Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.05.2022, Az.: 2 LB 52/22

Keine Rechtfertigung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft alleinig aufgrund Militärdienstverweigerung oder zum Entzug vor der Wehrpflicht

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
11.05.2022
Aktenzeichen
2 LB 52/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 18808
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 02.08.2018

Fundstelle

  • AUAS 2022, 132

Amtlicher Leitsatz

Der Senat hält an seiner Rechtsprechung (Urteile vom 27.6.2017 - 2 LB 91/17 - und vom 22.4.2021 - 2 LB 147/18 und 408/20 -) fest, dass die Militärdienstverweigerung bzw. der alleinige Entzug vor der Wehrpflicht in Syrien die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht rechtfertigt (entgegen OVG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 29.1.2021 - OVG 3 B 108.18 und OVG 3 B 109.18 - und OVG Bremen, Urteil vom 23.3.2022 - 1 LB 484/21 -).

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 2. Kammer (Einzelrichter) - vom 2. August 2018 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Der Beschluss ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des auf Grund des Beschlusses vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger verfügt über subsidiären Schutz und begehrt im Wege der Aufstockungsklage die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Der 1995 in Damaskus im Gouvernement Rif Dimaschq geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger, arabischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt gab er im Wesentlichen an, Syrien im September 2015 verlassen zu haben und in die Bundesrepublik Deutschland im Oktober 2015 eingereist zu sein. Vor seiner Ausreise habe er in Damaskus als Reinigungskraft gearbeitet; zuletzt gewohnt habe er gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern im Ort Kafr Shams, ca. 70 km von der Stadt Darʿa entfernt, im gleichnamigen Gouvernement. Wehrdienst habe er bislang nicht geleistet. Er habe zunächst eine Zurückstellung wegen seines Studiums gehabt; diese habe allerdings am 15. März 2015 geendet. Er sei aus Angst vor einer Zwangsrekrutierung und davor, getötet zu werden, ausgereist. Einmal sei er an einem Checkpoint von Soldaten des Regimes geschlagen worden, weil er aus Darʿa komme. Alle Menschen aus dieser Region würden als Mitglieder der Freien Syrischen Armee angesehen.

Die Beklagte erkannte dem Kläger mit Bescheid vom 28. Juli 2016 subsidiären Schutz zu und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab.

Mit seiner dagegen gerichteten Klage hat der Kläger ergänzend vorgetragen, er habe sich dem Militärdienst durch Flucht entzogen. Er habe Angst gehabt, zwangsrekrutiert zu werden und Syrien deshalb illegal verlassen. Nunmehr gelte er als Regimegegner. Außerdem stamme er aus Darʿa, wo der Aufstand gegen das Regime begonnen habe. Die Menschen dort würden als Assad-Gegner und Mitglieder der Freien Syrischen Armee gelten. Mehrfach sei er an Checkpoints zwischen Darʿa und Damaskus von Soldaten des Regimes geschlagen worden, weil er aus der Nähe von Darʿa komme. Sie hätten gedacht, er sei bewaffnet.

Zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist der Kläger nicht erschienen. Er hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides vom 28. Juli 2016 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuzuerkennen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger befinde sich im wehrpflichtigen Alter und ihm drohten angesichts des Entzugs von der Militärpflicht im Falle der Rückkehr nach Syrien Maßnahmen politischer Verfolgung.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung der Beklagten. Sie trägt vor, der Umstand, dass sich der Kläger im wehrpflichtigen Alter befinde, führe nicht zur Bejahung der Flüchtlingseigenschaft, denn eine politische Verfolgung sei ohne weitere individuelle Umstände nicht erkennbar.

Die Beklagte beantragt,

das erstinstanzliche Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verweist auf das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Bremen vom 23. März 2022 - 1 LB 484/21 -.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakte verwiesen. Die vom Senat zugrunde gelegten Erkenntnismittel ergeben sich aus der dem Kläger übersandten Liste.

II.

Der Senat trifft diese Entscheidung nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss (§ 130a Satz 1 VwGO), weil er die Berufung einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (zur Zulässigkeit einer Entscheidung nach § 130a VwGO vgl. Senatsbeschl. v. 5.9.2017 - 2 LB 186/17 -, juris Rn. 18 ff.). Die aufgeworfenen rechtlichen und tatsächlichen Fragen sind in der Senatsrechtsprechung seit längerem geklärt (vgl. Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 - u. v. 22.4.2021 - 2 LB 147/18 und 408/20 -, jeweils veröffentlicht in juris [so auch im Folgenden zitiert] sowie in beck-online und unter www.rechtsprechung.niedersachsen.de). Der Kläger hat auch keine Gesichtspunkte vorgetragen, die eine mündliche Verhandlung geboten erscheinen lassen, vielmehr ausdrücklich sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Die zulässige Berufung ist begründet. Die Klage ist unbegründet und daher abzuweisen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG.

Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründe) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

Gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG gelten Handlungen als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). In § 3a Abs. 2 Nrn. 1 bis 6 AsylG werden einzelne Beispiele für Verfolgungshandlungen genannt, unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt (Nr. 1), eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung (Nr. 3) oder eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (Nr. 5). Gemäß § 3c AsylG sind Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, u. a. der Staat oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen.

Zwischen den in § 3 Abs. 1 AsylG genannten und in § 3b Abs. 1 AsylG jeweils näher erläuterten Verfolgungsgründen sowie den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG beschriebenen Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Dabei ist unerheblich, ob der Ausländer tatsächlich z. B. die religiösen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger nur zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG). Für den Bereich des Asylrechts hat das Bundesverfassungsgericht diese Verknüpfung von Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund dahingehend konkretisiert, dass es für eine politische Verfolgung ausreicht, wenn der Ausländer der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet wird, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist. Unerheblich ist dabei, ob der Betreffende aufgrund der ihm zugeschriebenen Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung (überhaupt) tätig geworden ist (BVerfG, Beschl. v. 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 -, juris Rn. 5; Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 31). Die Maßnahme muss darauf gerichtet sein, den von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an einen oder mehrere Verfolgungsgründe zu treffen (vgl. näher zu den Voraussetzungen Senatsurt. v. 22.4.2021 - 2 LB 147/18 und 408/20 -, juris Rn. 21 bzw. 20).

Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ("real risk") drohen (stRspr, vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 -, juris Rn. 19, 32; Beschl. v. 15.8.2017 - 1 B 120.17 -, juris Rn. 8). Für die anzustellende Verfolgungsprognose gilt - unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht - ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU, nicht (mehr) durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Nach dieser Vorschrift besteht eine tatsächliche Vermutung, dass sich eine frühere Verfolgung bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen wird. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften (vgl. BVerwG, Urt. v. 1.6.2011 - 10 C 25.10 -, juris Rn. 21 f.; Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 34). Eine Verfolgung ist beachtlich wahrscheinlich, wenn einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Ausländers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (vgl. hierzu sowie zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt und den Maßgaben der richterlichen Überzeugungsbildung im Einzelnen Senatsurt. v. 22.4.2021 - 2 LB 147/18 und 408/20 -, juris Rn. 22 ff. bzw. 21 ff.).

Nach diesen Maßgaben besteht für den Kläger bei einer - hypothetischen - Rückkehr nach Syrien zur Überzeugung des Gerichts keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung aus den in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründen.

1. Der Kläger ist nicht vorverfolgt ausgereist, sodass ihm die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU nicht zugutekommt.

Eine Vorverfolgung ergibt sich - auch unter Berücksichtigung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 19. November 2020 (- C-238/19 -, juris) - nicht im Hinblick darauf, dass sich der Kläger bereits zum Zeitpunkt seiner Ausreise dem Wehrdienst auf Seiten des syrischen Staates entzogen hat. Dies gilt auch im Hinblick auf eine mögliche Verfolgungshandlung gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG. Eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes, wie sie der Tatbestand dieser Bestimmung zunächst voraussetzt, hat der Kläger vor seiner Ausreise aus Syrien seinen eigenen Angaben zufolge nicht erlitten. Die Annahme einer bei der Ausreise unmittelbar drohenden Strafverfolgung oder Bestrafung (vgl. Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU) wegen Verweigerung des Militärdienstes i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG kann nach der Senatsrechtsprechung nur dann in Betracht kommen, wenn sich ein im militärdienstpflichtigen Alter befindlicher Mann aus Sicht des syrischen Staates bereits vor dem Moment seiner Ausreise erkennbar dem Militärdienst entzogen hatte und er gerade aus diesem Grund der beachtlich wahrscheinlichen Gefahr unterlag, Verfolgungsmaßnahmen der Sicherheitskräfte erleiden zu müssen (vgl. im Einzelnen Senatsurt. v. 22.4.2021 - 2 LB 147/18 und 408/20 -, juris Rn. 32 ff. bzw. 31 ff.). Diese Voraussetzungen liegen bei dem Kläger nicht vor. Dass er bereits konkret zum Dienstantritt aufgefordert worden wäre und ein Verhalten an den Tag gelegt hätte, welches aus Sicht des Regimes für eine Entziehung bereits vor der Ausreise hätte sprechen können, hat der Kläger nicht vorgetragen. Er hat ausgeführt, noch keinen Wehrdienst geleistet und Angst vor einer Zwangsrekrutierung gehabt zu haben. Er sei zunächst vom Wehrdienst befreit gewesen, weil er Student gewesen sei.

Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger aus anderen Gründen zum Zeitpunkt seiner Ausreise vorverfolgt war, bestehen nicht. Soweit der - im Übrigen in Damaskus geborene - Kläger vorträgt, er komme aus der Region Darʿa, rechtfertigt auch dies nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Nach einer Offensive, die am 19. Juni 2018 begonnen hatte und von Luftangriffen begleitet wurde, gaben die in der Stadt verbliebenen Rebellen Darʿa am 12. Juli 2018 auf und die syrische Armee marschierte ein (Wikipediaeintrag zu Darʿa, https://de.wikipedia.org/wiki/Dar%CA%BF%C4%81 unter Bezugnahme auf einen Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 12. Juli 2018, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/syrien-regierungstruppen-marschieren-in-rebellenviertel-von-daraa-ein-15688285.html). Selbst wenn der Kläger vor seiner Ausreise aufgrund seiner Herkunft durch das syrische Regime wegen der Herrschaft der Freien Syrischen Armee in seiner Heimatregion Misshandlungen erlitten haben sollte - sein Vortrag ist insoweit sehr vage und detailarm geblieben -, ist nicht ersichtlich, weshalb ihm auch heute noch eine Verfolgung i. S. d. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG drohen sollte. Für eine generelle Verfolgung aller Bürgerinnen und Bürger der Region durch das syrische Regime bestehen keine Anhaltspunkte.

2. Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit begründende Ereignisse, die eingetreten sind, nachdem der Kläger sein Herkunftsland verlassen hat (§ 28 Abs. 1a AsylG), liegen ebenfalls nicht vor.

Syrische Staatsangehörige unterliegen nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats (Urt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 - u. v. 22.4.2021 - 2 LB 147/18 und 408/20 -, juris) allein aufgrund einer (illegalen) Ausreise, einer Asylantragstellung und einem längeren Aufenthalt im westlichen Ausland, der Herkunft aus einem (ehemals) von der Opposition beherrschten Gebiet und wegen des Umstandes, dass sie sich durch ihre Ausreise oder ihren längeren Aufenthalt im Ausland dem Wehrdienst entzogen haben, nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG.

Es fehlt jedenfalls an der gemäß § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung zwischen einer etwaigen Verfolgungshandlung und einem Verfolgungsgrund i. S. v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b AsylG. Die dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel lassen den Schluss, dass Rückkehrern ohne besonderes Profil von Seiten des syrischen Staates regelhaft eine oppositionelle Gesinnung zugeschrieben wird, weiterhin nicht zu. Das gilt auch bei (einfacher) Wehrdienstentziehung. Nach der vom Senat geteilten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stellen die an eine Wehrdienstentziehung geknüpften Sanktionen, selbst wenn sie von totalitären Staaten ausgehen, nur dann eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung dar, wenn sie nicht nur der Ahndung eines Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht dienen, sondern darüber hinaus den Betroffenen auch wegen seiner Religion, seiner politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen Merkmals treffen sollen (vgl. zusammenfassend BVerwG, Beschl. v. 24.4.2017 - 1 B 22.17 -, juris Rn. 14). An einer solchen Verknüpfung zwischen der Bestrafung von Rückkehrern wegen einer Wehrdienstentziehung und einem Verfolgungsgrund im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG fehlt es.

Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung wegen einer Wehrdienstentziehung liegt auch unter Berücksichtigung des in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG aufgenommenen Regelbeispiels einer Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a Abs. 1 AsylG nicht vor. Die dort genannten Voraussetzungen sind in zweifacher Hinsicht nicht erfüllt. Zum einen geht der Senat nicht davon aus, dass der Wehr- bzw. Reservedienst in der syrischen Armee Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen. Zum anderen fehlt es auch hier an der erforderlichen Verknüpfung der Strafverfolgung oder Bestrafung wegen der Verweigerung des Militärdienstes mit einem Verfolgungsgrund.

Zur näheren Begründung seiner Einschätzung nimmt der Senat vollumfänglich Bezug auf seine Urteile vom 27. Juni 2017 - 2 LB 91/17 - und vom 22. April 2021 - 2 LB 147/18 und 408/20 -, juris (zur Zulässigkeit einer solchen Bezugnahme vgl. BVerwG, Beschl. v. 3.4.1990 - 9 CB 5.90 -, juris Rn. 6, v. 22.11.1994 - 5 PKH 64.94 -, juris Rn. 4, u. v. 3.12.2008 - 4 BN 25.08 -, juris Rn. 9; Lambiris in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 58. Ed. 2020, § 117 Rn. 19a; Kilian/Hissnauer in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 117 Rn. 85). Das klägerische Vorbringen gibt keine Veranlassung zu einer veränderten Bewertung. Neuere Erkenntnisse, die darauf schließen lassen, dass die Situation von Rückkehrern aus Europa anders zu beurteilen wäre, liegen nicht vor. Auch die übrige obergerichtliche Rechtsprechung verneint in den genannten Fällen ganz überwiegend eine politische Verfolgung (OVG NRW, Beschl. v. 25.1.2021 - 14 A 822/19.A -, juris; VGH BW, Urt. v. 4.5.2021 - A 4 S 468/21 - u. Urt. v. 18.8.2021 - A 3 S 271/19 -, juris; OVG MV, Urt. v. 26.5.2021 - 4 L 238/13 -, juris; BayVGH, Urt. v. 23.6.2021 - 21 B 19.33586 -, juris; OVG LSA, Urt. v. 1.7.2021 - 3 L 154/18 -, juris; SächsOVG, Urt. v. 22.9.2021 - 5 A 855/19.A -, juris; Hess VGH, Urt. v. 23.8.2021 - 8 A 1992/18.A -, juris). Von der gegensätzlichen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg in seinen Urteilen vom 29. Januar 2021 - OVG 3 B 108.18 und OVG 3 B 109.18 -, jeweils juris, hat sich der Senat in seinen Grundsatzurteilen ausdrücklich abgegrenzt, wobei auch auf die Zulassung der Revision durch das Bundesverwaltungsgericht (Beschl. v. 22.7.2021 - 1 B 28.21 - bzw. Beschl. v. 20.7.2021 - 1 B 26.21 -, jeweils juris) hingewiesen worden ist. Das auf der Linie der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg liegende und vom Kläger zitierte Urteil des Oberverwaltungsgerichts Bremen vom 23. März 2022 - 1 LB 484/21 -, juris, gibt keinen Anlass zur Änderung der Senatsrechtsprechung. Das Urteil stützt sich nicht auf neuere anderslautende Erkenntnisquellen, sondern nimmt eine andere Bewertung der auch dem Senat vorliegenden Informationen vor.

Andere individuelle Umstände, welche die Annahme einer beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit rechtfertigen könnten, hat der Kläger nicht vorgetragen und solche sind auch sonst nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.4.2017 - 1 B 22.17 -, juris Rn. 4 ff.).