Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 20.05.2021, Az.: 13 MN 263/21
Corona; Einzelhandel; Normenkontrolleilverfahren; Testobliegenheit; Testpflicht
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 20.05.2021
- Aktenzeichen
- 13 MN 263/21
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2021, 71160
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 12 Abs 1 GG
- Art 3 Abs 1 GG
- § 28 IfSG
- § 28a IfSG
- § 32 IfSG
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert des Verfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der zuletzt sinngemäß gestellte Antrag (Schriftsatz der Antragstellerin v. 18.5.2021, S. 1 f.),
§ 10 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 der Niedersächsischen Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Verordnung) vom 30. Oktober 2020 (Nds. GVBl. S. 368), zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Corona-Verordnung und der Niedersächsischen Quarantäne-Verordnung vom 8. Mai 2021 (Nds. GVBl. S. 253), im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO vorläufig außer Vollzug zu setzen,
bleibt ohne Erfolg. Der zulässige Antrag (1.) ist unbegründet (2.).
Diese Entscheidung, die nicht den prozessrechtlichen Vorgaben des § 47 Abs. 5 VwGO unterliegt (vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 607; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 110 ff.), trifft der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 12.6.2009 - 1 MN 172/08 -, juris Rn. 4 m.w.N.) und gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 NJG ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter.
1. Der Normenkontrolleilantrag ist zulässig.
a. Der Normenkontrolleilantrag ist nach § 47 Abs. 6 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 2 VwGO und § 75 NJGstatthaft. Die Niedersächsische Corona-Verordnung ist eine im Range unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschrift im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit § 75 NJG (vgl. zu den insoweit bestehenden Anforderungen: Senatsbeschl. v. 31.1.2019 - 13 KN 510/18 -, NdsRpfl. 2019, 130 f. - juris Rn. 16 ff.).
b. Der Antrag ist zutreffend gegen das Land Niedersachsen als normerlassende Körperschaft im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 2 VwGO gerichtet. Das Land Niedersachsen wird durch das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung vertreten (vgl. Nr. II. des Gemeinsamen Runderlasses der Staatskanzlei und sämtlicher Ministerien, Vertretung des Landes Niedersachsen, v. 12.7.2012 (Nds. MBl. S. 578), zuletzt geändert am 23.3.2021 (Nds. MBl. S. 546), in Verbindung mit Nr. 4.22 des Beschlusses der Landesregierung, Geschäftsverteilung der Niedersächsischen Landesregierung, v. 17.7.2012 (Nds. MBl. S. 610), zuletzt geändert am 23.3.2021 (Nds. MBl. S. 516)).
c. Die nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO erforderliche Antragsbefugnis (vgl. zu den insoweit bestehenden Anforderungen: Senatsbeschl. v. 23.12.2020 - 13 MN 506/20 -, juris Rn. 20 m.w.N.) ist gegeben.
§ 10 Abs. 3 der Niedersächsischen Corona-Verordnung lautet: |
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„(3) 1Die Inhaberinnen, Inhaber, Betreiberinnen und Betreiber von Verkaufsstellen des Einzelhandels, einschließlich der Outlet-Center und der Verkaufsstellen in Einkauscentern, sind verpflichtet, Maßnahmen aufgrund eines Hygienekonzepts nach § 4 zu treffen. 2Für Kundinnen, Kunden, Besucherinnen und Besucher der Verkaufsstellen im Sinne des Satzes 1 gilt § 5 a; abweichend von Halbsatz 1 gilt § 5 a nicht für Kundinnen, Kunden, Besucherinnen und Besucher der Verkaufsstellen für die Versorgung mit Lebensmitteln oder mit Gütern oder Dienstleistungen des täglichen Bedarfs in den Betrieben und Einrichtungen |
1. des Lebensmittelhandels, |
2. der Wochenmärkte, |
3. des landwirtschaftlichen Direktverkaufs und der Hofläden, |
4. des Getränkehandels, |
5. der Abhol- und Lieferdienste, |
6. der Reformhäuser, |
7. der Babyfachgeschäfte, |
8. der Apotheken, Sanitätshäuser und Drogerien, |
9. der Optikerinnen, Optiker, Hörgeräteakustikerinnen und Hörgeräteakustiker, des Orthopädieschuhmacher-Handwerks und des Handwerks der Orthopädietechnik, |
10. der Tankstellen und Autowaschanlagen, |
11. der Kraftfahrzeug- oder Fahrrad-Werkstätten und der Reparaturwerkstätten für Elektronikgeräte, |
12. der Banken und Sparkassen, |
13. der Poststellen, |
14. der Reinigungen, |
15. der Waschsalons, |
16. der Zeitungsverkaufsstellen, |
17. des Buchhandels, |
18. des Tierbedarfshandels, |
19. des Futtermittelhandels, |
20. der Verkaufsstellen für Schnittblumen, Topfblumen und Topfpflanzen, Blumengestecke und Grabschmuck sowie des gärtnerischen Facheinzelhandels wie Gärtnereien, Gartencenter und Gartenmärkte, |
21. des Brenn- und Heizstoffhandels, |
22. des Brief- und Versandhandels, |
23. der Verkaufsstellen von Fahrkarten für den Personenverkehr. |
3Satz 2 Halbsatz 2 gilt auch in Bezug auf Verkaufsstellen mit gemischtem Sortiment, das auch regelmäßig Waren umfasst, die dem Sortiment einer der in Satz 2 Halbsatz 2 Nrn. 1 bis 9 und 16 bis 20 genannten Verkaufsstellen entsprechen, wenn die Waren den Schwerpunkt des Sortiments bilden. 4Für Verkaufsstellen des Einzelhandels mit |
nicht mehr als 200 Quadratmetern Verkaufsfläche, für deren Kundinnen, Kunden, Besucherinnen und Besucher nicht bereits nach Satz 2 Halbsatz 2 die Pflicht zur Testung nach § 5 a nicht gilt, sind statt der Testung nach § 5 a die Beratung und der Verkauf von jeglicher Ware in den Geschäftsräumen nach vorheriger Terminvereinbarung und unter Wahrung des Abstandsgebots nach § 2 Abs. 2 Satz 1 zulässig, wobei sich in den Geschäftsräumen nur eine Kundin oder ein Kunde mit jeweils einer Begleitperson je 20 Quadratmeter Verkaufsfläche aufhalten darf. 5In Verkaufsstellen des Einzelhandels im Sinne des Satzes 2 Halbsatz 2 ist neben der Durchführung von Maßnahmen nach dem nach § 4 erforderlichen Hygienekonzept sicherzustellen, dass sich |
1. in einem Betrieb mit einer Verkaufsfläche von nicht mehr als 800 Quadratmetern nur eine Kundin oder ein Kunde je 10 Quadratmeter Verkaufsfläche und |
2. in einem Betrieb mit einer Verkaufsfläche von mehr als 800 Quadratmetern |
a) in Bezug auf die Verkaufsfläche bis 800 Quadratmeter nur eine Kundin oder ein Kunde je 10 Quadratmeter Verkaufsfläche und |
b) in Bezug auf die 800 Quadratmeter übersteigende Verkaufsfläche nur eine Kundin oder ein Kunde je 20 Quadratmeter Verkaufsfläche aufhält. |
6Für die übrigen Verkaufsstellen des Einzelhandels im Sinne des Satzes 1 gilt Satz 5 Nrn. 1 und 2 Buchst. a mit der Maßgabe, dass sich in dem Betrieb nur eine Kundin oder ein Kunde je 20 Quadratmeter Verkaufsfläche aufhält, und Satz 5 Nr. 2 Buchst. b mit der Maßgabe, dass sich in dem Betrieb nur eine Kundin oder ein Kunde je 40 Quadratmeter Verkaufsfläche aufhält. 7Für Einkaufszentren und die Betriebe des Einzelhandels in diesen Einkaufszentren sind im Rahmen des Hygienekonzepts nach § 4 abgestimmte Maßnahmen zu treffen, die der Vermeidung von Warteschlangen dienen.“ |
Es erscheint möglich, dass die in § 10 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 der Verordnung angeordnete Testobliegenheit der Kunden der Antragstellerin ihre Grundrechte als Inhaberin eines Einzelhandelsgeschäfts aus Art. 12 Abs. 1 GG und aus Art. 3 Abs. 1 GG jeweils in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG verletzt.
2. Der Normenkontrolleilantrag ist aber unbegründet.
Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht in Normenkontrollverfahren auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind zunächst die Erfolgsaussichten eines Normenkontrollantrages im Hauptsacheverfahren, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Ergibt diese Prüfung, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag voraussichtlich Erfolg haben wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind im Rahmen der sog. "Doppelhypothese" die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe müssen die gegenläufigen Interessen deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.4.2019 - BVerwG 4 VR 3.19 -, juris Rn. 4 (zur Normenkontrolle eines Bebauungsplans); OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 22.10.2019 - 6 B 11533/19 -, juris Rn. 5 (zur Normenkontrolle einer Rechtsverordnung über die Freigabe eines verkaufsoffenen Sonntags); Sächsisches OVG, Beschl. v. 10.7.2019 - 4 B 170/19 -, juris Rn. 20 (zur Normenkontrolle einer Rechtsverordnung zur Bildung und Arbeit des Integrationsbeirats); Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 11.5.2018 - 12 MN 40/18 -, juris Rn. 24 ff. (zur Normenkontrolle gegen die Ausschlusswirkung im Flächennutzungsplan) jeweils m.w.N.).
Hieran gemessen kommt eine vorläufige Außervollzugsetzung nicht in Betracht. Es ist offen, ob § 10 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 der Niedersächsischen Corona-Verordnung in einem Verfahren über einen noch zu erhebenden Normenkontrollantrag für unwirksam zu erklären wäre. Die danach gebotene Folgenabwägung führt derzeit nicht zu einem Überwiegen der für eine Außervollzugsetzung sprechenden Gründe.
a. Der Senat geht davon aus, dass die streitgegenständliche Verordnungsregelung in § 32 Sätze 1 und 2 in Verbindung mit §§ 28 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG -) vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) in der durch das Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. April 2021 (BGBl. I S. 802) geänderten Fassung eine tragfähige Rechtsgrundlage findet (vgl. hierzu im Einzelnen und näherer Begründung zuletzt: Senatsbeschl. v. 24.3.2021 - 13 MN 145/21 -, juris Rn. 28 ff.).
b. Für den Senat besteht auch kein Anlass, an der formellen Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Verordnungsregelung zu zweifeln. Diese ist insbesondere gemäß § 1 Abs. 4 NVOZustG wirksam eilverkündet worden (vgl. hierzu im Einzelnen: Senatsbeschl. v. 11.3.2021 - 13 MN 70/21 -, juris Rn. 18 ff.; v. 11.11.2020 - 13 MN 485/20 -, juris Rn. 19 ff. m.w.N.).
c. Der Senat geht unter Zugrundelegung seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. zuletzt mit eingehender Begründung und weiteren Nachweisen etwa den Senatsbeschl. v. 5.1.2021 - 13 MN 582/20 -, Umdruck S. 4 ff.; v. 30.11.2020 - 13 MN 519/20 -, juris Rn. 26 ff.) und unter Berücksichtigung des aktuellen Infektionsgeschehens (vgl. hierzu die Angaben im täglichen Situationsbericht des Robert Koch-Instituts unter www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Gesamt.html und des Niedersächsischen Landesgesundheitsamts unter www.niedersachsen.de/Coronavirus/aktuelle_lage_in_niedersachsen/) auch davon aus, dass die materielle Rechtmäßigkeit der Niedersächsischen Corona-Verordnung im Hinblick auf das "Ob" eines staatlichen Handelns keinen durchgreifenden Bedenken ausgesetzt ist.
d. Auch der von der streitgegenständlichen Verordnungsregelung betroffene Adressatenkreis ist nicht zu beanstanden.
Wird ein Kranker, Krankheitsverdächtiger, Ansteckungsverdächtiger oder Ausscheider festgestellt, begrenzt § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG den Handlungsrahmen der Behörde nicht dahin, dass allein Schutzmaßnahmen gegenüber der festgestellten Person in Betracht kommen. Die Vorschrift ermöglicht Regelungen gegenüber einzelnen wie mehreren Personen. Vorrangige Adressaten sind zwar die in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG benannten Personengruppen. Bei ihnen steht fest oder besteht der Verdacht, dass sie Träger von Krankheitserregern sind, die bei Menschen eine Infektion oder eine übertragbare Krankheit im Sinne von § 2 Nr. 1 bis Nr. 3 IfSG verursachen können. Wegen der von ihnen ausgehenden Gefahr, eine übertragbare Krankheit weiterzuverbreiten, sind sie schon nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehr- und Polizeirechts als "Störer" anzusehen. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG können aber auch (sonstige) Dritte ("Nichtstörer") Adressat von Maßnahmen sein, beispielsweise um sie vor Ansteckung zu schützen (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.3.2012 - BVerwG 3 C 16.11 -, BVerwGE 142, 205, 212 f. - juris Rn. 25 f.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 3.4.2020 - OVG 11 S 14/20 -, juris Rn. 8 f.).
Aus infektionsschutzrechtlicher Sicht maßgeblich ist insoweit allein der Bezug der durch die konkrete Maßnahme in Anspruch genommenen Person zur Infektionsgefahr. Dabei gilt für die Gefahrenwahrscheinlichkeit kein strikter, alle möglichen Fälle gleichermaßen erfassender Maßstab. Vielmehr ist der im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht geltende Grundsatz heranzuziehen, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Dafür sprechen das Ziel des Infektionsschutzgesetzes, eine effektive Gefahrenabwehr zu ermöglichen (§§ 1 Abs. 1, 28 Abs. 1 IfSG), sowie der Umstand, dass die betroffenen Krankheiten nach ihrem Ansteckungsrisiko und ihren Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen unterschiedlich gefährlich sind. Im Falle eines hochansteckenden Krankheitserregers, der bei einer Infektion mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer tödlich verlaufenden Erkrankung führen würde, drängt sich angesichts der schwerwiegenden Folgen auf, dass die vergleichsweise geringe Wahrscheinlichkeit eines infektionsrelevanten Kontakts genügt (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.3.2012 - BVerwG 3 C 16.11 -, BVerwGE 142, 205, 216 - juris Rn. 32).
Derzeit sinkt die Zahl der täglichen Neuinfektionen in Deutschland und Niedersachsen deutlich. Die Infektionszahlen befinden sich aber noch auf einem stark erhöhten Niveau. Für den Senat steht nach seiner bisherigen Rechtsprechung fest, dass Zusammenkünfte in geschlossenen Räumen, mit einer Vielzahl von Personen und längerer Verweildauer ein signifikant erhöhtes Risiko der Infektion mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 in sich tragen (vgl. zuletzt mit weiteren zahlreichen Nachweisen zur Senatsrechtsprechung: Senatsbeschl. v. 25.11.2020 - 13 MN 487/20 -, juris Rn. 83). Auch in Einzelhandelsbetrieben besteht die konkrete Möglichkeit, dass sich eine Vielzahl von Kunden und Mitarbeitern unmittelbar persönlich begegnen, so dass von einer das allgemeine Infektionsrisiko erhöhenden Gefahrenlage auszugehen ist. Damit besteht auch für die hier zu beurteilende Fallkonstellation ein hinreichend konkreter Bezug zu einer Infektionsgefahr.
e. Auch die in der streitgegenständlichen Verordnungsregelung gewählte Art der Schutzmaßnahme ist nicht zu beanstanden.
§ 28 Abs. 1 IfSG liegt die Erwägung zugrunde, dass sich die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht im Vorfeld bestimmen lässt. Der Gesetzgeber hat § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG daher als Generalklausel ausgestaltet (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.3.2012 - BVerwG 3 C 16.11 -, BVerwGE 142, 205, 213 - juris Rn. 26 unter Hinweis auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes, BT-Drs. 8/2468, S. 27 f.). Der Begriff der "Schutzmaßnahmen" ist dabei umfassend angelegt, um den Infektionsschutzbehörden insbesondere bei einem dynamischen, zügiges Eingreifen erfordernden Infektionsgeschehen ein möglichst breites Spektrum geeigneter Maßnahmen an die Hand zu geben (vgl. Senatsbeschl. v. 29.5.2020 - 13 MN 185/20 -, juris Rn. 27; OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 2.4.2020 - 3 MB 8/20 -, juris Rn. 35).
Nach der ausdrücklichen Klarstellung in § 28 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz IfSG können durch eine Schutzmaßnahme auch Personen verpflichtet werden, "bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten". Schon auf dieser Grundlage dürfen die zuständigen Behörden anordnen, dass Personen einen Einzelhandelsbetrieb nur dann betreten dürfen, wenn sie einer Testobliegenheit genügen, wie sie § 10 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 der Niedersächsischen Corona-Verordnung vorschreibt.
Dieses Ergebnis wird durch die spezielle Regelung des § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG bestätigt. Nach dieser Bestimmung können notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG durch den Deutschen Bundestag insbesondere auch die "Untersagung oder Beschränkung von Betrieben, Gewerben, Einzel- oder Großhandel“ sein
f. Die in der streitgegenständlichen Verordnungsregelung getroffene Schutzmaßnahme ist nach summarischer Prüfung auch in ihrem konkreten Umfang noch als notwendige Schutzmaßnahmen anzusehen.
Der weite Kreis möglicher Schutzmaßnahmen wird durch § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG dahin begrenzt, dass die Schutzmaßnahme im konkreten Einzelfall "notwendig" sein muss. Der Staat darf mithin nicht alle Maßnahmen und auch nicht solche Maßnahmen anordnen, die von Einzelnen in Wahrnehmung ihrer Verantwortung gegenüber sich selbst und Dritten bloß als nützlich angesehen werden. Vielmehr dürfen staatliche Behörden nur solche Maßnahmen verbindlich anordnen, die zur Erreichung infektionsschutzrechtlich legitimer Ziele objektiv notwendig sind (vgl. Senatsbeschl. v. 26.5.2020 - 13 MN 182/20 -, juris Rn. 38). Diese Notwendigkeit ist während der Dauer einer angeordneten Maßnahme von der zuständigen Behörde fortlaufend zu überprüfen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.4.2020 - 1 BvQ 31/20 -, juris Rn. 16).
(1) Zweifelsohne verfolgt der Verordnungsgeber weiterhin die legitimen Ziele (vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 6.11.2020 - 13 MN 411/20 -, juris Rn. 43), im Interesse des Schutzes von Leben und Gesundheit eines und einer jeden die Bevölkerung vor der Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus zu schützen, die Verbreitung der Krankheit COVID-19 zu verhindern und eine Überlastung des Gesundheitssystems infolge eines ungebremsten Anstiegs der Zahl von Ansteckungen, Krankheits- und Todesfällen zu vermeiden. Zur Vorbeugung einer akuten nationalen Gesundheitsnotlage sollen die Kontakte in der Bevölkerung drastisch reduziert werden, um das Infektionsgeschehen insgesamt zu verlangsamen und die Zahl der Neuinfektionen wieder in durch den öffentlichen Gesundheitsdienst nachverfolgbare Größenordnungen zu senken (vgl. hierzu auch die Angaben in der Begründung der Niedersächsischen Corona-Verordnung und ihrer Änderungsverordnungen, Nds. GVBl. 2020, 411 ff., 457, 491 f. und 2021, 6 ff., 28 f., 58, 101 f. und 267).
Zu Erreichung dieser Ziele hat der Antragsgegner in der Niedersächsischen Corona-Verordnung ein komplexes Bündel verschiedenster Schutzmaßnahmen ergriffen. Die hier zu beurteilende Testobliegenheit nach § 10 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 der Niedersächsischen Corona-Verordnung soll zusätzliche Sicherheit bei Kontakten anlässlich eines Besuchs in einem Einzelhandelsgeschäft geben. Die vorgesehenen Testungen sollen dabei unterstützen, auch Infektionen ohne Krankheitssymptome zu erkennen.
(2) Zur Erreichung dieser legitimen Ziele ist die in der streitgegenständlichen Verordnungsregelung getroffene Schutzmaßnahme geeignet.
Die Testobliegenheit nach § 10 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 der Niedersächsischen Corona-Verordnung fördert das vom Verordnungsgeber verfolgte legitime Ziel einer Vermeidung der Weiterverbreitung des Virus SARS-CoV-2 beim Besuch von Einzelhandelsgeschäften. Ohne eine solche "Testpflicht" wäre derzeit das Risiko der Ausbreitung des Virus wesentlich größer.
Die Eignung wird auch nicht dadurch infrage gestellt, dass jeder Corona-Test immer
nur eine Momentaufnahme ist oder dass der auch zur Anwendung zugelassene Selbsttest
im Sinne des § 5a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Niedersächsischen Corona-Verordnung keine hinreichende Testgenauigkeit aufweist. Der Selbsttest im Sinne des § 5a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Niedersächsischen Corona-Verordnung muss "durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zugelassen und auf der Website https://www.bfarm.de/DE/Medizinprodukte/Antigentests/_node.html gelistet" sein. Diese Zulassung erfordert unter anderem eine Sensitivität (Wahrscheinlichkeit eines positiven Tests bei kranken Probanden) von mindestens 80% und eine Spezifität (Wahrscheinlichkeit eines negativen Tests bei gesunden Probanden) von mindestens 97% (vgl. Paul-Ehrlich-Institut, Mindestkriterien für SARS-CoV-2 Antigentestes, veröffentlicht unter https://
www.pei.de/SharedDocs/Downloads/DE/newsroom/dossiers/mindestkriterien-sars-cov-2-antigentests-01-12-2020.pdf?__blob=publicationFile&v=6, Stand: 16.4.2021). Die Wahrscheinlichkeit von für die Virusverbreitung gefährlichen falsch-negativen Testergebnissen ist daher gering. Abhängig von der Vortestwahrscheinlichkeit liegt der negativ prädiktive Wert (Wahrscheinlichkeit, dass ein Proband mit negativem Testergebnis tatsächlich gesund ist) regelmäßig bei über 99% (vgl. RKI, Hinweise zur Testung von Patienten auf Infektion mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2, veröffentlicht unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Vorl_Testung_n
CoV.html;jsessionid=2D959F0780C18E0F080A4B2F02212FF2.internet121?nn=
2386228#doc13490982bodyText7, Stand: 12.3.2021). Der Senat stellt nicht in Abrede,
dass die Genauigkeit der auch zur Anwendung zugelassenen Selbsttests im Sinne des
§ 5a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Niedersächsischen Corona-Verordnung insbesondere hinter der einer molekularbiologischen Untersuchung mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR-Testung) zurückbleibt. Dies allein stellt die belegte Eignung zur Erkennung von tatsächlich gegebenen SARS-CoV-2-Infektionen aber nicht infrage. Hinzu kommt, dass die Testgenauigkeit durch regelmäßig wiederholende Testungen, wie sie die Niedersächsische Corona-Verordnung nunmehr für zahlreiche Fallgestaltungen des täglichen Lebens gerade vorsieht, deutlich verbessert werden kann (vgl. hierzu bereits Senatsbeschl v. 19.4.2021 - 13 MN 192/21 -, juris Rn. 55; Larremore u.a., Test sensitivity is secondary to frequency and turnaround time for COVID-19 screening, in: Science Advances 2021; 7; veröffentlicht unter https://advances.sciencemag.org/content/7/1/eabd5393/tab-pdf, Stand: 14.4.2021, insbesondere S. 3: "Testing frequency was found to be the primary driver of population-level epidemic control, with only a small margin of improvement provided by using a more sensitive test… These results highlight that delays in reporting lead to markedly less effective control of viral spread and emphasize that fast reporting of results is critical in any screening regimen. These results also reinforce the relatively smaller benefits of improved LODs." und S. 6: "If the availability of point-of-care or self-administered screening tests leads to
faster turnaround time or more frequent testing, then our results suggest that they
would have high epidemiological value.").
(3) Zur Erreichung der legitimen Ziele ist die in der streitgegenständlichen Verordnungsregelung getroffene Schutzmaßnahme auch erforderlich.
Eine andere Schutzmaßnahme, die weniger stark in die betroffenen Grundrechte eingreifen würde, aber ebenfalls in gleicher Weise das Ziel fördern könnte, die Ausbreitung der Pandemie bei genereller Öffnung aller Einzelhandelsgeschäfte zu verhindern, ist für den Senat nicht erkennbar. Die Testobliegenheit reduziert die Wahrscheinlichkeit ganz erheblich, dass mit SARS-CoV-2 infizierte Personen überhaupt das jeweilige Geschäft betreten können und sich das Virus auf andere dort befindliche Personen ausbreiten kann (so auch RKI, Täglicher Lagebericht zur Coronavirus-Krankheit-2019 v. 14.4.2021, S. 14, veröffentlicht unter https://www. rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Apr_2021/2021-04-14-de.pdf?__blob=publicationFile: "… können Antigentests als zusätzliches Element zur frühzeitigen Erkennung der Virusausscheidung die Sicherheit erhöhen").
Andere Maßnahmen, die eine vergleichbare infektiologische Wirkung haben, sind für den Senat nicht ersichtlich. So dürften insbesondere die vorhandenen und angewendeten Hygienekonzepte der Einzelhandelsgeschäfte für sich genommen nicht die gleiche Wirkung haben. Jedenfalls können sie selbst bei strikter Anwendung nicht verhindern, dass infizierte Personen zunächst die Einrichtung betreten. Sofern Hygienekonzepte neben der hier zu beurteilenden Testobliegenheit zur Anwendung kommen, dürfte das Ziel, die Ausbreitung der Pandemie zu verhindern, allerdings besonders gut gefördert werden können (so auch Senatsbeschl. v. 19.4.2021 a.a.O., Rn. 59; Sächsisches OVG, Beschl. v. 19.3.2021 - 3 B 81/21 -, juris Rn. 61 jew. zur Testpflicht in Schulen im Falle von Präsenzunterricht).
Das bisher geltende System des Besuchs nach vorheriger Terminvorgabe („click and meet“) stellt zwar im Hinblick auf die vor Besuch eines Einzelhandelsgeschäfts vom jeweiligen Kunden zu überwindende „Hürde“ eine bei effektiver Handhabung (vgl. dazu: Senatsbeschl. v. 11.3.2021 - 13 MN 70/21 -, juris Rn. 25) möglicherweise mildere Maßnahme dar. Sie ist jedoch nicht in gleicher Weise effektiv wie die nunmehr geltende Testobliegenheit. Das Erfordernis einer negativen Testung vor Betreten eines Einzelhandelsgeschäftes ermöglicht es, den Kontakt eines Infizierten mit anderen Personen präventiv zu verhindern, während die Kontaktnachverfolgung bei einer bereits erfolgten Infektion lediglich die Möglichkeit eröffnet, die weitere Verbreitung des Virus einzugrenzen. Regelmäßige Testungen ermöglichen es daher grundsätzlich, „vor die Lage“ zu kommen, während die Kontaktnachverfolgung eher der Schadensbegrenzung dienen kann.
(4) Die Testobliegenheit erweist sich schließlich voraussichtlich auch noch als angemessen. Diese Form der Zugangsbeschränkung zu Einzelhandelsgeschäften dürfte nach vorläufiger Einschätzung des Senats zwar nur bei einem starken Infektionsgeschehen gerechtfertigt sein. Auch der Stufenplan 2.0 der Niedersächsischen Landesregierung vom 10. Mai 2021 (abrufbar unter https://www.stk.niedersachsen.de/startseite/presseinformationen/kabinett-beschliesst-stufenplan-2-0-gute-perspektiven-fur-menschen-institutionen-und-betriebe-in-niedersachsen-200255.html) sieht bei einem stabilen Absinken der 7-Tage-Inzidenz auf 50 oder weniger und einer regionalen Betrachtungsweise keinen negativen Testnachweis für das Betreten eines Einzelhandelsgeschäfts mehr vor. Es ist daher - bei kontinuierlichem Fortschreiten der bisher rückläufigen Entwicklung der Inzidenzwerte - davon auszugehen dass dieses Erfordernis in weiten Teilen Niedersachsens bald nicht mehr gerechtfertigt sein dürfte und die Verordnung entsprechend anzupassen ist. Für diesen kurzen Übergangszeitraum ist die Beschränkung von der Antragstellerin unter dem Gesichtspunkt der Angemessenheit noch hinzunehmen.
g. Es ist allerdings offen, ob die streitgegenständliche Testobliegenheit des § 10 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 der Niedersächsischen Corona-Verordnung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist.
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.2.2012 - 1 BvL 14/07 -, BVerfGE 130, 240, 252 - juris Rn. 40; Beschl. v. 15.7.1998 - 1 BvR 1554/89 u.a. -, BVerfGE 98, 365, 385 - juris Rn. 63). Es sind nicht jegliche Differenzierungen verwehrt, allerdings bedürfen sie der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen reichen die Grenzen für die Normsetzung vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse. Insoweit gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.7.2012 - 1 BvL 16/11 -, BVerfGE 132, 179, 188 - juris Rn. 30; Beschl. v. 21.6.2011 - 1 BvR 2035/07, BVerfGE 129, 49, 69 - juris Rn. 65; Beschl. v. 21.7.2010 - 1 BvR 611/07 u.a. -, BVerfGE 126, 400, 416 - juris Rn. 79).
Hiernach sind die sich aus dem Gleichheitssatz ergebenden Grenzen für die Infektionsschutzbehörde weniger streng (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.4.2020 - OVG 11 S 22/20 -, juris Rn. 25). Auch kann die strikte Beachtung des Gebots innerer Folgerichtigkeit nicht eingefordert werden (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 26.3.2020
- 5 Bs 48/20 -, juris Rn. 13). Zudem ist die sachliche Rechtfertigung nicht allein anhand des infektionsschutzrechtlichen Gefahrengrades der betroffenen Tätigkeit zu beurteilen. Vielmehr sind auch alle sonstigen relevanten Belange zu berücksichtigen, etwa die Auswirkungen der Ge- und Verbote für die betroffenen Unternehmen und Dritte und auch öffentliche Interessen an der uneingeschränkten Aufrechterhaltung bestimmter unternehmerischer Tätigkeiten (vgl. Senatsbeschl. v. 14.4.2020 - 13 MN 63/20 -, juris Rn. 62). Auch die Überprüfbarkeit der Einhaltung von Ge- und Verboten kann berücksichtigt werden (vgl. Senatsbeschl. v. 9.6.2020 - 13 MN 211/20 -, juris Rn. 41).
Dies zugrunde gelegt vermag der Senat im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nur einen Verstoß der Verordnungsregelung gegen das Willkürverbot zu verneinen.
Die unterschiedliche Behandlung der unter § 10 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 der Niedersächsischen Corona-Verordnung fallenden Betriebe des Einzelhandels gegenüber den in § 10 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 der Verordnung geregelten Ausnahmen des Lebensmittelhandels oder des Handels mit Gütern bzw. Dienstleistungen des täglichen Bedarfs knüpft an das nachvollziehbare Kriterium der Notwendigkeit zur Deckung von Grundbedarfen an, mag diese - insbesondere im Hinblick auf das Infektionsrisiko und die Abgrenzung des täglichen Bedarfs im Detail - in sich auch nicht vollkommen schlüssig sein. Allerdings führt ein Möbel- oder Einrichtungshaus nicht in erster Linie Gegenstände des täglichen Bedarfs, wenn die dort zum Verkauf stehenden Waren auch häufig im täglichen Gebrauch stehen.
Die Zulassung des weniger belastenden „click and meet“-Systems für Einzelhandelsgeschäfte mit einer Verkaufsfläche von nicht mehr als 200 Quadratmetern in § 10 Abs. 3 Satz 4 der Verordnung erscheint hingegen zweifelhaft. In seinem Beschluss vom 16. Dezember 2020 (13 MN 552/20, juris Rn. 66) hat der Senat eine Bevorzugung der ersten 800 Quadratmeter Verkaufsfläche eines Einzelhandelsbetriebs als gerechtfertigt angesehen. Ob dies auch im Hinblick auf die unterschiedlichen Zugangsmodalitäten für Einzelhandelsgeschäfte mit einer Verkaufsfläche bis zu einer Größe bis 200 Quadratmetern und Geschäften jenseits dieser Größenordnung gilt, erscheint fraglich. Jedenfalls handelt es sich dabei nicht um die Abgrenzung zum großflächigen Einzelhandel. Auch die Attraktivität eines Geschäfts hängt nicht in erster Linie von seiner Größe ab. Die Zahl der zulässigen Kunden pro Fläche ist ohnehin zusätzlich und ebenfalls unterschiedlich geregelt, ohne dass diese Ungleichbehandlung Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist. Allerdings ist die Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln im einem vergleichsweise kleinen Ladengeschäft besser zu kontrollieren, als dies etwa in einem großen Möbelhaus der Fall ist. Dieser Gesichtspunkt ist nicht schlichtweg sachwidrig. Zudem muss es dem Antragsgegner möglich sein, die Öffnungen unter Beachtung der Infektionslage Schritt für Schritt sowie erforderlichenfalls versuchsweise und damit nahezu zwangsläufig ungleich vorzunehmen. Er darf dabei auch unterschiedliche Öffnungskonzepte („click and meet“/negativer Coronatest) gleichzeitig erproben.
Die danach gegebene schlichte Beachtung des Willkürverbots ist angesichts des Umfangs und der Unterschiedlichkeit der angeordneten Betriebsbeschränkungen und der damit verbundenen erheblichen Eingriffe in Grundrechte insbesondere der Betriebsinhaber aber nicht ausreichend, um eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes verneinen zu können. Die vielmehr erforderliche Beurteilung, ob der Verordnungsgeber mit der angeordneten Unterschiedlichkeit der Zugangsbeschränkungen unter Berücksichtigung des infektionsschutzrechtlichen Gefahrengrades der betroffenen Einzelhandelsbetriebe und deren Zuordnung zur Deckung von Grundbedarfen eine auf hinreichenden Sachgründen beruhende und angemessene Differenzierung tatsächlich erreicht hat, ist schon angesichts der Vielzahl und Vielgestaltigkeit von Fallkonstellationen in einem Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nicht zu leisten. Sie muss vielmehr an dieser Stelle offenbleiben.
Klarstellend weist der Senat darauf hin, dass eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung sich nicht daraus ergeben kann, dass andere Länder von den niedersächsischen Anordnungen abweichende Schutzmaßnahmen getroffen haben. Voraussetzung für eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG ist, dass die Vergleichsfälle der gleichen Stelle zuzurechnen sind. Daran fehlt es, wenn die beiden Sachverhalte von zwei verschiedenen Trägern öffentlicher Gewalt gestaltet werden; der Gleichheitssatz bindet jeden Träger öffentlicher Gewalt allein in dessen Zuständigkeitsbereich (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.5.1987 - 2 BvR 1226/83 -, BVerfGE 76, 1, 73 - juris Rn. 151 m.w.N.). Ein Land verletzt daher den Gleichheitssatz nicht deshalb, weil ein anderes Land den gleichen Sachverhalt anders behandelt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.5.2008 - 1 BvR 645/08 -, juris Rn. 22 m.w.N.).
h. Die wegen der danach offenen Erfolgsaussichten gebotene Folgenabwägung führt dazu, dass die von der Antragstellerin geltend gemachten Gründe für die vorläufige Außervollzugsetzung und auch die Interessen Dritter oder der Allgemeinheit die für den weiteren Vollzug der Verordnung sprechenden Gründe derzeit noch nicht überwiegen.
Würde der Senat die Testobliegenheit nach § 10 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 der Niedersächsischen Corona-Verordnung vollständig (vgl. zur Unzulässigkeit von Normergänzungen im Normenkontrollverfahren: Senatsbeschl. v. 14.5.2020 - 13 MN 156/20 -, juris Rn. 5 m.w.N.) außer Vollzug setzen, bliebe der Normenkontrollantrag in der Hauptsache aber ohne Erfolg, könnte die Antragstellerin zwar ihren Einzelhandelsbetrieb vorübergehend ohne diese Beschränkung für den Kundenverkehr und Besuche öffnen. Ein nicht unerheblicher Baustein der komplexen derzeitigen Pandemiebekämpfungsstrategie des Antragsgegners und insbesondere der hiervon umfassten Teststrategie würde aber in seiner Wirkung deutlich reduziert (vgl. zur Berücksichtigung dieses Aspekts in der Folgenabwägung: BVerfG, Beschl. v. 1.5.2020 - 1 BvQ 42/20 -, juris Rn. 10), und dies in einem Zeitpunkt eines gegenwärtig weiterhin ernst zu nehmenden Infektionsgeschehens. Die Möglichkeit, geeignete und erforderliche Schutzmaßnahmen zu ergreifen und so die Verbreitung der Infektionskrankheit zum Schutze der Gesundheit der Bevölkerung, einem auch mit Blick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG überragend wichtigen Gemeinwohlbelang (vgl. BVerfG, Urt. v. 30.7.2008 - 1 BvR 3262/07 u.a. -, BVerfGE 121, 317, 350 - juris Rn. 119 m.w.N.), noch effektiver als bisher zu verhindern, bliebe hingegen zumindest zeitweise bis zu einer Reaktion des Verordnungsgebers (irreversibel) ungenutzt.
Würde hingegen die Testobliegenheit nach § 10 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 der Niedersächsischen Corona-Verordnung nicht vorläufig außer Vollzug gesetzt, hätte der Normenkontrollantrag aber in der Hauptsache Erfolg, wäre die Antragstellerin vorübergehend zu Unrecht zur Befolgung der - für den Fall der Nichtbefolgung bußgeldbewehrten - Schutzmaßnahme verpflichtet und dürfte den Zugang zu ihrem Geschäft weiterhin nur negativ getesteten Personen gewähren. Der damit verbundene Eingriff in ihre grundrechtlich geschützte Berufsausübungsfreiheit würde weiter verfestigt. Allerdings ist auch eine Testung angesichts der derzeit zahlreichen Testzentren und der Kostenfreiheit eines Corona-Schnelltests für potentielle Kunden keine unüberwindliche Hürde. Auch steht zu erwarten, dass die Verordnung im Hinblick auf den Stufenplan 2.0 der Niedersächsischen Landesregierung in Kürze im Sinne der Antragstellerin angepasst werden wird. Vor diesem Hintergrund ist es dieser zuzumuten, die den Zutritt zu ihrem Einzelhandelbetrieb erschwerende Testobliegenheit für einen kurzen Übergangszeitraum weiter zu dulden.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
III. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Es entspricht der ständigen Praxis des Senats, in Normenkontrollverfahren in der Hauptsache nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO grundsätzlich den doppelten Auffangwert im Sinne des § 52 Abs. 2 GKG, mithin 10.000 EUR, als Streitwert anzusetzen (vgl. Senatsbeschl. v. 31.1.2019 - 13 KN 510/18 -, Nds. Rpfl. 2019, 130 f. - juris Rn. 29). Dieser Streitwert ist für das Verfahren auf sofortige Außervollzugsetzung der Verordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO zu halbieren.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).