Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 04.09.2019, Az.: 13 LA 146/19

Ausnahmefall; Ausweisungsinteresse; gegenwärtig; Integration; Regelerteilungsvoraussetzung; Täuschung; Versagungsgrund; zurückliegend

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
04.09.2019
Aktenzeichen
13 LA 146/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 69998
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 07.03.2019 - AZ: 4 A 225/17

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Zeitlich zurückliegende Täuschungen über Identität und Staatsangehörigkeit stehen einer Titelerteilung nach § 25b AufenthG entgegen, wenn sie aufgrund ihrer Art oder Dauer so bedeutsam sind, dass sie das Gewicht der nach § 25b Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 5 AufenthG relevanten Integrationsleistungen für die Annahme der erforderlichen nachhaltigen Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse beseitigen.

2. Die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG findet neben dem zwingenden Versagungsgrund des § 25b Abs. 2 Nr. 2 AufenthG Anwendung.

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 4. Kammer (Einzelrichter) - vom 7. März 2019 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 5000 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses seine Klage auf Aufhebung des Bescheides vom 27. Juni 2016 und Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis, hilfsweise Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts abgewiesen hat, bleibt ohne Erfolg.

Die von dem Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.), der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (2.) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (3.) sind zum Teil schon nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt und liegen im Übrigen nicht vor.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind zu bejahen, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.12.2009 - 2 BvR 758/07 -, BVerfGE 125, 104, 140 - juris Rn. 96). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - BVerwG 7 AV 4.03 -, NVwZ-RR 2004, 542, 543 - juris Rn. 9). Eine den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügende Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert, dass im Einzelnen unter konkreter Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ausgeführt wird, dass und warum Zweifel an der Richtigkeit der Auffassung des erkennenden Verwaltungsgerichts bestehen sollen. Hierzu bedarf es regelmäßig qualifizierter, ins Einzelne gehender, fallbezogener und aus sich heraus verständlicher Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen (vgl. Senatsbeschl. v. 31.8.2017 - 13 LA 188/15 -, juris Rn. 8; Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth u.a., VwGO, 7. Aufl. 2018, § 124a Rn. 80 jeweils m.w.N.).

a) Der Kläger wendet sich gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, er habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG, weil die Beklagte in ermessensfehlerfreier Weise angenommen habe, dass ein atypischer Fall vorliege, aufgrund dessen keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden müsse. Diese etwas unglückliche, weil Tatbestand und Rechtsfolge vermengende Formulierung (Urteil, S. 11), stellt die Richtigkeit des erstinstanzlich gefundenen Ergebnisses nicht in Frage. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht unter Heranziehung der obergerichtlichen Rechtsprechung im Hinblick auf die langjährige Identitätstäuschung des Klägers die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25b Abs. 1 AufenthG verneint.

Wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, fällt die von 2007 bis 2014 andauernde Identitätstäuschung nicht unter den zwingenden Ausschlusstatbestand des § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG. Danach ist die Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 AufenthG u.a. zu versagen, wenn der Ausländer die Aufenthaltsbeendigung durch Täuschung über die Identität oder Staatsangehörigkeit verhindert oder verzögert. Durch die Verwendung der Zeitform des Präsens hat der Gesetzgeber zu erkennen gegeben, dass nur aktuelle Täuschungshandlungen die Voraussetzungen dieses Ausschlusstatbestandes erfüllen sollen (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 21.7.2015 - 13 B 486/14 -, juris Rn. 11; OVG Sachs.-Anh., Beschl. v. 23.9.2015 - 2 M 121/15 -, juris Rn. 10; OVG Hamburg, Beschl. v. 19.5.2017 - 1 Bs 207/16 -, juris Rn. 31, offenlassend: Sächs. OVG, Beschl. v. 2.9.2016 - 3 B 168/16 -, juris Rn. 6; OVG Rheinl.-Pfalz, Beschl. v. 18.10.2016 - 7 B 10201/16 -, juris Rn. 4).

Das heißt jedoch nicht, dass in der Vergangenheit liegende Täuschungshandlungen völlig unberücksichtigt bleiben. In der Begründung des Regierungsentwurfs heißt es zu § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG (BT-Drs. 18/4097, S. 44):

„Diese Regelung knüpft nur an aktuelle Mitwirkungsleistungen des Ausländers an, ist jedoch keine Amnestie für jedes Fehlverhalten in den vorangegangenen Verfahren. Anders als bei bisherigen Regelungen können beispielsweise zu Beginn des Verfahrens begangene Täuschungshandlungen zur Staatsangehörigkeit/Identität unberücksichtigt bleiben, sofern diese nicht allein kausal für die lange Aufenthaltsdauer gewesen sind. Diese Regelung ist einerseits eine Umkehrmöglichkeit für Ausländer, die in einer Sondersituation getroffenen Fehlentscheidungen zu korrigieren, andererseits ein Lösungsweg für langjährig anhaltende ineffektive Verfahren zwischen dem Ausländer einerseits und den staatlichen Stellen andererseits, die ansonsten weiterhin keiner Lösung zugeführt werden könnten.“

Diese Formulierung lässt nur offen, wie in der Vergangenheit spielende Täuschungshandlungen normsystematisch berücksichtigt werden sollen. Überwiegendes spricht dafür, diese Umstände bereits bei der Frage zu berücksichtigen, ob ein Ausnahmefall vorliegt, der trotz Erfüllung der nach § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG „regelmäßig“ zu erfüllenden Integrationsvoraussetzungen wegen Fehlens einer nachhaltigen Integration einer Titelerteilung entgegensteht (vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 42; OVG NRW, Beschl. v. 21.7.2015, a.a.O., Rn. 9; a.A.: OVG Hamburg, Beschl. v. 19.5.2017, a.a.O., Rn. 33). Grundsätzlich sollen nur Ausländer, die sich an Recht und Gesetz halten, wegen ihrer vorbildlichen Integration begünstigt werden (vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 45 (zu § 25b Abs. 2 Nr. 2 AufenthG)).

Ob ein Ausnahmefall von der regelmäßig anzunehmenden Integration vorliegt, beurteilt sich allein danach, ob besondere, atypische Umstände vorliegen, die das sonst ausschlaggebende Gewicht der Regelung des § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG beseitigen. Maßgebend ist somit, ob die bei Vorliegen der Maßgaben von Satz 2 Nrn. 1 bis 5 eingreifende Regelvermutung der nachhaltigen Integration widerlegt ist, weil im Einzelfall Integrationsdefizite festzustellen sind, die dazu führen, dass den erzielten Integrationsleistungen bei wertender Gesamtbetrachtung ein geringeres Gewicht zukommt. (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 21.7.2015, a.a.O., Rn. 10). Ein Ausnahmefall liegt demnach vor, wenn die Täuschungshandlung aufgrund ihrer Art oder Dauer so bedeutsam ist, dass sie das Gewicht der nach § 25b Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 5 AufenthG relevanten Integrationsleistungen für die Annahme der erforderlichen nachhaltigen Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse beseitigt (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 21.7.2015, a.a.O., Rn. 15; OVG Sachs.-Anh., Beschl. v. 23.9.2015, a.a.O., Rn. 10). Das ist vorliegend der Fall.

Der Kläger hat von 2007 bis 2014 über seine Identität und Staatsangehörigkeit getäuscht. Dies hat seine Rückführung in sein Heimatland über sieben Jahre unmöglich gemacht. Er hat seine wahre Identität erst offenbart, als er glaubte, seinen weiteren Aufenthalt durch die Anerkennung der Vaterschaft zu einem deutschen Kind sichern zu können. Auch wenn dieses Geschehen nunmehr fünf Jahre zurückliegt, hat der Kläger sich auf diese Weise doch einen langjährig geduldeten Aufenthalt und damit die wesentliche Voraussetzung des § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG erschlichen. Ob dies auch im Hinblick auf die Anerkennung der Vaterschaft zu einem deutschen Kind gilt, dessen Vater er nach der Entscheidung des Amtsgerichts Hersbruck vom 30. März 2016 nicht ist, kann hier offen bleiben. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG kommt im vorliegenden Fall jedenfalls frühestens erst dann in Betracht, wenn der Kläger unabhängig von dem erschlichenen Zeitraum die zeitliche Voraussetzung des § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG erfüllt.

Art. 8 EMRK und Art 6 GG führen zu keiner anderen Betrachtungsweise. Dem Schutz der Familie und des Privatlebens wird hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass der Kläger im Hinblick auf die familiäre Beziehung zu seiner als Flüchtling anerkannten minderjährigen Tochter weiter im Bundesgebiet geduldet wird (vgl. Senatsbeschl v. 5.9.2017 - 13 LA 129/17 -, S. 8 f. des Beschlusses). Einer weitergehenden Legalisierung dieses Aufenthalts durch Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bedarf es dazu nicht.

b) Erfüllt der Kläger danach die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25b Abs. 1 AufenthG nicht, kommt es für den Ausgang des Klageverfahrens nicht mehr darauf an, ob es auch an der allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG mangelt. Sein darauf bezogenes Zulassungsvorbringen vermag folglich auch ernstliche Richtigkeitszweifel am maßgeblichen Ergebnis der erstinstanzlichen Entscheidung nicht zu begründen. Der Senat weist daher nur zur Klarstellung darauf hin, dass das Verwaltungsgericht die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG zu Unrecht auch auf die Nichterfüllung der allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG gestützt hat.

Diese Vorschrift ist entgegen dem Zulassungsvorbringen allerdings auch im Rahmen einer Entscheidung über einen Aufenthaltstitel nach § 25b AufenthG anwendbar. § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG enthält lediglich eine Abweichungsbefugnis („soll“) von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 AufenthG. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG wir hingegen nicht genannt. Das Erfordernis des Nichtbestehens eines Ausweisungsinteresses wird auch nicht durch die Regelung des § 25b Abs. 2 Nr. 2 AufenthG eingeschränkt. Diese Bestimmung greift lediglich einige dem Gesetzgeber als besonders gewichtig erscheinende Ausweisungsinteressen heraus, bei denen die Ausländerbehörde die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25b AufenthG zwingend zu versagen hat. In der Rechtsfolge begründet § 25b Abs. 2 Nr. 2 AufenthG für die dort bezeichneten Ausweisungsinteressen daher eine Verschärfung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, da die Ausländerbehörde auch in atypischen Fällen nicht von diesem Erfordernis absehen kann. Im Übrigen gelten im Rahmen des § 25b AufenthG auch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG, so dass gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG die Titelerteilung nach § 25b AufenthG in der Regel voraussetzt, dass kein Ausweisungsinteresse besteht (vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 45; OVG NRW, Beschl. v. 21.9.2015, a.a.O., Rn. 17 ff.; Sächs. OVG, Beschl. v. 2.9.2016, a.a.O., Rn. 9; OVG Hamburg, Beschl. v. 19.5.2017, a.a.O., Rn. 40; Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Aufl. 2018, AufenthG § 25b Rn. 33).

Für das Vorliegen eines Ausweisungsinteresses nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG kommt es nicht darauf an, ob der Ausländer tatsächlich ausgewiesen werden könnte. Vielmehr reicht es aus, dass ein Ausweisungsinteresse gleichsam abstrakt - d.h. nach seinen tatbestandlichen Voraussetzungen - vorliegt, wie es insbesondere im Katalog des § 54 AufenthG normiert ist. Der Begriff des Ausweisungsinteresses verweist auf das Ausweisungsrecht und greift die in § 53 Abs. 1, § 54 AufenthG gewählte und anhand von Beispielen erläuterte Begriffsbildung auf. Diese Vorschriften regeln die Aufenthaltsbeendigung bei Vorliegen eines öffentlichen Ausweisungsinteresses. Umgekehrt setzt die Begründung eines rechtmäßigen Aufenthalts durch Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsinteresse besteht. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG knüpfte in seiner bis zur Neuregelung geltenden Fassung an die damalige Terminologie des Ausweisungs-rechts an und setzte in der Regel voraus, dass kein "Ausweisungsgrund" im Sinne der §§ 53 ff. AufenthG a.F. vorlag. Die geänderte Fassung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG stellt nach den Gesetzesmaterialien lediglich eine Folgeänderung zur Neuordnung des Ausweisungsrechts in den §§ 53 ff. AufenthG dar (vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 35). Daher ist die zu § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG a.F. und inhaltlich entsprechenden Vorläufervorschriften ergangene Rechtsprechung auf § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG n.F. übertragbar. Danach kam es für das Vorliegen eines Ausweisungsgrundes nicht darauf an, ob der Ausländer tatsächlich ausgewiesen werden könnte (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.9.2004 - BVerwG 1 C 10.03 - BVerwGE 122, 94, 98). Eine Abwägung mit den privaten Bleibeinteressen erfolgt - sofern sie nicht durch § 10 Abs. 3 AufenthG ausgeschlossen ist - erst im Rahmen der Frage, ob eine Abweichung vom Regelfall im Sinne des § 5 Abs. 1 AufenthG vorliegt oder im Rahmen einer - wie hier in § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG - spezialgesetzlich vorgesehenen Ermessensentscheidung (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.7.2018 - BVerwG 1 C 16.17 -, juris Rn.15).

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 27. Juni 2016 enthält indes keine Ausführungen zum Bestehen eines Ausweisungsinteresses nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Der Versagungsbescheid ist auf das Fehlen dieser Regelerteilungsvoraussetzung nicht gestützt. Die Beklagte hat folglich auch nicht die anderenfalls erforderliche Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG über ein Absehen von dieser Erteilungsvoraussetzung getroffen. Diese Ermessensentscheidung konnte aufgrund der vollständigen Nichtbetätigung des Ermessens nicht nachgeholt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 9.6.2015 - 6 B 60.14 - juris Rn. 20 m.w.N.) oder gar durch das Gericht ersetzt werden. Mithin konnte das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auch nicht auf das Bestehen eines Ausweisungsinteresses stützen.

Auf diesen Umstand kommt es im vorliegenden Fall jedoch nicht an, da die Versagung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG vom Verwaltungsgericht zu Recht selbständig tragend mit dem Fehlen einer nachhaltigen Integration des Klägers wegen dessen langjähriger Täuschung über seine Identität und Staatsangehörigkeit begründet worden ist (s.o. unter a)).

c) Auf die Frage des Bestehens einer Erteilungssperre nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG kommt es im Hinblick auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG aus dem gleichen Grunde nicht mehr an. Allerdings verhält sich der angefochtene Bescheid vom 27. Juni 2016 nicht zu § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG und lässt demzufolge auch keine Ermessenserwägungen zu § 25b Abs. 5 Satz 2 AufenthG erkennen, der die Möglichkeit des Absehens von § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG im Ermessenswege vorsieht. Damit konnte auch diese Vorschrift im gerichtlichen Verfahren nicht als Versagungsgrund für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG herangezogen werden. Dieser Versagungsgrund ist vom Verwaltungsgericht folglich zu Recht offen gelassen worden.

2. Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten zuzulassen.

Solche Schwierigkeiten sind nur dann anzunehmen, wenn die Beantwortung einer ent-scheidungserheblichen Rechtsfrage oder die Klärung einer entscheidungserheblichen Tatsache in qualitativer Hinsicht mit überdurchschnittlichen Schwierigkeiten verbunden ist. Daher erfordert die ordnungsgemäße Darlegung dieses Zulassungsgrundes eine konkrete Bezeichnung der Rechts- oder Tatsachenfragen, in Bezug auf die sich solche Schwierigkeiten stellen, und Erläuterungen dazu, worin diese besonderen Schwierigkeiten bestehen (vgl. Senatsbeschl. v. 31.8.2017, a.a.O., Rn. 50; Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 124a Rn. 53).

Diesen Darlegungsanforderungen trägt das Zulassungsvorbringen nicht hinreichend Rechnung. Der Kläger verweist unter II. seiner Zulassungsbegründung lediglich auf die grundsätzliche Bedeutung des vorliegenden Rechtsstreits, legt aber nicht ansatzweise dar, warum die Beantwortung der insoweit aufgeworfenen Fragen in qualitativer Hinsicht mit überdurchschnittlichen, also besonderen Schwierigkeiten verbunden gewesen sein soll. Das ist für den Senat auch nicht offensichtlich.

3. Die Berufung ist schließlich nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

Eine solche grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine höchstrichterlich noch nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine obergerichtlich bislang ungeklärte Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich im Rechtsmittelverfahren stellen würde und im Interesse der Einheit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung durch das Berufungsgericht bedarf (vgl. Senatsbeschl. v. 31.8.2017, a.a.O., Rn. 53 m.w.N.). Um die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO darzulegen, hat der Zulassungsantragsteller die für fallübergreifend gehaltene Frage zu formulieren sowie näher zu begründen, weshalb sie eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat und ein allgemeines Interesse an ihrer Klärung besteht. Darzustellen ist weiter, dass sie entscheidungserheblich ist und ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten steht (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 15.8.2014 - 8 LA 172/13 -, GewArch 2015, 84, 85 - juris Rn. 15; Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 35 ff. m.w.N.).

Der Kläger hat bereits keine hinreichend konkreten Fragen formuliert, deren Beantwortung er grundsätzliche Bedeutung beimisst. Insbesondere der Frage

„inwieweit und unter welchen Voraussetzungen eine in der Vergangenheit liegende Identitätstäuschung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 25b AufenthG entgegengehalten werden kann“,

fehlt es an der erforderlichen Konkretheit. Sie lässt sich auch nicht einheitlich und fallübergreifend beantworten, sondern ist eine Frage des jeweiligen Einzelfalls. Es ist aber nicht Aufgabe des Berufungsverfahrens, lehrbuchhaft eine Vielzahl von möglichen, aber nicht entscheidungserheblichen Fallkonstellationen abzuhandeln.

Auf die Frage

„der Anwendbarkeit von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bzw. inwieweit diese Anwendbarkeit im Rahmen des § 25b AufenthG Einschränkungen unterworfen ist“,

kommt es im vorliegenden Fall nicht an, da das Verwaltungsgericht die Ablehnung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG selbständig tragend auf das Fehlen einer nachhaltigen Integration des Klägers gestützt hat. Im Übrigen kann diese Frage ohne Weiteres aus dem Gesetz beantwortet werden, wie die Ausführungen unter 2. b) belegen.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig
(§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 Satz 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG und Nr. 8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).