Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 02.09.2015, Az.: 9 LA 316/14
Aufwandspaltung; Aufwandspaltungsbeschluss; Teilbeitrag; Teilmaßnahme; Verjährung; Vorteilslage; Zeitspanne
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 02.09.2015
- Aktenzeichen
- 9 LA 316/14
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2015, 45055
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 23.09.2014 - AZ: 3 A 282/11
Rechtsgrundlagen
- § 6 Abs 6 KAG ND
- § 6 Abs 2 KAG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 (1 BvR 2457/08, BVerfGE 133,143), wonach eine zeitlich unbegrenzte Festsetzbarkeit vorteilsausgleichender kommunaler Abgaben verfassungswidrig ist, lässt sich nicht folgern, dass die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung, derzufolge ein Aufwandspaltungsbeschluss nicht im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Ausbaumaßnahme stehen muss, überholt ist.
Tenor:
Der Antrag der Klägerin, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen - Einzelrichter der 3. Kammer - vom 23. September 2014 zuzulassen, wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 389,34 EUR festgesetzt.
Gründe
Der auf § 124 Abs. 2 Nrn. 1 und 5 VwGO gestützte Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Weder liegen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne der Nr. 1 vor, noch besteht ein die Zulassung der Berufung rechtfertigender Verfahrensmangel im Sinne der Nr. 5.
Zur Geltendmachung ernstlicher Zweifel trägt die Klägerin vor: Zwischen der Herstellung der abgerechneten Straßenbeleuchtung im Jahr 1994 und dem - nach Ansicht des Verwaltungsgerichts zum Entstehen der sachlichen Beitragspflicht führenden - Aufwandsspaltungsbeschluss der Beklagten vom 18. Oktober 2007 lägen 13 Jahre. Die Rechtsprechung des beschließenden Senats vom 20. September 2005 (9 ME 365/14), wonach eine solche Zeitspanne rechtlich unbedenklich sei, müsse im Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 5. März 2013 (- 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143) überprüft werden. Nach den dort vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen sei es als verfassungswidrig anzusehen, dass die Beitragspflicht nach § 9 Abs. 2 der Straßenausbaubeitragssatzung der Beklagten erst mit dem Ausspruch der Aufwandsspaltung entstehe. Es müsse in Übereinstimmung mit dem Wortlaut des § 6 Absätze 2 und 6 NKAK angenommen werden, dass der Beitragsanspruch mit der Beendigung der abgerechneten Teilmaßnahme im Jahr 1994 entstanden und zwischenzeitlich daher verjährt sei.
Diesem Vorbringen lassen sich ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils nicht entnehmen. Entgegen der Annahme der Klägerin steht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Aufwandsspaltung auch erst 13 Jahre nach Abschluss der Bauarbeiten an einer Teileinrichtung beschlossen werden könne, in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 5. März 2013. In dieser Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht eine landesgesetzliche Regelung für verfassungswidrig erklärt, die den Lauf einer Verjährungsfrist erst mit der Bekanntmachung einer wirksamen Satzung beginnen ließ. Zur Begründung hat das Gericht angeführt, Abgaben zum Vorteilsausgleich könnten nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden; lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge dürften nicht unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden; der Vorteilsempfänger müsse in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen können, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen müsse.
Aus diesen Erwägungen lässt sich nicht folgern, die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung (BVerwG, Urteil vom 21.9.1973 - IV C 39.72 - DVBl 1974, 294 = KStZ 1974, 112; Nds OVG Beschluss vom 27.11.2006 - 9 LA 241/05 - und vom 20.9.2005 - 9 ME 365/14 -), wonach ein Aufwandsspaltungsbeschluss, der 13 Jahre nach Beendigung der Bauarbeiten an einer Teileinrichtung ergeht, zum Entstehen der sachlichen Beitragspflicht führt und daher erst die Verjährungsfrist im Lauf setzt, verfassungswidrig ist. Die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit geht im Ansatz davon aus, dass sich der Ausbau einer Straße häufig über einen längeren Zeitraum hinzieht und in vielen Fällen erst abgeschlossen ist, wenn alle in der Baulast der Gemeinde stehenden Teileinrichtungen auf der gesamten Länge der Straße ausgebaut sind. Die Gemeinden bauen vielfach zunächst einzelne Teileinrichtungen aus und behalten sich eine Entscheidung darüber vor, wann und unter welchen Umständen der Ausbau weiterer Teileinrichtungen beginnt. In solchen Fällen verschafft das Rechtsinstitut der Aufwandsspaltung den Gemeinden die Möglichkeit, den an der ausgebauten Teileinrichtung entstandenen Aufwand schon vor dem Entstehen der sachlichen Beitragspflicht für die gesamte Einrichtung vorzufinanzieren. Wann und unter welchen Umständen es für die Gemeinden sinnvoll erscheint, von dieser Möglichkeit zur Vorfinanzierung Gebrauch zu machen, hängt ganz von den Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalls ab. Entscheidet sich eine Gemeinde erst geraume Zeit - etwa 13 Jahre - nach Abschluss der Bauarbeiten an einer Teileinrichtung für eine Vorfinanzierung im Wege der Aufwandsspaltung, so wird der Beitragspflichtige dadurch nicht unangemessen nachteilig betroffen. Denn zum einen wirkt sich die späte Heranziehung angesichts des zwischenzeitlich eingetretenen Kaufkraftverlustes eher günstig für ihn aus. Zum anderen musste er ohnehin damit rechnen oder ist in den meisten Fällen bekannt, dass noch weitere kostenpflichtige Maßnahmen an der bisher nur teilweise ausgebauten Straße vorgenommen werden. Die dargelegte Ausgangslage bei der Aufwandsspaltung im Straßenausbaubeitragsrecht unterscheidet sich in wesentlicher Hinsicht von der Situation im vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall, die dadurch gekennzeichnet war, dass das Entstehen der Beitragsschuld aufgrund einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung von der - seitens der Beitragspflichtigen nicht einschätzbaren - Wirksamkeit einer Beitragssatzung abhängig gewesen ist und in der Natur der Sache liegende Gründe ein weiteres Hinausschieben des Beginns der Verjährungsfrist nicht rechtfertigen konnten.
Die Forderung der Klägerin, dass die Verjährung mit Beendigung der Teilmaßnahme entstehen müsse, verkennt zudem die Systematik des Beitragsrechts. Sie wäre nur gerechtfertigt, wenn die Abrechnung von Teilmaßnahmen ein Regelfall wäre. Das ist sie aber nicht. Vielmehr geht das Beitragsrecht davon aus, dass die Vorteilslage erst dann vollständig mit der Folge, dass abgerechnet werden kann, entsteht, wenn die Straße insgesamt, also mit allen Teileinrichtungen, ausgebaut ist. Die Beendigung einer Teilmaßnahme soll zum Entstehen der Vorteilslage, an die das Gesetz die Beitragspflicht knüpft, also gerade nicht ausreichen. Sie soll nur im Ausnahmefall zur Erhebung eines Teilbeitrags genügen, nämlich wenn sich die Gemeinde zur Vorfinanzierung entscheidet und daher einen Aufwandsspaltungsbeschluss fasst. Letzterer ist also zwingend für die Abrechnung schon einer Teilmaßnahme, so dass ohne ausdrückliche Aufwandsspaltung, mithin schon durch die bloße Beendigung der Teilmaßnahme, die (Teil-)Beitragsschuld für den Ausbau der Teileinrichtung nicht entstehen und der Lauf der Verjährung daher nicht beginnen kann. Da die Vorteilslage, auf deren Eintritt das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 5. März 2013 maßgeblich abstellt, nach der Systematik des Beitragsrechts somit im Regelfall erst mit dem Ausbau aller in der Baulast der Gemeinde befindlichen Teileinrichtungen entsteht, kann in den Fällen einer Vorfinanzierung durch Aufwandsspaltung schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht angenommen werden, die Gemeinde habe nicht hinreichend zügig nach Eintritt der Vorteilslage gehandelt.
Die Klägerin erblickt einen Verfahrensmangel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO darin, dass das Verwaltungsgericht keine eigenen Ermittlungen zur Festlegung der maßgeblichen öffentlichen Einrichtung angestellt, sondern sich in der Urteilsbegründung lediglich auf eine Inaugenscheinnahme der Örtlichkeiten bezogen habe, die ein anderer Einzelrichter in einem Rechtsstreit um die Abrechnung des Gehwegs an der hier in Rede stehenden öffentlichen Einrichtung durchgeführt habe. Sie meint, wenn sich der Einzelrichter einen eigenen Eindruck vor Ort verschafft hätte, so hätte er festgestellt, dass jeweils vier Straßenleuchten auf der nördlichen und der südlichen Straßenseite vorhanden seien, und wäre er zu der Auffassung gelangt, dass bezüglich der Nordseite ein Abschnittsbildungsbeschluss und hinsichtlich der Südseite ein gesonderter Bescheid fehle.
Dieses Vorbringen rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung wegen eines Verfahrensmangels. Die Übernahme von Feststellungen, die ein anderer Einzelrichter in einem anderen Verfahren zu den Örtlichkeiten getroffen hat, erscheint zwar im Blick auf die Maßgeblichkeit des persönlichen Eindrucks bedenklich, zumal die von dem anderen Einzelrichter angewendeten Kriterien für die Festlegung der öffentlichen Einrichtung unzutreffend sind (für das tatsächliche Erscheinungsbild kommt es bei den Ortsdurchfahrten klassifizierter Straßen auch auf die Teileinrichtungen an, die nicht in der Baulast der Gemeinde stehen). Die Übernahme hat aber jedenfalls keine Auswirkung auf die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung gehabt, so dass Letztere auf einem etwaigen Verfahrensmangel nicht beruht. Denn das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Urteil unabhängig von der Feststellung des anderen Einzelrichters ausgeführt, dass „an der gesamten Länge der abgerechneten Anlage … insgesamt acht Straßenlampen“ errichtet worden sind. Aus einer Skizze in der Beiakte A ergibt sich auch die genaue Position dieser acht Lampen, so dass feststeht, dass östlich der einmündenden Straße Im Dorfe vier Lampen auf der Südseite und westlich davon vier Lampen auf der Nordseite vorhanden sind. Bei der rechtlichen Bewertung der Beidseitigkeit der Beleuchtung verkennt die Klägerin, dass es sich auch bei Straßenlampen, die auf verschiedenen Seiten eines bei natürlicher Betrachtungsweise zusammenhängenden Straßenzugs stehen, um eine einheitliche Teileinrichtung Straßenbeleuchtung handelt. Sie ist vorliegend auf der gesamten Länge der Ortsdurchfahrt ausgebaut worden, so dass sie - wie geschehen - ohne Abschnittsbildung durch einen einzigen Bescheid abgerechnet werden kann. Aus dem Akteninhalt lässt sich somit ohne weitere Ermittlungen entnehmen, dass die vorliegende Abrechnung der Straßenbeleuchtung nicht die von der Klägerin im Rahmen ihrer Verfahrensrüge genannten Mängel aufweist.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus den §§ 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).