Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 05.09.2019, Az.: 2 LA 108/18

Bewertung; Erstgutachten; Heilung; Heilung von Verfahrensfehlern; Prüfer; Überdenkungsverfahren; Zwei-Prüfer-Prinzip; Zweitkorrektur; offene Zweitkorrektur

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
05.09.2019
Aktenzeichen
2 LA 108/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 69990
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 15.11.2017 - AZ: 6 A 781/17

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ein Verstoß gegen das Zwei-Prüfer-Prinzip (hier: gemeinsame Bewertung einer Bachelorarbeit) kann im Überdenkungsverfahren geheilt werden, wenn beide Prüfer die Arbeit erneut unabhängig und eigenständig bewerten.

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 6. Kammer (Einzelrichter) - vom 15. November 2017 wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Verfahren in erster Instanz sowie für das Zulassungsverfahren auf jeweils 7.500 EUR festgesetzt; der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover vom 6. Dezember 2017 wird insoweit geändert.

Gründe

I.

Die Klägerin wendet sich gegen das endgültige Nichtbestehen ihrer Bachelorarbeit und begehrt deren erneute Bewertung.

Die Klägerin studierte Sonderpädagogik (Bachelor) bei der Beklagten. Im September 2016 legte sie im zweiten und letzten Versuch ihre Bachelorarbeit vor. Die Arbeit bewerteten die beiden Prüferinnen jeweils am 20. September 2016 mit „mangelhaft“ (5,0). Die Bewertung erfolgte auf einem Formblatt, welches zunächst die Unterschrift der Erstprüferin trägt. Dann folgt ein - offenbar jedenfalls teilweise vorformulierter - Text, nach dem die Zweitgutachterin in ihrer Bewertung zu dem gleichen Schluss wie die Erstgutachterin gelangt. Darunter steht die Unterschrift der Zweitgutachterin. Mit Bescheid vom 28. September 2016 teilte die Beklagte der Klägerin das Ergebnis mit und stellte das endgültige Nichtbestehen fest.

Die Klägerin legte daraufhin Widerspruch ein, mit dem sie zahlreiche inhaltliche Mängel der Bewertung rügte. Daraufhin forderte die Beklagte zunächst die Erstprüferin zur Stellungnahme auf, die unter dem 1. Dezember 2016 ihre Bewertung ausführlich begründete. Anschließend erhielt die Zweitprüferin eine Aufforderung zur Stellungnahme, der sie unter dem 13. Dezember 2016 unter Vorlage einer umfangreichen Begründung nachkam. Darin heißt es wörtlich: „Da [Name der Erstprüferin] (Erstgutachterin) und ich (Zweitgutachterin) ein gemeinsames Gutachten verfasst haben, auf dem ich unten lediglich zustimmend unterschrieben habe, möchte ich im Folgenden meine Hauptkritikpunkte an der Arbeit darlegen…“ Das Verwaltungsgericht ging - was sich aus den Akten nicht ergibt - mit der Klägerin davon aus, dass die Zweitprüferin bei Abfassung ihrer Stellungnahme die Stellungnahme der Erstprüferin kannte. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 2. Januar 2017 zurück.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin daraufhin vor allem einen Verstoß gegen das Zwei-Prüfer-Prinzip gerügt. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, wobei es offengelassen hat, ob unter Verstoß gegen das Zwei-Prüfer-Prinzip eine gemeinsame Begutachtung erfolgt war. Jedenfalls sei ein etwaiger Fehler durch eine erneute Bewertung im Widerspruchsverfahren geheilt. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Berufungszulassungsgründe liegen nicht vor.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Das ist nur der Fall, wenn sie in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht eine Frage aufwirft, die im Rechtsmittelzug entscheidungserheblich und fallübergreifender Klärung zugänglich ist sowie im Interesse der Rechtseinheit oder der Fortentwicklung des Rechts geklärt werden muss. Daran fehlt es hier. Die von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen lassen sich - wie das Verwaltungsgericht überzeugend ausgeführt hat - anhand der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantworten.

Die erste Frage

„Welche rechtlichen Anforderungen sind - bei einer in der Prüfungsordnung vorgesehenen Bewertung einer Prüfung durch zwei Prüfer - im Rahmen des Überdenkungsverfahrens an die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Stellungnahmen der Prüfer zu stellen, wenn im Rahmen der ursprünglichen Prüfung keine eigenständige und voneinander unabhängige Bewertung durch die Prüfer stattgefunden hat?“

ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats geklärt. Insofern besteht Einigkeit, dass im Überdenkungsverfahren die gleichen Anforderungen an die Unabhängigkeit der Bewertung gelten wie im Ausgangsverfahren (BVerwG, Beschl. v. 9.10.2012 - 6 B 39.12 -, juris Rn. 5 ff.; Senatsurt. v. 9.9.2015 - 2 LB 169/14 -, juris Rn. 67 ff., insbes. Rn. 73).

Soweit die Klägerin darüber hinaus die Frage aufwirft, ob die Frage der Zulässigkeit einer offenen Zweitkorrektur im Überdenkungsverfahren dann anders zu beurteilen sein könnte, wenn im Ausgangsverfahren keine eigenständige Bewertung durch die beiden Prüfer stattgefunden habe, sieht der Senat für diese von der Klägerin nicht weiter untermauerte Überlegung keinen tragfähigen rechtlichen Ansatzpunkt. Das Überdenkungsverfahren ist Teil eines Widerspruchsverfahrens, das gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Nachprüfung insbesondere der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes dient. Demzufolge können Verfahrens- bzw. Bewertungsfehler wie das Fehlen einer eigenständigen und unabhängigen Bewertung durch beide Prüfer nach den allgemein geltenden Grundsätzen geheilt werden. Das setzt - wie auch das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat - voraus, dass der Fehler heilbar ist, die Widerspruchsbehörde über die insoweit notwendige volle Sachentscheidungskompetenz verfügt und der Fehler tatsächlich geheilt wird. Die Heilung eines Fehlers verlangt dabei, dass die fehlerhafte Verfahrenshandlung unter Meidung des Fehlers wiederholt wird (vgl. zu alledem nur Geis, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 68 Rn. 216 m.w.N.). Daraus ergibt sich zwanglos, dass im Widerspruchs- bzw. Überdenkungsverfahren auch und insbesondere dann die gleichen Anforderungen wie im Ausgangsverfahren gelten müssen, wenn dies der Heilung eines Fehlers dient. Gegenteilige Gesichtspunkte trägt die Klägerin nicht vor.

Auch die zweite Frage

„Ist der Verfahrensfehler einer gemeinsamen Begutachtung und Bewertung einer Prüfungsarbeit entgegen des Zwei-Prüfer-Prinzips im Rahmen des Überdenkungsverfahrens möglich?“

bedarf keiner weiteren Klärung in einem Berufungsverfahren. Nach der bereits zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats steht fest, dass auch im Überdenkungsverfahren eine unabhängige und eigenständige Bewertung durch beide Prüfer geboten ist. Damit ist zugleich geklärt, dass eine gemeinsame Begutachtung und Bewertung im Überdenkungsverfahren verfahrensfehlerhaft ist (vgl. ausdrücklich BVerwG, Beschl. v. 9.10.2012 - 6 B 39.12 -, juris Rn. 8).

Die dritte Frage

„Ist der Verfahrensfehler einer gemeinsamen Begutachtung und Bewertung einer Prüfungsarbeit entgegen des Zwei-Prüfer-Prinzips im Rahmen des Überdenkungsverfahrens mit Kenntnis der Stellungnahme des Erstgutachters bei der Abgabe der Stellungnahme durch den Zweitprüfer möglich?“

rechtfertigt ebenfalls nicht die Annahme einer grundsätzlichen Bedeutung. Die Antwort ergibt sich unmittelbar aus der bereits zitierten Rechtsprechung, nach der im Überdenkungsverfahren die gleichen Anforderungen an die Unabhängigkeit der Bewertung gelten wie im Ausgangsverfahren. Ist aber im Ausgangsverfahren eine so genannte offene Zweitkorrektur in Kenntnis der Stellungnahme des Erstprüfers zulässig, gilt das zwangsläufig auch für das Überdenkungsverfahren. Auch das hat das Bundesverwaltungsgericht bereits explizit entschieden (BVerwG, Beschl. v. 18.12.1997 - 6 B 69.97 -, juris Rn. 6).

Die Berufung ist auch nicht wegen Divergenz gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen. Divergenz in diesem Sinne liegt vor, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechts- oder Tatsachensatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift von einem in der Rechtsprechung der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechts- oder Tatsachensatz abweicht. Die Darlegung einer Divergenzrüge erfordert danach die klare Bezeichnung, welche inhaltlich bestimmten, divergierenden abstrakten Rechts- oder Tatsachensätze die angefochtene Entscheidung einerseits, die Entscheidung eines divergenzfähigen Gerichts, von dem abgewichen worden sein soll, andererseits aufgestellt haben und inwiefern die angefochtene Entscheidung auf dem abweichenden Rechts- oder Tatsachensatz beruht (Senatsbeschl. v. 17.11.2011 - 2 LA 333/10 -, juris Rn. 31 m.w.N.). Diese Anforderungen sind nicht erfüllt.

Das Vorbringen der Klägerin genügt schon nicht den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Sie zeigt nicht ansatzweise auf, welchen von der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats zum Erfordernis der unabhängigen und eigenständigen Bewertung durch den Erst- und Zweitprüfer abweichenden Rechtssatz das Verwaltungsgericht aufgestellt haben soll. Vielmehr rügt sie, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht von einer unabhängigen und eigenständigen Bewertung durch die Zweitprüferin im Überdenkungsverfahren ausgegangen, weil diese - jedenfalls nach Ansicht des Verwaltungsgerichts und der Klägerin - die Stellungnahme der Erstprüferin bereits gekannt habe. Damit macht die Klägerin eine bloß fehlerhafte Subsumption geltend, die eine Divergenzrüge nicht begründen kann.

Auch ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zeigt die Klägerin nicht auf. Von ernstlichen Zweifeln in diesem Sinne ist zwar schon dann auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Urteils mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. Senatsbeschl. v. 21.9.2018 - 2 LA 1750/17 -, juris Rn. 7 m.w.N.). Das ist der Klägerin jedoch nicht gelungen.

Die Klägerin trägt zur Begründung lediglich vor, das Verwaltungsgericht habe sich nicht ausreichend mit der eingangs zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats zum Zwei-Prüfer-Prinzip auseinandergesetzt und nicht geprüft, inwieweit bei der Bewertung durch die Zweitprüferin eine Beeinflussung vorgelegen habe. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung folgen daraus nicht. Vor dem Hintergrund, dass höchstrichterlich geklärt ist, dass eine offene Zweitkorrektur im Überdenkungsverfahren zulässig und die Kenntnis des Erstgutachtens unschädlich ist, ist weder dargetan noch ersichtlich, inwieweit die der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts folgenden Überlegungen des Verwaltungsgerichts rechtlichen Bedenken begegnen könnten. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht ausführlich dargelegt, aus welchen Gründen es die - rechtlich zutreffend formulierten - Anforderungen an eine Heilung eines möglichen Verstoßes gegen das Zwei-Prüfer-Prinzip als erfüllt angesehen hat. Einwände macht die Klägerin insoweit nicht geltend.

Die Rechtssache weist schließlich keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Mit Blick darauf, dass die Zulässigkeit der offenen Zweitkorrektur im Überdenkungsverfahren höchstrichterlich geklärt ist, ist nicht von einer gesteigerten Schwierigkeit der Sache auszugehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG und Nr. 36.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11). Der Senat macht hinsichtlich der abweichenden Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts von seiner Befugnis gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG Gebrauch, diese Festsetzung vom Amts wegen zu ändern.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).