Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 04.09.2019, Az.: 13 ME 282/19

Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen; außergewöhnliche Härte; Beschwerde; besondere Härte; Ehebestandszeit; Rückkehrverpflichtung; vorläufiger Rechtsschutz

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
04.09.2019
Aktenzeichen
13 ME 282/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 69987
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 01.08.2019 - AZ: 11 B 1789/19

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine "außergewöhnliche Härte" im Sinne des § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG ist nur gegeben, wenn die Beendigung des Aufenthalts in Deutschland für den Ausländer mit Nachteilen verbunden ist, die ihn deutlich härter treffen als andere Ausländer in einer vergleichbaren Situation. Die Beendigung des Aufenthalts muss für den Ausländer bei dieser Vergleichsbetrachtung unzumutbar sein.

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerinnen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Einzelrichter der 11. Kammer - vom 1. August 2019 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde der Antragstellerinnen gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes versagenden Beschluss des Verwaltungsgerichts bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerinnen gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 15. Mai 2019 über die Ablehnung der Anträge auf Verlängerung oder Neuerteilung von Aufenthaltserlaubnissen, die Androhung der Abschiebung nach China und die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots anzuordnen. Die hiergegen mit der Beschwerde geltend gemachten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Beschwerdeverfahren zu beschränken hat, gebieten keine Änderung der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung.

1. Die Beschwerde macht zum einen geltend, das Verwaltungsgericht habe die persönliche Notlage der Antragstellerin zu 1. nicht hinreichend berücksichtigt. Sie sei in Deutschland berufstätig, könne ihre Ausbildung zur Pflegedienstassistentin sofort beginnen und würde dann in einem Bereich beruflich aktiv werden, der angesichts des diskutierten Pflegenotstands in ganz erheblichem Umfang Unterstützung benötige.

Dieses Beschwerdevorbringen genügt schon den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht, wonach sich der Beschwerdeführer auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes qualifiziert, ins Einzelne gehend und fallbezogen mit der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung befassen und für das Beschwerdegericht nachvollziehbar aufzeigen muss, dass und warum die angefochtene Entscheidung unrichtig und im Ergebnis aufzuheben oder zu ändern ist (vgl. zu den Darlegungsanforderungen im Einzelnen: Senatsbeschl. v. 25.7.2014 - 13 ME 97/14 -, NordÖR 2014, 502 f. m.w.N.). Hierfür genügt ein bloßer Hinweis auf die persönliche Notlage der Antragstellerin zu 1., ohne diese in einen Zusammenhang etwa mit den vom Verwaltungsgericht verneinten Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu stellen, ersichtlich nicht.

Sollte das Beschwerdevorbringen darauf gerichtet sein aufzuzeigen, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht das Vorliegen der Voraussetzungen eines ehegattenunabhängigen Aufenthaltsrechts nach § 31 Abs. 1 und 2 AufenthG und insbesondere einer besonderen Härte verneint hat, greift es nicht durch. Eine besondere Härte liegt nach § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG insbesondere dann vor, wenn die Ehe nach deutschem Recht wegen Minderjährigkeit des Ehegatten im Zeitpunkt der Eheschließung unwirksam ist oder aufgehoben worden ist (1. Alternative), wenn dem Ehegatten wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung eine erhebliche Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange droht (2. Alternative) oder wenn dem Ehegatten wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar ist; dies ist insbesondere anzunehmen, wenn der Ehegatte Opfer häuslicher Gewalt ist (3. Alternative).

Die Rückkehrverpflichtung nach Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft kann zu einer erheblichen Beeinträchtigung der schutzwürdigen Belange des Ehegatten im Sinne der hier allein Betracht zu ziehenden 2. Alternative des § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG führen, falls dieser durch die Ausreisepflicht ungleich härter getroffen wird als andere Ausländer nach einem kurzen Aufenthalt in Deutschland. Die regelmäßigen wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Folgen einer Rückkehr stellen indes noch keine erhebliche Beeinträchtigung dar. Jeder Ausländer, der seine wirtschaftliche Existenz aufgibt, um sich in einem anderen Land niederzulassen, muss sich bei seiner Rückkehr eine neue Lebensgrundlage aufbauen, unabhängig davon, ob er sein Heimatland wegen einer beabsichtigten Eheschließung verlassen hatte. Eine besondere Härte wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung kann sich nur aus solchen Beeinträchtigungen ergeben, die mit der Ehe oder ihrer Auflösung in Zusammenhang stehen. Sämtliche sonstigen, unabhängig davon bestehenden Rückkehrbelastungen, wie die typischerweise jeden Rückkehrpflichtigen treffenden Beeinträchtigungen, fallen nicht unter § 31 Abs. 2 AufenthG (vgl. Senatsbeschl. v. 17.8.2018 - 13 ME 295/18 -, V.n.b. Umdruck S. 3; Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, AufenthG, § 31 Rn. 49 ff. m.w.N.). Ausschließlich derartige nicht berücksichtigungsfähige Beeinträchtigungen macht die Antragstellerin zu 1. aber geltend, wenn sie auf ihre erreichte wirtschaftliche Integration im Bundesgebiet und bestehende berufliche Chancen verweist.

2. Die Beschwerde macht zum anderen geltend, die Aufenthaltsbeendigung führe auch für die Antragstellerin zu 2. zu einer besonderen persönlichen Härte. Die Gründe für die Aufenthaltsbeendigung habe sie nicht verursacht und auch nicht zu verantworten. Sie habe fast ihre gesamte schulische Ausbildung, zumindest aber den prägenden Teil in Deutschland absolviert. Ihr Ziel, das Abitur zu erlangen, könne sie nun nicht mehr erreichen. Die Schulausbildung könne sie auch nicht im Heimatland fortsetzen. Die Trennung ihrer Eltern und die Aufgabe ihres sozialen Umfelds in Deutschland versetzten sie in erheblichem Maße in eine psychische Notsituation, die sie ohne professionelle Hilfe nicht meistern könne.

Auch diese Einwände greifen nicht durch. Es ist nicht hinreichend glaubhaft gemacht (vgl. zum Glaubhaftmachungserfordernis im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO: VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 31.5.1999 - 10 S 2766/98 -, NVwZ 1999, 1243, 1244; Hessischer VGH, Beschl. v. 1.8.1991 - 4 TG 1244/91 -, NVwZ 1993, 491, 492 [VGH Hessen 01.08.1991 - 4 TH 1244/91]; Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 80 Rn. 125 m.w.N.), dass die Antragstellerin zu 2. eine Verlängerung der ihr bis zum Ablauf des 14. Januar 2018 erteilten Aufenthaltserlaubnis nach § 32 Abs. 1 AufenthG (Blatt 61 der Beiakte 1) wegen einer außergewöhnlichen Härte auf der Grundlage des § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG beanspruchen könnte.

Nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG, der eine von Satz 1 des § 25 Abs. 4 AufenthG unabhängige Rechtsgrundlage darstellt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz), BT-Drs. 15/420, S. 80; Nr. 25.4.2.1 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz - AVwV AufenthG - v. 26.10.2009, GMBl. S. 878; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 9.2.2005 - 11 S 1099/04 -, juris Rn. 8), kann eine Aufenthaltserlaubnis abweichend von § 8 Abs. 1 und 2 AufenthG, also unabhängig vom Wegfall der Erteilungsvoraussetzungen verlängert werden, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebiets für den Ausländer eine außerordentliche Härte bedeuten würde. Die in der Rechtsprechung zur Vorgängerbestimmung des § 30 Abs. 2 AuslG a.F. aufgestellten hohen Anforderungen gelten auch im Rahmen des § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.1.2009
- BVerwG 1 C 40.07 -, NVwZ 2009, 979, 981 [BVerwG 27.01.2009 - BVerwG 1 C 40.07]; Beschl. v. 8.2.2007 - BVerwG 1 B 69.06 u.a. -, NVwZ 2007, 844; Niedersächsisches OVG, Urt. v. 20.10.2009 - 11 LB 56/09 -, juris Rn. 72). Die Beendigung des Aufenthalts in Deutschland muss für den Ausländer danach mit Nachteilen verbunden sein, die ihn deutlich härter treffen als andere Ausländer in einer vergleichbaren Situation. Die Beendigung des Aufenthalts muss für den Ausländer bei dieser Vergleichsbetrachtung unzumutbar sein (vgl. zu Beispielsfällen: Nr. 25.4.2.4.1 AVwV AufenthG).

Die danach erforderliche Unzumutbarkeit ergibt sich für die Antragstellerin zu 2. nicht daraus, dass sie ihr bisheriges soziales Umfeld im Bundesgebiet und die Möglichkeit, das Abitur zu erlangen, verliert. Dies sind vielmehr Umstände, die grundsätzlich jeden in einer schulischen oder beruflichen Ausbildung befindlichen Ausländer im Falle einer Aufenthaltsbeendigung in gleicher Weise treffen (vgl. Nr. 25.4.2.4.4 Spiegelstrich 2 AVwV AufenthG). Ob etwas Anderes ausnahmsweise dann gilt, wenn der Ausländer nach langjähriger schulischer oder beruflicher Ausbildung im Bundesgebiet unmittelbar vor einem voraussichtlich erfolgreichen Abschluss steht, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn ein solcher Ausnahmefall ist nicht glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin zu 2. ist erst im Dezember 2015 in das Bundesgebiet eingereist. Bis zum Ablauf der ihr erteilten Aufenthaltserlaubnis am 14. Januar 2018 kann sie mithin die Schule im Bundesgebiet nur für etwa zwei Jahre besucht haben. Seinerzeit und auch heute steht ein erfolgreicher Schulabschluss nicht unmittelbar bevor, sondern ist frühestens im Sommer 2020 zu erwarten (vgl. das Schreiben der Berufsbildenden Schulen für den Landkreis E. v. 8.3.2019, Blatt 12 der Gerichtsakte).

Eine Unzumutbarkeit ergibt sich auch nicht aus einer "psychischen Notsituation" der Antragstellerin zu 2. Wenn sie insoweit allein auf ein noch einzuholendes amtsärztliches Gutachten verweist, verkennt sie die ihr im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes - ungeachtet des Untersuchungsgrundsatzes - obliegende prozessuale Verpflichtung, den von ihr behaupteten Anspruch gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 2 ZPO durch sofort verfügbare Beweismittel glaubhaft zu machen. Die Entscheidung ergeht grundsätzlich nur unter Berücksichtigung präsenter Beweismittel (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 15.3.2001 - 10 ZE 01.320 -, NVwZ-RR 2001, 477; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 10.3.2000 - 13 S 1026/99 -, NVwZ-Beil. 2000, 122, 124; Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 80 Rn. 125), zu denen ein erst einzuholendes ärztliches Gutachten nicht zählt.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 100 Abs. 1 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, 39 Abs. 1 GKG und Nrn. 8.1 und 1.5 Satz 1 Halbsatz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).