Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 12.12.2013, Az.: 8 ME 162/13
Vorläufiger Rechtsschutz gegen eine sofort vollziehbare Ausweisung eines im Bundesgebiet aufgewachsenen Ausländers aufgrund erheblicher und wiederholter Gewaltdelikte
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 12.12.2013
- Aktenzeichen
- 8 ME 162/13
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2013, 51475
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2013:1212.8ME162.13.0A
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO
- § 53 Nr. 1 AufenthG
- § 56 AufenthG
- § 81 AufenthG
- § 84 AufenthG
Fundstellen
- AUAS 2014, 17-22
- InfAuslR 2014, 93-99
Amtlicher Leitsatz
Vorläufiger Rechtsschutz gegen die sofort vollziehbare Ausweisung eines im Bundesgebiet aufgewachsenen Ausländers wegen erheblicher und wiederholter Gewaltdelikte.
[Gründe]
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Ablehnung seines Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, die Ausweisung und die Androhung der Abschiebung.
Der Antragsteller ist kosovarischer Staatsangehöriger. Er wurde am C. in D., Kosovo, geboren und reiste am 7. Dezember 1993 zusammen mit seinen Eltern als Asylbewerber in das Bundesgebiet ein, wo er seitdem lebt. Nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 17. Mai 1994 erteilte der Antragsgegner dem Antragsteller am 1. Juni 1994 eine Aufenthaltsbefugnis. Diese wurde in der Folge, zuletzt als Aufenthaltserlaubnis, verlängert. Mit Bescheid vom 24. März 2009 widerrief das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft des Antragstellers. In der Folge verlängerte der Antragsgegner die Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers nach § 32 Abs. 2 AufenthG zuletzt bis zum 31. Mai 2012. Der Antragsteller beantragte am 13. September 2012 die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis.
Gegen den Antragsteller wurden zahlreiche strafrechtliche Ermittlungsverfahren geführt, die in sechs Fällen zu Verurteilungen führten:
- 1.
Amtsgericht Uelzen, Urteil vom 17. Juni 2010 - 209 Ds 2304 Js 7967/10 (72/10): Körperverletzung und Besitz und Führen eines verbotenen Gegenstandes, Erbringung von Arbeitsleistungen
- 2.
Amtsgericht Uelzen, Urteil vom 31. August 2010 - 209 Ds 2303 Js 9244/10 (116/10): Beleidigung, Erbringung Arbeitsleistungen
- 3.
Amtsgericht Uelzen, Urteil vom 25. November 2010 - 210 Ls 2303 Js 9466/10 (8/10): Gefährliche Körperverletzung, Jugendarrest von einer Woche
- 4.
Amtsgericht Uelzen, Urteil vom 27. Januar 2011 - 210 Ls 2303 Js 23249/10 (31/10): Gefährliche Körperverletzung, Schuldausspruch nach § 27 JGG bei einer Bewährungszeit von einem Jahr und sechs Monaten
- 5.
Amtsgericht Uelzen, Urteil vom 7. April 2011 - 210 Ls 2304 Js 1366/11 (15/11): versuchte räuberische Erpressung, Körperverletzung in drei Fällen, in einem Fall zugleich Beleidigung, versuchte Nötigung und Erschleichen geringwertiger Leistungen in drei Fällen, Jugendstrafe von einem Jahr, Aussetzung zur Bewährung, Bewährungszeit von zwei Jahren
- 6.
Landgericht Lüneburg, Urteil vom 26. April 2012 - 20 KLs 2303 Js 19611/11 (22/11): Gefährliche Körperverletzung, Einheitsjugendstrafe (unter Einbeziehung der vorausgegangenen Urteile vom 25.11.2010, 27.1.2011 und 7.4.2011) von drei Jahren
Seit dem 7. Mai 2013 verbüßt der Antragsteller die Jugendstrafe in der Jugendanstalt Hameln.
Nach Anhörung lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 4. Juli 2013, den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers zugegangen am 8. Juli 2013, den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab, wies den Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus dem Bundesgebiet aus und drohte ihm die Abschiebung in den Kosovo an. Zur Begründung machte der Antragsgegner geltend, die Ausweisung sei aus spezial- und aus generalpräventiven Gründen geboten. Nach den vom Antragsteller verübten Straftaten sei dieser zwingend auszuweisen. Besonderen Ausweisungsschutz genieße der Antragsteller nicht, da er im Zeitpunkt der Ausweisung keinen Aufenthaltstitel besessen habe. Die Ausweisung sei unter Berücksichtigung der Umstände der Tatbegehung und der individuellen Lebensumstände des Antragstellers auch nicht unverhältnismäßig. Eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen komme wegen des Vorliegens von Ausweisungsgründen nicht in Betracht. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen werde unter Ausübung des eröffneten Ermessens, von den allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzungen nicht abzusehen, abgelehnt. Die sofortige Vollziehung der Ausweisung sei zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die bei einem Verbleib des Antragstellers im Bundesgebiet aufgrund erneuter schwerer strafrechtlicher Verfehlungen ernsthaft drohten, geboten.
Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 8. August 2013 bei dem Verwaltungsgericht Klage erhoben und um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ersucht. Er hat beantragt,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage anzuordnen.
Das Verwaltungsgericht Lüneburg hat diesen Antrag mit Beschluss vom 3. September 2013 abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers bleibt ohne Erfolg.
Die Beschwerde ist bereits unzulässig. Nach § 146 Abs. 4 VwGO ist die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde unzulässig. Ein solcher Fall ist hier gegeben. Denn die Beschwerde enthält keinen Antrag. Ein solchen hat der Antragsteller weder im Beschwerdeschriftsatz vom 17. September 2013 noch im Beschwerdebegründungsschriftsatz vom 1. Oktober 2013 formuliert.
Geht man zugunsten des Antragstellers davon aus, dass er seinen im erstinstanzlichen Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes gestellten Antrag mit der Beschwerde unverändert weiter verfolgt, ist die Beschwerde auch unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Ergebnis zutreffend abgelehnt.
1. Der Antrag ist bereits unzulässig, soweit er auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis im Bescheid vom 4. Juli 2013 gerichtet ist.
Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO setzt voraus, dass der mit der Klage angefochtene Verwaltungsakt eine den Antragsteller selbstständig belastende und vollziehungsfähige Regelung enthält. Bei der Anfechtung der Ablehnung eines Antrags auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels ist dies nur dann der Fall, wenn der abgelehnte Antrag eine gesetzliche Erlaubnis-, Duldungs- oder Fortgeltungsfiktion nach § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG ausgelöst hat, die durch die insoweit im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO sofort vollziehbare (vgl. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) Ablehnungsentscheidung der Behörde erlischt.
Daran fehlt es hier. Der vom Antragsteller erst am 13. September 2012 gestellte Verlängerungsantrag hat die hier einzig in Betracht zu ziehende gesetzliche Fortgeltungsfiktion nicht ausgelöst.
Nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG in der hier anzuwendenden, durch das Gesetz zur Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie der Europäischen Union vom 1. Juni 2012 (BGBl. I S. 1224) geänderten Fassung gilt der bisherige Aufenthaltstitel nur dann vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend, wenn der Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels beantragt hat (vgl. zur ähnlichen vorausgegangenen Rechtslage: BVerwG, Urt. v. 22.6.2011 - BVerwG 1 C 5.10 -, BVerwGE 140, 64, 68 f.). Diese Voraussetzungen erfüllt der Verlängerungsantrag vom 13. September 2012 nicht, da die Gültigkeit der dem Antragsteller vorausgehend erteilten Aufenthaltserlaubnis bis zum 31. Mai 2012 befristet war.
Der damit verbundene Nichteintritt der Fiktionswirkung ist hier auch nicht ausnahmsweise unverhältnismäßig, weil der Antragsteller die verspätete Antragstellung nicht zu vertreten hätte. Ungeachtet der Frage, ob eine unverschuldet verspätete Stellung des Verlängerungsantrages überhaupt zum Eintritt der Fiktionswirkung führen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.6.2011, a.a.O. (offen gelassen); OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 21.6.2011 - 17 B 455/11 -, [...] Rn. 12 f. (verneinend)), bestehen hier keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller die verspätete Antragstellung nicht zu vertreten hat.
Dass der Antragsgegner dem Antragsteller gleichwohl eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG erteilt hat, ist unerheblich. Denn eine solche Bescheinigung regelt die Rechtslage nicht, sondern hat allenfalls deklaratorischen Charakter (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.1.2010 - BVerwG 1 B 17.09 -, NVwZ-RR 2010, 330, 331). Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner mit der Erteilung der Fiktionsbescheinigung eine Anordnung der Fortgeltungswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 2 AufenthG treffen wollte (vgl. zu den Voraussetzungen: Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie der Europäischen Union, BT-Drs. 17/8682, S. 22 f.), bestehen für den Senat hier nicht. Der Antragsgegner hat vielmehr im angefochtenen Bescheid unwidersprochen erklärt, lediglich die Abschiebung des Antragstellers nach § 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ausgesetzt zu haben.
2. Der darüber hinaus auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die für sofort vollziehbar erklärte Ausweisung im Bescheid vom 4. Juli 2013 und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 4. Juli 2013 gerichtete Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise wiederherstellen. Ist, wie hier, das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Ausweisung in einer den Formerfordernissen nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise damit begründet worden, dass eine erneute Straffälligkeit des Antragstellers und damit verbundene Gefahren für die Allgemeinheit verhindert werden sollen, so setzt die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage eine Abwägung des Interesses des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts bis zur endgültigen Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, gegen das vorrangig öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung voraus (vgl. Senatsbeschl. v. 16.3.2004 - 8 ME 164/03 -, NJW 2004, 1750 m.w.N.).
Dem öffentlichen Vollzugsinteresse kann dabei überhaupt nur dann Vorrang eingeräumt werden, wenn der angefochtene Verwaltungsakt voraussichtlich auch im Hauptsacheverfahren Bestand haben, mithin sich als rechtmäßig erweisen wird. Da die Ausweisung eine schwerwiegende und mit schwer zu behebenden Folgen für den Ausländer verbundene Maßnahme darstellt, deren Gewicht durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung noch erheblich verschärft wird, setzt das Interesse an der sofortigen Vollziehung zudem die aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls zu treffende Feststellung voraus, dass der Sofortvollzug schon vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr der mit der Ausweisungsverfügung zu bekämpfenden Gefahren erforderlich ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 13.6.2005 - 2 BvR 485/05 -, NVwZ 2005, 1053, 1054 f.; Beschl. v. 21.3.1985 - 2 BvR 1642/83 -, BVerfGE 69, 220, 228; Bayerischer VGH, Beschl. v. 19.2.2009 - 19 CS 08.1175 -, [...] Rn. 49 jeweils m.w.N.). Bei der im Übrigen vorzunehmenden Folgenabwägung sind gegenüberzustellen die konkreten Nachteile für die gefährdeten Rechtsgüter bei einem Aufschub des Vollzugs, wenn sich die Ausweisungsverfügung nachträglich als rechtmäßig erweist, den konkreten Folgen des Sofortvollzugs für den Ausländer, wenn sich die Ausweisungsverfügung nachträglich als rechtswidrig erweisen sollte (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.10.2006 - 1 BvR 2403/06 -, [...] Rn. 17 f.).
Nach diesen Maßstäben fällt die Abwägung zu Lasten des Antragstellers aus. Die Ausweisungsverfügung des Antragsgegners vom 4. Juli 2013 ist voraussichtlich rechtmäßig (a.), die Anordnung des Sofortvollzugs ist schon vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr der mit der Ausweisungsverfügung zu bekämpfenden Gefahren erforderlich (b.) und die bei einem Aufschub des Vollzugs eintretenden konkreten Nachteile für die gefährdeten Rechtsgüter überwiegen die den Antragsteller treffenden Folgen der sofortigen Vollziehung (c.).
a. Für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung einer Ausweisungsverfügung ist dabei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgebend (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.11.2007 - BVerwG 1 C 45.06 -, BVerwGE 130, 20, 22). Dieser ursprünglich für die Überprüfung von Ausweisungen von Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen entwickelte Grundsatz (vgl. BVerwG, Urt. v. 3.8.2004 - BVerwG 1 C 30.02 -, BVerwGE 121, 297, 308 f.; Urt. v. 3.8.2004 - BVerwG 1 C 29.02 -, BVerwGE 121, 315, 321) gilt nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) auch für alle Drittstaatsangehörigen, weil bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ihrer Ausweisung und der Gegenwärtigkeit der von ihnen ausgehenden Gefahr auf eine möglichst aktuelle Tatsachengrundlage abzustellen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.11.2007, a.a.O., S. 23 f.).
Hier hat der Antragsgegner seine Verfügung vom 4. Juli 2013 zutreffend auf § 53 Nr. 1 AufenthG gestützt und selbständig tragend mit spezialpräventiven Erwägungen begründet, so dass es nicht mehr darauf ankommt, ob sie auch selbstständig tragend generalpräventiv begründet werden könnte
Nach § 53 Nr. 1 AufenthG wird ein Ausländer ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Diese Voraussetzungen liegen unter Berücksichtigung des rechtskräftigen Urteils des Landgerichts Lüneburg vom 26. April 2012 vor. Durch dieses Urteil ist der Antragsteller wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Auch den dabei einbezogenen vorausgegangenen Verurteilungen durch das Amtsgericht Uelzen vom 25. November 2010 wegen gefährlicher Körperverletzung, vom 27. Januar 2011 wegen gefährlicher Körperverletzung und vom 7. April 2011 wegen versuchter räuberischer Erpressung, Körperverletzung in drei Fällen, in einem Fall zugleich Beleidigung, versuchter Nötigung und Erschleichens geringwertiger Leistungen in drei Fällen, lagen ausschließlich vorsätzliche Straftaten im Sinne des § 53 Nr. 1 AufenthG zugrunde (vgl. zu diesem Erfordernis bei der Berücksichtigung einer einheitlichen Jugendstrafe: GK-AufenthG, Stand: Januar 2007, § 53 Rn. 102 f. m.w.N.).
Die danach zwingende Ausweisung ist nicht nach § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG zu einer Regelausweisung herabgestuft. Der Antragsteller genießt keinen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. In der Person des Antragstellers liegen im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Ausweisungsverfügung die tatbestandlichen Voraussetzungen keines der in § 56 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 5 AufenthG genannten Fälle vor. Er besitzt keinen der in § 56 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 und 5 AufenthG genannten Aufenthaltstitel oder -status. Er lebt auch nicht nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft.
Die zwingende Ausweisung ist auch nicht nach § 56 Abs. 2 AufenthG zu einer Ermessensausweisung herabgestuft. Nach Satz 1 dieser Bestimmung wird über die zwingende Ausweisung eines Heranwachsenden, der im Bundesgebiet aufgewachsen ist und eine Niederlassungserlaubnis besitzt, sowie über die zwingende Ausweisung eines Minderjährigen, der eine Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis besitzt, nach Ermessen entschieden. Der Antragsteller besitzt im genannten maßgeblichen Zeitpunkt keinen dieser Aufenthaltstitel. Nach § 56 Abs. 2 Satz 2 AufenthG wird ein minderjähriger Ausländer nach Ermessen und nur in den Fällen des § 53 AufenthG ausgewiesen, soweit die Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil des Minderjährigen sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Der Antragsteller hat bereits am 10. März 2010 das achtzehnte Lebensjahr vollendet und ist damit im genannten maßgeblichen Zeitpunkt kein Minderjähriger (vgl. § 2 BGB) mehr. Es kann daher hier dahingestellt bleiben, ob - wie es der Antragsgegner meint - die Anwendung der Sätze 1 und 2 des § 56 Abs. 2 AufenthG nach Satz 3 dieser Bestimmung von vorneherein ausgeschlossen ist, weil der Antragsteller als Heranwachsender wegen der serienmäßiger Begehung nicht unerheblicher vorsätzlicher Straftaten, wegen schwerer Straftaten oder einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt worden ist.
Die zwingende Ausweisung des Antragstellers ist auch nicht mit Blick auf die hier allein einschlägigen Bestimmungen des Völkervertragsrechts in Art. 8 Abs. 1 EMRK und des Verfassungsrechts in Art. 2 Abs. 1 GG als ausnahmsweise unverhältnismäßig anzusehen (vgl. zur dogmatischen Begründung und Erforderlichkeit einer solchen Verhältnismäßigkeitsprüfung bei einer einfachgesetzlich zwingenden Ausweisung: BVerfG, Beschl. v. 10.8.2007 - 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007, 1300 f.; BVerwG, Urt. v. 14.2.2012 - BVerwG 1 C 7.11 -, BVerwGE 142, 29, 38 f.; Beschl. v. 11.7.2003 - BVerwG 1 B 252.02 -, Buchholz 140 Art. 8 EMRK Nr. 14; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 20.10.2011 - 11 S 1929/11 -, [...] Rn. 25 f.).
Die Ausweisung des Antragstellers stellt einen Eingriff in das von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Achtung seines Privatlebens, nicht aber in das ebenfalls nach dieser Bestimmung geschützte Familienleben dar. Denn der volljährige Antragsteller und seine im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen sind nicht auf ein Zusammenleben oder einen Beistand angewiesen. Der Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens ist zudem gerechtfertigt im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK. Die Ausweisung erfolgte auf gesetzlicher Grundlage und verfolgt ein legitimes Ziel, die Verhinderung weiterer Straftaten des Antragstellers im Bundesgebiet. Die Ausweisung ist auch unter Berücksichtigung der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entwickelten Kriterien für die Ausweisung junger Erwachsener, die noch keine eigene Familie gegründet haben (vgl. hierzu zusammenfassend: EGMR, Urt. v. 25.3.2010 - 40601/05 -, InfAuslR 2010, 325 (Mutlag ./. Deutschland)), verhältnismäßig.
Der Antragsteller lebt seit seinem zweiten Lebensjahr im Bundesgebiet. Sein Aufenthalt war weit überwiegend rechtmäßig. Hier hat er nahezu seine gesamte Sozialisation erfahren, die Schule besucht und erlangte 2010 einen Realschulabschluss. Eine weitergehende, insbesondere wirtschaftliche Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse ist indes nicht zu verzeichnen. Nach seinen Angaben brach er im Jahr 2010 die höhere Handelsschule ab und hat danach kurzzeitig ein Praktikum absolviert. Eine Ausbildung hat der Antragsteller indes nicht abgeschlossen und sich auch sonst, soweit ersichtlich, nicht nachhaltig und ernsthaft um die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bemüht. Erst aus der Haft heraus hat er einen Ausbildungsvertrag unterzeichnet. Dieser sieht allerdings einen Ausbildungsbeginn zum 1. Februar oder 1. August 2014 vor. Angesichts des für den 6. Mai 2016 vorgesehenen Strafendes erscheint die Aufnahme der Ausbildung daher unwahrscheinlich. Über seine im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen hinaus hat der Antragsteller schützenswerte soziale Kontakte nicht aufgezeigt. Die mangelnde Integration in die hiesige Rechtsordnung ist angesichts der erheblichen und wiederholten strafrechtlichen Verfehlungen offensichtlich. Eine wirkliche Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse, die ihn als faktischen Inländer erscheinen ließe, ist dem Antragsteller mithin nicht gelungen.
Auch erscheint eine Eingewöhnung in die Verhältnisse in seinem Heimatland nicht unmöglich und nicht unzumutbar. Dabei geht der Senat davon aus, dass der Antragsteller über zumindest grundlegende Kenntnisse der albanischen Sprache verfügt. Er ist zwar im zweiten Lebensjahr mit seinen Eltern in das Bundesgebiet eingereist. Nach den unwidersprochenen Angaben des Antragsgegners im Schriftsatz vom 30. August 2013 spricht die Mutter des Antragstellers indes kein Deutsch, so dass davon auszugehen ist, dass der Antragsteller sich mit seiner Mutter in der Heimatsprache verständigt. Im Übrigen befindet sich der Antragsteller in einem Alter, in dem ihm das Erlernen einer neuen Sprache ohne Weiteres zuzumuten ist. Hinsichtlich weiterer Bindungen an das Heimatland geht der Senat - ungeachtet etwaiger, noch im Hauptsacheverfahren zu gewinnender Erkenntnisse (vgl. zu den insoweit bestehenden Aufklärungspflichten: BVerfG, Beschl. v. 21.2.2011 - 2 BvR 1392/10 -, NVwZ-RR 2011, 420, 422) - vom Vorbringen des Antragstellers aus, dass solche nicht vorhanden sind. Hieraus folgt aber allenfalls, dass die Eingewöhnung in die Lebensverhältnisse im Kosovo für den Antragsteller voraussichtlich schwierig sein wird. Anhaltspunkte dafür, dass diese unmöglich oder dem Antragsteller unzumutbar ist (vgl. zur Maßgeblichkeit dieses Aspekts: EGMR, Urt. v. 5.7.2005 - 46410/99 -, InfAuslR 2005, 450 f. (Üner ./. Niederlande)), hat der Senat indes nicht. Der Antragsteller gehört der albanischen Mehrheitsbevölkerung an, ist voll erwerbsfähig und keiner politischen Verfolgung im Heimatland ausgesetzt. Nach der Rückkehr steht ihm zudem die Unterstützung des auch vom Land Niedersachsen finanzierten Rückkehrerprojektes URA II zur Verfügung. Dieses bietet Integrations-, Betreuungs- und Unterstützungsmaßnahmen für Rückkehrer aus Deutschland an. Es verfügt über Wohnmöglichkeiten, die Rückkehrern bei Bedarf zur Verfügung gestellt werden, hilft bei der Wohnungssuche und zahlt für einen Übergangszeitraum die Miete, stellt Geld für Lebensmittelhilfen zur Verfügung, ist bei der Arbeitsplatzsuche behilflich und begleitet Zurückgekehrte bei Behördengängen (vgl. zu den gewährten
Unterstützungs- und Hilfeleistungen im Einzelnen: http://www.bamf.de/DE/Rueckkehrfoerderung/ProjektKosovo/projektkosovo-node.html, Stand: 12.12.2013).
Die Art und Schwere der vom Antragsteller begangenen Straftaten, das jeweilige Verhalten nach der Tatbegehung und die Gefahr der Begehung erneuter, insbesondere gegen die körperliche Integrität gerichteter Straftaten rechtfertigen es, die beschriebenen Bindungen an das Bundesgebiet und seinen Aufenthalt hier durch die Ausweisung zu beenden.
So sind die die Ausweisung veranlassenden Straftaten nicht vereinzelt, sondern wiederholt und über einen relativ langen Zeitraum (vgl. zur Erheblichkeit dieses Aspekts: EGMR, Urt. v. 23.6.2008 - 1638/03 -, InfAuslR 2008, 333, 334 (Maslov ./. Österreich)) begangen worden. Die Straftaten waren durchweg gegen die körperliche Integrität gerichtet und führten zu teilweise schweren Verletzungen der Opfer. Die Intensität der Rechtsgutsverletzungen nahm stetig zu. Der für das Strafmaß wesentliche Teil der begangenen Taten war durch Gewalteinwirkungen auf die Opfer geprägt. So heißt es im Urteil des Amtsgerichts Uelzen vom 25. November 2010 (Bl. 181 f. Beiakte A):
"Die drei Angeklagten fragten, was für eine Klasse es sei, wer der Lehrer sei und begannen damit, völlig unvermittelt die Schüler zu beleidigen. Sie verließen den Klassenraum, kamen jedoch unverzüglich zurück und betitelten die Schüler als 'Nazi-Klasse', 'Fotzen' und 'Schlampen'. Darüber hinaus wurden die Schülerinnen als 'Mann-Weiber' und 'Nazi-Weiber' betitelt. Die Schülerin K., der dieses zu viel wurde, weil sie arbeiten und etwas lernen wollte, ging zur Tür und versuchte, die drei Angeklagten aus dem Klassenraum zu drängen. Als sie die Tür schließen wollte, wurde sie von den drei Angeklagten in den Flur hinausgezogen. M., N. und I. gingen hinterher, um ihrer Mitschülerin zu helfen, die von den drei Angeklagten geschlagen und getreten wurde. Auch I. und M. wurden von den drei Angeklagten geschlagen, I. lag am Boden und M. erhielt Faustschläge. ... Die Zeugin I. erlitt eine Gehirnerschütterung, Prellungen im Bauchbereich und an der Schulter, sie war eine Woche lang krankgeschrieben. In den folgenden drei bis vier Monaten hat sie es vermieden, auf die Straße zu gehen und hat auch die Stadt gemieden. K. erlitt ausgeprägte Hämatome an der Hüfte, der Schläfe, am Hinterkopf, an der Stirn und an den Armen. Am 22.02.2010 kollabierte sie aufgrund der Verletzungen und musste stationär behandelt werden.",
im weiteren Urteil des Amtsgerichts Uelzen vom 7. April 2011 (Bl. 137 f., 143 Beiakte A):
"Auch A. B. betitelte den Zeugen T. als 'frech', drückte ihn mit dem Oberkörper gegen den Bauzaun, der an dem kleinen Verbindungsweg stand, und versetzte ihm einen solchen Schlag in das Gesicht, so dass das rechte Auge anschwoll und die rechte Gesichtshälfte sich rötete. Anschließend schlug A. B. auch C. in das Gesicht, so dass er deutliche Schmerzen hatte. ... A. B. hat angegeben, er habe T. und C. geschlagen, beide hätten ihn angelogen, sie hätten gesagt, sie hätten kein Geld dabei gehabt, das habe nicht gestimmt, sie hätten gelogen und er möge nicht, wenn man ihn anlüge. ... Auf dem Schulhof betitelte der Angeklagte A. B. den Schüler C.B. zunächst als 'Hurensohn', spuckte ihm in das Gesicht und schlug ihn dreimal mit der Faust in das Gesicht. C.B. hatte eine geschwollene bzw. aufgeplatzte Lippe und länger andauernde Kopfschmerzen.",
und schließlich im Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 26. April 2012 (Bl. 176, 202 f. Beiakte A):
"Nach dem Auskippen [Anm.: der Bierflasche] schaute A. B. in die Flasche, vergewisserte sich, dass sie wirklich leer war und lief schräg über die Gudestraße direkt auf C. zu, wobei er sich jedoch allenfalls am Rand von dessen Blickfeld bewegte. Während des Laufens wechselte er seine Griffhaltung an der Flasche und fasste spätestens jetzt den Entschluss, die Flasche C. völlig überraschend und ohne Möglichkeit für eine Gegenwehr gezielt an den Kopf zu werfen. Dabei nahm er erhebliche, nicht aber tödliche Verletzungen in Kauf. Ferner war ihm nicht bewusst, dass sein Verhalten generell geeignet war, den Tod eines Menschen herbeizuführen. Als er sich auf etwa zwei bis vier Meter genähert hatte, sprang er in die Luft und warf C. die Flasche mit voller Wucht gezielt an den Kopf. Der Bewegungsablauf ähnelte dem Torwurf eines Handballspielers. Wie von A. B. vorhergesehen, rechnete C. nicht mit einem derartigen Angriff. Ohne die Möglichkeit sich zu verteidigen, wurde er für ihn völlig überraschend von der Flasche am Kopf getroffen und verlor sofort das Bewusstsein. ... Unmittelbar, nachdem C. kampfunfähig zu Boden gegangen war, fasste R. [Anm.: ein Mitangeklagter] den Entschluss, ihn mit Fußtritten weiter anzugreifen. ... Er selbst trat ihm zweimal mit dem Fuß ins Gesicht ...Der Wurf mit der Flasche und die Fußtritte hatten für C. erhebliche körperliche Folgen: Er erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma 1. Grades mit begleitendem Schwindel und Kopfschmerzen, eine Fraktur des Stirnbeins (sinus frontalis), eine stark blutende Nasenbeinfraktur mit höhergradigem Weichteilschaden und eine offene Wunde im Oberlippenbereich. ... C. leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung und befindet sich seit mehreren Monaten in psychologischer Behandlung."
Die den Verurteilungen vom 25. November 2010, 7. April 2011 und 26. April 2012 zugrunde liegenden Straftaten sind kurz vor oder nach Vollendung des 18. Lebensjahres vom Antragsteller begangen worden. Zudem war der Antragsteller durch vorausgehende strafrechtliche Verurteilungen hinreichend gewarnt und auf die Folgen seines Verhaltens hingewiesen worden. So heißt es im Urteil des Amtsgerichts Uelzen vom 25. November 2010 (Bl. 183 Beiakte A):
"Im Übrigen ist A. B. deutlich zu sagen, nicht er ist Opfer jenes Geschehens vom 18.02.2010, Opfer sind die Schülerinnen. ... Insbesondere A. B. ... ist zu sagen, dass das Gesetz für die gefährliche Körperverletzung eines Erwachsenen eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vorsieht. Sie haben jetzt zu lernen, ihr Verhalten gegenüber anderen Menschen zu ändern.",
im weiteren Urteil des Amtsgerichts Uelzen vom 27. Januar 2011 (Bl. 186 f. Beiakte A):
"Den drei Angeklagten ist zu sagen, dass ihr Verhalten gegenüber anderen Menschen nicht geduldet werden kann. Sie sind gegenüber der Familie R. am 05.07.2010 in einer Gruppe gewalttätig aufgetreten. Sie haben die Familie als 'Arschficker' betitelt. ... Sie sind völlig im Irrtum, wenn sie meinen, dass Ausdrücke, die sie benutzen, der normale Sprachgebrauch eines Erwachsenen ist. Ausschließlich sie sprechen Menschen auf diese Art und Weise an, in der Hoffnung, dass völlig Unbeteiligte und ihnen unbekannte Menschen auf ihr Verhalten reagieren, damit sie aus der Gruppe heraus und mit der Gruppe zuschlagen können. ...
Der Angeklagte A. B. wurde am 17.06.2010 wegen Körperverletzung verurteilt. Er hat offensichtlich die Warnungen des Gerichts nicht gehört und knapp drei Wochen nach jenem Urteil die nächste Körperverletzung, nun eine gefährliche Körperverletzung, begangen. ... Auch bei A. B. erkennt das Gericht eine erhebliche kriminelle Energie im Sinne des § 17 Abs. 2 1. Alternative JGG, sodass, hätte die Möglichkeit bestanden, zeitnah zu verhandeln, er sicherlich zu einer Jugendstrafe verurteilt worden wäre. ... Auch A. B. muss lernen, sich in einer Gruppe so zu verhalten, dass keine Gewalt mehr von ihm ausgeht. A. B. fühlt sich grundsätzlich in einer Gruppe stark und meint, durch Gewalt gegenüber anderen Menschen Selbstvertrauen erlangen zu können. Dieses ist falsch. ... Das Gericht hat es für unabdingbar erzieherisch notwendig erachtet, für A. B. die Erfahrung zu schaffen, wohin sein Weg gehen wird, sofern er nicht aufhört, gewalttätig gegenüber anderen Menschen aufzutreten.",
im weiteren Urteil des Amtsgerichts Uelzen vom 7. April 2011 (Bl. 137, 147 f. Beiakte A):
"Bezüglich A. B. hat das Gericht jedoch aus erzieherischen Gründen von der Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Uelzen vom 25.11.2010 abgesehen. Nach wie vor hat es das Gericht für unabdingbar notwendig erachtet, für A. B. die Erfahrung des Dauerarrestes in der Arrestanstalt E. zu schaffen, um ihm noch einmal die Gelegenheit zu geben, über seine bisherigen Straftaten nachzudenken. Bei beiden Angeklagten besteht eine erhebliche kriminelle Energie im Sinne des § 17 Abs. 2 1. Alternative JGG und ein Hang zur Begehung von Straftaten, insbesondere von Gewaltdelikten, so dass eine andere Maßnahme als die Verhängung einer Jugendstrafe nicht mehr in Betracht kam. ... Innerhalb von nur zehn Monaten ... hat der Angeklagte A. B. sechsmal vor Gericht gestanden. Die hier vorliegenden Taten ... hat er begangen, als er bereits die Ladung zur Hauptverhandlung ... erhalten hatte. Er hat durchgängig Straftaten begangen, wenn er sich durch 'seine Gruppe' gestärkt gefühlt hat. Zu Recht möchte er von Menschen geachtet werden. Hierzu gehört in erster Linie, dass er jedoch damit beginnt, die anderen Menschen ebenfalls zu achten und sich nicht beständig über andere hinwegsetzt und nach einem Grund sucht, schlagen zu können. Er ist auch nicht dazu berufen, andere Menschen, denen Unrecht zugefügt wurde, zu rächen. Er hat sich nicht einzumischen. Es reicht auch keine nachträgliche Entschuldigung. Gewalt kann nicht entschuldigt werden. Er irrt, wenn er meint, mit einer Entschuldigung ist alles ungeschehen. ... Das Gericht hofft darauf, dass sie sich nun allein das Urteil werden zur Warnung dienen lassen, um keine weiteren Straftaten mehr zu begehen. Das wird ihnen auch gelingen, sofern sie sich ein einziges Mal verdeutlichen, dass sie tatsächlich bei der nächsten Gewalttat eine erhebliche Zeit in der Jugendanstalt Hameln werden verbringen müssen."
und schließlich im Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 26. April 2012 (Bl. 176, 205 f. Beiakte A):
"Hinsichtlich der Feststellungen zur Person sind die Angaben der 63 Jahre alten Richterin am Amtsgericht A. hervorzuheben. Die langjährige Jugendrichterin des AG Uelzen gab bei ihrer Vernehmung als Zeugin an, sowohl die beiden Angeklagten als auch deren engeren Freundeskreis seit Jahren aus diversen Strafverfahren zu kennen. Sodann beschrieb sie die Entwicklung der beiden Angeklagten und den Inhalt der verschiedenen Gespräche, die sie mit ihnen innerhalb und außerhalb der Hauptverhandlungen geführt habe. Dabei betonte sie, die Angeklagten immer wieder darauf hingewiesen zu haben, dass sie aufhören müssten, Körperverletzungsdelikte zu begehen. Alles andere werde unweigerlich zu einer Jugendstrafe ohne Bewährung führen."
Gleichwohl hat der Antragsteller aus den wiederholten Verurteilungen und aus den ausdrücklich ausgesprochenen Warnungen für sich keine Konsequenzen gezogen, im Gegenteil lässt sein Verhalten eine zunehmende kriminelle Energie erkennen. Der Senat sieht daher keine Anhaltspunkte dafür, dass die den Verurteilungen zugrunde liegenden Straftaten als bloße vorübergehende Jugenddelinquenz betrachtet werden können (vgl. zur Erheblichkeit dieses Aspekts: EGMR, Urt. v. 25.3.2010, a.a.O.; EGMR, Urt. v. 23.6.2008, a.a.O.). Auch das Landgericht Lüneburg hat in seinem Urteil vom 26. April 2012 (Bl. 237 f. Beiakte A) herausgestellt, dass bei dem Antragsteller schädliche Neigungen vorliegen und bloße Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel nicht mehr ausreichen, um ihn von seinem kriminellen Lebenswandel abzubringen:
"Er ist bereits mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten und hat sich von bisher verhängten Maßregeln und Zuchtmitteln sowie von der gegen ihn verhängten Jugendstrafe offenbar nicht ausreichend beeindrucken lassen. Zudem stand er zum Zeitpunkt der Tat bereits unter Bewährung - teilweise wegen einschlägiger Delikte. Dennoch ließ er sich nicht davon abhalten, erneut straffällig zu werden. ... Aus erzieherischen Gründen ist es gerade sinnvoll, eine Einheitsjugendstrafe zu bilden, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wird. Nur durch eine längere Gesamterziehung erscheint es möglich, den strafrechtlich vorbelasteten Angeklagten davon abzuhalten, seinen kriminellen Lebenswandel zu verfestigen, und ihn zur Rechtschaffenheit zurückzuführen. Alle anderen Mittel des Jugendstrafrechts ... haben bislang versagt und versprechen auch zukünftig keinen Erfolg."
Der Senat sieht auch keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass sich der Antragsteller qualifiziert mit seiner Kriminalität und den dadurch angerichteten Schäden auseinandergesetzt und hieraus Schlüsse für seine weitere Lebensführung abgeleitet hat. Der Antragsteller macht zwar geltend, sich von seinen früheren "Freunden" distanziert zu haben, sich in der Jugendanstalt mit seinen früheren Wutausbrüchen und Gewaltattacken auseinandergesetzt zu haben und eine Therapie absolvieren zu wollen. Dies ist indes weder belegt noch deutet es auf eine grundlegende Zäsur im Leben des Antragstellers hin. Der Hinweis auf die Distanz zu seinem früheren Freundeskreis und die damit verbundene Unterstellung, diese hätten ihn maßgeblich zur Begehung der Straftaten verleitet, verharmlost zudem sein früheres Verhalten. Das Landgericht Lüneburg beschreibt in seinem Urteil vom 26. April 2012 zwar den Einfluss der in F. bekannten und aggressiv auftretenden Gruppe Jugendlicher auch auf das Verhalten des Antragstellers (Bl. 199 Beiakte A). Indes wird der Antragsteller nicht als ein bloßer Mitläufer, sondern ein die Gruppe aktiv bestimmendes Mitglied beschrieben:
"Während R. aufgrund seiner Unsicherheit und seiner nur durchschnittlichen Intelligenz in der Gruppe ein Mitläufer war, war der Einfluss von A. B. wesentlich größer. Dies zeigte sich beispielsweise daran, dass er am Rande der Hauptverhandlung vor der Jugendrichterin in Uelzen anderen Gruppenmitgliedern Anweisungen gab, wie sie sich zu verhalten hätten."
Zudem hat auch die letzte Verurteilung durch das Landgericht Lüneburg vom 26. April 2012 den Antragsteller nicht von weiterem Fehlverhalten abgehalten. Ihm wird vorgeworfen, am 8. November 2012 eine gemeinschaftliche Nötigung begangen zu haben (vgl. Bl. 326 f. Beiakte A). Das Strafverfahren ist vom Amtsgericht Uelzen mit Beschluss vom 29. April 2013 - 209 Ds 2303 Js 32214/12 (38/13) - (Bl. 334 Beiakte A) nur im Hinblick auf das Urteil des Landgerichts Stade vom 26. April 2012 nach § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt worden. Ein grundlegender Gesinnungs- und Persönlichkeitswandel ist diesem Verhalten jedenfalls nicht zu entnehmen. Ein solcher erfordert regelmäßig eine Phase der "Bilanzierung", die im Regelfall ein längerer, im Strafvollzug auch üblicherweise durch den Psychologischen Dienst begleiteter Prozess ist. Dass dieser Prozess bereits ernsthaft aufgenommen, geschweige denn erfolgreich zum Abschluss gebracht worden ist, vermag der Senat nicht zu erkennen.
Angesichts dieser Umstände hat der Antragsgegner das öffentliche Interesse an der Ausweisung des Antragstellers zutreffend mit der spezialpräventiven Erwägung begründet, es drohe ernsthaft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Antragstellers und von diesem gehe eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut aus. Vom Vorliegen derart schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung kann nach der gesetzlichen Regelvermutung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in den hier gegebenen Fällen des § 53 AufenthG regelmäßig ausgegangen werden. Ausgehend von den bisher begangenen Taten und der steigenden Intensität von Rechtsgutbeeinträchtigungen steht dabei ernsthaft zu befürchten, dass der Antragsteller nicht "nur" gegen das Eigentum oder Vermögen gerichtete Straftaten begehen wird, sondern auch Straftaten, die die körperliche Unversehrtheit Dritter in ganz erheblicher Weise beeinträchtigen. Die sich daraus ergebende bedeutsame Gefahr für wichtige Schutzgüter begründet eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und damit ein, auch unter Berücksichtigung seines von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten Interesses, letztlich überwiegendes öffentliches Interesse, den Antragsteller zukünftig vom Bundesgebiet fernzuhalten. Ebenso ist der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des Antragstellers nach Art. 2 Abs. 1 GG als verhältnismäßig zu beurteilen.
2. Die Anordnung des Sofortvollzugs ist auch schon vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr der mit der Ausweisungsverfügung zu bekämpfenden Gefahren erforderlich.
Diese Erforderlichkeit ist regelmäßig dann zu bejahen, wenn, wie hier, die Ausweisung zutreffend von schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung getragen wird (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 25.6.1998 - 11 S 682/98 -, [...] Rn. 4 f.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 24.2.1998 - 18 B 1466/96 -, [...] Rn. 30 f.; GK-AufenthG, a.a.O., vor §§ 53 ff. Rn. 1558.1 und 6 m.w.N.).
Dem könnte der Antragsteller nicht mit Erfolg entgegenhalten, hier bestehe schon deshalb kein Erfordernis für einen Sofortvollzug, weil er sich in Strafhaft befinde. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass der Antragsteller vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren (vgl. zum maßgeblichen zeitlichen Horizont: Senatsbeschl. v. 14.06.2011 - 8 ME 325/10 -, [...] Rn. 46 m.w.N.) aus der Strafhaft entlassen wird und dann die beschriebene konkrete Gefahr der erneuten Begehung von Straftaten, die die körperliche Unversehrtheit Dritter im Bundesgebiet in ganz erheblicher Weise beeinträchtigen, droht.
3. Schließlich überwiegen die bei einem Aufschub des Vollzugs eintretenden konkreten Nachteile für die gefährdeten Rechtsgüter die den Antragsteller treffenden Folgen der sofortigen Vollziehung.
Der Senat verkennt nicht, dass die sofortige Vollziehung der Ausweisung und die daran letztlich anknüpfende Aufenthaltsbeendigung eine schwer wiegende Maßnahme darstellt, die tief in das Schicksal des Antragstellers und seiner Familie eingreift. Er wird - jedenfalls bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens - gezwungen, das Bundesgebiet zu verlassen, hier bestehende Bindungen zu unterbrechen und sein Leben im Heimatland zu bestreiten. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller jedenfalls in wirtschaftlicher Hinsicht bisher nicht im Bundesgebiet integriert ist, der Sofortvollzug also nicht mit dem Verlust der wirtschaftlichen Existenz verbunden ist. Auch weitere im Bundesgebiet lebende Familienangehörige geraten durch die Aufenthaltsbeendigung des Antragstellers nicht in eine existenzbedrohende Notlage. Dem Antragsteller ist eine soziale Wiedereingliederung im Bundesgebiet für den Fall eines Obsiegens im Hauptsacheverfahren durchaus möglich und auch zuzumuten. Die Wirkungen des Sofortvollzugs sind im Falle eines Obsiegens im Hauptsacheverfahren für den Antragsteller mithin weitgehend reparabel.
Dies gilt für die von einem Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet gefährdeten Rechtsgüter nicht. Realisiert sich die beschriebene konkrete Gefahr, dass der Antragsteller im Bundesgebiet erneut Straftaten begeht, die die körperliche Unversehrtheit Dritter in ganz erheblicher Weise beeinträchtigen, sind die eingetretenen Schädigungen regelmäßig nicht wieder gutzumachen. Angesichts der Wichtigkeit dieser Schutzgüter und der Irreparabilität ihrer Schädigung überwiegen diese im vorliegenden Einzelfall die den Antragsteller treffenden Folgen der sofortigen Vollziehung.
Schließlich ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 4. Juli 2013 unbegründet. Denn eine Aussetzung der Vollziehung gebietende Zweifel an deren Rechtmäßigkeit sind dem Beschwerdevorbringen des Antragstellers nicht zu entnehmen und auch sonst nicht ersichtlich.