Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.09.2015, Az.: 1 LB 51/15

Belästigung; Häufung; Werbeanlage; Werbetafel

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
29.09.2015
Aktenzeichen
1 LB 51/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 45104
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 22.10.2014 - AZ: 4 A 5098/13

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Eine Häufung von Werbeanlagen liegt vor, wenn mehrere, mindestens drei, Werbeanlagen so auf verhältnismäßig engem Raum konzentriert sind, dass sich ihre Wirkungsbereiche überschneiden, der Betrachter sie also zugleich im Blickfeld hat.

2. Erheblich belästigend i. S. von § 50 Abs. 2 NBauO ist die Häufung, wenn das Blickfeld derartig mit Werbung überladen ist, dass das Auge keinen Ruhepunkt mehr findet und das Bedürfnis nach werbungsfreien Flächen stark hervortritt.

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 4. Kammer (Einzelrichter) - vom 22. Oktober 2014 geändert.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 14. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Mai 2013 verpflichtet, der Klägerin eine Baugenehmigung zur Errichtung einer freistehenden beleuchteten Werbetafel zum einseitigen Plakatanschlag auf dem Grundstück D. -straße 96 in C. (Flurstück 5065/110, Flur 2, Gemarkung E.) gemäß ihrem Bauantrag vom 18. Dezember 2012 zu erteilen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung einer Werbetafel im Stadtgebiet der Beklagten; die Beteiligten streiten darüber, ob es an dem vorgesehenen Standort zu einer erheblich belästigenden Häufung derartiger Anlagen kommen würde.

Unter dem 18. Dezember 2012 beantragte die Klägerin die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung einer einseitig beleuchteten, von Westen her sichtbaren Werbeanlage auf Monofuß für den wechselnden Plakatanschlag auf dem Baugrundstück D. -straße 96. Das Baugrundstück liegt im Kreuzungsbereich D. -straße/F. -weg. Der Gebietscharakter der näheren Umgebung entspricht einem Mischgebiet; ein Bebauungsplan trifft keine Festsetzungen zur zulässigen Art der baulichen Nutzung. In der näheren Umgebung sind bereits verschiedene Werbeanlagen vorhanden, darunter Werbung an verschiedenen Ladenlokalen sowie vier gleichfalls nach Westen orientierte Werbetafeln im Euroformat an den Außenwänden der Gebäude D. -straße 96 und F. -weg 95.

Den Bauantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14. März 2013 und Widerspruchsbescheid vom 24. Mai 2013 ab. Zur Begründung verwies sie auf eine erheblich belästigende Häufung von Werbeanlagen im Kreuzungsbereich, da die vier vorhandenen sowie die beantragte Werbetafel dort auf einen Blick sichtbar seien; dies überschreite die Grenze des Erträglichen.

Die Verpflichtungsklage hat das Verwaltungsgericht Oldenburg nach Ortsbesichtigung mit dem angegriffenen Urteil vom 22. Oktober 2014 abgewiesen und zur Begründung ergänzend ausgeführt, bei Annäherung von Westen bewirkten die Werbetafeln eine torähnliche, durch Werbung beherrschte Situation. Schon heute bringe die Werbung Unruhe in den Bereich; das Hinzutreten einer weiteren Werbeanlage, die sich besonders in den Vordergrund dränge, führe zu einer erheblichen Belästigung.

Mit ihrer vom Senat mit Beschluss vom 25. März 2015 zugelassenen Berufung wendet sich die Klägerin insbesondere gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die vorhandenen Werbeanlagen bewirkten eine torähnliche Situation bei Annäherung an die Kreuzung D. -straße/F. -weg von Westen. Aufgrund der Breite der Straße seien die verschiedenen Werbeanlagen nicht auf einen Blick sichtbar, sodass sie keine gemeinsame Wirkung entfalteten. Die zur Genehmigung stehende Werbeanlage werde überdies teilweise durch eine Fassade verdeckt, was ihre Wirkung mindere.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 14. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Mai 2013 und unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 4 A 5098/13 - die Baugenehmigung zur Errichtung einer Werbeanlage auf dem Grundstück C., D. -straße 96, gemäß näherer Darstellung in den Bauvorlagen zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, der Bereich weise eine besondere Belastung durch Werbeanlagen auf; das gelte insbesondere für die Sicht vom F. -weg aus in westlicher Richtung. Ihr liege es am Herzen, diesen durch Krieg und Wiederaufbau nicht so schönen Bereich der Stadt nicht noch weiteren Störungen zuzuführen.

Der Berichterstatter hat die Örtlichkeit in Augenschein genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung, über die der Berichterstatter im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 87a Abs. 2 und 3 VwGO anstelle des Senats entscheidet, ist begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Klägerin hat gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 NBauO einen Anspruch auf Erteilung der mit Bauantrag vom 18. Dezember 2012 begehrten Baugenehmigung zur Errichtung einer freistehenden beleuchteten Werbeanlage zum einseitigen Plakatanschlag auf dem Grundstück D. -straße 96 in C.. Die Baumaßnahme entspricht dem öffentlichen Baurecht.

Der Baumaßnahme steht insbesondere § 50 Abs. 2 NBauO nicht entgegen. Danach dürfen Werbeanlagen nicht erheblich belästigen, insbesondere nicht durch ihre Größe, Häufung, Lichtstärke oder Betriebsweise. Zielsetzung und Anforderungen dieser Vorschrift sind - wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend dargestellt hat - in der Rechtsprechung des Senats geklärt (zuletzt etwa Beschl. v. 12.6.2014 - 1 LA 216/13 -, V. n. b.): Es handelt sich anders als z.B. in Nordrhein-Westfalen nicht um einen gesetzlich geregelten Unterfall des allgemeinen Verunstaltungsverbots. Das ergibt sich schon äußerlich aus der Regelung in verschiedenen Gesetzesnormen; § 10 NBauO und § 3 Abs. 3 NBauO regeln die Gestaltung baulicher Anlagen, während sich der Rechtsbegriff der Belästigung in § 3 Abs. 1 Satz 3 NBauO und anderen Vorschriften findet. Auch inhaltlich ist das Belästigungsverbot vom Verunstaltungsverbot zu unterscheiden. § 50 Abs. 2 NBauO soll Werbeanlagen verhindern, die trotz einwandfreier Gestaltung durch eine Fülle und Stärke von Sinneseindrücken und psychischen Einwirkungen zu übermäßigen Belästigungen führen. Erheblich ist eine Belästigung insbesondere dann, wenn sie die Ruhe und Erholung spürbar beeinträchtigt, die nach den jeweiligen örtlichen Umständen, etwa in Wohn- oder Erholungsgebieten, erwartet wird. Dabei kommt es auf das Ruhebedürfnis durchschnittlich empfindender, nicht übersensibler Personen an (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 30.9.1992 - 6 L 107/90 -, juris Rn. 29 = NdsRpfl. 1992, 293).

Eine Häufung von Werbeanlagen liegt vor, wenn mehrere, mindestens drei, Werbeanlagen so auf verhältnismäßig engem Raum konzentriert sind, dass sich ihre Wirkungsbereiche überschneiden, der Betrachter sie also zugleich im Blickfeld hat. Erheblich belästigend ist die Häufung, wenn das Blickfeld derartig mit Werbung überladen ist, dass das Auge keinen Ruhepunkt mehr findet und das Bedürfnis nach werbungsfreien Flächen stark hervortritt (vgl. Wiechert, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 9. Aufl. 2013, § 50 Rn. 31 m. w. N. auch zur unveröffentlichten Senatsrechtsprechung).

Ausgehend davon liegt - dies stellt auch die Klägerin nicht in Abrede - im Kreuzungsbereich D. -straße/F. -weg eine bei westlicher Annäherung auf dem F. -weg wirksame Häufung von Werbeanlagen vor. Diese geht von den vier Großflächenplakaten an den westlichen Außenwänden der Gebäude D. -straße 96 und F. -weg 95, ferner den auffälligen, in rot bzw. blau gehaltenen Werbeanlagen an den beiden Fahrradgeschäften auf der Nordseite des F. -wegs aus. Mit allerdings nur geringer Kraft wirkt zudem Fassadenwerbung des Gebäudes F. -weg 90/D. -straße 95/95a auf den Kreuzungsbereich ein. Die weiteren Werbeanlagen, namentlich die Fassadenwerbung am Gebäude D. -straße 96/F. -weg 96, nehmen an der Häufung hingegen nicht teil, weil sie bei dem hier allein relevanten Blick von Westen nicht bzw. kaum sichtbar sind.

Die Häufung der Werbeanlagen wirkt allerdings auch bei Hinzutreten der Werbeanlage der Klägerin nicht erheblich belästigend. Trotz der recht großen Anzahl an Werbeanlagen ist der Kreuzungsbereich noch nicht derart überladen, dass das normale Ruhebedürfnis beeinträchtigt wird. Der in seiner Breite großzügig dimensionierte F. -weg teilt die Werbeanlagen vielmehr in einen nördlichen und einen südlichen Teil, dessen gemeinsame Wirkung gering ist. Nähert man sich der Kreuzung von Westen, fallen entweder die nördlich oder aber die südlich positionierten Werbeanlagen ins Auge, wobei die Wirkung der Großflächenplakate jedenfalls aus größerer Entfernung wiederum durch davor stehende Bäume und bauliche Anlagen gemindert wird. Denkt man die Werbeanlage der Klägerin hinzu, fällt diese gemeinsam mit den beiden Großflächenplakaten südlich des F. -wegs in den Blick, wird dabei jedoch von dem vorspringenden Erdgeschoss des Gebäudes D. -straße 96 sowie dem Vordach je nach Standort in mehr oder weniger erheblichen Teilen verdeckt. Erst bei unmittelbarer Annäherung an die Kreuzung, etwa auf Höhe der Einmündung der G. -straße, sind alle Anlagen auf der Südseite des F. -wegs voll sichtbar; dann aber sind die Anlagen auf der Nordseite kaum mehr prägend. Eine torähnliche Situation tritt daher - die Klägerin trägt das zu Recht vor - nicht ein. Ruhepunkte findet das Auge aufgrund der großzügigen Dimensionierung der Kreuzung, des Abstands der einzelnen Werbeanlagen zueinander sowie der Blickbeziehungen in der Umgebung weiterhin ausreichend.

Es ist gleichwohl nachvollziehbar, dass die Beklagte den gewählten Standort für die beantragte Werbeanlage (auch) aus stadtgestalterischer Perspektive für ungünstig hält. Es stellt jedoch kein Problem der Häufung von Werbeanlagen dar, wenn die geplante Anlage dem Wunsch nach einer gestalterischen Aufwertung des Kreuzungsbereichs entgegensteht. Geplante stadtgestalterische Maßnahmen sind kein Gesichtspunkt, der im Rahmen des § 50 Abs. 2 NBauO oder einer anderen maßgeblichen Rechtsvorschrift in die Beurteilung einfließen kann. Will die Beklagte stadtgestalterische Überlegungen zur Geltung bringen, stehen ihr die Mittel der Bauleitplanung oder einer Gestaltungssatzung zur Verfügung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 10 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.