Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 02.09.2015, Az.: 9 LA 274/14
Anliegeranteil; Außenbereichsstraße; Einstufung; Gemeindeanteil; Straße; Straßenausbaubeitrag; Verkehrsplanung; Verkehrsverhältnisse
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 02.09.2015
- Aktenzeichen
- 9 LA 274/14
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2015, 45054
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 08.07.2014 - AZ: 1 A 3535/12
Rechtsgrundlagen
- § 6 Abs 5 S 4 KAG ND
- § 47 Nr 3 StrG ND
- § 47 Nr 2 StrG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Bei der Einstufung von Straßen sind die tatsächlichen Verkehrsverhältnisse zugrunde zu legen, die in der Regel aber nur anhand von Erfahrungswerten ermittelt werden müssen; insoweit sind die Funktion der Straße nach ihrer Lage im Gesamtverkehrsnetz und der Verkehrsplanung der Gemeinde, ihr darauf beruhender Ausbauzustand und die straßenrechtliche Gewichtung der Straße bedeutsam.
2. Ausbaumaßnahmen an einer Außenbereichsstraße können nur abgerechnet werden, wenn die Straße nach dem Ausmaß der Inanspruchnahme durch Anlieger und Allgemeinheit einem der Typen von Außenbereichsstraßen entspricht, für die der Anliegeranteil/Gemeindeanteil in der Straßenausbaubeitragssatzung festgelegt ist.
Tenor:
Auf den Antrag des Klägers wird die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Einzelrichter der 1. Kammer - vom 8. Juli 2014 zugelassen.
Das Berufungsverfahren wird unter dem
Aktenzeichen 9 LB 122/15 geführt.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat Erfolg. Der Kläger hat entsprechend den Anforderungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils sind dargelegt, wenn aufgrund der Begründung des Zulassungsantrags gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts sprechende Gründe zutage treten. Das ist der Fall, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt worden ist. Hier hat der Kläger zutreffend ausgeführt, dass das Verwaltungsgericht bei der Einstufung des D. Wegs im Rahmen der Prüfung des Anteils der Beitragspflichtigen bzw. des Anteils der Beklagten am Aufwand für den Ausbau eines Teilstücks dieses Wegs von fehlerhaften rechtlichen Annahmen ausgegangen ist.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (siehe u. a. Beschlüsse vom 21.10.2014 - 9 ME 255/13 - und 12.3.2004 - 9 ME 45/04 - Rn. 3 in juris, jeweils m.w.N.) ist für die Einstufung einer Straße bzw. für die Festlegung des besonderen Vorteils der Allgemeinheit vom Straßenausbau im Sinne des § 6 Abs. 5 Satz 4 NKAG von ausschlaggebender Bedeutung, welcher Verkehr zu den vom Straßenausbau bevorteilten Anlieger- und Hinterliegergrundstücken hinführt und von ihnen ausgeht und welchen Anteil dieser sogenannte Ziel- und Quellverkehr zu und von den bevorteilten Grundstücken am Gesamtverkehrsaufkommen auf der betreffenden Straße ausmacht. Bei der Anwendung dieses Maßstabs auf die jeweiligen Verhältnisse im Einzelfall ist im Interesse der Verwaltungspraktikabilität eine typisierende Betrachtungsweise zulässig, die zwar die tatsächlichen Verkehrsverhältnisse zugrunde legen muss, diese aber (zumindest im Regelfall) nur anhand von Erfahrungswerten zu ermitteln braucht. Insoweit sind bedeutsam die Funktion der Straße nach ihrer Lage im Gesamtverkehrsnetz und der Verkehrsplanung der Gemeinde, ihr darauf beruhender Ausbauzustand (u. a. Breite, Länge, vorhandene Teileinrichtungen) und die straßenrechtliche Gewichtung der Straße. Ferner sind aber auch gerade die tatsächlichen Verkehrsverhältnisse, aufgrund derer die Verkehrsplanung überholt sein kann, von entscheidender Bedeutung.
Von diesen Grundsätzen ist das Verwaltungsgericht in seinem Urteil abgewichen. Denn obwohl das Verwaltungsgericht den klägerischen Vortrag, der D. Weg diene überwiegend dem anliegerfremden Verkehr (als Abkürzung für Einkaufsfahrten in das Gewerbegebiet an der E. Straße), angesichts des geringen Anliegerverkehrs für nachvollziehbar gehalten und ferner festgestellt hat, dass dieser Weg Teil der touristischen Erschließung ist, hat es bei dessen Einstufung nicht maßgeblich auf die tatsächlichen Verkehrsverhältnisse bzw. darauf abgestellt, wem dieser Weg tatsächlich dient. Denn ausweislich seiner Urteilsgründe ist für das Verwaltungsgericht ausschlaggebend gewesen, dass der Weg “für die Zwecke der Landwirtschaft mit entsprechenden Fördergelder“ und “wegen der Inanspruchnahme durch landwirtschaftliche Fahrzeuge der Anlieger ausgebaut“ worden sei. Der Weg sei “schon vom Ausbaustandard her nicht geeignet, in nennenswerten Umfang mehr als landwirtschaftlichen Anliegerverkehr aufzunehmen“. Die touristische Nutzung erfolge lediglich “unter Ausnutzung der vorhandenen Infrastruktur.“ Diese sei für den Ausbau nicht bestimmend gewesen. Es ist jedoch nach der Rechtsprechung des Senats nicht allein maßgebend, welche Zielvorstellungen die Gemeinde beim Ausbau verfolgt und welchen Verkehr sie auf der von ihr ausgebauten Straße haben will. Entscheidend ist, welcher Verkehr zu den vom Straßenausbau bevorteilten Grundstücken hinführt und von ihnen ausgeht und welchen Anteil dieser Ziel- und Quellverkehr am Gesamtverkehrsaufkommen tatsächlich ausmacht. Bei der Beurteilung dessen können die Funktion der Straße und ihr Ausbauzustand bei der zulässigen typisierenden Betrachtung nach Erfahrungswerten bedeutsam sein. Die tatsächlichen Verkehrsverhältnisse, nach denen eine für die Straße nach der Verkehrsplanung der Gemeinde ursprünglich vorgesehene Funktion überholt sein kann, sind aber in jedem Fall entscheidend zu berücksichtigen.
Diese Abweichungen von der Rechtsprechung des Senats sind auch entscheidungserheblich und führen zur Zulassung der Berufung in vollem Umfang. Denn sollte hier, wie das Verwaltungsgericht angenommen hat, der Fremdverkehr gegenüber dem Anliegerverkehr tatsächlich (deutlich) überwiegen, was ausweislich des Abschnittsbildungsbeschlusses der Beklagten vom 25. März 2014, in dem als “Strategisches Ziel“ des Ausbaus u. a. eine Positionierung als “Wirtschafts- und Tourismusstandort“ genannt worden ist, und des touristischen Werbematerials der Beklagten (Bl. 114 und 115 der Gerichtsakte) auch weder zu der Verkehrsplanung der Beklagten noch zu dem Ausbauzustand des Weges, der zwar nur 3,40 m breit ist, aber mit einem Verbundsteinpflaster eine hochwertige Fahrbahndecke erhalten hat, im Widerspruch steht, fehlt eine entsprechende Regelung in der Straßenausbaubeitragssatzung der Beklagten. Denn diese sieht in ihrem § 4 für Gemeindeverbindungsstraßen im Sinne des § 47 Nr. 2 NStrG - eine solche liegt hier nach den insoweit zutreffenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts ersichtlich nicht vor - einen auf die Stadt entfallenden Anteil am beitragsfähigen Aufwand von 80 % und für alle anderen Straßen im Außenbereich im Sinne von § 47 Nr. 3 NStrG einen auf die Stadt entfallenden Anteil von nur 25 % (wie bei innerörtlichen Anliegerstraßen) vor. Eine Regelung für Außenbereichsstraßen, die nicht überwiegend von den Anliegern genutzt werden, aber auch nicht Gemeindeverbindungsstraßen sind, fehlt in der Satzung der Beklagten. Auch bei Außenbereichsstraßen muss der Gemeindeanteil jedoch vorteilsgerecht abgestuft sein, und zwar sowohl im Verhältnis der Außenbereichsstraßen zueinander als auch in deren Verhältnis zu den Innerortsstraßen. Nur wenn die ausgebaute Straße einem der Typen von Außenbereichsstraßen, für die der Anliegerteil/Gemeindeanteil in der Straßenausbaubeitragssatzung festgelegt ist, nach dem Ausmaß der Inanspruchnahme durch Anlieger und Allgemeinheit bei typisierender Betrachtung in etwa entspricht, liegt eine für die Abrechnung ausreichende Bestimmung des Gemeindeanteils nach § 6 Abs. 5 Satz 4 NKAG vor (Senatsbeschluss vom 19.12.2008 - 9 LA 99/06 - Rn. 9 in juris).
Das Zulassungsverfahren wird als Berufungsverfahren fortgeführt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht (§ 124a Abs. 5 Satz 5 VwGO). Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht, Uelzener Straße 40, 21335 Lüneburg, oder Postfach 2371, 21313 Lüneburg, einzureichen. Die Begründung ist schriftlich oder in elektronischer Form nach Maßgabe der Niedersächsischen Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in der Justiz einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig (§ 124a Abs. 3 Sätze 3 bis 5 und Abs. 6 VwGO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).