Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 25.05.2023, Az.: 13 LC 287/22

Anfechtung der Vaterschaft; Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit; Keine Rechtsgrundlage für den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit eines Kindes nach Anfechtung der Vaterschaft

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
25.05.2023
Aktenzeichen
13 LC 287/22
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 21094
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:0525.13LC287.22.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Lüneburg - 10.11.2022 - AZ: 6 A 217/21

Fundstellen

  • FamRZ 2023, 1479
  • NZFam 2023, 1104
  • NordÖR 2023, 555

Amtlicher Leitsatz

Für den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit eines Kindes infolge einer negativen Feststellung der Vaterschaft eines Deutschen fehlt es nach der derzeit geltenden Rechtslage an der nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG erforderlichen Rechtsgrundlage, die diesen Verlust ausdrücklich anordnet.

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 6. Kammer - vom 10. November 2022 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Verpflichtung der Beklagten festzustellen, dass sie deutsche Staatsangehörige ist.

I. Die Klägerin wurde am .......2019 in A-Stadt geboren. Mutter der Klägerin ist die am .......1990 geborene senegalesische Staatsangehörige B.. Sie war im Zeitpunkt der Geburt der Klägerin mit dem deutschen Staatsangehörigen G. verheiratet. Die Ehe ist seit dem 23. Juni 2020 geschieden. Bereits am 10. Dezember 2018 hatte der senegalesische Staatsangehörige C. mit Zustimmung der Mutter die Vaterschaft der ungeborenen Klägerin anerkannt. Mit Beschluss vom 13. November 2020, rechtskräftig seit dem 22. Dezember 2020, stellte das Amtsgericht - Familiengericht - A-Stadt auf Antrag fest, dass nicht der deutsche Staatsangehörige G., sondern der am ......1987 geborene senegalesische Staatsangehörige C. der Vater der Klägerin ist.

Sowohl die Mutter als auch der Vater sowie die Klägerin selbst sind im Besitz senegalesischer Pässe.

Mit Schreiben vom 9. Februar 2021 beantragte die Klägerin die Feststellung ihrer deutschen Staatsangehörigkeit bei der Beklagten. Hierzu führte sie aus, die Anfechtung der Vaterschaft beseitige nicht ihre deutsche Staatsangehörigkeit. Eine gesetzliche Grundlage dafür, dass mit dem rückwirkenden Verlust der Vaterschaft auch der rückwirkende Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit einhergehe, gebe es nicht. Der Verlust des rechtlichen Vaters einerseits und der Verlust der Staatsangehörigkeit andererseits seien zwei verschiedene Rechtsverhältnisse. Ein Staatsangehörigkeitsentzug oder -verlust durch Vaterschaftsanfechtung gemäß § 1599 BGB genüge nicht dem Zitiergebot aus Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG. Mit dem Staatsangehörigkeitsentzug oder -verlust werde auch unzulässig in ihre Unionsbürgerrechte eingegriffen.

II. Die Klägerin hat am 31. Mai 2021 vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg Untätigkeitsklage (-6 A 217/21 -) erhoben.

Während des laufenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens hörte die Beklagte mit Schreiben vom 12. Juli 2021 die Klägerin zur beabsichtigten Ablehnung der Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit an.

Mit Bescheid vom 10. August 2021 stellte die Beklagte fest, dass die Klägerin nicht deutsche Staatsangehörige ist, erlegte ihr die Kosten des Verfahrens auf und setzte mit gesondertem Bescheid vom gleichen Tag für den Erlass des ablehnenden Bescheides eine Gebühr in Höhe von 18,00 Euro fest. Die Klägerin habe die deutsche Staatsangehörigkeit aufgrund der Vaterschaftsanfechtung rückwirkend gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 Var. 3 StAG in Verbindung mit § 17 Abs. 2 StAG verloren. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 17. Juli 2019 (- 2 BvR 1327/18 -) bezogen auf die alte Fassung des § 17 StAG festgestellt, dass dieser nicht dem Gesetzesvorbehalt des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG genüge. Diese Entscheidung beziehe sich jedoch ausdrücklich auf die bis zum 11. Februar 2009 geltende Fassung der Vorschrift. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht habe in seiner Entscheidung vom 12. September 2019 (- 8 ME 66/19 -) die ab dem 12. Februar 2009 geltende Fassung des § 17 StAG verfassungsrechtlich nicht beanstandet. Durch den rückwirkenden Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit werde die Klägerin auch nicht staatenlos im Sinne des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG. Sie könne die senegalesische Staatsangehörigkeit von beiden Elternteilen ableiten.

Die Klägerin hat die Bescheide vom 10. August 2021 mit Schriftsatz vom 11. August 2021 in das verwaltungsgerichtliche Verfahren einbezogen.

Zur Begründung ihrer Klage hat sie auf ihren bisherigen Vortrag im behördlichen Verfahren verwiesen und darüber hinaus geltend gemacht, das Bundesverwaltungsgericht, dem bekannt gewesen sei, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Juli 2019 (- 2 BvR 1327/18 -) nur Vaterschaftsanfechtungen bis Februar 2009 betroffen habe, habe die entscheidende Rechtsfrage in seiner Entscheidung vom 26. Mai 2020 (- BVerwG 1 C 12.19 -) entschieden und bewusst nicht zwischen den verschiedenen Zeiträumen der Vaterschaftsanfechtung vor und ab Februar 2009 differenziert.

Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,

die Bescheide vom 10. August 2021 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass sie deutsche Staatsbürgerin ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, die in Rede stehenden gesetzlichen Regelungen stellten die Vorhersehbarkeit des Verlustes zur Verlässlichkeit des Staatsangehörigkeitsstatus' sicher und gewährleisteten damit auch ein ausreichendes Maß an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Zwar seien strenge Anforderungen zu beachten, die der Gesetzesvorbehalt an die Regelung der Staatsangehörigkeit stelle. Der Gesetzesvorbehalt fordere indes nicht, dass das Staatsangehörigkeitsgesetz Tatbestand und Rechtsfolge des rückwirkenden Entfalls in einer eigenen Vorschrift mit konstitutiver Wirkung anordne. Um die Rechtsfolge herbeizuführen, genüge es, dass § 4 Abs. 1 Satz 1 StAG für den Abstammungserwerb die Elterneigenschaft dessen, von dem die deutsche Staatsangehörigkeit abgeleitet werde, voraussetze und dass im Falle der Vaterschaftsanfechtung nach § 1599 BGB diese Elternschaft rückwirkend nicht bestehe. Mit dem im Jahr 2009 eingeführten § 17 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 Var. 3 StAG sei der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nunmehr vorhersehbar. Wegen des Zusammenhangs zwischen dem hergebrachten Verständnis von § 4 Abs. 1 Satz 1 StAG und § 1599 BGB mit § 17 Abs. 3 Satz 1 Var. 3, § 17 Abs. 2 StAG unterscheide sich die Bestimmtheit der vorgenannten Vorschriften im Fall der Vaterschaftsanfechtung durch den ursprünglich rechtlichen Vater von der Situation bei der Behördenanfechtung, die § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB a.F. vorgesehen habe und für die das Bundesverfassungsgericht die Einhaltung der Anforderungen an den Gesetzesvorbehalt verneint habe. Das Zitiergebot sei im Einklang mit der Auffassung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts ebenfalls nicht verletzt, weil der Verlust im Falle der Vaterschaftsanfechtung durch den bisherigen rechtlichen Vater ein mittelbarer Grundrechtseingriff sei, für den diese Vorschrift nicht gelte.

Mit Urteil vom 10. November 2022, das im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung erging, hat das Verwaltungsgericht Lüneburg - 6. Kammer - die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 10. August 2021 verpflichtet festzustellen, dass die Klägerin die deutsche Staatsangehörigkeit innehat. Die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig. Die Klägerin habe die durch ihre Geburt erworbene deutsche Staatsangehörigkeit durch die erfolgreiche Vaterschaftsanfechtung nicht wieder verloren. Zwar sei die Vaterschaft des deutschen Staatsangehörigen G. nach der Geburt der Klägerin durch die erfolgreiche Anfechtung rückwirkend entfallen. Dies bleibe aber ohne Auswirkungen auf die Staatsangehörigkeit der Klägerin. Ein im Fall der Vaterschaftsanfechtung erfolgender rückwirkender Verlust der Staatsagehörigkeit greife in den Schutzbereich des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG ein. Danach dürfe der Verlust der Staatsangehörigkeit nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos werde. Eine gesetzliche Grundlage, die diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügte, bestehe für den Verlust der Staatsangehörigkeit infolge der Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft nach § 1599 BGB nicht. Sie folge weder aus § 1599 Abs. 1 BGB, § 4 Abs. 1 Satz 1 StAG oder § 17 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 Var. 3 StAG als Einzelvorschriften noch aus dem Zusammenwirken dieser Vorschriften. § 1599 BGB beziehe sich lediglich auf die verwandtschaftsrechtlichen Regelungen; eine darüberhinausgehende Auswirkung auf die bisher bestehende Staatsangehörigkeit des betroffenen Kindes sei in den zivilrechtlichen Vorschriften nicht angeordnet. § 4 Abs. 1 Satz 1 StAG regele den Erwerb der Staatsangehörigkeit. Eine Regelung zu dem (rückwirkenden) Verlust der Staatsangehörigkeit enthalte die Vorschrift nicht. Das Bundesverfassungsgericht habe mit Beschluss vom 17. Juli 2019 (- 2 BvR 1327/18 -, juris Rn. 34) zu der bis zum 11. Februar 2009 geltenden Rechtslage (§ 17 Abs. 1 StAG a.F.) unter anderem ausgeführt, dass es bei der Anfechtung durch den Vater ebenso wie bei der Behördenanfechtung keine ausdrückliche Regelung gegeben habe, die den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit - eine gravierende Rechtsfolge für das betroffene Kind - angeordnet habe. Auch in dem mit Wirkung vom 12. Februar 2009 eingefügten § 17 Abs. 2 und Abs. 3 StAG finde sich keine Regelung, die den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit infolge der Vaterschaftsanfechtung ausdrücklich anordne. Gemäß § 17 Abs. 2 StAG berühre der Verlust der Staatsangehörigkeit nach § 17 Abs. 1 Nr. 7 StAG nicht die kraft Gesetzes erworbene deutsche Staatsangehörigkeit Dritter, sofern diese das fünfte Lebensjahr vollendet hätten. Die Regelung gelte nach § 17 Abs. 3 StAG entsprechend bei Entscheidungen nach anderen Gesetzen, die den rückwirkenden Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit Dritter zur Folge hätten, insbesondere bei der Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft nach § 1599 BGB. Das Bundesverfassungsgericht habe hierzu mit Beschluss vom 17. Dezember 2013 (- 1 BvL 6/10 -, juris Rn. 43) im Zusammenhang mit der behördlichen Vaterschaftsanfechtung ausgeführt, dass die staatsangehörigkeitsrechtliche Folge der behördlichen Vaterschaftsanfechtung zwar mittelbar Niederschlag im Gesetz gefunden habe. Den strengen Anforderungen, die der Gesetzesvorbehalt an die Regelung der Staatsangehörigkeit stelle, genüge diese nur mittelbare Regelung jedoch nicht. Diese Ausführungen beanspruchten nach Ansicht des Verwaltungsgerichts wegen des klaren Wortlauts des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG und der im Wesentlichen gleichen Eingriffsintensität auch für den Fall der nicht-behördlichen Vaterschaftsanfechtung Geltung. Zwar sei der Staatsangehörigkeitsverlust des Kindes in diesem Fall "nur" Nebenfolge und nicht zielgerichtet bezweckt, um den aufenthaltsrechtlichen Status der Kindesmutter zu beseitigen. Die strengen Maßstäbe, die das Bundesverfassungsgericht formuliere, knüpften aber nicht an den Grund der Anfechtung, sondern ausschließlich an deren (gravierende) Folge für das betroffene Kind an. Dass im Falle der nicht-behördlichen Vaterschaftsanfechtung andere beziehungsweise geringere Maßstäbe an eine entsprechende Rechtsgrundlage für den Verlust der Staatsangehörigkeit zu stellen wären als im Falle der behördlichen Vaterschaftsanfechtung, liege vor diesem Hintergrund fern. In beiden Fällen trete der Verlust als in Art und Intensität im Wesentlichen gleiche Rechtsfolge ein. Dem Gesetzesvorbehalt werde auch im Rahmen der nicht-behördlichen Vaterschaftsanfechtung nicht genügt, weil der Umstand, dass die Staatsangehörigkeit infolge der Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft wegfalle, nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt sei. § 17 Abs. 2 und Abs. 3 StAG impliziere lediglich, dass die Anfechtung der Vaterschaft zum Verlust der Staatsangehörigkeit führe und regele den Verlust der Staatsangehörigkeit nur mittelbar. Die Vorschrift setze einen anderweitig gesetzlich vorgesehenen Verlust voraus, ohne ihn selbst zu regeln. Bereits der Wortlaut des § 17 Abs. 3 Satz 1 StAG lege nahe, dass sich der Regelungszweck der Vorschrift darin erschöpfe, die Altersgrenze für den Verlust der Staatsangehörigkeit auf aus anderen Vorschriften resultierende Verluste der deutschen Staatsangehörigkeit anzuwenden. Die im Gesetzestext ausdrückliche Benennung des Nichtbestehens der Vaterschaft nach § 1599 BGB sei ebenfalls nicht so formuliert, dass von einer eigenständigen Normierung der Rechtsfolge des Wegfalls der Staatsangehörigkeit auszugehen sei. Die Einleitung "insbesondere" spreche vielmehr dafür, dass lediglich klarstellend beispielhaft einige der von § 17 Abs. 3 Satz 1 StAG erfassten Sachverhalte benannt werden sollten, für die § 17 Abs. 2 StAG entsprechend gelte. Nach dem Wortlaut habe § 17 Abs. 3 Satz 1 Var. 3 StAG ausschließlich eine die Staatsangehörigkeit schützende Wirkung. Denn er mache den Wegfall der Staatsangehörigkeit nach nicht-behördlicher Vaterschaftsanfechtung davon abhängig, dass die Altersgrenze nach § 17 Abs. 2 StAG eingehalten werde, benenne jedoch nicht in positiver Hinsicht die (weiteren) Voraussetzungen des Wegfalls. Es habe auch nicht der Absicht des Gesetzgebers entsprochen, eine den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit herbeiführende Rechtsgrundlage zu schaffen. Die Gesetzesmaterialien zu § 17 Abs. 2 und Abs. 3 StAG bestätigten die Annahme, dass der Gesetzgeber den Eintritt eines Verlustes bereits auf Grund der seinerzeit geltenden Rechtslage vorausgesetzt habe. Hinzukomme, dass die Vaterschaftsanfechtung in § 17 Abs. 1 StAG nicht genannt sei. Für den Normadressaten sei auf dieser Grundlage nicht mit hinreichender Rechtssicherheit und -klarheit vorhersehbar, unter welchen Voraussetzungen der rückwirkende Wegfall der Staatsangehörigkeit infolge einer Vaterschaftsanfechtung eintrete. Der Gegenauffassung, nach der § 17 Abs. 3 Satz 1 Var. 3, Abs. 2 StAG in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Satz 1 StAG und § 1599 BGB den Anforderungen des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG (noch) genüge, weil sich eine ausdrückliche gesetzliche Regelung des Wegfalls der Staatsangehörigkeit aus einem Zusammenwirken dieser Vorschriften ergebe, sei entgegenzuhalten, dass eine ausdrückliche Regelung eine explizite Benennung der Rechtsfolge des Wegfalls der Staatsangehörigkeit bei Anfechtung der Vaterschaft erfordere. Die angeführten Rechtsvorschriften enthielten zwar nach allgemeiner Überzeugung (alleinige Ableitung der deutschen Staatsangehörigkeit vom ursprünglichen Vater) beziehungsweise nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung (Altersgrenze des fünften Lebensjahres) notwendige Voraussetzungen für den Wegfall der Staatsangehörigkeit. Weder den Einzelvorschriften noch deren Zusammenwirken könne aber eindeutig die Rechtsfolge des Wegfalls der Staatsangehörigkeit entnommen werden. Auch werde das Zitiergebot nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG nicht beachtet. Zudem läge ein Verstoß gegen Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG vor, soweit dort geregelt sei, dass der Verlust gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten dürfe, wenn dieser dadurch nicht staatenlos werde. Es fehle an einer einfachgesetzlichen "Vorkehrung", die ausschließe, dass durch die Anfechtung der Vaterschaft und deren Wirkung eine Staatenlosigkeit eintrete. Ohne eine solche gesetzliche Regelung könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Vaterschaftsanfechtung im Einzelfall eine Staatenlosigkeit zur Folge habe, da der Verlust der Staatsangehörigkeit, sofern man im Wege der Auslegung die geltende Rechtslage vor dem Hintergrund des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG als ausreichend erachten wollte, nicht qua hoheitlicher Anordnung, sondern bereits unmittelbar mit der Rechtskraft der zivilgerichtlichen Entscheidung ipso iure eintrete. Auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, Urt. v. 26.5.2020 - BVerwG 1 C 12.19 -, juris Rn. 23) sei - ohne nähere Begründung - davon ausgegangen, dass eine nachträgliche Beseitigung des Staatsangehörigkeitserwerbs durch eine erfolgreiche Vaterschaftsanfechtung nach geltendem Recht nicht möglich sei.

III. Gegen dieses Urteil, das der Beklagten am 11. November 2022 zugestellt worden ist, richtet sich die von dem Verwaltungsgericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassene Berufung, die die Beklagte am 2. Dezember 2022 eingelegt hat.

Zur Begründung ihrer Berufung erneuert und vertieft die Beklagte ihr erstinstanzliches Vorbringen. Bei den mit Wirkung zum 12. Februar 2009 neu eingefügten § 17 Abs. 2 und Abs. 3 StAG handele es sich um eine Verlustregelung nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG. Der Gesetzesvorbehalt fordere nicht, dass das Staatsangehörigkeitsgesetz Tatbestand und Rechtsfolge des rückwirkenden Entfalls in einer eigenen Vorschrift mit konstitutiver Wirkung anordne. Um die Rechtsfolge herbeizuführen, reiche es nach zutreffender Ansicht des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts aus, dass § 4 Abs. 1 Satz 1 StAG für den Abstammungserwerb die Elternschaft dessen, von dem die Staatsangehörigkeit abgeleitet werde, voraussetze und dass im Falle der Vaterschaftsanfechtung nach § 1599 BGB diese Elternschaft rückwirkend nicht mehr bestehe. Die einfachrechtliche Wirkung der beiden Vorschriften entspreche allgemeiner, hergebrachter Rechtsüberzeugung. Anders als bei der behördlichen Vaterschaftsanfechtung nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB a.F. werde bei der Vaterschaftsanfechtung nach § 1599 BGB nicht von staatlicher Seite in die privaten Familienrechtsverhältnisse eingegriffen. Es liege hier gerade im Ermessen der Eltern, ob der Verlust der Staatsangehörigkeit als Nebenfolge der Vaterschaftsanfechtung eintrete. Dabei müsse sich die Klägerin das Verhalten ihrer Eltern zurechnen lassen. Allein auf die (möglicherweise) gleich gelagerte gravierende Folge für das Kind bei behördlicher sowie bei einer Vaterschaftsanfechtung nach § 1599 BGB abzustellen, greife zu kurz. Es bestünden erhebliche Zweifel daran, dass sich das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 26. Mai 2020 (- BVerwG 1 C 12.19 -) tatsächlich bewusst zu der im Jahr 2009 eingeführten Neuregelung des § 17 StAG geäußert habe. Nach dem Lebenssachverhalt der dortigen, rein aufenthaltsrechtlichen Entscheidung sei ein behördlicher Vaterschaftsanfechtungsantrag im Anschluss an die Feststellung der Nichtigkeit des § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB a.F. zurückgenommen worden. Eine Vaterschaftsanfechtung sei nicht relevant gewesen. In seiner Entscheidung verweise das Bundesverwaltungsgericht auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2013 (- 1 BvL 6/10 -) und vom 17. Juli 2019 (- 2 BvR 1327/18 -). In diesen Entscheidungen habe das Bundesverfassungsgericht allerdings (nur) über § 17 StAG in seiner bis zum 11. Februar 2009 geltenden Fassung entschieden und gerade nicht über die seit dem 12. Februar 2009 eingeführten Absätze 2 und 3 des § 17 StAG, die vorliegend zur Anwendung gekommen seien.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 6. Kammer - vom 10. November 2022 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

I. Die nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthafte und auch sonst zulässige Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung ihrer deutschen Staatsangehörigkeit. Die von ihr angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 10. August 2021 (Blatt 31 ff. der Gerichtsakte) über die Feststellung, dass die Klägerin nicht deutsche Staatsangehörige ist, (1.) und über die Festsetzung von Verwaltungskosten (2.) sind rechtswidrig und verletzen sie in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Maßgeblich für die Prüfung des Anspruchs auf behördliche Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.4.2018 - BVerwG 1 C 1.17 -, juris Rn. 11; Urt. v. 1.6.2017 - BVerwG 1 C 16.16 -, juris Rn. 9) und damit das Staatsangehörigkeitsgesetz - StAG - in der zuletzt durch Art. 2 des Gesetzes zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts geänderten Fassung vom 21. Dezember 2022 (BGBl. I, S. 2847). Für den Erwerb und Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes ist allerdings aus Gründen des materiellen Rechts auf die Rechtslage im Zeitpunkt des Eintritts der jeweiligen Voraussetzungen abzustellen (BVerwG, Urt. v. 19.4.2018 - BVerwG 1 C 1.17 -, juris Rn. 11).

Gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 StAG wird das Bestehen oder Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit bei Glaubhaftmachung eines berechtigten Interesses auf Antrag von der Staatsangehörigkeitsbehörde festgestellt. Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Klägerin ist im maßgeblichen Zeitpunkt deutsche Staatsangehörige. Sie hat die deutsche Staatsangehörigkeit durch die Geburt erworben (a.), hat sie nicht wieder verloren (b.) und hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung des Bestehens ihrer Staatsangehörigkeit (c.).

a. Die Klägerin hat die deutsche Staatsangehörigkeit durch die Geburt erworben. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 StAG erwirbt ein Kind durch die Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

(1) Zwar konnte die Klägerin ihre deutsche Staatsangehörigkeit nicht von ihrer Mutter ableiten. Denn diese ist senegalesische Staatsangehörige. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG, wonach ein Kind ausländischer Eltern durch Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt, wenn ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt, im Zeitpunkt der Geburt der Klägerin vorlagen. Denn sie hat erklärt, dass ihre Mutter zu diesem Zeitpunkt keinen entsprechenden Aufenthaltsstatus gehabt habe (Schriftsatz v. 23.2.2023, Blatt 136 der Gerichtsakte).

(2) Im Zeitpunkt der Geburt der Klägerin galt aber gemäß § 1592 Nr. 1 BGB der deutsche Staatsangehörige G. als Vater der Klägerin, da er zu diesem Zeitpunkt mit der Mutter der Klägerin verheiratet war.

b. Die Klägerin hat ihre deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch die negative Vaterschaftsfeststellung des Amtsgerichts - Familiengericht - A-Stadt vom 13. November 2020 verloren.

(1) Die Vaterschaft des deutschen Staatsangehörigen G. ist zwar durch die negative Vaterschaftsfeststellung durch das Amtsgericht - Familiengericht - A-Stadt mit rechtskräftigem Beschluss vom 13. November 2020 (Blatt 14 f. der Beiakte 1) gemäß § 1599 Abs. 1 BGB rückwirkend mit Wirkung für und gegen jeden (§ 184 Abs. 2 FamFG) entfallen (vgl. BGH, Beschl. v. 22.3.2017 - XII ZB 56/16 -, juris Rn. 14; Urt. v. 11.1.2012 - XII ZR 194/09 -, juris Rn. 17). Denn gemäß § 1599 Abs. 1 BGB gilt § 1592 Nr. 1 BGB nicht, wenn auf Grund einer Anfechtung rechtskräftig festgestellt ist, dass der Mann nicht der Vater des Kindes ist.

(2) Die erfolgreiche Vaterschaftsanfechtung führt jedoch nicht dazu, dass auch die deutsche Staatsangehörigkeit der Klägerin rückwirkend gemäß § 1599 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Satz 1 sowie § 17 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 Var. 3 StAG entfallen ist (anders zur geltenden Rechtslage vor 2009 noch Senatsurt. v. 7.7.2016 - 13 LC 21/15 -, juris). Denn die genannten Regelungen stellen keine ausreichende gesetzliche Grundlage für den Verlust der Staatsangehörigkeit dar, da sie den Umstand, dass die Staatsangehörigkeit infolge der Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft wegfällt, nicht ausdrücklich regeln.

Gemäß Art. 16 Abs. 1 GG darf die deutsche Staatsangehörigkeit nicht entzogen werden (Satz 1). Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird (Satz 2).

(a) Der Schutzbereich dieses normgeprägten Freiheitsgrundrechts ist eröffnet. § 4 Abs. 1 Satz 1 StAG knüpft den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit an die bestehende deutsche Staatsangehörigkeit eines Elternteils. Entfällt diese rückwirkend, lagen einfachgesetzlich die Voraussetzungen für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit im Zeitpunkt der Geburt nicht vor. Die formale Konsequenz, dass die deutsche Staatsangehörigkeit nach einer ex-post-Betrachtung einfachrechtlich als "niemals erworben" anzusehen ist, führt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aber nicht dazu, dass die diesen rückwirkenden Verlust bewirkenden Normen allein als Grund für einen "anfänglichen Nichterwerb" zu betrachten wären und damit der Prüfung am Maßstab des Art. 16 Abs. 1 GG entgingen (vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschl. v. 17.7.2019 - 2 BvR 1327/18 -, juris Rn. 20; Nichtannahmebeschl. v. 24.10.2006 - 2 BvR 696/04 -, juris Rn. 13, 15, 16; Urt. v. 24.5.2006 - 2 BvR 669/04 -, juris Rn. 54). Es handelt sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insoweit lediglich um eine Regelungstechnik zur nachträglichen Korrektur eines bestimmten Ergebnisses, das die zwischenzeitlich Realität gewordene rechtliche Anerkennung von Vaterschaft beziehungsweise Staatsangehörigkeit nicht ungeschehen und ihre Schutzwürdigkeit nicht automatisch hinfällig macht (BVerfG, Beschl. v. 17.12.2013 - 1 BvL 6/10 -, juris Rn. 27).

(b) Eine Entziehung im Sinne des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG liegt nicht vor. Eine Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit im Sinne des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG ist jede Verlustzufügung, die die Funktion der Staatsangehörigkeit als verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit zum Staatsvolk beeinträchtigt (BVerfG, stattgebender Kammerbeschl. v. 17.7.2019 - 2 BvR 1327/18 -, juris Rn. 23; Beschl. v. 17.12.2013 - 1 BvL 6/10 -, juris Rn. 31; Nichtannahmebeschl. v. 24.10.2006 - 2 BvR 696/04 -, juris Rn. 18).

Der Wegfall der Staatsangehörigkeit, der als Rechtsfolge eintritt, wenn ein Gericht auf die Anfechtung hin das Nichtbestehen der Vaterschaft feststellt, von der ein Kind den Geburtserwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ableitet, stellt eine solche Beeinträchtigung jedenfalls dann nicht dar, wenn das betroffene Kind sich in einem Alter befindet, in dem Kinder üblicherweise ein eigenes Vertrauen auf den Bestand ihrer Staatsangehörigkeit noch nicht entwickelt haben (BVerfG, stattgebender Kammerbeschl. v. 17.7.2019 - 2 BvR 1327/18 -, juris Rn. 24; Nichtannahmebeschl. v. 24.10.2006 - 2 BvR 696/04 -, juris Rn. 19).

So liegt es hier. Die am .......2019 geborene Klägerin war im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft des Beschlusses des Amtsgerichts - Familiengericht - A-Stadt über die negative Vaterschaftsfeststellung am 22. Dezember 2020 noch keine zwei Jahre alt, sodass sie noch kein eigenes Vertrauen auf den Bestand ihrer Staatsangehörigkeit entwickelt hatte.

(c) Ein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit der Klägerin ist daher an den Anforderungen des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG zu messen. Der in Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG vorgesehene Gesetzesvorbehalt gebietet es, den Verlust der Staatsangehörigkeit so bestimmt zu regeln, dass die für den Einzelnen und die Gesellschaft gleichermaßen bedeutsame Funktion der Staatsangehörigkeit als verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit zum Staatsvolk nicht beeinträchtigt wird (BVerfG, stattgebender Kammerbeschl. v. 17.7.2019 - 2 BvR 1327/18 -, juris Rn. 33; Beschl. v. 17.12.2013 - 1 BvL 6/10 -, juris Rn. 81; Urt. v. 24.5.2006 - 2 BvR 669/04 -, juris Rn. 91). Dabei sind die strengen Anforderungen zu beachten, die der Gesetzesvorbehalt an die Regelung der Staatsangehörigkeit stellt (BVerfG, stattgebender Kammerbeschl. v. 17.7.2019 - 2 BvR 1327/18 -, juris Rn. 33). Zur Verlässlichkeit des Staatsangehörigkeitsstatus gehört auch die Vorhersehbarkeit eines Verlustes und damit ein ausreichendes Maß an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im Bereich der staatsangehörigkeitsrechtlichen Verlustregelungen (BVerfG, stattgebender Kammerbeschl. v. 17.7.2019 - 2 BvR 1327/18 -, juris Rn. 33; Urt. v. 24.5.2006 - 2 BvR 669/04 -, juris Rn. 50). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt dies eine ausdrückliche Regelung voraus, die den Verlust der Staatsangehörigkeit anordnet (BVerfG, stattgebender Kammerbeschl. v. 17.7.2019 - 2 BvR 1327/18 -, juris Rn. 34; anders zuvor: BVerwG, Urt. v. 19.4.2018 - BVerwG 1 C 1/17 -, juris Rn. 32 ff.; Senatsurt. v. 7.7.2016 - 13 LC 21/15 -, juris Rn. 47 ff.).

Gemessen daran fehlt es vorliegend an einer gesetzlichen Grundlage für den Verlust der Staatsangehörigkeit infolge der Anfechtung der Vaterschaft. Sie folgt weder aus § 1599 Abs. 1 BGB, § 4 Abs. 1 Satz 1 StAG oder § 17 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 Var. 3 StAG als Einzelvorschriften noch aus dem Zusammenwirken dieser Vorschriften, weil der Umstand, dass die Staatsangehörigkeit infolge der Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft wegfällt, nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist.

(aa) Eine entsprechende ausdrückliche Regelung findet sich weder in § 1599 Abs. 1 BGB noch in § 4 Abs. 1 StAG.

Aus dem Wortlaut des § 1599 Abs. 1 BGB ergeben sich lediglich die familienrechtlichen Folgen der Vaterschaftsanfechtung. § 1599 Abs. 1 BGB regelt, unter welchen Voraussetzungen die Fiktionswirkung des § 1592 Nr. 1 BGB nicht gilt und damit die Vaterschaft des Mannes, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet gewesen ist, entfällt. Der Wortlaut der Vorschrift enthält keine darüber hinausgehende ausdrückliche Regelung über die Staatsangehörigkeit des betroffenen Kindes. Auch bietet er keinen Anhaltspunkt für eine darüber hinausgehende Regelung, welche Rechtsfolgen aus dem Entfallen der Vaterschaft resultieren.

§ 4 Abs. 1 Satz 1 StAG regelt ausdrücklich lediglich den Erwerb der Staatsangehörigkeit. Eine ausdrückliche Regelung zum Verlust enthält die Vorschrift nicht.

Der Wegfall der Staatsangehörigkeit ergab sich nach allgemeiner, hergebrachter Rechtsüberzeugung (vgl. hierzu BVerwG Urt. v. 19.4.2018 - BVerwG 1 C 1.17 -, juris Rn. 18 f. m.w.N.) aus der Anwendung zweier ungeschriebener Rechtsregeln, an die § 1599 Abs. 1 BGB unausgesprochen anknüpft. Dies war erstens die Annahme der Rückwirkung der Anfechtung der Vaterschaft auf den Zeitpunkt der Geburt des Kindes und zweitens die Annahme, dass das Staatsangehörigkeitsrecht in vollem Umfang den familienrechtlichen Abstammungsvorschriften folgt, sodass die staatsangehörigkeitsrechtlichen Erwerbsvoraussetzungen mit der Vaterschaft rückwirkend entfallen (BVerfG, stattgebender Kammerbeschl. v. 17.7.2019 - 2 BvR 1327/18 -, juris Rn. 34; BVerwG Urt. v. 19.4.2018 - BVerwG 1 C 1.17 -, juris Rn. 18 f. m.w.N.). Dass der Gesetzgeber dies vorausgesetzt, nicht jedoch erkennbar geregelt hat, genügt dem Gesetzesvorbehalt des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG nicht (BVerfG, stattgebender Kammerbeschl. v. 17.7.2019 - 2 BvR 1327/18 -, juris Rn. 34; Beschl. v. 17.12.2013 - 1 BvL 6/10 -, juris Rn. 82 f.).

(bb) Auch die Regelung des § 17 StAG in der durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 5. Februar 2009 geänderten und ab dem 12. Februar 2009 geltenden Fassung stellt keine ausdrückliche gesetzliche Regelung dar, die den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit infolge der erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung ausdrücklich anordnet und damit dem Gesetzesvorbehalt des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG genügt.

In der Aufzählung des § 17 Abs. 1 StAG ist der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit aufgrund einer erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung nicht genannt.

Gemäß § 17 Abs. 2 StAG berührt der Verlust nach § 17 Abs. 1 Nr. 7 StAG (durch Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes nach § 35 StAG) die kraft Gesetzes erworbene deutsche Staatsangehörigkeit Dritter nicht, sofern diese das fünfte Lebensjahr vollendet haben. Die Regelung gilt nach § 17 Abs. 3 Satz 1 Var. 3 StAG entsprechend bei Entscheidungen nach anderen Gesetzen, die den rückwirkenden Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit Dritter zur Folge hätten, insbesondere bei der Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft nach § 1599 BGB. Dem Wortlaut des § 17 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 Var. 3 StAG ist eine ausdrückliche Anordnung des Verlustes der Staatsangehörigkeit nicht zu entnehmen. Die staatsangehörigkeitsrechtliche Folge der Vaterschaftsanfechtung hat hier nur mittelbar Niederschlag im Gesetz gefunden. Die Regelung impliziert, dass die Anfechtung zum Verlust der Staatsangehörigkeit führt (vgl. für die behördliche Vaterschaftsanfechtung BVerfG, Beschl. v. 17.12.2013 - 1 BvL 6/10 -, juris Rn. 83). Die Vorschrift setzt einen anderweitig gesetzlich vorgesehenen Verlust voraus, regelt ihn hingegen nicht selbst (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.4.2018 - BVerwG 1 C 1.17 -, juris Rn. 34).

Nach dem Wortlaut des § 17 Abs. 3 StAG ("Absatz 2 gilt entsprechend") erschöpft sich der Regelungszweck der Norm darin, die in Abs. 2 bestimmte Altersgrenze für den Verlust der Staatsangehörigkeit auf den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit anzuwenden, der aus anderen Vorschriften folgt (vgl. OVG B-Stadt, Urt. v. 10.3.2020 - 1 LC 171/16 -, juris Rn. 36). Die im Gesetzestext nachfolgende ausdrückliche Benennung des Nichtbestehens der Vaterschaft nach § 1599 BGB ist nicht derart formuliert, dass davon auszugehen ist, dass die Rechtsfolge des Wegfalls der Staatsangehörigkeit eigenständig normiert werden sollte. Vielmehr spricht die Formulierung "insbesondere bei" dafür, dass es sich klarstellend um die beispielhafte Aufzählung von durch § 17 Abs. 3 Satz 1, 1. Halbsatz StAG erfasste Sachverhalte handelt (vgl. OVG B-Stadt, Urt. v. 10.3.2020 - 1 LC 171/16 -, juris Rn. 36).

Auch die Entstehungsgeschichte des § 17 Abs. 2 und Abs. 3 StAG gebietet keine andere Auslegung. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich nicht, dass der Gesetzgeber eine Rechtsgrundlage für den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit im Falle der Vaterschaftsanfechtung schaffen wollte. Er hat eine solche vielmehr vorausgesetzt (Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes, BT-Drs. 16/10528, S. 7). Den Regelungsbedarf leitete der Gesetzgeber aus zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ab (Urt. v. 24.5.2006 - 2 BvR 669/04 - und Nichtannahmebeschl. v. 24.10.2006 - 2 BvR 696/04 -; vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes, BT-Drs. 16/10528, S. 1). Es entsprach zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 5. Februar 2009 ständiger Rechtsprechung, dass der Wegfall der Staatsangehörigkeit als Folge einer rechtskräftigen Feststellung des Nichtbestehens der die Staatsangehörigkeit vermittelnden Vaterschaft eintritt und der Wegfall keinen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 24.10.2006 - 2 BvR 696/04 -, juris Rn. 21 m.w.N.). In der Gesetzesbegründung heißt es zudem, dass die Auswirkungen der Rücknahme eines Verwaltungsaktes beziehungsweise der Anfechtung der Vaterschaft auf den Abstammungserwerb durch eine Ergänzung des Staatsangehörigkeitsgesetzes gelöst werden sollen, die bewirkt, dass der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit bei unbeteiligten Dritten in den genannten Fällen nicht mehr eintritt, wenn diese Personen fünf Jahre alt sind (Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes, BT-Drs. 16/10528, S. 2). Dass der Verlust überhaupt geregelt werden sollte, ist der Gesetzesbegründung nicht zu entnehmen. Hierfür bestand unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seinerzeit für den Gesetzgeber auch kein Anlass. Der Gesetzgeber ging vielmehr davon aus, dass eine Rechtsgrundlage für den Verlust der Staatsangehörigkeit infolge einer erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung vorhanden ist. Dies genügt den Anforderungen an den Gesetzesvorbehalt jedoch nicht (vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschl. v. 17.7.2019 - 2 BvR 1327/18 -, juris Rn. 34).

(cc) Eine gesetzliche Grundlage für den Verlust der Staatsangehörigkeit infolge der Anfechtung der Vaterschaft durch den rechtlichen Vater folgt auch nicht aus dem Zusammenwirken des § 1599 Abs. 1 BGB, § 4 Abs. 1 Satz 1 StAG mit § 17 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 Var. 3 StAG (so auch OVG B-Stadt, Urt. v. 10.3.2020 - 1 LC 171/6 -, juris Rn. 39; a.A.: Nds. OVG, Beschl. v. 12.9.2019 - 8 ME 66/19 -, juris Rn. 49; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 7.7.2020 - 11 S 2426/19 -, juris Rn. 17). Denn keine der genannten Vorschriften ordnet - wie dargestellt - den Verlust der Staatsangehörigkeit ausdrücklich an. Vielmehr knüpft § 17 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 Var. 3 StAG an die den Verlust der Staatsangehörigkeit ebenfalls nicht ausdrücklich regelnden Vorschriften des § 1599 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Satz 1 StAG und die zum Zeitpunkt des Erlasses der Regelungen allgemeine, hergebrachte Rechtsüberzeugung der Rückwirkung der Anfechtung der Vaterschaft auf den Zeitpunkt der Geburt des Kindes sowie der Annahme, dass das Staatsangehörigkeitsrecht in vollem Umfang den familienrechtlichen Abstammungsvorschriften folgt (vgl. hierzu I.1.b.(2)(c)(aa)) an. Auch das Bundesverwaltungsgericht ist in seiner Entscheidung vom 26. Mai 2020 (- BVerwG 1 C 12.19 -, juris Rn. 23) unter Verweis auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2013 (- 1 BvL 6/10 -) und vom 17. Juli 2019 (- 2 BvR 1327/18 -) davon ausgegangen, dass eine nachträgliche Beseitigung des Staatsangehörigkeitserwerbs durch eine erfolgreiche Vaterschaftsanfechtung nach geltendem Recht nicht möglich ist.

(d) Da es bereits an einer gesetzlichen Grundlage für den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit der Klägerin fehlt, kommt es vorliegend auf die Fragen, ob das Zitiergebot verletzt ist und welche Anforderungen an die Vermeidung einer Staatenlosigkeit sowie an einen Wegfall der Unionsbürgerschaft zu stellen sind, nicht mehr entscheidungserheblich an.

c. Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung ihrer Staatsangehörigkeit, da die Beklagte bislang das Bestehen einer solchen verneint hat.

2. Das Verwaltungsgericht hat den von der Beklagten auf Grundlage der § 38 Abs. 1 und Abs. 3 StAG in der bis zum 19. August 2021 geltenden Fassung in Verbindung mit § 3a StAGebV in der bis zum 19. August 2021 geltenden Fassung erlassenen Kostenbescheid zu Recht aufgehoben. Da bereits die Feststellung, dass die Klägerin nicht deutsche Staatsangehörige ist, rechtswidrig und daher aufzuheben war, war auch der für diese Amtshandlung erlassene Kostenbescheid rechtswidrig sowie rechtsverletzend und daher aufzuheben.

II. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

IV. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor. Insbesondere besteht kein Grund nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 Var. 1 VwGO, da das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 26. Mai 2020 (- BVerwG 1 C 12.19 -, juris) die hier entscheidende Rechtsfrage, ob die nachträgliche Beseitigung des Staatsangehörigkeitserwerbs durch eine erfolgreiche Vaterschaftsanfechtung nach geltendem Recht möglich ist, unter Verweis auf die einschlägigen Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen bereits verneint hat.