 LB 147/18 und 408/20 -, juris Rn. 22 ff. bzw. 21 ff.).

3. Nach diesen Maßgaben besteht für den Kläger bei einer - hypothetischen - Rückkehr nach Syrien zur Überzeugung des Senats keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung aus den in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Gründen.

a. Der Kläger ist nicht vorverfolgt ausgereist, sodass ihm die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU nicht zugutekommt.

Eine Vorverfolgung ergibt sich - auch unter Berücksichtigung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 19. November 2020 (- C-238/19 -, juris) - nicht im Hinblick darauf, dass sich der Kläger bereits zum Zeitpunkt seiner Ausreise dem Wehrdienst auf Seiten des syrischen Staats entzogen hat. Dies gilt auch im Hinblick auf eine mögliche Verfolgungshandlung gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG. Eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes, wie sie der Tatbestand dieser Bestimmung zunächst voraussetzt, hat der Kläger vor seiner Ausreise aus Syrien seinen eigenen Angaben zufolge nicht erlitten. Die Annahme einer bei der Ausreise unmittelbar drohenden Strafverfolgung oder Bestrafung (vgl. Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU) wegen Verweigerung des Militärdienstes i. S. d. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG kann nach der Senatsrechtsprechung nur dann in Betracht kommen, wenn sich ein im militärdienstpflichtigen Alter befindlicher Mann aus Sicht des syrischen Staates bereits vor dem Moment seiner Ausreise erkennbar dem Militärdienst entzogen hatte und er gerade aus diesem Grund der beachtlich wahrscheinlichen Gefahr unterlag, Verfolgungsmaßnahmen der Sicherheitskräfte erleiden zu müssen (vgl. im Einzelnen Senatsurt. v. 22.4.2021 - 2 LB 147/18 und 408/20 -, juris Rn. 32 ff. bzw. 31 ff.).

Von vornherein ausscheiden muss eine Vorverfolgung danach dann, wenn der Betroffene vor der Ausreise seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem nicht unter der Kontrolle des syrischen Regimes stehenden Landesteil hatte und daher eine Strafverfolgung oder Bestrafung von Seiten der syrischen Sicherheitskräfte mangels Unterworfenseins unter eine effektive Herrschaftsgewalt des syrischen Regimes nicht zu befürchten war. Das ist hier der Fall. Denn der Kläger hat sich zuletzt in der Stadt Idlib aufgehalten und diese sowie das gleichnamige Gouvernement standen nach seinem eigenen Vorbringen zum Zeitpunkt seiner Ausreise nicht unter der Herrschaftsgewalt des syrischen Regimes, sondern unter derjenigen islamistischer Gruppierungen. Nach eigenem Bekunden hat er dort eine Heranziehung zum Wehrdienst seitens des syrischen Regimes mangels effektiver Herrschaftsgewalt nicht befürchtet (vgl. zum Ganzen auch Senatsurt. v. 22.4.2021 - 2 LB 147/18 -, juris Rn. 38).

Einen Einberufungsbescheid oder andere konkrete Maßnahmen zu seiner Heranziehung zum Wehrdienst in der syrischen Armee gab es im Übrigen auch zum Zeitpunkt seines Aufenthalts in Latakia nicht; zumal er während seines dortigen Studiums vom Wehrdienst zurückgestellt war. Nach seinen übrigen Schilderungen und den Gesamtumständen hat der Kläger vor seiner Ausreise auch sonst kein Verhalten an den Tag gelegt, das aus Sicht des syrischen Regimes erkennbar für eine Wehrdienstentziehung sprechen könnte, mit der Folge, dass ihm aus diesem Grund Verfolgungsmaßnahmen durch das syrische Regime bzw. syrische Sicherheitskräfte gedroht haben könnten.

Auch Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger aus anderen Gründen zum Zeitpunkt seiner Ausreise vorverfolgt war, bestehen nicht. Solche ergeben sich auch nicht aus der geschilderten Furcht vor einer Zwangsrekrutierung in Idlib durch andere (islamistische) Kampfverbände. Ungeachtet der Frage, ob die genannten Gruppierungen überhaupt als flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsakteure im Sinne des § 3c AsylG in Betracht kommen, ist nichts dafür ersichtlich, dass der Kläger zu irgendeinem Zeitpunkt seitens dieser Gruppen von konkreten Maßnahmen zur seiner Zwangsrekrutierung betroffen war oder ihm solche drohten und er in diesem Zusammenhang zum Zeitpunkt seiner Ausreise von flüchtlingsrechtlich relevanter Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG bedroht war.

b. Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit begründende Ereignisse, die eingetreten sind, nachdem der Kläger sein Herkunftsland verlassen hat (§ 28 Abs. 1a AsylG), liegen ebenfalls nicht vor.

(1) Syrische Staatsangehörige unterliegen nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats (Urt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 - u. v. 22.4.2021 - 2 LB 147/18 und 408/20 -, juris) allein aufgrund einer (illegalen) Ausreise, einer Asylantragstellung und einem längeren Aufenthalt im westlichen Ausland und wegen des Umstandes, dass sie sich durch ihre Ausreise oder ihren längeren Aufenthalt im Ausland dem Wehrdienst entzogen haben, nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG.

Es fehlt jedenfalls an der gemäß § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung zwischen einer etwaigen Verfolgungshandlung und einem Verfolgungsgrund i. S. v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b AsylG. Die dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel lassen weiterhin nicht den Schluss, dass Rückkehrern ohne besonderes Profil von Seiten des syrischen Staates regelhaft eine oppositionelle Gesinnung zugeschrieben wird. Das gilt auch bei (einfacher) Wehrdienstentziehung. Nach der vom Senat geteilten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stellen die an eine Wehrdienstentziehung geknüpften Sanktionen, selbst wenn sie von totalitären Staaten ausgehen, nur dann eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung dar, wenn sie nicht nur der Ahndung eines Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht dienen, sondern darüber hinaus den Betroffenen auch wegen seiner Religion, seiner politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen Merkmals treffen sollen (vgl. zusammenfassend BVerwG, Beschl. v. 24.4.2017 - 1 B 22.17 -, juris Rn. 14). An einer solchen Verknüpfung zwischen der Bestrafung von Rückkehrern wegen einer Wehrdienstentziehung und einem Verfolgungsgrund im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG fehlt es.

Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung wegen einer Wehrdienstentziehung liegt auch unter Berücksichtigung des in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG aufgenommenen Regelbeispiels einer Verfolgungshandlung i. S. d. § 3a Abs. 1 AsylG nicht vor. Die dort genannten Voraussetzungen sind in zweifacher Hinsicht nicht erfüllt. Zum einen geht der Senat nicht davon aus, dass der Wehr- oder Reservedienst in der syrischen Armee Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen. Zum anderen fehlt es auch hier an der erforderlichen Verknüpfung der Strafverfolgung oder Bestrafung wegen der Verweigerung des Militärdienstes mit einem Verfolgungsgrund.

Zur näheren Begründung seiner Einschätzung nimmt der Senat vollumfänglich Bezug auf seine Urteile vom 27. Juni 2017 - 2 LB 91/17 - und vom 22. April 2021 - 2 LB 147/18 und 408/20 -, juris (zur Zulässigkeit einer solchen Bezugnahme vgl. BVerwG, Beschl. v. 3.4.1990 - 9 CB 5.90 -, juris Rn. 6, v. 22.11.1994 - 5 PKH 64.94 -, juris Rn. 4, u. v. 3.12.2008 - 4 BN 25.08 -, juris Rn. 9; Lambiris in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 58. Ed. 2020, § 117 Rn. 19a; Kilian/Hissnauer in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 117 Rn. 85).

Das Vorbringen des Klägers gibt keine Veranlassung zu einer veränderten Bewertung. Neuere Erkenntnisse, die darauf schließen lassen, dass die Situation von Rückkehrern aus Europa anders zu beurteilen wäre, liegen nicht vor. Auch die übrige obergerichtliche Rechtsprechung verneint in den genannten Fällen ganz überwiegend eine politische Verfolgung (OVG NRW, Beschl. v. 25.1.2021 - 14 A 822/19.A -, juris; VGH BW, Urt. v. 4.5.2021 - A 4 S 468/21 - u. Urt. v. 18.8.2021 - A 3 S 271/19 -, juris; OVG MV, Urt. v. 26.5.2021 - 4 L 238/13 -, juris; BayVGH, Urt. v. 23.6.2021 - 21 B 19.33586 -, juris; OVG LSA, Urt. v. 1.7.2021 - 3 L 154/18 -, juris; SächsOVG, Urt. v. 22.9.2021 - 5 A 855/19.A -, juris; Hess VGH, Urt. v. 23.8.2021 - 8 A 1992/18.A -, juris; a.A. OVG Berl.-Bbg., Urt. v. 29.1.2021 - OVG 3 B 108.18 -, juris). Auch das auf der Linie der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg liegende Urteil des Oberverwaltungsgerichts Bremen vom 23. März 2022 (- 1 LB 484/21 -, juris), gegen das die Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht erhoben hat, gibt keinen Anlass zur Änderung der Senatsrechtsprechung. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Bremen stützt sich nicht auf neuere anderslautende Erkenntnisquellen, sondern nimmt eine andere Bewertung der auch dem Senat vorliegenden und ausgewerteten Erkenntnismittel vor. Der Bewertung des Oberverwaltungsgerichts Bremen folgt der Senat nicht (vgl. auch Senatsbeschl. v. 11.5.2022 - 2 LB 52/22 -, juris; siehe zudem ThürOVG, Urt. v. 16.6.2022 - 3 KO 178/21 -, juris Rn. 144 f.; OVG NRW, Urt. v. 23.8.2022 - 14 A 3716/18.A -, juris Rn. 109 ff. und SächsOVG, Beschl. v. 23.11.2022 - 5 A 366/22.A -, juris Rn. 6 ff.).

Das Bundesverwaltungsgericht hat die anderslautenden Entscheidungen des OVG Berlin-Brandenburg mit Urteilen vom 19. Januar 2023 (z.B. BVerwG 1 C 1.22) aufgehoben. Danach spricht (zwar) bei der Strafverfolgung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, in dem der Militärdienst u.a. Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit umfassen würde, im Anschluss an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, eine starke Vermutung dafür, dass die Verweigerung des Militärdienstes mit einem Verfolgungsgrund in Zusammenhang steht. Es ist (indes) Sache der zuständigen nationalen Behörde und Gerichte, in Anbetracht sämtlicher in Rede stehenden Umstände die Plausibilität dieser Verknüpfung zu prüfen. Dem genüge es nicht, wenn die Voraussetzungen des Flüchtlingsschutzes auf einer diffusen Tatsachengrundlage und unter Unterschreitung des Regelbeweismaßstabes der vollen richterlichen Überzeugungsgewissheit bejaht würden (vgl. Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts Nr. 4/2023 vom 19. Januar 2023).

(2) Soweit der Kläger zur Begründung seines Anspruchs auf die von dem UNHCR in dem Bericht "Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 5. aktualisierte Fassung, November 2017" definierten Risikoprofile verweist, ist festzustellen, dass die Zugehörigkeit syrischer Zivilpersonen zu den dort benannten Risikogruppen zwar nach der Einschätzung des UNHCR die Wahrscheinlichkeit indiziert, dass die betroffene Person Internationalen Flüchtlingsschutz benötigt; dies wird jedoch durchweg durch die Worte relativiert: "je nach den Umständen des Einzelfalles bzw. "depending on the individual circumstances of the case". Mit anderen Worten ist es danach nicht angängig, die Annahme einer politischen Verfolgung allein und pauschal auf die Zuordnung zu einem oder mehreren der Risikoprofile zu stützen, zumal ohne Rücksicht auf die Frage, in welches Umfeld der Betroffene hypothetisch zurückkehren müsste (Senatsbeschl. v. 22.2.2018 - 2 LB 1789/17 -, juris Rn. 130). Diese Einschätzung findet sich auch in der 6. aktualisierten Fassung des UNHCR Berichts "Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen" vom März 2021 (ebenso BayVGH, Urt. v. 23.6.2021 - 21 B 19.33586 -, juris Rn. 82 ff. (zur Herkunft aus Idlib), ThürOVG, Urt. v. 16.6.2022 - 3 KO 178/21 -, juris Rn. 113).

(3) Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG folgt mithin auch nicht allein aus der Herkunft aus einem (ehemals) von der Opposition beherrschten Gebiet (vgl. Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 70 f. zur Herkunft aus Idlib), v. 16.7.2020 - 2 LB 39/20 -, juris Rn. 63 ff. und v. 22.4.2021 - 2 LB 147/18 -, juris Rn. 87ff.; BayVGH, Urt. v. 23.6.2021 - 21 B 19.33586 -, juris Rn. 82 ff. (zur Herkunft aus Idlib) u. BayVGH, Urt. v. 21.9.2020 - 21 B 19.32725 -, juris Rn. 68 ff.; ThürOVG, Urt. v. 16.6.2022 - 3 KO 178/21 -, juris Rn. 113; VGH BW, Urt. v. 27.3.2019 - A 4 S 335/19 -, juris Rn. 43; OVG Berl.-Bbg., Urt. v. 21.3.2018 - OVG 3 B 28.17 -, juris Rn. 46; BremOVG, Urt. v. 24.1.2018 - 2 LB 194/17 -, juris Rn. 62 ff.; HambOVG, Urt. v. 29.5.2019 - 1 Bf 284/17.A -, juris Rn. 109 mwN (zur Herkunft aus den kurdischen Gebieten im Nordosten Syriens); HessVGH, Urt. v. 23.8.2021 - 8 A 1992/18.A -, juris Rn. 80; OVG MV, Urt. v. 26.5.2021 - 4 L 238/13 -, juris Rn. 44; OVG NRW, Urt. v. 23.8.2022 - 14 A 3389/20.A -, juris Rn. 74 und Urt. v. 3.9.2018 - 14 A 838/18.A - juris Rn. 32 ff.; OVG SH, Urt. v. 3.1.2020 - 5 LB 34.19 -, juris Rn. 42 ff; SächsOVG, Urt. v. 6.2.2019 - 5 A 1066/17.A -, juris Rn. 27 f.).

Die dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel lassen nicht den Schluss zu, dass allein die Herkunft aus einem (ehemaligen) "oppositionellen oder oppositionsnahen" Gebiet mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dazu führt, dass das syrische Regime Rückkehrer wegen einer zumindest unterstellten feindlichen Gesinnung verfolgt. Zwar wird verschiedentlich berichtet, dass syrische Zivilpersonen aus oder in derzeit oder ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten zu der Risikogruppe gehören, der wahrscheinlich eine regimefeindliche Gesinnung unterstellt wird (vgl. z.B. UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 6. aktualisierte Fassung vom März 2021, S. 101 ff., 112), und Menschenrechtsorganisationen (vgl. ai, Bericht vom September 2021 "You are going to death") berichten zudem von Fällen, in denen Rückkehrer von Sicherheitsbeamten verhaftet und misshandelt wurden, weil sie aus einem Gebiet stammten oder dorthin reisen wollten, das zuvor von der Opposition kontrolliert wurde (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation - Syrien - v. 1.10.2021, S. 122). Dem kann aber nicht entnommen werden, dass allein die Herkunft aus einem (ehemaligen oder vermeintlichen) Oppositionsgebiet regelhaft eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit begründet. Gemessen an der allein von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH, Factsheet Syrien, v. Mai 2022, S. 4) mit 12 Millionen bezifferten Zahl der seit 2011 aus Syrien Geflüchteten und innerhalb Syriens Vertriebenen, und der eine Millionen Menschen, die allein in der Region Idlib seit den Angriffen des syrischen Regimes mit Unterstützung russischer Truppen und iranischer Milizen ab April 2019 in die Flucht getrieben wurden, lassen die in den Berichten der Menschenrechtsorganisationen genannten Fälle, bereits wegen ihres vergleichsweise geringen Umfangs den Schluss auf eine regelhafte Verfolgung von Rückkehrern allein wegen ihrer Herkunft nicht zu. Auch angesichts der Zahl der Rückkehrer, die vom Country of Origin Information Centre (COI) - Landinfo Syrien - vom Mai 2022 (S. 5) unter Bezugnahme auf die Registrierungen des UNHCR für Jahr 2020 mit fast 450.000 und für das Jahr 2021 mit 320.000 angegeben werden, erscheinen die in den Berichten enthaltenen Schilderungen für die Annahme einer allein an die Herkunft anknüpfenden Verfolgung von Rückkehrern und Vertriebenen nicht tragfähig. Ob einem Rückkehrer Verfolgungsmaßnahmen drohen, hängt vielmehr von den individuellen Umständen des jeweiligen Einzelfalles, wie z.B. einer vom UNHCR geschilderten zusätzlichen Beschuldigung der oppositionellen Betätigung durch Dritte, ab (vgl. UNHCR, Bericht vom März 2021, S. 105). In Übereinstimmung damit ist auch den Auskünften des Auswärtigen Amts zu entnehmen, dass eine Verfolgungsgefahr für Rückkehrer aufgrund ihrer Herkunft aus einem (vermeintlich) regierungsfeindlichen Gebiet letztlich nur bei Vorliegen zusätzlicher Umstände anzunehmen ist und es deshalb von den individuellen Umständen des Einzelfalls abhängt, ob der Betroffene bei einer Rückkehr nach Syrien festgenommen wird (vgl. AA, Auskunft an den HessVGH v. 12.2.2019 und Auskunft an das VG Magdeburg vom 17.10.2017). Diese Einschätzung bestätigt auch der Bericht des DIS (COI, Bericht über Syrien, Behandlung von Rückkehrern vom Mai 2022, S. 19), wonach Rückkehrer, die aus einem ehemals von der Opposition kontrollierten Gebiet stammen oder dort gelebt haben, bevor sie Syrien verlassen haben, in der Regel nicht allein deshalb Misshandlungen oder Verstößen ausgesetzt sind, weil sie aus diesem Gebiet stammen oder dort gelebt haben. Wenn eine Person oder eine Gruppe von Personen aus einem bestimmten Gebiet an den Kontrollpunkten Probleme hat, ist dies nach dem Bericht vielmehr höchstwahrscheinlich auf die Entscheidung des einzelnen Beamten oder derjenigen zurückzuführen, die den jeweiligen Kontrollpunkt kontrolliert, und nicht der Herkunft des Rückkehrers geschuldet. Diese Einschätzung deckt sich auch mit der Beobachtung, dass zahlreiche ehemalige Oppositionsgebiete mittlerweile vom Regime zurückerobert wurden, ohne dass es dort zu flächendeckenden regelhaften Verfolgungsmaßnahmen gekommen ist. Das Regime bietet Betroffenen zudem den Abschluss eines Versöhnungsabkommens an (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Syrien v. 27.4.2022, S. 21; UNHCR, Bericht vom März 2021, S. 112). Versöhnungsabkommen sind Vereinbarungen, die ein Gebiet, das zuvor unter der Kontrolle einer oppositionellen Gruppierung stand, offiziell wieder unter die Kontrolle des Regimes bringen sollen. Derartige Abkommen sehen häufig eine "Evakuierung", also eine zwangsweise Umsiedlung oppositioneller Kämpfer sowie den Einzug der Männer zur syrischen Armee vor (BFA v. 27.4.2022, S. 21; UNHCR, aaO. S. 112 ff.; Finnish Immigration Service, 14.12.2018, S. 26 ff. und S. 49 ff.; BFA, August 2017, S. 35). Letzteres zeigt, dass das Regime allein anknüpfend an die Herkunft keine Regimegegnerschaft unterstellt. Auch die Versöhnungsabkommen schließen indes eine individuelle Verfolgung nicht aus. Im Gegenteil muss jede Person, die aufgrund individueller Umstände mit der Opposition bzw. mit bewaffneten Rebellen in Verbindung gebracht wird, weiterhin mit Inhaftierung, Folter, Verschwindenlassen und dem Tod rechnen (AA, Lagebericht, November 2021, S. 26 ff., 30; UNHCR, Bericht vom März 2021, S. 112; Finnish Immigration Service, 14.12.2018, S. 53 ff.; UNHCR, April 2017, S. 20). Dass zurückkehrende Syrer aus (ehemaligen) Oppositionsgebieten mit einer Gefahrenlage konfrontiert sein können, die über die allgemeine Gefährdungslage für alle Rückkehrer (vgl. oben Nr. 2. a)) hinausgeht, ist schließlich deshalb nicht beachtlich wahrscheinlich, weil es sich dabei gerade um die Personen handelt, die sich dem Konflikt und damit einer oppositionellen Betätigung durch Flucht in das Ausland entzogen haben (ebenso OVG SH, Urt. v. 3.1.2020 - 2 LB 34/19 -, juris Rn. 44 u. Urt. v. 4.5.2018 - 2 LB 17/18 -, juris Rn. 85). Für jedermann und damit auch für das Regime ist offensichtlich, dass es sich bei diesen vielen tausend betroffenen Personen um diejenigen handelt, die das Land in Anbetracht der Brutalität der Kriegsparteien aus begründeter Furcht um Leib und Leben verlassen und sich gegen ein aktives Tätigwerden gegen das Regime entschieden haben. Dass Rückkehrer aus (ehemals) oppositionellen Gebieten in einer nicht quantifizierbaren Anzahl von Fällen gleichwohl misshandelt und inhaftiert werden (vgl. BFA v. 27.4.2022, S. 21; DIS, Februar 2019, S. 15 f.; UNHCR, April 2017, S. 20 ff.), ändert daran nichts. Bei jedem Kontakt mit syrischen Sicherheitskräften drohen willkürliche Gewalt und Inhaftierung. Jeder Rückkehrer ist daher in gewissem Umfang gefährdet (vgl. SFH, 21.3.2017, S. 10 f.). Diese Gefährdung knüpft aber nicht an Verfolgungsgründe i. S. v. § 3b AsylG an. Der Senat hält deshalb - mit der eingangs genannten obergerichtlichen Rechtsprechung - daran fest, dass es auch bei einer Herkunft aus einem (ehemaligen) Oppositionsgebiet weiterhin individueller Verfolgungsgründe bedarf, um die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu begründen. Daran fehlt es hier. Solche individuellen risikoerhöhenden Umstände hat der Kläger weder geschildert noch sind sie sonst ersichtlich. Dagegen spricht auch, dass er nach eigenen Angaben bis kurz vor seiner Ausreise unbehelligt in Latakia gelebt und studiert hat und sich in Syrien auch in keiner Weise regimekritisch betätigt hat. Dass er zu irgendeinem Zeitpunkt in sonstiger Weise selbst Schwierigkeiten mit dem syrischen Regime hatte, hat er nichts berichtet.

(4) Auch die Furcht des Klägers vor einer Zwangsrekrutierung durch andere Kampfverbände vermag eine flüchtlingsrechtlich beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit nicht zu begründen.

Soweit der Kläger eine Zwangsrekrutierung durch die Terrororganisation des sog. IS befürchtet, ist den Erkenntnismitteln (vgl. z.B. AA, Lagebericht v. 4.12.2020, S. 10; Die Karte der Mächte in Syrien, Der Spiegel, Nr. 8/2018 v. 17.2.2018, "Der Krieg der fremden Mächte") zu entnehmen, dass die Terrormiliz des IS inzwischen in Syrien weitgehend zurückgedrängt worden ist und keine territoriale Kontrolle mehr ausübt; von ihr geht für den Kläger keine beachtliche Gefahr mehr aus (vgl. zur Verfolgung durch die Terrormiliz des IS auch Senatsbeschl. v. 28.1.2020 - 2 LB 458/18 - und v. 30.3.2022 - 2 LB 641/19 - juris; zur Verfolgung von Jesiden durch die Terrormiliz IS HessVGH, Urt. v. 23.8.2021 - 8 A 1992/18.A -, juris Rn. 32; OVG SH, Urt. v. 27.9. 2018 - 2 LB 21/18 -, juris Rn. 37, OVG NRW, Urt. v. 12.12.2018 - 14 A 847/18.A -, juris Rn. 34).

Soweit der Kläger zudem bei einer Rückkehr in das Gouvernement Idlib eine Zwangsrekrutierung durch die von den Vereinten Nationen als Terrororganisation eingestufte Hayat Tahrir al-Sham (HTS) oder andere bewaffnete islamistische Gruppierungen befürchtet, ist zwar festzustellen, dass Teile der Gouvernements Latakia, Idlib und Aleppo trotz der anhaltenden Rückeroberungsbestrebungen und Militäroffensiven des syrischen Regimes von HTS und Türkei-nahen bewaffneten Gruppierungen kontrolliert werden (vgl. AA, Lagebericht November 2021, S. 6, 9; SFH - Factsheet Syrien, - Who controls what in Syria - v. Mai 2022, S. 3). Ungeachtet der Frage, ob die Terrororganisation des HTS infolge von der syrischen Regierung mit Unterstützung russischer Truppen und Iranischer Milizen ab April 2019 in Idlib (Gouvernement) geführten Militäroffensiven und der damit einhergehenden Kontrollverluste (vgl. BFA, Länderinformation - Syrien - v. 27.4.2022, S. 22 ff., 24) (noch) als nichtstaatlicher Verfolger (Akteur) im Sinne des § 3c AsylG qualifiziert werden kann, sind jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass eine etwaige zwangsweise Rekrutierung seitens des HTS an einen der in §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG genannten Verfolgungsgründe anknüpfen könnte (vgl. dazu auch Senatsbeschl. v. 10.2. 2020 - 2 LB 429/19 - zur Zwangsrekrutierung durch die kurd. YPG, ebenso HambOVG, Urt. v. - 2 Bf 284/17.A. - juris Rn. 81 (OVG Saarl., Urt. v. 2.8.2018 - 2 A 694/17 -, juris Rn. 30 f.).

Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang vorträgt, der HTS würde ihm, im Falle einer Rückkehr über die unter der Kontrolle des syrischen Regimes stehenden Landesteile, unterstellen, ein Spion oder Kämpfer des syrischen Regimes zu sein und ihn deshalb als Gegner des HTS betrachten und verfolgen, führt dies zu keiner anderen Bewertung. Dass der HTS Rückkehrern, die über die unter der Kontrolle des syrischen Staats stehenden Landesteile nach Idlib gelangen, regelhaft eine oppositionelle Haltung unterstellen und diesem Personenkreis deshalb mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlungen im Sinn des § 3a AsylG drohen könnten, dafür liegen keine durchgreifenden Anhaltspunkte vor. Im Fall des Klägers spricht dagegen zudem, dass er sich auch schon während seines Studiums in Latakia und mithin in dem seinerzeit unter der Kontrolle des syrischen Regimes stehenden gleichnamigen Gouvernement Latakia aufgehalten hat und bei seiner Rückkehr zu seinen Eltern, in das - nach seinen eigenen Angaben - schon zu diesem Zeitpunkt von oppositionellen Islamisten kontrollierte Idlib, keine Schwierigkeiten hatte.

(5) Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit ergibt sich schließlich nicht aus der sunnitischen Religionszugehörigkeit. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung, dass die Zugehörigkeit zum sunnitischen Glauben keinen risikoerhöhenden Faktor darstellt, fest (vgl. Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 68 f.; Senatsbeschl. v. 5.12.2018 - 2 LB 570/18 -, juris Rn. 62; wie hier auch VGH BW, Urt. v. 9.8.2017 - A 11 S 710/17 -, juris Rn. 48 und v. 27.3.2019 - A 4 S 335/19 -, juris Rn. 42; OVG Berl.-Bbg., Urt. v. 22.11.2017 - 3 B 12/17 -, juris Rn. 39; BremOVG, Urt. v. 24.1.2018 - 2 LB 194/17 -, juris Rn. 66 f.; HambOVG, Urt. v. 11.1.2018 - 1 Bf 81/17.A -, juris Rn. 84 ff.; OVG NRW, Urt. v. 21.2.2017 - 14 A 2316/16.A -, juris Rn. 83 f.; SächsOVG, Urt. v. 7.2.2018 - 5 A 1245/17.A -, juris Rn. 25; OVG SH, Urt. v. 18.10.2018 - 2 LB 40/18 - Rn. 36 ff.). Den vorliegenden Erkenntnismitteln lassen sich keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass sunnitischen Religionszugehörigen, die in Syrien die größte Glaubensgruppe sind (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation - Syrien - v. 27.4.2022, S. 111), bei einer Rückkehr nach Syrien seitens des syrischen Regimes oder des HTS eine von der allgemeinen Gefährdungslage für alle Rückkehrer (vgl. z.B. Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 - u. v. 22.4.2021 - 2 LB 147/18 und 408/20, juris) abweichende, strengere Behandlung droht. Es mag zwar sein, dass sunnitische Araber - auch weil sie häufig in der Opposition zur syrischen Regierung stehen - aus Sicht des Regimes generell nicht im Ruf stehen, besonders regierungstreu zu sein, und die Zugehörigkeit zur sunnitischen Volksgruppe einen bereits bestehenden Verdacht, die betreffende Person könne in Verbindung mit der Opposition stehen, verstärken kann (vgl. euaa (vormals EASO), Syrien Targeting of individuals, v. September 2022, S. 156 f., BFA, Länderinformation der Staatendokumentation - Syrien - v. 27.4.2022, S. 111 ff.; Finnish Immigration Service, 14.12.2018, S. 42). Einzelnen Berichten zufolge sind in den unter der Kontrolle des HTS stehenden Gebieten in Idlib zudem neben religiösen Minderheiten auch Sunniten Ziel von Menschenrechtsverletzungen bis hin zu Tötungen seitens des HTS (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation - Syrien - v. 27.4.2022, S. 113). Das allein reicht aber nicht für die Annahme aus, Sunniten drohe in Syrien generell Verfolgung. Die weitaus meisten Erkenntnisquellen enthalten keinerlei dahingehende Angaben und führen die sunnitische Religionszugehörigkeit auch nicht als Risikofaktor auf (vgl. etwa DIS, Februar 2019, S. 15 ff. und S. 25 f.).

Zudem ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass etwaige drohende Verfolgungshandlungen seitens der syrischen Regierung hinsichtlich der Gruppe der sunnitischen Religionszugehörigen an einen Verfolgungsgrund i. S. v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b AsylG anknüpfen würden. Daraus, dass der UNHCR (vgl. UNHCR, November 2017, S. 37, 59 ff.) der Auffassung ist, Mitglieder religiöser und ethnischer Minderheiten erfüllten ein Risikoprofil, folgt Derartiges nicht. Dies gilt schon deshalb, weil sunnitische Glaubenszugehörige gerade keine religiöse Minderheit in Syrien bilden, sondern mit rund 50 % immer noch die größte religiöse Gruppe und Hauptreligion in Syrien stellen (vgl. SFH, Factsheet Syrien v. Mai 2022, S. 1; euaa (vormals EASO), Syria Targeting of Individuals v. September 2022, S. 158.). Zwar gehört die syrische Regierungselite den Alawiten an, wohingegen eine Vielzahl von syrischen Rebellengruppen aus der sunnitisch-arabischen Bevölkerungsmehrheit stammen. Sunniten sind jedoch sowohl im Regime als auch in den Streitkräften vertreten (vgl. Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 69 m. w. N.). Soweit der UNHCR zu der Einschätzung gelangt, dass einzelne religiös-fundamentalistische Rebellengruppen in ihren Herrschaftsgebieten Angehörige anderer religiöser und ethnischer Minderheiten verfolgen (vgl. UNHCR, November 2017, S. 63), ist dies vorliegend ohne rechtliche Relevanz, da eine hypothetische Rückführung nur in vom syrischen Staat beherrschte Gebiete erfolgen könnte (vgl. Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 69). Im Übrigen geht der UNHCR in seinen aktuellen Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen (5. Fassung, November 2017) selbst nicht mehr davon aus, dass die Zugehörigkeit zum sunnitischen Glauben per se einen risikoerhöhenden Faktor darstelle (anders noch die 4. Fassung v. November 2015, S. 26), sondern verweist hinsichtlich der Lage von Sunniten, die als regierungsfeindlich angesehen werden könnten, auf seine allgemeinen Ausführungen zu tatsächlichen oder vermeintlichen Oppositionellen (vgl. UNCHR, November 2017, S. 63). Ohne Hinzutreten besonderer gefahrerhöhender Umstände kann daher nicht davon ausgegangen werden, das syrische Regime unterstelle sunnitischen Religionszugehörigen generell eine oppositionelle Gesinnung. Dessen ungeachtet spricht gegen eine generelle Verfolgung von Sunniten seitens der Rebellen des HTS in den von diesem kontrollierten Gebieten in Idlib zudem die Tatsache, dass es sich bei dem HTS nach den Erkenntnissen des Senats um eine Rebellenallianz bzw. ein Bündnis islamistisch-sunnitischer Milizen handelt (vgl. SFH, Factsheet Syrien, Mai 2022, S. 3).

(6) Entgegen der Ansicht des Klägers folgt ein Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch nicht aus dem Umstand, dass das Bundesamt einzelnen Geschwistern, die wie er aus Idlib stammen und sein Flüchtlingsschicksal teilen, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat. Ein solcher Anspruch folgt insbesondere nicht aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung und dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Vertrauensschutz. Ungeachtet der Frage, ob es früher eine entsprechende vertrauensbegründende Verwaltungspraxis des Bundesamtes gab, bleibt es diesem unbenommen, seine Verwaltungspraxis in Übereinstimmung mit den rechtlichen Anforderungen des Flüchtlingsrechts, namentlich bei Vorliegen sachlicher Gründe wie auch einer veränderten Bewertung der Sachlage in Syrien zu ändern. Davon ausgehend ist eine Rechtswidrigkeit der Entscheidung über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft - aus den vorgenannten Gründen - nicht ersichtlich; ein Anspruch des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft besteht nicht.

(7) Ein Anspruch ergibt sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt der Sippenhaft oder Reflexverfolgung. Dass dem Kläger selbst in Falle einer Rückkehr nach Syrien, anknüpfend an das Flüchtlingsschicksal bzw. einer etwaigen regimekritischen Gesinnung seiner Geschwister und/oder anderer Angehöriger, wegen einer ihm deshalb zumindest unterstellten oppositionellen Gesinnung, Verfolgungshandlungen (§ 3a AsylG) seitens des syrischen Regimes oder anderer beachtlicher Verfolgungsakteure (§ 3c AsylG) drohen könnten, ist nicht ersichtlich. Durchgreifende Anhaltspunkte dafür lassen sich weder dem eigenen Vorbringen des Klägers noch den beigezogenen Asylakten seiner Geschwister und den sonstigen Gesamtumständen entnehmen.

Solche ergeben sich auch nicht aus einer etwaigen - durch den Auslandaufenthalt bedingten - Wehrdienstentziehung naher Angehöriger. Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Annahme einer an die Wehrdienstentziehung eines Angehörigen anknüpfenden flüchtlingsrelevanten Reflexverfolgung naher Angehöriger nicht begründet (vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 18.7.2022 - 2 LB 218/21 -, juris Rn. 35 und v. 28.3.2018 - 2 LA 1109/17 - unter Hinweis auf VGH BW, Urt. v. 9.8.2017 - A 11 S 710/17 -, juris, Rn. 50 und SächsOVG, Urt. v. 7.2.2018 - 5 A 1246/17.A -, juris, Rn. 49 ff.). Daran hält der Senat in Übereinstimmung mit der übrigen obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BayVGH, Beschl. v. 9.3.2023 - 21 B 19.30657 -, juris Rn. 29 f. mwN, Urt. v. 3.1.2022 - 21 B 19.32835 -, juris Rn. 26, und v. 21.9.2020 - 21 B 19.32725 -, juris Rn. 67; VGH BW, Urt. v. 18.8.2021 - VGH A 3 S 277/19 -, juris, Urteilsabdruck S. 20, Urt. v. 4.5.2021 - A 4 S 468.21 -, juris Rn. 27; HessVGH, Beschl. v. 25.8.2020 - 8 A 780/17.A -, juris Rn. 27; OVG NRW, Urt. v. 12.12.2019 - 14 A 847/18.A -, juris Rn. 37; OVG SH, Urt. v. 10.7.2019 - 5 LB 25/19 -, juris Rn. 46; BremOVG, Urt. v. 20.2.2019 - 2 LB 152/18 -, juris Rn. 48 ff., SächsOVG, Urt. v. 21.1.2022 - 5 A 1402/18.A -, juris Rn. 37 ff. u. Urt. v. 6.2.2019 - 5 A 1066/17.A -, juris Rn. 29) auch unter Auswertung neuerer Erkenntnismittel (vgl. AA, Lagebericht v. 29.11.2021, S. 20; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, Oktober 2021, S. 65 f.; EASO, CoI, Syria Military service, April 2021, S. 33 ff., DIS, Syria, Military Service, Mai 2020, S. 36, SFH, Syrien Rekrutierung in Quamishli und Verfolgung von Familienangehörigen, 26.2.2019, S. 7 f.) fest.

Dessen ungeachtet rechtfertigt eine durch das Verlassen Syriens und/oder den (längeren) Aufenthalt im Ausland bedingte Wehrdienstentziehung - für sich genommen und ohne Hinzutreten individueller gefahrerhöhender Umstände - nach der Rechtsprechung des Senats und der ganz überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung - wie oben ausgeführt - nicht die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung des betroffenen Wehrpflichtigen. Ist aber eine solche des betroffenen Wehrpflichtigen bereits nicht beachtlich wahrscheinlich, scheidet damit auch eine daran anknüpfende flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung naher Angehöriger aus dem Gesichtspunkt der Reflexverfolgung (Sippenhaft) aus (vgl. Senatsbeschl. v. 18.7.2022 - 2 LB 218/21 -, juris Rn. 34).

Den Schilderungen des Klägers zu den Ereignissen in seinem Heimatland trägt die Gewährung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG Rechnung. Einen darüberhinausgehenden Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG vermögen seine Schilderungen indes nicht zu begründen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.4.2017 - 1 B 22.17 -, juris Rn. 4 ff.).