Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 29.08.2002, Az.: 8 LA 92/02

Apotheker; Approbation; Berufsausübungsfreiheit; Berufswahlfreiheit; Krankenkassenbetrag; Ruhen; Straftat; Unwürdigkeit; Unzuverlässigkeit; Verhältnismäßigkeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
29.08.2002
Aktenzeichen
8 LA 92/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 43783
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 29.05.2002 - AZ: 5 A 58/01

Gründe

1

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg, weil die Berufungszulassungsgründe, die die Klägerin geltend gemacht hat, nicht hinreichend dargelegt worden sind bzw. nicht vorliegen.

2

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides, durch den die Beklagte das Ruhen der Approbation der Klägerin angeordnet hat, rechtmäßig sei. Die Voraussetzungen, unter denen das Ruhen der Approbation eines Apothekers nach § 8 Abs. 1 der Bundes-Apothekerordnung - BApoO - angeordnet werden könne, lägen vor, weil gegen die Klägerin ein Strafverfahren wegen des Verdachts des gemeinschaftlichen Abrechnungsbetrugs in 112 Fällen eingeleitet worden sei. Aus den in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft {B.}vom 14. Februar 2001 niedergelegten Ermittlungsergebnissen ergebe sich der hinreichende Verdacht, dass die Klägerin von 1997 bis Anfang 1999 die Pflicht zur ordnungsgemäßen Abrechnung der von den Patienten eingereichten Rezepte mit den Krankenkassen, die zu den wesentlichen Berufspflichten des Apothekers gehöre, nachhaltig verletzt und den Krankenkassen dadurch einen Schaden von mehr als 3,2 Mio. DM zugefügt habe. Angesichts der umfangreichen Anklageschrift und des dort aufgeführten Ermittlungsergebnisses habe für die Beklagte kein Anlass zu einer weiteren Sachverhaltsaufklärung bestanden. Aus den der Klägerin zur Last gelegten Straftaten könne sich auch die Unwürdigkeit und Unzuverlässigkeit der Klägerin zur Ausübung des Apothekerberufs ergeben. Dass sich die Klägerin bei der Aufklärung des Sachverhalts im Strafverfahren kooperativ gezeigt habe, stehe der Anordnung des Ruhens der Approbation nicht entgegen. Außerdem sei die Ermessensausübung der Beklagten nicht zu beanstanden, weil das Interesse der Klägerin an der Ausübung ihres Berufs als Apothekerin gegenüber dem öffentlichen Interesse am Ruhen der Approbation angesichts der Schwere der der Klägerin zur Last gelegten Verfehlungen zurückstehen müsse.

3

Die Einwände, die die Klägerin gegen diese Entscheidung erhoben hat, begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, so dass der Berufungszulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht vorliegt.

4

Der Senat stimmt mit dem Verwaltungsgericht darin überein, dass die Anordnung des Ruhens der Approbation rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Nach § 8 Abs. 1 BApoO kann das Ruhen der Approbation angeordnet werden, wenn gegen den Apotheker wegen des Verdachts einer Straftat, aus der sich seine Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Apothekerberufs ergeben kann, ein Strafverfahren eingeleitet ist. Die Beklagte ist demnach befugt, schon in dem frühen Stadium der Einleitung eines Strafverfahrens zum Schutz von Patienten und der Allgemeinheit nach pflichtgemäßem Ermessen tätig zu werden. Dabei muss - anders als bei der Rücknahme der Approbation nach § 6 Abs. 1 Buchst. a  1. Alt. BApoO - eine die Unwürdigkeit bzw. Unzuverlässigkeit begründende Straftat des Apothekers noch nicht nachgewiesen sein. Bei der Ausübung des Ermessens ist jedoch zu beachten, dass die Anordnung des Ruhens der Approbation nicht nur eine Beschränkung der Berufsausübung, sondern auch einen Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Freiheit der Berufswahl darstellt, der nur zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen darf (vgl. dazu BVerfG, Beschl. V. 2.3.1977 - 1 BvR 124/76 - BVerfGE 44.105 (117)). Daher ist die Anordnung des Ruhens der Approbation nur dann rechtlich nicht zu beanstanden, wenn eine Verurteilung des Apothekers wegen der ihm zur Last gelegten Straftaten hinreichend wahrscheinlich ist (vgl. dazu auch OVG Münster, Beschl. v. 21.5.1996 - 13 B 350/96 - NJW 1997, S. 2470; Beschl. v. 6.6.1988 - 5 B 309/88 - MedR 1989 S. 44; VGH Mannheim, Beschl. v. 19.7.1991 - 9 S 1227/91 - NJW 1991, S. 2366). Diese Voraussetzung ist hier gegeben.

5

Die Staatsanwaltschaft {B.}hat die Klägerin am 14. Februar 2001 beim Landgericht {C.}angeklagt, in den Jahren 1997 bis 1999 gemeinschaftlich mit einem anderen Angeklagten zu Lasten verschiedener Krankenkassen Abrechnungsbetrug in 112 Fällen begangen zu haben. Damit hat die Staatsanwaltschaft einen hinreichenden Tatverdacht bejaht, da die Erhebung einer Anklage nach § 170 Abs. 1 StPO voraussetzt, dass der Beschuldigte der ihm zur Last gelegten Straftat hinreichend verdächtig ist (vgl. Kleinknecht/Meyer-Großner, StPO, 45. Aufl., § 170 Rn. 1; Löwe/Rosenberg, StPO, 24. Aufl., § 170 Rn. 20). Darüber hinaus hat die Große Strafkammer des Landgerichts {C.}durch Beschluss vom 21. September 2001 das Hauptverfahren eröffnet und die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen. Damit hat auch die Große Strafkammer einen hinreichenden Tatverdacht bejaht, weil das Hauptverfahren nach § 203 StPO nur dann eröffnet werden darf, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint (vgl. Kleinknecht/Meyer-Großner, § 203 Rn. 2; Löwe/Rosenberg, § 203 Rn. 1 ff). Inzwischen hat die Große Strafkammer zudem die Hauptverhandlung anberaumt. Bei dieser Sachlage ist es hinreichend wahrscheinlich, dass die Klägerin wegen der ihr vorgeworfenen Straftaten verurteilt werden wird. Anders wäre der Fall nur dann, wenn besondere Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass trotz der übereinstimmenden Annahme eines hinreichenden Tatverdachts durch die Große Strafkammer des Landgerichts und die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung der Klägerin nicht zu erwarten ist. Derartige Anhaltspunkte sind jedoch weder ersichtlich noch von der Klägerin in ihrem Berufungszulassungsantrag dargelegt worden. Ihr Einwand, dass kein hinreichender Tatverdacht bestehe, weil sie die Rezepte bereits unmittelbar nach Erhalt mit den Krankenkassen habe abrechnen dürfen, überzeugt nicht. Aus § 8 Abs. 1 des Arznei-Liefervertrages ergibt sich entgegen der Darstellung der Klägerin gerade nicht, dass sie vor der Lieferung der verordneten Arzneimittel zur Abrechnung der Rezepte berechtigt gewesen ist; vielmehr besagt diese Bestimmung, dass die Rechnungslegung jeweils für einen abgeschlossenen Kalendermonat nach Maßgabe der Vereinbarung nach § 300 SGB V bis spätestens einen Monat nach Ablauf des Kalendermonats, in dem die Lieferung erfolgte, an die von den Krankenkassen benannten Stellen erfolgt. Daraus ergibt sich, dass die Rechnungslegung erst nach der Lieferung der Arzneimittel stattfinden durfte. Außerdem besagt § 4 Abs. 8 des Arznei-Liefervertrages, dass die Kosten der abgegebenen Mittel von der Krankenkasse, die der Vertragsarzt auf der Verordnung als Kostenträger bezeichnet hat, zu tragen sind. Daraus ist zu schließen, dass die Krankenkassen nur die Kosten der Arzneimittel, die von dem Apotheker abgegeben worden sind, tragen müssen. Daher kann sich die Klägerin wahrscheinlich nicht darauf berufen, dass sie schon vor der Lieferung der verordneten Arzneimittel zur Abrechnung der Rezepte berechtigt gewesen sei. Von der Unerheblichkeit des Einwandes der Klägerin sind offensichtlich auch die Große Strafkammer des Landgerichts und die Staatsanwaltschaft ausgegangen, da sie trotz der ihnen bekannten Argumentation der Klägerin einen hinreichenden Tatverdacht bejaht haben.

6

Die Klägerin geht ferner zu Unrecht davon aus, dass das erstinstanzliche Urteil zu beanstanden sei, weil das Verwaltungsgericht angenommen habe, dass bei der Entscheidung über das Ruhen der Approbation ihr Verhalten in dem Zeitraum, der zwischen den von der Anklageschrift erfassten Vorgängen und dem Erlass des Widerspruchsbescheides liegt, nicht berücksichtigt werden müsse. Eine derartige Rechtsauffassung hat das Verwaltungsgericht nämlich nicht vertreten. Vielmehr hat es ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es für die Frage der Rechtmäßigkeit der Anordnung des Ruhens der Approbation auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerspruch der Klägerin ankomme. Zum anderen hat das Verwaltungsgericht eingehend begründet, aus welchen Gründen der Umstand, dass die Klägerin sich bei der Aufklärung des Sachverhalts im Strafverfahren kooperativ gezeigt und seit der Einleitung der Ermittlungen in Bezug auf ihre Berufsausübung nicht weiter aufgefallen ist, der Anordnung des Ruhens der Approbation nicht entgegensteht. Außerdem ist dem Widerspruchsbescheid zu entnehmen, dass der Entscheidung der Beklagten eine Prognose über die berufliche Zuverlässigkeit der Klägerin zugrunde liegt, die auch ihr Verhalten nach dem Zeitraum, auf den sich die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen erstrecken, berücksichtigt.

7

Unbegründet ist ferner der Einwand der Klägerin, dass die Anordnung des Ruhens der Approbation rechtswidrig sei, weil die Klägerin schon im Herbst 1998 ein umfangreiches innerbetriebliches Kontrollsystem eingeführt und einen weiteren Mitarbeiter eingestellt habe, um alle Krankenkassen anschreiben, die Rezepte zurückfordern und die Abrechnungen überprüfen zu können. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass das "Wohlverhalten" der Klägerin unter dem Druck der gegen sie geführten Ermittlungen keine Rückschlüsse auf eine nachhaltige Verhaltensänderung zulasse und die Beklagte daher nicht daran gehindert habe, das Ruhen der Approbation anzuordnen. Darüber hinaus hat die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid ausgeführt, dass auch der Einführung eines innerbetrieblichen Kontrollsystems im Herbst 1998 keine günstige Prognose über das zukünftige Verhalten der Klägerin zulasse, weil es ausweislich der Anklage noch 1999 zu Betrugshandlungen gekommen sei. In Anbetracht dessen kann die Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht beanstandet werden, dass das Ruhen der Approbation auch unter Berücksichtigung des zeitweiligen "Wohlverhaltens" der Klägerin angeordnet werden durfte.

8

Die Berufung kann des Weiteren nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zugelassen werden. Die Klägerin hat nämlich nicht hinreichend dargelegt, aus welchen Gründen die von ihr aufgeworfenen Fragen nur unter besonderen, d. h. überdurchschnittlichen Schwierigkeiten zu beantworten sein sollen. Abgesehen davon bereitet die Klärung der Frage, ob die Klägerin berechtigt war, die Rezepte im voraus, d. h. vor vollständiger Herstellung der Infusionsbeutel, komplett abzurechnen, keine derartigen Schwierigkeiten. Entsprechendes gilt für die Beantwortung der Frage, ob es für die Begründung der Anordnung des Ruhens der Approbation genügt, dass die Beklagte den Abschlussbericht der Polizei und die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft zugrunde gelegt und keine weitergehenden eigenständigen Ermittlungsmaßnahmen über die Straffälligkeit der Klägerin durchgeführt hat.

9

Die Klägerin geht ferner zu Unrecht davon aus, dass die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen sei. Eine Rechtssache ist nur dann im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine höchstrichterlich oder obergerichtlich bislang nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine obergerichtlich noch nicht geklärte Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelzug entscheidungserheblich ist und im Interesse der Einheit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung durch das Berufungsgericht bedarf und zugänglich ist (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, § 124 RdNr. 30 ff, m. w. Nachw.). Das ist hier jedoch nicht der Fall. Die Frage, ob bei dem Erlass der Ruhensanordnung allein der Abschlussbericht der Polizei und die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft zugrunde zu legen sind und keine eigenständigen Ermittlungsmaßnahmen über die Straffälligkeit der Klägerin durchgeführt werden müssen, verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie nur in Ansehung der konkreten Umstände des Einzelfalles beantwortet werden kann und daher keiner allgemeingültigen, über den Einzelfall hinausgehenden Klärung zugänglich ist. Es liegt auf der Hand und bedarf daher keiner näheren Begründung, dass die Beantwortung dieser Frage u. a. davon abhängig ist, ob die Anklage der Staatsanwaltschaft überzeugend ist und welche Einwände gegen sie erhoben worden sind.

10

Entgegen der Annahme der Klägerin ist auch die Frage, ob sie als Apothekerin nach § 8 Abs. 1 des Arznei-Liefervertrages berechtigt gewesen ist, die Rezepte im voraus, d. h. vor vollständiger Herstellung der Mischinfusionsbeutel, abzurechnen, nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Zum einen kann diese Frage nicht fallübergreifend geklärt werden, weil sie auf den Einzelfall der Klägerin bezogen ist. Zum anderen bedarf es keiner Durchführung eines Berufungsverfahrens, um festzustellen, dass die Klägerin wahrscheinlich nicht berechtigt gewesen ist, die Rezepte im voraus abzurechnen. Da das Ruhen der Approbation aus den eingangs aufgeführten Gründen schon dann angeordnet werden kann, wenn hinreichend wahrscheinlich ist, dass der Klägerin wegen der ihr vorgeworfenen Straftaten verurteilt werden wird, bedarf die von der Klägerin aufgeworfene Frage in diesem Verfahren keiner weitergehenden Klärung.

11

Schließlich ist die Berufung auch nicht wegen Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen. Dabei kann dahinstehen, ob die von der Klägerin geltend gemachte Abweichung von den von ihr zitierten Beschlüssen des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs überhaupt vorliegt. Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO erfasst nämlich nur die Abweichung von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, d. h. des .... Oberverwaltungsgerichts, das dem Verwaltungsgericht im Instanzenzug übergeordnet ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 11. Aufl., § 124 RdNr. 12; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 124 RdNr. 38). Daher würde eine Abweichung des erstinstanzlichen Urteils von Beschlüssen des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nicht rechtfertigen.