Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 10.09.2015, Az.: 1 LA 90/15

Bauaufsichtsbehörde; Baugenehmigung; vereinfachtes Verfahren; vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren; Baugenehmigungsverfahren; Einvernehmen; Einvernehmensfiktion; Erhaltungssatzung; Funktionslosigkeit; Gemeinde; Prüfungsumfang; städtebauliches Planungsrecht; Städtebaurecht

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
10.09.2015
Aktenzeichen
1 LA 90/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 45066
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 07.05.2015 - AZ: 4 A 5371/13

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Zum städtebaulichen Planungsrecht i. S. von § 2 Abs. 16 NBauO 2012 (§ 2 Abs. 10 NBauO 2003) zählt das gesamte Städtebaurecht, mithin alle Vorschriften des Baugesetzbuchs, die dem allgemeinen oder dem besonderen Städtebaurecht zugehören (im Anschluss an Senat, Urt. v. 30.4.2014 - 1 LB 200/12 -, juris Rn. 17 = BauR 2014, 1455).

2. Im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren ist gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 NBauO 2012 (§ 75a Abs. 2 Nr. 1 NBauO 2003) die Vereinbarkeit mit allen städtebaurechtlichen Vorschriften des Baugesetzbuchs zu prüfen. Die Prüfung ist nicht auf die §§ 29 ff. BauGB beschränkt.

3. Die Einvernehmensfiktion des § 173 Abs. 1 Satz 1 i. V. mit § 22 Abs. 5 Satz 4 BauGB bezieht sich nur auf diejenigen Fälle, in denen die Gemeinde selbst gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 BauGB die Genehmigung nach der Erhaltungssatzung erteilt. Auf die Fälle des § 173 Abs. 1 Satz 2 BauGB, in denen die Bauaufsichtsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens über die Genehmigung entscheidet, findet § 22 Abs. 5 Satz 4 BauGB weder direkt noch analog Anwendung.

4. Eine Baugenehmigung, die im Geltungsbereich einer gemeindlichen Erhaltungssatzung ohne das gemäß § 173 Abs. 1 Satz 2 BauGB erforderliche Einvernehmen erteilt wird, ist bereits deshalb rechtswidrig und auf die Klage der Gemeinde hin aufzuheben, ohne dass es einer Prüfung der materiellen Rechtslage nach der Erhaltungssatzung bedarf.

Tenor:

Die Anträge des Beklagten und der Beigeladenen auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 4. Kammer - vom 7. Mai 2015 werden abgelehnt.

Die Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen der Beklagte und die Beigeladene jeweils zur Hälfte; im Übrigen tragen die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 40.000,- EUR festgesetzt, wobei auf den Beklagten und die Beigeladene jeweils 20.000,- EUR entfallen.

Gründe

I.

Die Klägerin wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Apartmenthauses, weil der Beklagte diese ohne das aufgrund einer Erhaltungssatzung erforderliche gemeindliche Einvernehmen erteilt hat.

Die Beigeladene ist Eigentümerin des Grundstücks F. -straße 80 im Stadtgebiet der Klägerin. Das Baugrundstück war ursprünglich mit einem aus mehreren Gebäuden bestehenden Beherbergungsbetrieb bebaut. Es liegt im Geltungsbereich der Satzung der Klägerin über die Erhaltung baulicher Anlagen (Erhaltungssatzung Nr. 10). Die aus dem Jahr 1985 stammende und im Jahr 1987 geänderte Satzung sieht vor, dass sowohl der Abriss als auch die Änderung und die Neuerrichtung baulicher Anlagen der Genehmigung des Beklagten bedürfen, der diese Genehmigung nur im Einvernehmen mit der Klägerin erteilt.

Unter dem 28. August 2012 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung zum Umbau des Betriebs. Der Antrag sah vor, die Bestandsgebäude teilweise abzureißen und an deren Stelle ein Apartmenthaus mit Ferienwohnungen neu zu errichten. Mit den Festsetzungen des geltenden Bebauungsplans steht das Vorhaben in Einklang. Unter dem 7. November 2012 beteiligte der Beklagte die Klägerin und bat im Hinblick auf die Erhaltungssatzung um Erteilung des Einvernehmens bis zum 1. Dezember 2012. Die Klägerin beantragte daraufhin unter Hinweis auf die am 11. Dezember 2012 stattfindende Sitzung des Verwaltungsausschusses mit E-Mail vom 28. November 2012 eine Fristverlängerung bis zum 12. Dezember 2012; dieser Antrag blieb unbeschieden.

Unter dem 5. Dezember 2012 erteilte der Beklagte der Beigeladenen im vereinfachten Genehmigungsverfahren die Baugenehmigung für ihr Vorhaben. In der Baugenehmigung wies der Beklagte darauf hin, dass der Teilabbruch der Bestandsgebäude nicht baugenehmigungspflichtig sei, aber erst nach Vorliegen einer entsprechenden Genehmigung durch die Klägerin erfolgen dürfe.

Die Beigeladene veranlasste gleichwohl ohne Genehmigung den Teilabbruch der Bestandsgebäude. Daraufhin legte der Beklagte unter dem 11. Dezember 2012 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung den Bau still, wogegen die Beigeladene erfolglos um Rechtsschutz nachsuchte (VG Oldenburg, Beschl. v. 14.1.2013 - 4 B 5278/12 -, V. n. b.; Senat, Beschl. v. 10.4.2013 - 1 ME 15/13 -, V. n. b.). Er hob diese Stilllegung unter dem 15. Mai 2013 wieder auf, nachdem die Klägerin einen bereits im Januar 2013 gestellten Antrag auf Erteilung einer Abbruchgenehmigung nicht beschieden hatte. Einen Antrag der Klägerin, die Vollziehung der Baugenehmigung auszusetzen, lehnte er unter dem 21. Mai 2013 ab. Ihr Antrag auf gerichtliche Außervollzugsetzung der Baugenehmigung blieb - in letzter Instanz allerdings nur aus Gründen des nach vollzogenem Abriss fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses - erfolglos (VG Oldenburg, Beschl. v. 17.10.2013 - 4 B 6188/13 -, V. n. b.; Senat, Beschl. v. 22.1.2014 - 1 ME 207/13 -, V. n. b.).

Gegen die Baugenehmigung erhob die Klägerin Widerspruch, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2013 zurückwies. Auf die daraufhin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Oldenburg die Baugenehmigung mit dem angegriffenen Urteil vom 7. Mai 2015 aufgehoben. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, die im vereinfachten Verfahren erteilte Baugenehmigung für das Vorhaben der Beigeladenen habe aufgrund der wirksamen Erhaltungssatzung Nr. 10 der Klägerin nur mit deren Einvernehmen erteilt werden dürfen. Daran fehle es; eine Einvernehmensfiktion bzw. eine Ersetzung des fehlenden Einvernehmens durch den Beklagten sehe das Gesetz nicht vor. Das Fehlen des Einvernehmens führe zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung, ohne dass es auf die materielle Rechtslage - namentlich das Fehlen von Gründen, die eine Versagung des Einvernehmens gerechtfertigt hätten - ankomme.

Dagegen wenden sich der Beklagte und die Beigeladene mit ihren Anträgen auf Zulassung der Berufung. Die Klägerin hat sich in der Sache nicht geäußert.

II.

Die Anträge auf Zulassung der Berufung haben keinen Erfolg.

Es bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils. Das ist der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten so in Frage gestellt wird, dass sich am Ergebnis der Entscheidung etwas ändert. Das ist dem Beklagten und der Beigeladenen nicht gelungen. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die der Senat gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug nimmt, entschieden, dass die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 5. Dezember 2012 Rechte der Klägerin verletzt. Die erhobenen Einwände überzeugen den Senat nicht.

Ohne Erfolg ziehen der Beklagte und die Beigeladene in Zweifel, dass eine gemeindliche Erhaltungssatzung auch im Rahmen des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens gemäß § 75a NBauO 2003, der hier aufgrund des vor dem 1. November 2012 gestellten Bauantrags gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 NBauO 2012 weiterhin Anwendung findet, zu prüfen ist. Das folgt unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut des § 75a Abs. 2 NBauO 2003 (nunmehr § 63 Abs. 1 Satz 2 NBauO 2012). Bei Baumaßnahmen, die im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu genehmigen sind, prüft die Bauaufsichtsbehörde die Bauvorlagen nur auf ihre Vereinbarkeit mit dem städtebaulichen Planungsrecht (Nr. 1), ausgewählten bauordnungsrechtlichen Bestimmungen (Nr. 2-4) sowie (Nr. 5) mit den sonstigen Vorschriften des öffentlichen Rechts im Sinne des § 2 Abs. 10 NBauO (jetzt § 2 Abs. 16 NBauO 2012). Darunter fallen die Vorschriften der §§ 172 ff. BauGB als Teil des städtebaulichen Planungsrechts. Mit diesem auch in § 2 Abs. 10 NBauO 2003 verwendeten Begriff erfasst § 75a Abs. 2 Nr. 1 NBauO 2003 das gesamte Recht der städtebaulichen Planung, dessen Gegenstand die Vorbereitung und Leitung der gesamten Bebauung in Stadt und Land, der zu ihr gehörigen baulichen Anlagen und Einrichtungen sowie der mit der Bebauung in Verbindung stehenden Nutzung des Bodens ist (so frühe Begriffsbestimmung im Gutachten des BVerfG v. 16.6.1954 - 1 PBvV 2/52 -, juris Rn. 72 = BVerfGE 3, 407 [BVerfG 16.06.1954 - 1 PBvV 2/52]). Dazu zählt das gesamte Städtebaurecht, mithin alle Vorschriften des Baugesetzbuchs, die dem allgemeinen oder - wie die §§ 172 ff. BauGB - dem besonderen Städtebaurecht zugehören (so zum Recht der städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen Senat, Urt. v. 30.4.2014 - 1 LB 200/12 -, juris Rn. 17 = BauR 2014, 1455; Wiechert, in: Große-Suchsdorf/Lindorf/ Schmaltz/Wiechert, NBauO, 8. Aufl. 2006, § 2 Rn. 80; ebenso für die Neufassung Mann, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 9. Aufl. 2013, § 2 Rn. 160).

Der systematische Zusammenhang mit § 2 Abs. 10 NBauO 2003 bestätigt - wie das Verwaltungsgericht überzeugend ausgeführt hat - dieses Auslegungsergebnis. Die Vorschrift rechnet zum öffentlichen Baurecht die Vorschriften der sowie aufgrund der Niedersächsischen Bauordnung, das städtebauliche Planungsrecht und die sonstigen Vorschriften des öffentlichen Rechts, die Anforderungen an bauliche Anlagen, Bauprodukte oder Baumaßnahmen stellen oder die Bebaubarkeit von Grundstücken regeln. Da außer Frage steht, dass auch das besondere Städtebaurecht öffentliches Baurecht darstellt, muss es sich dabei entweder um städtebauliches Planungsrecht oder aber um sonstige Vorschriften des öffentlichen Rechts handeln. Der Begriff der sonstigen Vorschriften des öffentlichen Rechts beschreibt dabei einen Auffangtatbestand für all diejenigen Normen, die keinen spezifisch städtebaurechtlichen bzw. bauordnungsrechtlichen Charakter aufweisen. Da die §§ 172 ff. BauGB besonderes Städtebaurecht darstellen, sind sie folglich als städtebauliches Planungsrecht i. S. von § 2 Abs. 10, § 75a Abs. 2 Nr. 1 NBauO 2003 anzusehen. Für die Rechtslage nach der neuen Niedersächsischen Bauordnung (§ 63 Abs. 1 Satz 2 i. V. mit § 2 Abs. 16 NBauO 2012) gilt nichts anders.

Die vorstehende Fragestellung birgt weder besondere rechtliche Schwierigkeiten i. S. von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO noch kommt ihr grundsätzliche Bedeutung i. S. von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu. Sie ist - wie ausgeführt - unmittelbar aus dem Gesetz zu beantworten und zudem in der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urt. v. 30.4.2014, a. a. O.) in Übereinstimmung mit der Literatur geklärt. Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) ist ebenfalls nicht gegeben. Soweit der Senat in seinem Beschluss vom 10. April 2013 (- 1 ME 15/13 -, S. 7 BA) ausgeführt hat, im Rahmen des vereinfachten Genehmigungsverfahrens sei nur die Vereinbarkeit mit dem städtebaulichen Planungsrecht, nicht aber mit dem besonderen Städtebaurecht zu prüfen, ist diese Entscheidung durch das Urteil des Senats vom 30. April 2014 (a. a. O., juris Rn. 17) überholt. Bereits dieses Urteil stellt fest, dass das besondere Städtebaurecht einen Teil des städtebaulichen Planungsrechts darstellt.

Ohne Erfolg meinen der Beklagte und die Beigeladene, die Erhaltungssatzung Nr. 10 der Klägerin (v. 22.5.1985, ABl. des Landkreises B. v. 15.10.1985, S. 242, mit Änderung v. 21.9.1987, ABl. des Landkreises B. v. 16.11.1987, S. 279) sei unwirksam. Ein Bekanntmachungsmangel haftet ihr offensichtlich nicht an. Gemäß § 172 Abs. 1 Satz 3 i. V. mit § 16 Abs. 2 BauGB 1987 kann die Gemeinde entweder die Satzung als solche oder aber ortsüblich bekanntmachen, dass sie eine Erhaltungssatzung beschlossen hat. Die Ersatzbekanntmachung muss der Informations- und Anstoßfunktion hinreichend Rechnung tragen, also den Regelungsgegenstand und den Geltungsbereich bezeichnen (vgl. Sennekamp, in: Brügelmann, BauGB, § 16 Rn. 33 f. <Stand der Bearbeitung: Oktober 2009>). Diese Anforderungen sind erfüllt. Die Bekanntmachung benennt die Satzung im Einklang mit der amtlichen Überschrift des § 172 BauGB als Erhaltungssatzung und gibt ihren räumlichen Geltungsbereich mittels einer beigefügten Karte wieder. Mehr ist nicht geschuldet.

Auch der Einwand, der Satzung fehle es an einer geeigneten Ermächtigungsgrundlage, verfängt nicht. Soweit der Beklagte bzw. die Beigeladene meinen, die Klägerin habe nicht im Wesentlichen gleichlautende Erhaltungssatzungen für (nahezu) ihr gesamtes bebautes Gemeindegebiet beschließen dürfen, überzeugt das nicht. Zu betrachten ist - wie der Senat zu der insoweit vergleichbaren Problematik örtlicher Bauvorschriften bereits entschieden hat (vgl. Senat, Urt. v. 18.9.2014 - 1 KN 123/12 -, juris Rn. 56 = BauR 2015, 452) - vielmehr jede einzelne Erhaltungssatzung daraufhin, ob sie sich vor dem Hintergrund der geltend gemachten Erhaltungsziele als gerechtfertigt erweist. Dass dies nicht der Fall sein könnte, tragen der Beklagte und die Beigeladene auch mit ihren Zulassungsanträgen nicht substanziiert vor. Nicht überzeugend ist insbesondere der Hinweis, die Klägerin habe lediglich einen unzulässigen Milieuschutz in dem Sinne verfolgt, dass sie das Entstehen von Zweitwohnungen verhindern wollte. Dabei kann offen bleiben, ob der Einwand tatsächlich zutrifft. Wie der Senat wiederholt festgestellt hat, haben Zweitwohnungen in städtebaulicher Hinsicht vielfältige negative Folgen (vgl. nur Senat, Urt. v. 18.9.2014 - 1 KN 123/12 -, juris Rn. 30 = BauR 2015, 452), sodass es ein legitimes Ziel der Gemeinden darstellen kann, derartige Wohnnutzungen zu unterbinden. Vor diesem Hintergrund kann auch das Mittel der Erhaltungssatzung eingesetzt werden, um eine Verdrängung der ortsansässigen Wohnbevölkerung durch zahlungskräftigere Feriennutzer (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB) bzw. eine städtebaulich unerwünschte Verdichtung (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB) zu verhindern.

Unwirksam ist die Erhaltungssatzung in der Fassung vom 21. September 1987 auch nicht deshalb, weil deren § 3 Abs. 1 Satz 2 bei der Formulierung der Genehmigungsvoraussetzungen auf § 2 in der weiterhin gültigen Fassung vom 22. Mai 1985 verweist. § 2 nimmt zwar gleichermaßen auf die Erhaltungsgründe des § 39h Abs. 3 Nr. 1 (ortsbildprägende Anlagen) und Nr. 3 (Erhalt der Bevölkerungsstruktur) BBauG in der zum damaligen Zeitpunkt geltenden Fassung Bezug, während für die in § 3 der Satzung unter Genehmigungsvorbehalt gestellte Errichtung baulicher Anlagen nur der Erhaltungsgrund des an die Stelle des § 39h Abs. 3 Nr. 1 BBauG getretenen § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB 1987 gesetzlich anerkannt ist. Die Wirksamkeit des hier maßgeblichen § 3 Abs. 1 Satz 1 der Satzung stellt dies aber nicht in Frage. Die Aufgabe der Gemeinde beschränkt sich gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 BauGB darauf, die Gebiete zu bezeichnen, in denen die Erhaltungssatzung gelten soll; ferner muss sie die Gründe angeben. Alles weitere - insbesondere die Genehmigungsvoraussetzungen - folgt unmittelbar aus § 172 BauGB, ohne dass die Gemeinde über einen Regelungsspielraum verfügt. Verstieße daher § 3 Abs. 1 Satz 2 der Satzung gegen § 172 BauGB, hätte dies allenfalls zur Folge, dass § 3 Abs. 1 Satz 2, nicht aber Satz 1 unwirksam wäre. Die Genehmigungsvoraussetzungen ergäben sich weiterhin unmittelbar aus § 172 BauGB mit der Folge, dass die Genehmigung zur Neuerrichtung baulicher Anlagen nur versagt werden darf, wenn die städtebauliche Gestalt des Gebiets durch die beabsichtigte bauliche Anlage beeinträchtigt wird (§ 172 Abs. 3 Satz 2 BauGB).

Weitere Mängel können der Beklagte und die Beigeladene nicht mehr rügen. Gemäß § 215 Abs. 1 BauGB 1987 sind nach Ablauf von weit mehr als einem bzw. sieben Jahren nach Bekanntmachung der Satzung eine Verletzung der in § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 BauGB 1987 bezeichneten Verfahrens- und Formvorschriften sowie Mängel der Abwägung, und zwar sowohl des Abwägungsvorgangs wie auch des -ergebnisses, unbeachtlich.

Fernliegend ist die Überlegung der Beigeladenen, für den Abriss des Bestandsgebäudes sei aufgrund ihres unbeschiedenen Antrags auf Erteilung der Abbruchgenehmigung gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 i. V. mit § 22 Abs. 5 Satz 4 BauGB die Genehmigungsfiktion eingetreten, was zugleich die Neuerrichtung einer baulichen Anlage anstelle des Bestandsgebäudes einschließe. Ungeachtet der Tatsache, dass die erforderliche Abbruchgenehmigung gemäß § 173 Abs. 1 Satz 2 BauGB im Rahmen der Baugenehmigung zu erteilen gewesen wäre, es demzufolge an einer Zuständigkeit der Klägerin fehlte und die trotz fehlender Abbruchgenehmigung erteilte Baugenehmigung aufgrund der vom Senat jüngst bestätigten Schlusspunkttheorie (vgl. Senat, Urt. v. 30.4.2014, a. a. O., juris Rn. 17) auch aus diesem Grund rechtswidrig ist, ist das Gegenteil richtig. Abbruch und Neuerrichtung stellen - wie schon die unterschiedlichen Genehmigungsvoraussetzungen in § 172 Abs. 3 Satz 1 BauGB einerseits und Satz 2 andererseits zeigen - unterschiedliche Genehmigungstatbestände dar, die einer jeweils eigenständigen Beurteilung zu unterziehen sind. Eine Abbruchgenehmigung - sollte eine solche überhaupt vorliegen - schließt nicht die Genehmigung für die Errichtung eines neuen Gebäudes ein.

Der Senat folgt auch nicht der Auffassung der Beigeladenen und wohl auch des Beklagten, die Erhaltungssatzung Nr. 10 sei funktionslos bzw. es sei rechtsmissbräuchlich, wenn sich die Klägerin nunmehr darauf berufe. Mit beiden Einwänden hat sich der Senat bereits in seinem Beschluss vom 10. April 2013 (a. a. O., S. 3-4 BA) ausführlich auseinandergesetzt; darauf wird Bezug genommen. Dass eine Rechtsvorschrift zu Unrecht langjährig nicht angewendet wurde, führt - ohne dass diese Feststellung mit besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten i. S. von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO verbunden wäre - weder zu ihrer Funktionslosigkeit noch dazu, dass die Klägerin ihre Einhaltung nicht verlangen könnte. Gerade der vorliegende Fall belegt, dass die Erhaltungssatzung weiterhin eine Steuerung des Baugeschehens ermöglicht. Als Bauaufsichtsbehörde trifft zudem gerade und vorrangig den Beklagten - und eben nicht die Klägerin - die Pflicht, die Einhaltung des geltenden Baurechts sicherzustellen und durchzusetzen. Ob er dieser Pflicht vorsätzlich oder fahrlässig nicht genügt hat, ist in diesem Zusammenhang - anders als der Beklagte selbst meint - offenkundig ohne Belang.

Die Anwendbarkeit der Erhaltungssatzung lässt sich auch nicht mit dem Argument in Zweifel ziehen, das Vorhaben der Beigeladenen habe keine städtebauliche Relevanz. Der Beklagte missversteht die Normstruktur des § 172 BauGB/§ 39h BBauG. Genehmigungspflichtig sind danach verschiedene Handlungen, unter anderem der Abriss und die Errichtung baulicher Anlagen, und zwar jeweils unabhängig von der städtebaulichen Relevanz. Die städtebauliche Relevanz erlangt erst bei der Frage Bedeutung, ob die Genehmigung zu erteilen ist. Auf diese Frage kommt es in diesem Fall - wie im Folgenden noch zu erläutern ist - nicht an.

Schließlich ist entgegen der Auffassung der Beigeladenen das Einvernehmen der Klägerin zur Neuerrichtung der baulichen Anlage nicht als gemäß § 173 Abs. 1 i. V. mit § 22 Abs. 5 Satz 4 BauGB fingiert anzusehen. Richtig ist zwar, dass der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 7. November 2012 um ihr Einvernehmen ersucht und die Klägerin dieses nicht binnen Monatsfrist verweigert hat. Eine Einvernehmensfiktion ist gleichwohl nicht eingetreten. Der in § 173 Abs. 1 Satz 1 BauGB enthaltene Verweis auf § 22 Abs. 5 Satz 2 bis 5 BauGB bezieht sich nach dem eindeutigen Wortlaut und der Systematik der Vorschrift allein auf diejenigen Fälle, in denen die Gemeinde selbst die Genehmigung erteilt. Auf die Fälle, in denen - wie hier - der Landkreis gemäß § 173 Abs. 1 Satz 2 BauGB als Bauaufsichtsbehörde im Außenverhältnis auch in Bezug auf die Genehmigung nach einer Erhaltungssatzung tätig wird und die Gemeinde lediglich im Innenverhältnis über das Einvernehmen entscheidet, ist der Verweis nicht anwendbar. Das entspricht der klar formulierten gesetzgeberischen Zielsetzung. Danach sollte nur für den in § 173 Abs. 1 Satz 1 BauGB geregelten Fall, dass ein städtebauliches erhaltungsrechtliches Genehmigungsverfahren durchzuführen ist, die entsprechende Anwendung des § 22 Abs. 5 Satz 2 bis 5 BauGB angeordnet werden. Anderes sollte hingegen für die Fälle des § 173 Abs. 1 Satz 2 BauGB gelten, wenn über die erhaltungsrechtlichen Fragen im landesrechtlichen Bauordnungsverfahren mit entschieden wird. Das Bauordnungsrecht unterliege der Gesetzgebungszuständigkeit der Länder, deshalb gelte der neue in § 173 Abs. 1 Satz 1 BauGB eingefügte Halbsatz mit dem Verweis auf § 22 BauGB nicht für diese Fälle (vgl. BT-Drs. 17/3629, S. 60). Besondere rechtliche Schwierigkeiten bzw. eine grundsätzliche Bedeutung, die zu einer Berufungszulassung führen müssten, wirft damit auch dieser Einwand der Beigeladenen nicht auf.

Verstößt daher die Erteilung der Baugenehmigung ohne das Einvernehmen der Klägerin gegen § 3 Abs. 1 Satz 1 der Erhaltungssatzung Nr. 10 i. V. mit § 173 Abs. 1 Satz 2 BauGB, führt allein dieser formelle Verstoß - wie das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung insbesondere des Bundesverwaltungsgerichts zu der nach zutreffender Ansicht aller Beteiligten vergleichbaren Vorschrift des § 36 BauGB überzeugend dargelegt hat - zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung. Auf die materielle Rechtslage kommt es ebenso wenig an wie darauf, aus welchen Gründen - beispielsweise fehlende Beteiligung der Gemeinde, Irrtum über den Fristlauf, Versagung des Einvernehmens - das Einvernehmen der Gemeinde nicht erteilt wurde. Wie auch § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB räumt § 173 Abs. 1 Satz 2 BauGB der Gemeinde eine Art Mitentscheidungsbefugnis im Baugenehmigungsverfahren ein (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 23.6.2009 - 12 LC 136/07 -, juris Rn. 34 = NVwZ-RR 2009, 866 = BRS 74 Nr. 179). Dabei kommt der Gemeinde in noch stärkerem Maße als bei § 36 BauGB die Rechtsmacht zu, ihre Rechtsauffassung sowohl gegenüber der Bauaufsichtsbehörde als auch gegenüber dem Bauherrn durchzusetzen; eine § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB vergleichbare Ersetzungsbefugnis kennt § 173 BauGB nicht. Noch deutlicher als in § 36 BauGB hat der Gesetzgeber in dem Konflikt zwischen Planungshoheit der Gemeinde und Baufreiheit eine eindeutige Regelung getroffen, der zufolge gegen den Willen der Gemeinde bis zu einer gerichtlichen Klärung der Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens auf die Verpflichtungsklage des Bauherren hin keine Baugenehmigung erteilt werden darf (vgl. zu § 36 BauGBBVerwG, Beschl. v. 11.8.2008 - 4 B 25.08 -, juris Rn. 5 = NVwZ 2008, 1347 = BRS 73 Nr. 156; Urt. v. 26.3.2015 - 4 C 1.14 -, juris Rn. 17 = BauR 2015, 1457).

Ohne Erfolg berufen sich der Beklagte und die Beigeladene demgegenüber auf den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern (v. 2.6.2009 - 3 M 54/09 -, juris Rn. 30 = BauR 2010, 591 = BRS 74 Nr. 233). Die Entscheidung beruht - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - auf einem fehlerhaften Verständnis eines zu § 36 BauGB ergangenen Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts (v. 10.1.2006 - 4 B 48.05 -, juris Rn. 5 = BauR 2006, 815 = BRS 70 Nr. 151). Das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern entnimmt diesem Beschluss, dass bei einer Genehmigungserteilung trotz fehlendem Einvernehmen eine Rechtsverletzung der Gemeinde nur dann eintrete, wenn auch in materieller Hinsicht ein Rechtsverstoß vorliege. Dass dies nicht zutrifft, hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern nicht berücksichtigten Beschluss vom 11. August 2008 (a. a. O, juris Rn. 6) ausdrücklich klargestellt und betont, dass bereits die Missachtung des gesetzlich gewährleisteten Rechts der Gemeinde auf Einvernehmen zur Aufhebung der Baugenehmigung führt (ebenso BVerwG, Urt. v. 26.3.2015, a. a. O.).

Vor diesem Hintergrund lässt sich unter Hinweis auf den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern auch keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i. S. von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO begründen. Der Beschluss steht in offenkundigem Widerspruch zur ständigen und unlängst bekräftigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 36 BauGB, deren grundsätzliche Übertragbarkeit auch das Oberverwaltungsgericht bejaht; er ist deshalb überholt und wirft keine klärungsbedürftigen Fragen auf. Divergenz i. S. von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO liegt schon deshalb nicht vor, weil nur eine Abweichung von einer Entscheidung „des“ Oberverwaltungsgerichts, also des im Instanzenzug unmittelbar über dem entscheidenden Verwaltungsgericht stehenden Gerichts eine Divergenz begründen kann.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3 i. V. mit § 162 Abs. 3 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG. Der Senat legt dabei in Orientierung an Nr. 1 f) und Nr. 3 a) seiner Streitwertannahmen (NdsVBl. 2002, 192) für die Beigeladene einen Wert von insgesamt 54.000,- EUR (6 Apartments à 6.000,- EUR zuzüglich 50 % Gewerbezuschlag) und für den Beklagten sein mindestens in gleicher Höhe zu berücksichtigendes Interesse, Schadensersatzforderungen der Beigeladenen zu vermeiden, zu Grunde. Aufgrund von § 47 Abs. 2 Satz 1 GKG bleibt der Streitwert auf den erstinstanzlichen Wert begrenzt, der auf die Beteiligten zu gleichen Teilen entfällt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).