Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 20.08.2002, Az.: 1 LA 51/02
Begründung; Begründungsschriftsatz; Darlegungsfrist; Einreichung; Verwaltungsgericht; VG; Zulassungsantrag; Zulassungsbegründung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 20.08.2002
- Aktenzeichen
- 1 LA 51/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 43900
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 17.01.2002 - AZ: 2 A 2258/97
Rechtsgrundlagen
- § 60 VwGO
- § 124a VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Der Begründungsschriftsatz eines Zulassungsantrags ist auch nach neuem Recht in jedem Fall beim Verwaltungsgericht einzureichen.
2. Bei Einreichung des Begründungsschriftsatzes beim Oberverwaltungsgericht wird die zweimonatige Darlegungsfrist nicht gewahrt. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt grundsätzlich nicht in Betracht, es sei denn, der Berichterstatter nimmt "sehenden Auges" von Hinweis- und Weiterleitungsmaßnahmen Abstand.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen die von dem Beklagten verfügte Rücknahme einer Baugenehmigung und deren Ersetzung durch eine entsprechende, um eine Stellplatz-Auflage ergänzte Baugenehmigung.
Nach Durchführung eines erfolglosen Widerspruchsverfahrens erhob der Kläger gegen die Rücknahme der Baugenehmigung vom 10. April/15. August 1989 Klage, die das Verwaltungsgericht ohne mündliche Verhandlung mit der angegriffenen Entscheidung, auf deren Einzelheiten verwiesen wird, abgewiesen hat.
Die Prozessbevollmächtigten des Klägers haben am 13. Februar 2002 die Zulassung der Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil vom 17. Januar 2002 beantragt und führen in ihrer Antragsschrift vom 12. Februar 2002 u.a. aus, die Beantragung der Berufungszulassung i.S.d. "§ 124 Abs. 4 Satz 1 VwGO n. F." erfolge fristgerecht, da die angegriffene Entscheidung bei den erstinstanzlich bevollmächtigten Kollegen ausweislich des dortigen Eingangsstempels am 21. Januar 2002 eingegangen sei.
Mit Verfügung vom 18. Februar 2002 bestätigte der Vorsitzende des Senats den Eingang des Zulassungsantrags und bat darum, von allen Schriftsätzen und Anlagen für die anderen Verfahrensbeteiligten jeweils entsprechende Abschriften beizufügen.
Der Begründungsschriftsatz des Klägers vom 4. März 2002 ging am 5. März 2002 beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht ein und war auch an dieses Gericht - 1. Senat - adressiert. Der Berichterstatter verfügte, dass der Schriftsatz des Klägers dem Beklagten zur Kenntnis und Stellungnahme innerhalb von zwei Monaten zu geben sei und fragte bei dem Prozessbevollmächtigten des Klägers an, ob Einsicht in die Akten (welche") begehrt werde. Der Kläger beantragte unter dem 12. März 2002 Akteneinsicht in sämtliche dem Gericht vorliegende Akten, die mit Verfügung des Berichterstatters vom selben Tag gewährt wurde.
Am 18. März 2002 gingen - nach Akteneinsicht - eine weitere Begründung des Zulassungsantrags beim OVG und am 19. März 2002 die zurückgesandten Akten ein.
Der Beklagte äußerte sich erstmals mit Schriftsatz vom 26. April 2002 zu dem Antrag auf Zulassung der Berufung.
Mit Verfügung vom 10. Juni 2002 wies der Berichterstatter die Beteiligten darauf hin, dass im Hinblick auf die Zulässigkeit des Antrages Bedenken bestünden. Nach § 124 a Abs. 4 Satz 5 VwGO n. F. wäre die Begründung des Zulassungsantrages - Schriftsatz vom 4. März 2002 - beim Verwaltungsgericht Göttingen einzureichen gewesen. Obwohl die Rechtsmittelbelehrung am Ende des Urteils zutreffend hierauf hinweise, sei der Begründungsschriftsatz ausweislich der Gerichtsakte an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht adressiert und hier am 5. März 2002 eingegangen.
Unter dem 21. Juni 2002 hat der Kläger die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Begründungsschriftsätze vom 4. und 15. März 2002 beim Verwaltungsgericht Göttingen eingereicht.
II.
Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen zuzulassen, richtet sich unter Berücksichtigung von § 194 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in der Fassung des RmBereinVpG vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3987) nach dem ab dem 1. Januar 2002 geltenden Zulassungsrecht.
Dieser Antrag ist zu verwerfen, weil der Kläger nicht binnen der in § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO bezeichneten Frist die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, bei dem Verwaltungsgericht dargelegt hat und ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für die Begründung des Zulassungsantrages nicht zu gewähren ist.
Nach § 124 a Abs. 4 Satz 1 VwGO ist die Zulassung der Berufung, wenn sie - wie hier - nicht durch das Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, sind dann nach § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO binnen zwei Monaten nach Zustellung des Urteils darzulegen. Gemäß Satz 5 der genannten Vorschrift ist die Begründung bei dem Verwaltungsgericht einzureichen.
Die Zwei-Monats-Frist für die Begründung des Zulassungsantrags ist durch die Zustellung des Urteils am 21. Januar 2002 wirksam in Lauf gesetzt worden, da dem Urteil eine zutreffende, den Anforderungen des § 58 VwGO genügende Rechtsmittelbelehrung beigefügt ist und insbesondere darauf hinweist, dass die Begründung bei dem Verwaltungsgericht Göttingen einzureichen ist. Der Kläger hat die Zulassung der Berufung zwar unter dem 13. Februar 2002 form- und fristgerecht beim Verwaltungsgericht beantragt, diesen Antrag aber nicht fristgerecht - bis zum 21. März 2002 einschließlich - bei dem Verwaltungsgericht begründet. Der Begründungsschriftsatz vom 4. März 2002 und der die Begründung vertiefende Schriftsatz vom 15. März 2002 sind an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht adressiert und hier am 5. bzw. 18. März 2002 eingegangen.
Nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes und der entsprechenden Rechtsmittelbelehrung im Urteil des Verwaltungsgerichts ist richtiger Adressat der Begründung allein das Verwaltungsgericht. Bei dieser Regelung handelt es sich um ein zwingendes Formerfordernis, das von dem Rechtsmittelführer zu beachten ist. Die Gründe, die der Kläger anführt, nachdem er mit richterlichem Hinweis vom 10. Juni 2002 auf die Vorschrift des § 124 a Abs. 4 Satz 5 VwGO hingewiesen wurde, führen nicht zur Zulässigkeit des Antrages.
Soweit der Kläger unter Berufung auf das neuere Schrifttum aus Anlass der Änderungen im Zulassungs- und Berufungsverfahren darauf verweist, es handele sich um eine quasi nicht "natürlich"(e) und nicht zu erwartende Regelung (Schriftsatz vom 14.06.2002, S. 4 unten), ist ihm entgegenzuhalten, dass die Zulassungsgründe auch nach altem Recht innerhalb der Frist beim Verwaltungsgericht darzulegen waren und dies selbst für den Fall galt, in dem das Verwaltungsgericht die Akten wegen eines zuvor gesondert eingereichten Zulassungsantrags bereits dem Oberverwaltungsgericht vorgelegt hatte (vgl. hierzu Happ, in: Eyermann/Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, 11. Aufl. 2000, § 124 a RdNr. 20
m. w. Nachw.). Es ist demnach unzutreffend, wenn der Kläger meint, dass das frühere Verwaltungsprozessrecht mithin "nur sogleich begründete Zulassungsanträge" (Schriftsatz vom 2.08.2002, S. 1) vorsah. Zulassungsantrag und "gründe konnten demnach ohne weiteres in unterschiedlichen Schriftsätzen eingereicht werden; erforderlich war allerdings auch bereits nach altem Recht, dass beide Schriftsätze innerhalb der nach altem Recht geltenden 1-Monats-Frist beim Verwaltungsgericht eingingen. Der Auffassung des Klägers, es liege "ein verändernder Eingriff in das prozessuale Verfahren" (Schriftsatz vom 2.08.2002, S. 2) vor, kann demnach nicht gefolgt werden. So verweist Happ im Nachtrag zur 11. Auflage darauf, dass das Gesetz eine "Klarstellung" enthalte: "Die Darlegung der Zulassungsgründe ... ist in jedem Fall beim Verwaltungsgericht einzureichen ... (Eyermann, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, Nachtrag zur 11. Aufl. (Stand 1.7.2002), § 124 a RdNr. N 15; vgl. auch BVerwG, B. v. 24.7.1997 " 9 B 552.97 -, DVBl. 1998, 231).
Im Übrigen trägt der Kläger selbst vor, dass die Vorschrift des § 124 a Abs. 4 Satz 5 VwGO mit ihrer "Zuständigkeit" des iudex a quo zur Entgegennahme der Begründungsschrift eine gewisse Verwandtschaft zur Vorschrift des § 133 Abs. 3 VwGO nicht verleugnen könne; die revisionsrechtlichen Vorschriften mögen insoweit auch gesetzgeberisches Vorbild gewesen sein (Schriftsatz des Klägers vom 19.06.2002, S. 1 f). Zwar ist dem Kläger darin zuzustimmen, dass im Falle der Beschwerde bei Nichtzulassung der Revision gemäß § 133 Abs. 5 Satz 1 VwGO die Abhilfemöglichkeit des Gerichts besteht, gegen dessen Urteil Revision eingelegt werden soll, eine derartige Abhilfemöglichkeit in § 124 a VwGO aber nicht vorgesehen ist. Insofern mag die Kritik des Klägers berechtigt sein, das Verwaltungsgericht fungiere nur noch als "Briefträger". Dennoch ist die gesetzliche Regelung in § 124 a Abs. 4 Satz 5 VwGO eindeutig und die im Urteil des Verwaltungsgerichts enthaltene Rechtsmittelbelehrung zutreffend.
Der Antrag des Klägers ist auch nicht deshalb als zulässig anzusehen, weil der Beklagte sich mit Schriftsätzen vom 25. März/26. April 2002 auf den Antrag des Klägers eingelassen hat. Denn zum einen geschah dies nach Ablauf der Begründungsfrist am 21. März 2002 und zum anderen sind die Sachentscheidungsvoraussetzungen von Amts wegen zu prüfen mit der Folge, dass das Gericht bei ihrer Feststellung weder an das tatsächliche Vorbringen der Beteiligten noch an deren Rechtsauffassung gebunden ist (Kopp/Schenke, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 12. Aufl. 2000, Vorb. § 40 RdNr. 10 m. w. Nachw.).
Darüber hinaus ist dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Darlegungsfrist nicht zu gewähren, weil er diese Frist im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO nicht ohne sein Verschulden versäumt hat und er auch nicht geltend machen kann, das Oberverwaltungsgericht habe es unter Verletzung einer prozessualen Fürsorgepflicht unterlassen, die Begründung des Zulassungsantrages "zur Fristwahrung" an das Verwaltungsgericht zu übersenden.
Maßgebliches Kriterium für die Beurteilung des Verschuldens ist die einer Entscheidung beigefügte Rechtsmittelbelehrung. Ist diese - wie hier - eindeutig und zutreffend und werden die hierin enthaltenen Angaben nicht beachtet, so ist die dadurch verursachte Versäumung einer Frist regelmäßig verschuldet (Kopp/Schenke, a.a.O., § 60 RdNr. 17 u. 20 m. w. Nachw.). Im Übrigen enthält die Rechtsmittelbelehrung auch keinen Hinweis darauf, dass für die Adressierung der Begründung des Zulassungsantrages anderes zu gelten hätte, wenn die Verfahrensakten bereits an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht weitergeleitet worden sind und dieses - wie hier ebenfalls geschehen - unter Mitteilung eines Aktenzeichens den Eingang bestätigt hat (vgl. auch BVerwG, B. v. 24.7.1997 - aaO.).
Eine Unklarheit über die Rechtslage, welche geeignet wäre, geringere Anforderungen an die Sorgfaltspflichten der Prozessbevollmächtigten des Klägers zu begründen, ist durch das Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts nicht bewirkt worden. Die Prozessbevollmächtigten des Klägers sind zudem gerade wegen der Gesetzesänderung gehalten gewesen, sich mit der neuen Gesetzeslage vertraut zu machen und hätten der dem Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrung besondere Aufmerksamkeit schenken müssen (vgl. ebenso: Nds. Oberverwaltungsgericht, Beschl. v. 24.7.2002 - 12 LA 357/02 -, V.n.b., S. 5 BA). Darüber hinaus hat sich - wie bereits aufgezeigt - durch die gesetzliche Verlängerung der Frist für die Begründung des Zulassungsantrages hinsichtlich der Frage, bei welchem Gericht diese einzureichen ist, die Gesetzeslage nicht geändert.
Für die Verschuldensfrage unerheblich ist zudem die Verfügung des Berichterstatters vom 6. März 2002, durch welche dem Beklagten Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Zulassungsantrag gegeben und angefragt wurde, ob der Kläger Akteneinsicht begehre. Weder dieser Verfügung noch der Gerichtsakte im Übrigen sind entgegen der Auffassung des Klägers Anzeichen dafür zu entnehmen, dass der Berichterstatter "den Begründungsschriftsatz offenbar bereits sehr genau und in der Sache durchgearbeitet" (Schriftsatz vom 14.06.2002, S. 2 Mitte) hatte. Der Berichterstatter hat auch keine "weiterführenden Fragen" gestellt, sondern nach Durchsicht des Schriftsatzes vom 4. März 2002 den Kläger unter Hinweis auf Seite 4 seines Schriftsatzes um Klarstellung gebeten, ob dieser Akteneinsicht (in welche Akte?) begehre. Anzeichen dafür, dass der Berichterstatter zu diesem Zeitpunkt den Begründungsschriftsatz bzw. die Gerichtsakte durchgearbeitet und den Fehler bemerkt hätte, sind nicht ersichtlich. Zwar ist davon auszugehen, dass - hätte der Berichterstatter den Irrtum der Prozessbevollmächtigten des Klägers erkannt und den Begründungsschriftsatz vom 4. März 2002 an das Verwaltungsgericht Göttingen weitergeleitet - dieser noch innerhalb der Begründungsfrist (21. März 2002) dort eingegangen wäre. Es liegen aber keine Anzeichen dafür vor, dass der Berichterstatter "sehenden Auges" von Hinweis- oder Weiterleitungsmaßnahmen im normalen Geschäftsgang abgesehen hätte, um den bevorstehenden Fristablauf abzuwarten (vgl. hierzu: 12. Senat des erkennenden Gerichts, a.a.O., S. 13 BA).
Schließlich besteht keine generelle Pflicht der Gerichte, eingehende Schriftsätze umgehend nach Eingang darauf zu überprüfen, ob sie an das zuständige Gericht adressiert worden sind. Vor allem scheidet eine derartige Überprüfungspflicht der Gerichte in Verfahren aus, in denen sich die Beteiligten - wie hier - durch besondere zur Vertretung befugte, rechtskundige Personen vertreten lassen müssen (§ 67 Abs. 1 VwGO) und der Adressat ohne weiteres der Rechtsmittelbelehrung zu entnehmen ist.