Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.03.2023, Az.: 13 ME 5/23
Beschwerde; Passbeschaffung; Passvorlage; Erwerb der Staatsangehörigkeit; Klärung der Staatsangehörigkeit; vorläufiger Rechtsschutz; Keine Verpflichtung eines Ausländers zur Änderung seines staatsangehörigkeitsrechtlichen Status nach §§ 48 Abs. 1 und 3 Satz 1, 46 Abs. 1 AufenthG
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 07.03.2023
- Aktenzeichen
- 13 ME 5/23
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2023, 12959
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2023:0307.13ME5.23.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Lüneburg - 20.12.2022 - AZ: 4 B 111/22
Rechtsgrundlagen
- AufenthG § 46 Abs. 1
- AufenthG § 48 Abs. 1
- AufenthG § 48 Abs. 3 Satz 1
- VwGO § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2
Fundstellen
- NordÖR 2023, 294
- ZAR 2023, 266
Amtlicher Leitsatz
Ein Ausländer kann auf der Grundlage der §§ 48 Abs. 1 und 3 Satz 1, 46 Abs. 1 AufenthG nur zur Klärung seines staatsangehörigkeitsrechtlichen Status, nicht aber zu dessen Änderung verpflichtet werden.
Tenor:
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 4. Kammer - vom 20. Dezember 2022 mit Ausnahme der Festsetzung des Streitwertes teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 18. Oktober 2022 in der Fassung der Änderung vom 14. Februar 2023 wird wiederhergestellt.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen der Antragsteller und der Antragsgegner je zur Hälfte.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die zulässige Beschwerde ist in dem im Tenor bezeichneten Umfang begründet.
1. Die Beschwerde ist unbegründet, soweit der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 18. Oktober 2022 (Blatt 7 ff. der Gerichtsakte) aufgrund der Änderung dieses Bescheids durch den Schriftsatz des Antragsgegners vom 14. Februar 2023 (Blatt 113 der Gerichtsakte) im Beschwerdeverfahren unzulässig geworden ist. Mit Schriftsatz vom 14. Februar 2023 hat der Antragsgegner den Regelungsgehalt seines ursprünglichen Bescheids vom 18. Oktober 2022 geändert. Dem Antragssteller wird nun nicht mehr aufgegeben, die usbekische Staatsangehörigkeit (Ziff. 2 des Bescheids v. 18.10.2022) bzw. die russische Staatsangehörigkeit (Ziff. 3 des Bescheids v. 18.10.2022) zu beantragen. Insoweit ist das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für den ursprünglich gestellten Antrag entfallen. Da der Antragsteller auf die mit der Änderung vom 14. Februar 2023 verbundene teilweise Aufhebung des Bescheids vom 18. Oktober 2022 auch auf Nachfrage des Berichterstatters prozessual nicht reagiert hat, ist die Beschwerde insoweit zurückzuweisen.
2. Die Beschwerde ist jedoch begründet, soweit der Antragsgegner dem Antragsteller auch nach der mit Schriftsatz vom 14. Februar 2023 vorgenommenen Änderung weiterhin aufgibt, ein gültiges Reisedokument (Pass oder Passersatz) vorzulegen (Ziff. 1 des Bescheids v. 18.10.2022) und dafür erforderlichenfalls bei der russischen Botschaft in Berlin vorzusprechen (Ziff. 3 des Bescheids v. 18.10.2022 i.d.F. der Änderung v. 14.2.2023). Insoweit erweist sich die angefochtene Regelung nach der im vorliegenden Eilverfahren allein gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als offensichtlich rechtswidrig (vgl. zum Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO: Senatsbeschl. v. 17.10.2018 - 13 ME 107/18 -, GewArch 2019, 45 - juris Rn. 9 m.w.N.).
Nach § 48 Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer verpflichtet, seinen Pass, seinen Passersatz oder seinen Ausweisersatz auf Verlangen den mit dem Vollzug des Ausländerrechts betrauten Behörden vorzulegen, auszuhändigen und vorübergehend zu überlassen, soweit dies zur Durchführung oder Sicherung von Maßnahmen nach diesem Gesetz erforderlich ist. Besitzt der Ausländer keinen gültigen Pass oder Passersatz, ist er gemäß § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG verpflichtet, an der Beschaffung des Identitätspapiers mitzuwirken sowie alle Urkunden, sonstigen Unterlagen und Datenträger, die für die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit und für die Feststellung und Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit in einen anderen Staat von Bedeutung sein können und in deren Besitz er ist, den mit der Ausführung des Aufenthaltsgesetzes betrauten Behörden auf Verlangen vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen. Da § 48 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 AufenthG keine eigenständige Ermächtigungsgrundlage für die Ordnungsverfügung darstellt, ist § 46 Abs. 1 AufenthG als eine bereichsspezifische Generalklausel zur Durchsetzung ausländerrechtlicher Pflichten ergänzend heranzuziehen (vgl. Senatsbeschl. v. 27.9.2016 - 13 ME 155/16 -, juris Rn. 5 ff.).
Nach § 46 Abs. 1 AufenthG kann die Ausländerbehörde gegenüber einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer Maßnahmen zur Förderung der Ausreise treffen. Dem Ausländer dürfen aber keine erkennbar aussichtslosen Anstrengungen zur Beschaffung eines Reisedokuments auferlegt werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 26.6.2014 - BVerwG 1 B 5.14 -, juris Rn. 7 m.w.N.).
So liegt der Fall indes hier. Bereits im erstinstanzlichen Verfahren hat der Antragsteller eine Bescheinigung des Generalkonsulats der Russischen Föderation in Szczecin vorgelegt (Blatt 15 f. der Gerichtsakte), derzufolge der Antragsteller am ... 1970 in E. geboren worden und seit dem 17. Februar 1993 in dem Dorf F. in der G., H., in Russland gemeldet ist. Er sei aber nicht Bürger der russischen Föderation. Damit hat der Antragsteller das Nichtbestehen der russischen Staatsangehörigkeit im vorliegenden Eilverfahren hinreichend glaubhaft gemacht (vgl. zum Glaubhaftmachungserfordernis im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO: Senatsbeschl. v. 4.9.2019 - 13 ME 282/19 -, juris Rn. 7; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 31.5.1999 - 10 S 2766/98 -, NVwZ 1999, 1243, 1244 - juris Rn. 12; Hessischer VGH, Beschl. v. 1.8.1991 - 4 TG 1244/91 -, NVwZ 1993, 491, 492 [VGH Hessen 01.08.1991 - 4 TH 1244/91] - juris Rn. 34; Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 80 Rn. 125 m.w.N.). Es sind auch keine Anhaltspunkte vorgetragen oder ersichtlich, die formale oder inhaltliche Zweifel an dieser Bescheinigung begründen könnten. Vor diesem Hintergrund ist nicht erkennbar, aus welchem Grunde der Antragsteller bei einem Aufsuchen der russischen Botschaft in Berlin eine abweichende Bescheinigung oder gar ein gültiges Reisedokument der Russischen Föderation erhalten sollte. Eine derartige Verpflichtung erlegt dem Antragsteller mithin erkennbar aussichtlose Anstrengungen auf.
Gleiches gälte im Übrigen für die usbekische Staatsangehörigkeit des Antragstellers, wie die Bescheinigung der Botschaft der Republik Usbekistan in der Bundesrepublik Deutschland vom 3. Mai 2021 (Blatt 18 der Gerichtsakte) belegt.
Ist aber kein Staat ersichtlich, dessen Staatsangehörigkeit der Antragsteller besitzt, so kann er auch nicht zur Vorlage eines gültigen Reisedokuments (Ziff. 1 des Bescheids vom 18.10.2022) eines bestimmten Staats oder zur Vorsprache bei den Auslandsvertretungen eines bestimmten Staats (Ziff. 3 des Bescheids v. 18.10.2022 i.d.F. der Änderung v. 14.2.2023) verpflichtet werden.
3. Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass die im Ausgangsbescheid vom 18. Oktober 2022 noch enthaltene Verpflichtung zur Beantragung der usbekischen bzw. russischen Staatsangehörigkeit nicht auf § 48 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 46 Abs. 1 AufenthG gestützt werden konnte. Bei einer (Wieder-)Einbürgerung in einen fremden Staatsverband handelt es sich nicht um eine im AufenthG oder in der AufenthV genannte Rechtspflicht. Sie ist auch keiner ausweisrechtlichen Pflicht zuzuordnen oder aus ihr abzuleiten. Eine solche Verpflichtung bewegt sich außerhalb des auf ausweisrechtliche Pflichten beschränkten sachlichen Anwendungsbereichs des § 48 AufenthG und der AufenthV, die allein ausländerpolizeilichen Zwecken dienen (vgl. VG Karlsruhe, Urt. v. 26.2.2003 - 5 K 2350/02 -, juris Rn. 27; Grünewald, in GK-AufenthG, § 48 Rn. 45 (Stand: April 2006)). Ausweisrechtlich kann der Ausländer nur zur Klärung seines staatsangehörigkeitsrechtlichen Status, nicht aber zu dessen Änderung verpflichtet werden.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO.
III. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).