Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 17.09.2019, Az.: 2 LA 313/19
Anonymität; juristische Staatsprüfung; Klausur; Mantelbogen; Prüfer; Prüfling; zweite juristische Staatsprüfung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 17.09.2019
- Aktenzeichen
- 2 LA 313/19
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 70004
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 22.11.2018 - AZ: 6 A 536/16
Rechtsgrundlagen
- § 5 S 1 JAGV ND
- Art 3 Abs 1 GG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
§ 5 Satz 1 NJAVO hindert das Landesjustizprüfungsamt im Rahmen der juristischen Staatsprüfungen nicht, die Mantelbögen der einzelnen Klausuren mit der Angabe der Bearbeitungszeit den jeweiligen Prüfern zu übermitteln.
Tenor:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 6. Kammer - vom 22. November 2018 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zulassungsverfahren auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung entschieden, dass der Kläger weder eine Neubewertung schriftlicher Prüfungsleistungen noch eine Wiederholung der mündlichen Prüfung der zweiten juristischen Staatsprüfung beanspruchen kann. Weder bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), noch kann die Entscheidung auf einem Verfahrensfehler beruhen (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Die Rechtssache weist auch weder besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), noch hat sie grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Zur Zulassung der Berufung führt es zunächst nicht, dass auf den Mantelbögen der einzelnen Klausuren, die den Prüfern übermittelt wurden, die Bearbeitungszeit angegeben und damit die dem Kläger gewährte Schreibzeitverlängerung kenntlich gemacht war. Ein Verstoß gegen § 5 Satz 1 NJAVO liegt darin - wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat - nicht. Nach dieser Vorschrift dürfen den Prüferinnen und Prüfern vor der abschließenden Bewertung der schriftlichen Arbeit keine Mitteilungen über die Person und die bisherigen Leistungen des Prüflings gemacht werden. Die Vorschrift soll gewährleisten, dass sich das Verfahren der Leistungsbewertung unabhängig von der Person des einzelnen Prüflings und seines bisherigen Leistungsstandes vollzieht. Als Mitteilungen über die Person sind daher solche Mitteilungen anzusehen, die Rückschlüsse auf die Identität des Prüflings zulassen. Die Möglichkeit, aus der Bearbeitungszeit die Gewähr einer Schreibzeitverlängerung abzuleiten, erlaubt derartige Rückschlüsse nicht. Ein Nachteilsausgleich in Form einer Schreibzeitverlängerung wird vielfach und aufgrund vielfältiger Ursachen gewährt, die von einer einfachen Sehnenscheidenentzündung bis hin zu einer Behinderung reichen. Die Identifizierung eines Prüflings gestattet die Angabe daher im Normalfall - und so bezüglich der tatsächlich prüfenden Personen auch hier - nicht. Schon begrifflich handelt es sich bei der Bearbeitungszeit zudem nicht um eine Mitteilung über die Person, sondern um eine Information zum Ablauf des Prüfungsverfahrens, die nicht vom Wortlaut des § 5 Satz 1 NJAVO erfasst wird.
Aus Verfassungs- und Konventionsrecht - namentlich dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 und 3 GG, Art. 14 EMRK - folgt kein anderes Ergebnis. Insoweit hat das Bundesverwaltungsgericht wiederholt entschieden, dass Bundesrecht - auch in Gestalt des Bundesverfassungsrechts - für landesrechtlich geregelte Prüfungen keine Vorgaben dazu enthält, ob, inwieweit und in welcher Weise bei schriftlichen Prüfungen die Anonymität des Prüflings zu gewährleisten ist; dem Grundgesetz lässt sich dazu nicht einmal ein Vorbehalt zugunsten einer Regelung durch den Gesetzgeber selbst entnehmen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 26.5.1999 - 6 B 65.98 -, juris Rn. 4; Urt. v. 21.3.2012 - 6 C 19.11 -, juris Rn. 38). Dem hat sich der Senat angeschlossen (vgl. Senatsbeschl. v. 10.7.2007 - 2 LA 439/07 -, n.v.).
Aus den vorstehenden Ausführungen folgt zugleich, dass die Vereinbarkeit der Angabe der Bearbeitungszeit auf dem Mantelbogen mit § 5 Satz 1 NJAVO ohne besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten festgestellt werden kann und nicht mit der Beantwortung von grundsätzlich bedeutsamen Rechts- oder Tatsachenfragen einhergeht.
Keinen ernstlichen Zweifeln unterliegt das Urteil des Verwaltungsgerichts auch insoweit, als dieses zur ZU-Klausur ausgeführt hat, die klägerische Annahme einer Beschaffenheitsvereinbarung sei unvertretbar. Das Verwaltungsgericht hat insofern zu Recht - der Senat nimmt auf die entsprechenden Ausführungen gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug - ausgeführt, dass eine (konkludente) Beschaffenheitsvereinbarung nicht auf eine einseitig gebliebene Vorstellung des Käufers gestützt werden könne, sondern es zusätzlich zumindest einer zustimmenden Reaktion des Verkäufers bedürfe. Wie bereits der Klausur lässt sich auch dem Zulassungsvorbringen nicht entnehmen, wie mit Blick auf diese Anforderungen eine Vereinbarung zustande gekommen sein soll. Die Ausführungen des Klägers zu einem weiten Beschaffenheitsbegriff liegen neben der Sache. Dass die Ausstattung eines Kraftfahrzeugs mit einer Scheinwerferreinigungsanlage ein Beschaffenheitsmerkmal darstellen kann, dürfte unbestritten sein. Daraus allein folgt aber nicht, dass dieses Beschaffenheitsmerkmal im Klausurfall tatsächlich vereinbart war. Die weiteren Rügen bezüglich der ZU-Klausur, konkret in Bezug auf vermeintliche Widersprüche zwischen Erst- und Zweitkorrektur, zur fehlenden Zulässigkeitsprüfung und zur mangelnden Begründung der Voten, sind nach Ablauf der Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO eingegangen und daher vom Senat nicht zu prüfen.
Keinen ernstlichen Zweifeln begegnen auch die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur A1-Klausur. Mit dem Verwaltungsgericht ist der Senat der Auffassung, dass es den prüfungsrechtlichen Bewertungsspielraum nicht überschreitet, dass die Prüfer Ausführungen zur Rechtzeitigkeit des Einspruchs nicht bloß im Mandantenschreiben, sondern auch im Schriftsatz an das Gericht erwartet haben. Ebenso teilt der Senat die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass die Prüfer verlangen durften, dass sich aus den an den Mandanten zu übersendenden Schreiben die mit den einzelnen Paragrafen unterlegte rechtliche Bewertung des Sachverhalts ergeben müsse. Soweit der Kläger meint, dies sei fehlerhaft, weil nicht bloß Mandantenschreiben und Schriftsatz an das Gericht, sondern auch das voranstehende Gutachten mit der vollständigen rechtlichen Würdigung dem Mandanten zu übermitteln sei, überzeugt das nicht. Denn der Kläger selbst nimmt in seinem Mandantenschreiben lediglich auf den Schriftsatz und nicht auf das Gutachten Bezug (S. 17: „… in der vorbezeichneten Angelegenheit übersende ich Ihnen meinen Schriftsatz vom heutigen Tage mit der Bitte um Kenntnisnahme.“).
Die Ausführungen des Klägers zur A2-Klausur führen ebenfalls nicht zur Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel. Soweit der Kläger meint, aus der Verwendung der Worte „bei Vertragsschluss“ im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit von Stornierungsgebühren folge, dass er Ansprüche aus culpa in contrahendo geprüft habe, trifft das nicht zu. Die betreffende Textpassage auf der dritten Seite der Klausurbearbeitung befasst sich mit der Zulässigkeit der Pauschalierung eines Schadens. Ausführungen zur Anspruchsgrundlage selbst fehlen vollständig.
Zur SR- und WSR-Klausur rügt der Kläger eine unzureichende Begründung der Note „ungenügend“. Damit vermag er schon deshalb nicht durchzudringen, weil beide Klausuren tatsächlich mit „mangelhaft“ bewertet wurden.
Ernstlichen Zweifeln unterliegt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts schließlich insoweit nicht, als das Gericht Verfahrensfehler bei der mündlichen Prüfung nicht festgestellt hat. Auch ein Verfahrensfehler ist dem Verwaltungsgericht bei dieser Feststellung nicht unterlaufen.
Ohne Erfolg rügt der Kläger, das Verwaltungsgericht habe sich zu Unrecht mit einer schriftlichen Vernehmung der Zeugen zu den Umständen des Vorgesprächs und des Ablaufs der mündlichen Prüfung begnügt. Die schriftliche Vernehmung eines Zeugen ist gemäß § 98 VwGO i.V. mit § 377 Abs. 3 Satz 1 ZPO zulässig, wenn das Gericht dies im Hinblick auf den Inhalt der Beweisfrage und die Person des Zeugen für ausreichend erachtet. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht von dieser Vorschrift Gebrauch gemacht haben könnte, trägt der Kläger nicht vor. Seine Andeutungen dahingehend, die Prüfer und die übrigen Prüflinge hätten ein „niedersächsisches Kartell“ zu seinen Lasten gebildet, mit anderen Worten also in kollusivem Zusammenwirken wahrheitswidrige Angaben getätigt, sind ehrverletzend und entbehren jeder tatsächlichen Grundlage. Die Zeugen haben Erinnerungsdefizite offen eingeräumt und sich im Übrigen sachlich und neutral zu den Beweisfragen geäußert. Be- wie Entlastungstendenzen sind nicht erkennbar, sodass das Verwaltungsgericht eine persönliche Befragung nicht für erforderlich halten musste. Auch ist nicht ersichtlich, dass eine mündliche Befragung zu weitergehenden Erkenntnissen führen konnte, sodass sich auch mit Blick auf § 86 Abs. 1 VwGO eine weitere Beweiserhebung nicht aufdrängte. Dass sich die Vorwürfe des Klägers, der Vorsitzende habe ihn aufgrund seiner Herkunft diskriminiert bzw. ihn in der Prüfung abfällig behandelt, nicht bestätigt haben, lässt dagegen einen Schluss auf eine wahrheitswidrige oder unzureichende Beantwortung der Fragen offensichtlich nicht zu.
Bedenken begegnet die schriftliche Beweiserhebung auch nicht mit Blick darauf, dass der Kläger die Zeugen nicht persönlich befragen und mit seinen eigenen Wahrnehmungen konfrontieren konnte. Diese Konsequenz ist der schriftlichen Beantwortung gemäß § 377 Abs. 3 ZPO immanent; der Gesetzgeber hat sich dennoch für die Zulässigkeit dieser Form der Beweiserhebung entschieden. Das Verwaltungsgericht hatte auch keinen Anlass, aus diesem Grund von einer schriftlichen Beweiserhebung abzusehen bzw. die Zeugen zur ergänzenden Befragung zu laden. Denn das Begehren, die Zeugen selbst zu befragen, hat der Kläger nach Erhalt der schriftlichen Zeugenaussagen im Vorfeld der Verhandlung nicht geäußert. Auch in der mündlichen Verhandlung hat er - ausweislich des insoweit gemäß § 165 i.V. mit § 160 Abs. 2 ZPO beweiskräftigen Sitzungsprotokolls - keine auch bei schriftlicher Befragung zulässigen Fragen an die Zeugen formuliert (§ 397 Abs. 2 ZPO) und auch keinen Antrag auf ergänzende mündliche Befragung (§ 377 Abs. 3 Satz 3 ZPO) gestellt. Soweit der Kläger nunmehr erstmals im Zulassungsverfahren, und zudem nach Ablauf der Begründungsfrist, die Richtigkeit des Sitzungsprotokolls in Zweifel zieht, gibt das dem Senat keinen Anlass für weitere Nachforschungen. Es wäre insoweit Sache des Klägers gewesen, gegenüber dem zuständigen Verwaltungsgericht auf eine Berichtigung gemäß § 164 ZPO hinzuwirken, zumal der Beklagte die entsprechenden Behauptungen des Klägers bestreitet.
Der Vorwurf des Klägers, das Verwaltungsgericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt und eine „Parodie eines rechtsstaatlichen Verfahrens“ veranstaltet, weil er zu den schriftlichen Zeugenaussagen nicht ausreichend habe Stellung nehmen können, liegt offensichtlich neben der Sache. Das Verwaltungsgericht hat dem Kläger die schriftlichen Stellungnahmen mit Verfügung vom 17. Oktober 2018 - und damit mehr als einen Monat vor der mündlichen Verhandlung - übermittelt. Das war mit Blick auf den überschaubaren Sachverhalt und die jeweils recht kurzen Zeugenaussagen (mehr als) ausreichend, um dem Kläger eine Stellungnahme zu ermöglichen.
Weil dem Verwaltungsgericht keine Anhaltspunkte für eine Benachteiligung des Klägers vorlagen, bedurfte es schließlich auch keines weiteren Eingehens auf eine mögliche Befangenheit der Prüfer aufgrund außerhalb der Prüfung erlangten Wissens, gemeint sind die persönlichen Auseinandersetzungen des Klägers mit seiner Ausbilderin in der Wahlstation. Hinzu kommt, dass der Kläger auch in erster Instanz in dem in Bezug genommenen Schriftsatz vom 25. Oktober 2017 keinen tragfähigen Anhaltspunkt dafür vorgetragen hat, dass die Prüfer derartiges Wissen tatsächlich erlangt haben könnten und - eine solche Erlangung unterstellt - dies den Prüfungsablauf in irgendeiner Weise beeinflusst haben könnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).