Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 29.05.2023, Az.: 12 ME 41/23

Erledigung; Fahrerlaubnisentziehung; Sofortvollzug; Tod des Rechtsmittelführers; Unzulässigkeit der im Namen eines Verstorbenen erhobenen Beschwerde gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Fahrerlaubnisentziehung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
29.05.2023
Aktenzeichen
12 ME 41/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 26213
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:0529.12ME41.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 30.03.2023 - AZ: 5 B 242/23

Fundstelle

  • DÖV 2023, 872

Amtlicher Leitsatz

Es entspricht nicht der Billigkeit, einen Rechtsmittelgegner auf ein von vornherein aussichtsloses Rechtsmittel mit Verfahrenskosten zu belasten, (nur) weil auf der Seite des Rechtsmittelführers ein erledigendes Ereignis eingetreten ist, das diesem den späteren Ausstieg aus dem Prozess ermöglicht.

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover vom 30. März 2023 - 5. Kammer (Einzelrichter) - wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung für unwirksam erklärt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

Das gerichtliche Verfahren ist mit dem Tod des Antragstellers am 26. März 2023 nicht unterbrochen worden, weil dieser durch seine Prozessbevollmächtigten vertreten gewesen ist (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 246 Abs. 1 Halbsatz 1 ZPO). Diese Prozessbevollmächtigten haben das gerichtliche Verfahren mit Wirkung für den Erben des Antragstellers unter dem Namen des Verstorbenen fortführen können (vgl. Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd. 3, 23. Aufl. 2016, § 246, Rn. 9; Greger, in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 246 Rn. 2b).

Der Rechtsstreit ist inzwischen aber gemäß § 161 Abs. 2 Satz 2 VwGO erledigt, weil die Antragsgegnerin der Erledigungserklärung auf Antragstellerseite nicht innerhalb von zwei Wochen seit der Zustellung des diese Erledigungserklärung enthaltenden Schriftsatzes vom 2. Mai 2023 am 3. Mai 2023 widersprochen hat.

Das Verfahren ist deshalb in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 VwGO einzustellen, der Beschluss des Verwaltungsgerichts analog § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO (i. V. m. § 173 Satz 1 VwGO) hinsichtlich der Sach- und Kostenentscheidung für unwirksam zu erklären und über die Verfahrenskosten gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden.

Zwar gibt es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschl. v. 29.7.2003 - BVerwG 1 B 291.02 -, NVwZ 2004, 18 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 8, m. w. N.) grundsätzlich keine zeitliche Grenze für die Abgabe einer Erledigungserklärung vor Eintritt der Rechtskraft der Endentscheidung und kommt es bei Kostenentscheidungen nach Abgabe übereinstimmender Erledigungserklärungen grundsätzlich auf denjenigen Sach- und Streitstand, d. h. diejenige Sach- und Rechtslage, an, der bzw. die zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses bestanden hat (vgl. Neumann/ Schaks, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 161 Rn. 83; Nds. OVG, Beschl. v. 3.11.2017 - 12 ME 183/17 -, NVwZ-RR 2018, 127 f., hier zitiert nach juris, Rn. 16).

Besonderheiten gelten aber, wenn - wie hier - ein Rechtsstreit erst in einem Rechtsmittelverfahren für erledigt erklärt wird. Bedeutung hat das vor allem in den Fällen eines - wie vorliegend - unzulässigen Rechtsmittels, dem ein (nach der Auffassung des Rechtsmittelführers) möglicherweise begründetes Begehren zugrunde lag (vgl. Neumann/Schaks, a. a. O., § 161, Rn. 76). Denn es entspricht nicht der Billigkeit, einen Rechtsmittelgegner auf ein von vornherein aussichtsloses Rechtsmittel mit Verfahrenskosten zu belasten, (nur) weil auf der Seite des Rechtsmittelführers ein erledigendes Ereignis eingetreten ist, das diesem den späteren "Ausstieg" aus dem Prozess ermöglicht (vgl. Neumann/Schaks, a. a. O., § 161, Rn. 155). Zwar ließen sich die Folgen einer anderen Sichtweise (partiell) dadurch auffangen, dass man die Kosten des Rechtsmittelverfahrens nach Maßgabe der Wertung des § 155 Abs. 4 VwGO (Neumann/Schaks, a. a. O., § 155, Rn. 78) im Rahmen des § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO dem Rechtsmittelführer auferlegte, wenn dessen Erledigungserklärung schuldhaft verspätet abgegeben worden ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.7.2003 - BVerwG 1 B 291.02 -, a. a. O., juris, Rn. 9). Dies würde aber eine Feststellung der Vorwerfbarkeit des Verhaltens des Rechtsmittelführers oder seines Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 173 Satz 1 VwGO) voraussetzen (vgl. Neumann/Schaks, a. a. O., § 155, Rn. 80), die sich ohne eine nähere Aufklärung des Sachverhalts - die zum Zwecke der Kostenentscheidung gerade nicht angezeigt ist (vgl. Neumann/Schaks, a. a. O., § 161, Rn. 84) - kaum treffen ließe. Im Ergebnis würde das häufig zu einer ungerechtfertigten Kostenbeteiligung des Rechtsmittelgegners führen.

Deshalb entspricht es mehr der Billigkeit, die Kosten des Verfahrens insgesamt dem Rechtsmittelführer aufzuerlegen, soweit seinem Rechtsmittel die Zulässigkeit fehlte.

Das wirkt sich auch im vorliegenden Falle aus. Der Antragsteller war bereits verstorben, als der angefochtene Beschluss ergangen ist, sodass das erledigende Ereignis nicht erst "zwischen den Instanzen" eingetreten ist. Zum Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde am 12. April 2023 war er sogar bereits seit Wochen verstorben. Die Beschwerde konnte also von vornherein nur noch mit Wirkung für einen Erben eingelegt werden. Bereits für einen Erben eingelegt, stellte sich das Rechtsmittel aber hinsichtlich des Streitgegenstandes der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Fahrerlaubnisentziehung objektiv als unzulässige Umgehung des § 158 Abs. 1 VwGO dar. Denn es erscheint schlechthin ausgeschlossen, einen Erben des Antragstellers als selbst durch die Versagung der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis des Verstorbenen beschwert zu betrachten (vgl. Neumann/Schaks, a. a. O., § 158, Rn. 21). Vielmehr liegt es auf der Hand, dass ein Erbe an diesem Sachbegehren der Beschwerde kein verständiges und schutzwürdiges eigenes Interesse mehr hatte. Mit Wirkung für ihn konnte folglich ein Rechtsmittel gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes bezüglich der Fahrerlaubnisentziehung nur noch mit dem Ziel eingelegt werden, eine Änderung der gerichtlichen Kostenentscheidung zu erreichen. Dies ist jedoch nach § 158 Abs. 1 VwGO gerade ausgeschlossen und führt als Umgehung der Norm zur Unzulässigkeit der Beschwerde in Ansehung ihres auf den Sofortvollzuges der Fahrerlaubnisentziehung bezogenen Begehrens.

Zwar hat sich die Beschwerde zudem dagegen gerichtet, dass die Vorinstanz keinen vorläufigen Rechtsschutz gegen den Sofortvollzug eines weiteren Verwaltungsaktes, nämlich der Verwaltungskostenfestsetzung des Antragsgegners, gewährt hatte. Insoweit kann das Rechtsmittel zwar nicht als Umgehung des § 158 Abs. 1 VwGO betrachtet werden (vgl. Neumann/Schaks, a. a. O., § 158, Rn. 9). Es ist aber ebenfalls unzulässig gewesen. Denn die Beschwerdebegründung hat sich entgegen § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht ausreichend mit der Erwägung der Vorinstanz auseinandergesetzt, dass eine einschränkende Auslegung des Antragsbegehrens im Hinblick darauf sachgerecht sei, dass vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 80 Abs. 6 VwGO nicht ausgegangen werden könne (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 19.8.2020 - 12 ME 114/20 -, juris, Rn. 26, m. w. N.). Im Übrigen wären ohnehin bei der Kostenverteilung nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO die Erfolgsaussichten des gegen die Verwaltungskostenfestsetzung gerichteten weiteren Beschwerdebegehrens im Hinblick auf die Wertung des § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO (vgl. Neumann/Schaks, a. a. O., § 161, Rn. 95) und die Regelung des § 43 Abs. 1 GKG zu vernachlässigen gewesen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 43 Abs. 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 und 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an den Vorschlägen unter den Nrn. 1.5 Satz 1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 158 Abs. 2, 152 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).