Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 01.09.2015, Az.: 12 ME 91/15

Bewertungssystem; Entziehung der Fahrerlaubnis; Fahrerlaubnis; Punktestand; Ungeeignetheit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
01.09.2015
Aktenzeichen
12 ME 91/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 45053
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 06.05.2015 - AZ: 15 B 1927/15

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die mit Gesetz vom 28. November 2014 eingefügte Vorschrift des § 4 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 StVG, nach der bei der Berechnung des Punktestandes Zuwiderhandlungen unabhängig davon berücksichtigt werden, ob nach deren Begehung bereits Maßnahmen ergriffen worden sind, begründet durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken nicht (wie VGH Bad. Württ., Beschl. v. 6.8.2015 - 10 S 1176/15 -).

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis wegen Überschreitens von acht Punkten im Fahreignungsregister durch sofort vollziehbaren Bescheid der Antragsgegnerin vom 18. Februar 2015.

Den Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht durch den hier angefochtenen Beschluss und mit im Wesentlichen folgender Begründung abgelehnt: Der Antrag sei unbegründet. Die Entziehung der Fahrerlaubnis erweise sich als rechtmäßig. Der Antragsteller sei als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, da die ihn betreffenden Eintragungen im Fahreignungsregister neun Punkte ergäben. Der Antragsteller habe zum 1. Mai 2014 einen umrechnungsfähigen Punktestand von 13 Punkten aufgewiesen. Diese 13 Punkte (alt) habe die Antragsgegnerin korrekt in einen Punktestand von fünf Punkten (neu) umgerechnet. Nach korrekter Hinzurechnung von zwei Punkten (neu) für den Verstoß vom 26. Mai 2014 habe die Antragsgegnerin den Antragsteller ordnungsgemäß mit Schreiben vom 10. September 2014 verwarnt, weil sich für diesen sieben Punkte ergeben hätten. Nachdem die Antragsgegnerin durch Schreiben des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 4. November 2014 Kenntnis vom letzten rechtkräftig geahndeten Verstoß des Antragstellers vom 3. Juni 2014 erlangt habe, sei sie zu Recht davon ausgegangen, dass sich für den Antragsteller zum 3. Juni 2014 insgesamt neun Punkte (neu) ergeben hätten und sie die Fahrerlaubnis zu entziehen habe. Sie habe hierfür auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Tat ergeben habe. Der Verstoß vom 3. Juni 2014 sei bei der Berechnung des Punktestandes zu berücksichtigen, obwohl die erforderliche Verwarnung erst nach diesem Verstoß ergangen sei. Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 StVG würden Zuwiderhandlungen bei der Berechnung des Punktestandes unabhängig davon berücksichtigt, ob nach deren Begehung bereits Maßnahmen ergriffen worden seien. Eine Punktereduzierung auf sieben Punkte gemäß § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG scheide aus. Die Antragsgegnerin habe die erforderlichen Maßnahmen stufenweise ergriffen. Für eine Punktereduzierung sei kein Raum. Mit der Neuregelung des StVG habe der Gesetzgeber die bisherige Warnfunktion des Maßnahmesystems aufgegeben. Es komme nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem nicht darauf an, dass eine Maßnahme den Betroffenen vor der Begehung weiterer Verstöße erreiche und ihm die Möglichkeit zur Verhaltensänderung einräume, bevor es zu weiteren Maßnahmen kommen dürfe. Mit § 4 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 StVG solle verdeutlicht werden, dass Verkehrsverstöße auch dann mit Punkten zu bewerten seien, wenn sie vor der Einleitung einer Maßnahme des Fahreignungs-Bewertungssystems begangen worden seien, bei dieser Maßnahme aber noch nicht hätten verwertet werden können, etwa weil deren Ahndung erst später Rechtskraft erlangt habe oder sie erst später im Fahreignungsregister eingetragen worden oder der Behörde zur Kenntnis gelangt seien. Die aktuelle Fassung des § 4 Abs. 5 und 6 StVG verstoße nicht gegen das Rückwirkungsverbot und begegne auch keinen sonstigen verfassungsrechtlichen Bedenken, die eine Anwendung im vorliegenden Verfahren in Frage stellen könnten. Zwar komme dieser Regelung eine sog. unechte Rückwirkung zu. Eine sog. „unechte Rückwirkung“ sei nicht völlig unbedenklich und nicht ohne weiteres zulässig. Die Grenzen gesetzgeberischer Regelungsbefugnis ergäben sich hierbei aus einer Abwägung zwischen dem Gewicht der berührten Vertrauensschutzbelange und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Gemeinwohl. Diese Abwägung dürfe vorliegend zu Gunsten des Gemeinwohls - hier speziell der Verkehrssicherheit - ausfallen. Mit dieser Regelung solle in erster Linie die Allgemeinheit vor ungeeigneten Fahrern geschützt werden. Weitere verfassungsrechtliche Bedenken seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

II.

Die gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts erhobene Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.

Der Antragsteller trägt zur Begründung seiner Beschwerde vor: Die Entziehung seiner Fahrerlaubnis sei rechtswidrig. Er habe den Stand von neun Punkten erreicht, ohne dass die Behörde die erforderliche Verwarnung ergriffen habe. Der Punktestand sei auf sieben zu reduzieren. Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Anwendung des StVG in der seit dem 5. Dezember 2014 geltenden Fassung verstoße gegen das Rückwirkungs- und das Willkürverbot und verletze ihn in seinen Rechten. Entsprechend dem Tattagprinzip komme es bei der Anwendung der Regelungen über die Reduzierung von Punkten darauf an, ob die Zuwiderhandlung zeitlich vor der Ermahnung oder der Verwarnung liege. Andernfalls wäre die Anwendung der „Bonusregelung“ davon abhängig, ob die Behörde von den Verstößen bereits Kenntnis erlangt oder den bereits bekannten Verstoß in die Punkteaufstellung eingestellt habe. Die Auswirkung von solchen Zufällen widerspreche einer berechenbaren Anwendung des Gesetzes und damit rechtsstaatlichen Vorgaben. Die Antragsgegnerin habe bereits am 4. November 2014, also noch vor der Gesetzesänderung, Kenntnis von dem letzten Verstoß erhalten. Zu diesem Zeitpunkt wäre eine Fahrerlaubnisentziehung nicht möglich gewesen. Dies sei erst nach der Gesetzesänderung vom 5. Dezember 2014 möglich geworden. Diese Vorgehensweise erscheine als willkürlich. Anwendbar sei hier das StVG in der Fassung vom 1. Mai bis 28. November 2014. Es sei zu vermuten, dass der Fahrerlaubnisinhaber ungeeignet sei, wenn er zuvor alle vorgesehenen Maßnahmen „durchlaufen“ habe und er anschließend gleichwohl weitere Zuwiderhandlungen begehe. Die Rechtslage habe der Gesetzgeber nicht bereits ab dem 1. Mai 2014, sondern erst ab dem 5. Dezember 2014 für künftige Fälle geändert.

Die dargelegten Gründe, die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, geben keinen Anlass, den Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern.

Soweit der Antragsteller meint, anzuwenden sei hier das StVG in der vom 1. Mai bis 28. November 2014 geltenden Fassung (BGBl 2013 I 3313), folgt der Senat ihm nicht. Es entspricht der - vom Verwaltungsgericht auch zutreffend zitierten - Rechtsprechung des Senats, anderer Obergerichte (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 6.8.2015 - 10 S 1176/15 -, juris Rdn. 8; Sächs. OVG, Beschl. v. 7.7.2015 - 3 B 118/15 -, juris Rdn. 6;  und des Bundesverwaltungsgerichts (etwa Beschl. v. 22.1.2001 - 3 B 144.00 -, juris Rdn. 2) anzunehmen, dass  für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der (letzten) Verwaltungsentscheidung maßgeblich ist. Die behördliche Entziehungsverfügung datiert vom 18. Februar 2015. Maßgeblich ist mithin § 4 StVG in der ab 5. Dezember 2014 anwendbaren Fassung des Gesetzes vom 28. November 2014 (BGBI I S. 1802). Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG n.F. gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und die Fahrerlaubnis ist zu entziehen, wenn sich acht oder mehr Punkte im Fahreignungsregister ergeben. Nach § 4 Abs. 2 Satz 3, Abs. 5 Satz 5 StVG n.F. ist auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat. Bei der Berechnung des Punktestandes werden Zuwiderhandlungen unabhängig davon berücksichtigt, ob nach deren Begehung Maßnahmen ergriffen worden sind (§ 4 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 StVG). Das Verwaltungsgericht ist in zutreffender Anwendung dieser Maßgaben zu Recht davon ausgegangen, dass der mit zwei Punkten bewehrte Geschwindigkeitsverstoß vom (richtig:) 30. Juni 2014, rechtskräftig seit dem 17. Oktober 2014, zu einem Punktestand von neun geführt hat.

Die vom Antragsteller hiergegen erhobenen Einwände greifen nach summarischer Prüfung nicht durch. Danach ist das Ergebnis weder rechtsstaatswidrig noch willkürlich. Zu diesen Einwänden hat der VGH Baden-Württemberg in seinem Beschluss vom 6. August 2015 (- 10 S 1176/15 -, juris Rdn. 13 ff.; vgl. im Ergebnis auch Sächs. OVG, Beschl. v. 7.7.2015 - 3 B 118/15 -, juris; Bay.VGH, Beschl. v. 10.6.2015 - II CS    15.745 -, juris; OVG Berlin-Bbg, Beschl. v. 2.6.2015 - OVG IS 90.14 -, juris) überzeugend ausgeführt:

„Es kann dahinstehen, ob das Tattagprinzip auch bei Anwendung der Bonusregelung des § 4 Abs. 6 StVG in der ab dem 01.05.2014 und bis zum 04.12.2014 anwendbaren Fassung vom 28.08.2013 (BGBI. 1 S. 3313) zugrunde zu legen ist (bejahend: OVG NRW, Beschluss vom 02.03.2015 - 16 B 104/15 - juris; OVG NRW, Beschluss vom 14.04.2015 - 16 B 247/15 - juris). Mit der Neuregelung des § 4 Abs. 5 und Absatz 6 StVG in der ab dem 05.12.2014 anwendbaren Fassung hat der Gesetzgeber jedenfalls zum Ausdruck gebracht, dass das Tattagprinzip im Rahmen der Bonusregelung keine Geltung beanspruchen soll. Es handelt sich damit um eine gegenüber den allgemeinen Vorschriften über das Tattagprinzip spezielle und prioritäre Vorschrift (zu solchen Vorschriften bereits Senatsbeschluss vom 02.09.2014 - 10 S 1302/14 - NJW 201 5,186). Nach der zum 5. Dezember 2014 neu eingeführten Vorschrift des § 4 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 StVG werden bei der Berechnung des Punktestandes Zuwiderhandlungen unabhängig davon berücksichtigt, ob nach deren Begehung bereits Maßnahmen ergriffen worden sind. Nach dem zum selben Zeitpunkt neu eingefügten Absatz 6 Satz 4 erhöhen Punkte für Zuwiderhandlungen, die vor der Verringerung nach Absatz 6 Satz 3 begangen worden sind und von denen die nach Landesrecht zuständige Behörde erst nach der Verringerung Kenntnis erhält, den sich nach Satz 3 ergebenden Punktestand. Damit hat der Gesetzgeber die Berücksichtigung des Tattagprinzips im hier in Rede stehenden Zusammenhang ausgeschlossen. Dies bestätigen vor allem die Gesetzesmaterialien (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur, BT-Drs. 18/2775 vom 08.10.2014). In ausdrücklicher Abgrenzung zu den Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts im Beschluss vom 25.9.2008 (- 3 C 3/07 - a.a.O.) wird ausgeführt (S. 9 f.):

„... Mit Absatz 5 Satz 6 Nummer 1 soll verdeutlicht werden, dass Verkehrsverstöße auch dann mit Punkten zu bewerten sind, wenn sie vor der Einleitung einer Maßnahme des Fahreignungs-Bewertungssystems begangen worden sind, bei dieser Maßnahme aber noch nicht verwertet werden konnten, etwa weil deren Ahndung erst später Rechtskraft erlangt hat oder sie erst später im Fahreignungsregister eingetragen worden oder der Behörde zur Kenntnis gelangt sind ...

Absatz 6 soll mit seiner Ausnahme vom Tattagsprinzip eindeutiger gefasst werden... Zwar gilt für die Punkteentstehung das Tattagsprinzip. Für das Ergreifen von Maßnahmen hat das Tattagsprinzip aber keine Relevanz, denn Maßnahmen können erst nach Rechtskraft (und Registrierung) der Entscheidung über die Tat und damit deutlich später an die Tat geknüpft werden. Die Prüfung der Behörde, ob die Maßnahme der vorangehenden Stufe bereits ergriffen worden ist, ist daher vom Kenntnisstand der Behörde bei der Bearbeitung zu beurteilen und beeinflusst das Entstehen von Punkten nicht. ...

Absatz 6 Satz 4 legt nun fest, dass die Punkte für diese Tat mangels Bekanntheit nicht von der Reduzierung erfasst werden, sondern vielmehr das Ergebnis der Reduzierung nach Absatz 6 Satz 3 erhöhen...“

Es kann dahinstehen, ob die Gesetzesbegründung in jeder Hinsicht überzeugt (kritisch etwa VG Berlin, Beschluss vom 09.02.2015 - 11 L 590.1.4 - juris; VG Regensburg, Urteil vom 18.03.2015 - RO 8 K 15.249 - juris). Gleichwohl hat der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 4 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 und des § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG in Verbindung mit den Motiven hinreichend klar zum Ausdruck gebracht, dass das Tattagprinzip nur noch eingeschränkt zu Lasten des Betroffenen bei der Punkteberechnung, nicht aber zu seinen Gunsten bei der Anwendung der Bonusregelung Anwendung finden und die Warn- und Erziehungsfunktion in bestimmten Konstellationen der Verwaltungspraktikabilität weichen soll.

Entgegen der Auffassung der Beschwerde dürften hiergegen nach vorläufiger Einschätzung des Senats keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (ebenso BayVGH, Beschluss vom 08.06.2015 - 11 CS 15.718 - juris; OVG NRW, Beschluss vom 27.04.2015 a.a.O.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.06.2015 - OVG 1 S 90.14 - juris).

Zwar könnte sich die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer unechten Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung) der neu eingeführten Vorschriften stellen, wenn man die zum 5. Dezember 2014 erfolgte Gesetzesänderung nicht - wie in der Gesetzesbegründung - als Klarstellung, sondern als Gesetzesänderung ansähe. Denn die Tat des Antragstellers, die letztlich zu acht Punkten geführt hat, ist bereits am 21.05.2014 und somit vor Inkrafttreten der Neuregelung begangen worden. Eine solche unechte Rückwirkung ist nicht grundsätzlich unzulässig, denn die Gewährung vollständigen Vertrauensschutzes zu Gunsten des Fortbestehens der bisherigen Rechtslage würde den dem Gemeinwohl verpflichteten Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen und den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer Änderung in nicht mehr vertretbarer Weise zu Lasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen (BVerfG, Beschluss vom 07.07.2010 - BvL 14/02 - juris; BayVGH, Beschluss vom 18.05.2015 - 11 BV 14.2839 - juris). Der Gesetzgeber muss aber, soweit er für künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpft, dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung tragen. Ein rechtlich schutzwürdiger Vertrauenstatbestand ist indes im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Das Vertrauen eines Verkehrsteilnehmers, bis zum Ergehen einer Ermahnung oder Verwarnung weiterhin Verkehrszuwiderhandlungen begehen zu dürfen, ohne die Folgemaßnahmen befürchten zu müssen, ist von vorneherein nicht schutzwürdig.

Entgegen der Auffassung der Beschwerde dürfte auch kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz oder das Willkürverbot vorliegen. In der Beschwerdebegründung wird insoweit darauf hingewiesen, dass in der vorliegenden Konstellation die Fahrerlaubnisentziehung davon abhänge, ob zwei Delikte, mit denen der Betroffene zusammengenommen acht oder mehr Punkte erreiche, der Behörde zufällig gleichzeitig oder zeitnah vor dem Ergehen einer Verwarnung oder - etwa wegen der Einlegung eines Rechtsmittels - nacheinander bekannt würden. Im ersteren Fall greife die Bonusregelung, im letzteren Fall sei die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn aufgrund der zuerst bekannt gewordenen Tat eine Verwarnung erfolgt sei. Es sei gleichheitswidrig und willkürlich, wenn die Fahreignung davon abhänge, ob die Fahrerlaubnisbehörde zufällig früher oder später von einem Delikt erfahre. Hierdurch werde indirekt auch die Einlegung von Rechtsmitteln behindert. Diese Einwände greifen nach vorläufiger Einschätzung nicht durch.

Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln sowie wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Dabei ist dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung verwehrt; Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.03.2015 - 1 BvR 2880/11 - juris Rn. 38 f. m.w.N.). Im vorliegenden Fall dürfte die von der Beschwerde aufgezeigte Ungleichbehandlung im Hinblick auf die Effektivität des Fahreignungs-Bewertungssystems und die hiermit bezweckte Verbesserung der Verkehrssicherheit sachlich gerechtfertigt sein. In der Gesetzesbegründung wird insoweit ausgeführt (BT-Drs. 18/2775 S. 10):

„Unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten und für das Ziel, die Allgemeinheit vor ungeeigneten Fahrern zu schützen, kommt es vielmehr auf die Effektivität des Fahreignungs-Bewertungssystems an. Hat der Betroffene sich durch eine entsprechende Anhäufung von Verkehrsverstößen als ungeeignet erwiesen, ist er vom Verkehr auszuschließen. Der Hinweis auf eine in bestimmten Konstellationen ausbleibende Chance, sein Verhalten so zu bessern, dass es zu keinen weiteren Maßnahmen kommt, kann in Abwägung mit dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit kein Argument dafür sein, über bestimmte Verkehrsverstöße hinwegzusehen und sie dadurch bei der Beurteilung der Fahreignung auszublenden. Denn es geht in solchen Fällen teilweise sogar um Konstellationen, in denen in kurzer Zeit wiederholt und schwer gegen Verkehrsregeln verstoßen wurde, was ein besonderes Risiko für die Verkehrssicherheit bedeutet“

Mit der Annahme, dass die im Interesse der Verkehrssicherheit gebotene Effektivität und Praktikabilität des Fahreignungs-Bewertungssystems eine Einschränkung der Warn- und Erziehungsfunktion in bestimmten Fallkonstellationen rechtfertigt, dürfte der Gesetzgeber seinen Gestaltungs- und Wertungsspielraum nicht überschritten haben. Dabei ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass die Betroffenen - wie ausgeführt - nicht ohne weiteres schutzwürdig sind. Die vorliegende Konstellation tritt insbesondere dann ein, wenn ein Verkehrsteilnehmer in rascher Abfolge mit Punkten bewehrte Verkehrsverstöße begeht. Darüber hinaus beruhen die verkehrsrechtlichen Sanktionen auf eigenem Fehlverhalten; auch dies dürfte für die gesetzgeberische Wertung zu Gunsten der Erhöhung der Verkehrssicherheit durch administrative Erleichterungen und eine Einschränkung der Bonusregelung sprechen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27.04.2015 a.a.O.). Die Gesichtspunkte der gerade bei einer Vielzahl gleichförmiger Verfahren gebotenen Verwaltungspraktikabilität sowie der verminderten Schutzwürdigkeit der Betroffenen lassen es auch hinnehmbar erscheinen, dass das Abstellen auf den Zeitpunkt der Eintragung oder der Kenntniserlangung durch die Behörde unter Umständen von gewissen Zufälligkeiten, etwa bei Einlegung von Rechtsmitteln, abhängen kann. Indes steht die vom Gesetzgeber vorgenommene Ausgestaltung des § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG n.F. einer transparenten und vorhersehbaren Rechtsanwendung nicht im Wege. Auch das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat die in seinem Beschluss vom 02.03.2015 (a.a.O.) geäußerten Bedenken, dass die Regelung des § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG n.F. möglicherweise einer berechenbaren Anwendung des Gesetzes und damit den rechtsstaatlichen Vorgaben des Art. 20 Abs. 3 GG zur Rechtssicherheit und zur Vorhersehbarkeit staatlichen Verwaltungsvollzugs widerspreche, in dieser Form nicht mehr aufrechterhalten (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27.04.2015 a.a.O.). Wie sich der Gesetzentwurfsbegründung entnehmen lässt, ist die in § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG enthaltene Formulierung „Kenntnis erhält“ an § 48 Abs. 4 VwVfG angelehnt (BT-Drs. 18/2775, S. 10). Dies kann aber nicht zur Folge haben, dass die zur Auslegung der verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschrift ergangene Rechtsprechung zum Lauf einer Jahresfrist hier ohne weiteres zu übertragen ist (ebenso OVG NRW, Beschluss vom 27.04.2015 - 16 B 226/15 - a.a.O.). Rechtsstaatliche Bedenken könnten gerechtfertigt sein, wenn die Fahrerlaubnisbehörde die Maßnahmen nicht umgehend nach Kenntniserlangung von dem maßgeblichen Verkehrsverstoß ergreift, sondern die Folgemaßnahme willkürlich ohne zureichenden Grund verzögert. ...“

Nach summarischer Prüfung folgt der Senat diesen Erwägungen, die sich auf den vorliegenden Fall ohne weiteres übertragen lassen. Das Vorbringen des Antragstellers bietet keinen Anlass zu weitergehenden Ausführungen.

Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin die ergriffenen Maßnahmen willkürlich ohne zureichenden Grund verzögert haben könnte, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 4. November 2014 ist ausweislich des Eingangsstempels bei der Antragsgegnerin am 10. November 2014 eingegangen. Nach Überprüfung des Punktestands hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller unter dem 16. Januar 2015 zu der beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis an. Dieser Zeitraum erscheint ohne weiteres angemessen. Unabhängig davon, ob es sich bei der Gesetzesänderung zum 5. Dezember 2014 um eine bloße Klarstellung handelte, konnte im Falle des Antragstellers in der Zeit vom 10. November bis 5. Dezember 2014 nicht mit Fug und Recht mit einer abschließenden Entscheidung über die Fahrerlaubnisentziehung gerechnet werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG und Nr. 46.3 sowie 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57).