Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 31.05.2021, Az.: 4 LA 269/20

Befreiung; Fürsorge; Gerichtskosten; gerichtskostenfrei; Gewissensfreiheit; Gewissensgründe; Gründe, soziale; Rundfunkbeitrag

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
31.05.2021
Aktenzeichen
4 LA 269/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 71177
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 20.11.2020 - AZ: 7 A 3985/20

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Für eine auf die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht gerichtete Verpflichtungsklage werden auch dann Gerichtskosten gemäß § 188 VwGO nicht erhoben, wenn der Kläger die Beitragsbefreiung nicht aus sozialen Gründen, sondern ausschließlich aus Gewissensgründen begehrt.

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichterin der 7. Kammer - vom 20. November 2020 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird unter Abänderung der Streitwertentscheidung des Verwaltungsgerichts für beide Rechtszüge auf 463 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Eine Zulassung der Berufung wegen der vom Kläger geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) kommt nicht in Betracht. Das Vorbringen des Klägers führt auf die von ihm als grundsätzlich bedeutsam angesehenen Fragen, ob die Erhebung des Rundfunkbeitrags im privaten Bereich verfassungsmäßig ist, ob insbesondere das Grundrecht der Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) der Erhebung des Rundfunkbeitrags entgegenstehen kann und ob sich aus Art. 4 Abs. 1 GG ein Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht auf der Grundlage der Härtefallregelung in § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV ergeben kann. Diese Fragen sind, soweit sie im Verfahren des Klägers entscheidungserheblich sind, anhand der vorhandenen verfassungs- und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ohne Weiteres zu verneinen und daher nicht (mehr) von grundsätzlicher Bedeutung. Der Senat sieht daher auch auf der Grundlage des Vorbringens des Klägers keinen nach wie vor bestehenden oder neuerlichen oder weitergehenden grundsätzlichen Klärungsbedarf.

Die Erhebung von Rundfunkbeiträgen im privaten Bereich ist – wie das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 18. Juli 2018 (- 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17 -, BVerfGE 149, 222) entschieden hat – mit Ausnahme des hier nicht vorliegenden Falls der Erhebung von Rundfunkbeiträgen für eine Zweitwohnung verfassungsgemäß.

Wie das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die vorhandene einhellige Rechtsprechung verschiedener Verwaltungsgerichte und Oberverwaltungsgerichte (UA, S. 6) zutreffend ausgeführt hat, verletzt die Erhebung des Rundfunkbeitrags auch nicht die in Art. 4 Abs. 1 GG gewährleistete Glaubens- und Gewissensfreiheit. Denn die Glaubens- und Gewissensfreiheit wird durch die Zahlung einer Abgabe nur berührt, soweit diese gerade die Finanzierung einer Glaubensgemeinschaft oder eines religiösen oder areligiösen Bekenntnisses bezweckt. Die allgemeine Pflicht zur Zahlung einer Abgabe ohne eine solche Zweckbindung berührt regelmäßig – so auch im Fall des Rundfunkbeitrags – nicht den Schutzbereich der Glaubensfreiheit des Abgabenschuldners (OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 16.11.2015 - 7 A 10455/15 -, juris Rn. 15 f.). Aus diesem Grund kommt ein Befreiungsanspruch gemäß § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV unter dem Gesichtspunkt der Gewissensfreiheit ebenfalls von vornherein nicht in Betracht (Senatsbeschl. v. 25.8.2020 - 4 LA 163/19 -, juris Rn. 6 m. w. N.; OVG NRW, Urt. v. 21.9.2018 - 2 A 1821/15 -, juris Rn. 43; Sächs. OVG, Beschl. v. 30.6.2017 - 5 A 133/16 -, juris Rn. 11). Selbst wenn man dies anders sehen wollte (offengelassen von BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 12.12.2012 - 1 BvR 2550/12 -, juris Rn. 5), würde eine Härtefallbefreiung aus weltanschaulichen oder religiösen Gründen einen atypischen Ausnahmefall voraussetzen, der überdies substantiiert dargelegt werden müsste (Senatsbeschl., a. a. O.). Indessen fehlen Anhaltspunkte dafür, dass ein derartiger atypischer Ausnahmefall, der über eine persönliche Ablehnung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und insbesondere bestimmter Programminhalte hinausgehen müsste, beim Kläger gegeben sein könnte. Im Übrigen beträfe die Prüfung, ob ein atypischer Ausnahmefall vorliegt, die Würdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls und wäre daher nicht von fallübergreifender, grundsätzlicher Bedeutung.

Da der Berufungszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung ersichtlich nicht vorliegt und insbesondere das Bundesverfassungsgericht bereits grundlegend über die Verfassungsmäßigkeit der Erhebung des Rundfunkbeitrags im privaten Bereich entschieden hat, sieht der Senat auch keinen Anlass, das Verfahren vor der Entscheidung über den Zulassungsantrag gemäß § 94 VwGO auszusetzen, um – wie vom Kläger gewünscht – zunächst die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über eine dort noch anhängige Verfassungsbeschwerde abzuwarten.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 VwGO.

Die Entscheidung über den Streitwert ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, 52 Abs. 3 Sätze 1 und 2, 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG und aus § 188 VwGO.

In Bezug auf das Anfechtungsbegehren des Klägers ist der Wert der von ihm angegriffenen Beitragsfestsetzungen – insgesamt 121 EUR – wegen der offensichtlich absehbaren Auswirkungen des Ausgangs des Rechtsstreits für künftige gegen den Kläger gerichtete Rundfunkbeitragsforderungen gemäß § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG im Ergebnis zu verdreifachen (ausführlich dazu: Senatsbeschl. v. 3.7.2017 - 4 OA 165/17 -, juris; zur Anwendbarkeit von § 52 Abs. 3 Satz 2 RBStV bei Klagen gegen Rundfunkbeitragsbescheide: Senatsbeschl. v. 20.8.2019 - 4 LA 27/19 -, juris), womit sich der tenorierte Betrag von 463 EUR ergibt.

Eine Streitwerterhöhung hinsichtlich des Streitgegenstands der auf die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht gerichteten Verpflichtungsklage erfolgt nicht, da das Verfahren insoweit dem Sachgebiet der Fürsorge unterfällt und daher gemäß § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO gerichtskostenfrei ist. Die vom Verwaltungsgericht (im Anschluss an den Bay. VGH, Beschl. v. 16.9.2019 - 7 C 19.1603 -, juris Rn. 6; siehe auch OVG NRW, Urt. v. 1.9.2016 - 2 A 2243/15 -, juris Rn. 147) vertretene Rechtsansicht, dass eine auf die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht gerichtete Verpflichtungsklage dann keine Angelegenheit der Fürsorge darstellt und somit gerichtskostenpflichtig ist, wenn der Kläger die Beitragsbefreiung nicht aus sozialen Gründen, sondern – wie hier – ausschließlich aus Gewissensgründen begehrt, teilt der Senat nicht.

§ 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO nimmt Bezug auf Satz 1 der Regelung, wonach u. a. die „Sachgebiete in Angelegenheiten der Fürsorge“ in einem Spruchkörper zusammengefasst werden sollen. Die Regelung ist – ebenso wie sämtliche früheren Fassungen der Norm – ausdrücklich auf bestimmte Sachgebiete bezogen. Damit hat der Gesetzgeber aus Gründen der Vereinfachung eine umfassende Pauschalregelung getroffen, bezogen auf die Art der Streitigkeit (BVerwG, Urt. v. 23.4.2019 - 5 C 2.18 -, juris Rn. 43 u. Urt. v. 28.11.1974 - V C 18.74 -, juris Rn. 17). Die Regelung stellt somit nicht auf den – möglicherweise von Fall zu Fall unterschiedlichen – Zweck des Rechtstreits ab, sondern allgemein auf die objektive Zugehörigkeit des Klagebegehrens zu einem der genannten Rechtsgebiete (BVerwG, Beschl. v. 20.4.2011 - 6 C 10.10 -, juris Rn. 3, Urt. v. 22.10.1976 - VI C 36.72 -, juris Rn. 24, v. 28.11.1974 - V C 18.74 -, juris Rn. 17 u. v. 15.4.1964 - V C 50.63 -, juris Rn. 23). Diese Entscheidung des Gesetzgebers ist auch ohne weiteres nachvollziehbar, da es sich bei § 188 Satz 1 VwGO zunächst um eine Regelung zur gerichtsinternen Geschäftsverteilung handelt. Sie ließe sich in der Praxis nur mit Schwierigkeiten umsetzen, wenn es für die Einordnung eines Verfahrens als Angelegenheit der Fürsorge einzelfallbezogen darauf ankäme, welchen konkreten Zweck der Kläger mit dem Rechtsstreit verfolgt und auf welche rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte er sein Begehren im Einzelnen stützt. Erfasst werden somit von § 188 VwGO ohne weitere Differenzierung anhand der konkreten Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalls alle in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit fallenden Sachgebiete, die fürsorgerische Maßnahmen im weiteren Sinne zum Gegenstand haben, insbesondere Sachgebiete, in denen Leistungen mit primär fürsorgerischer Zwecksetzung vorgesehen sind (BVerwG, Urt. v. 23.4.2019 - 5 C 2.18 -, juris Rn. 41 u. Beschl. v. 20.4.2011 - 6 C 10.10 -, juris Rn. 3).

Dass die Vorschrift über die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht in § 4 RBStV – ebenso wie die Vorgängerregelung in § 6 RGebStV – eine primär fürsorgerische Zwecksetzung hat und daher Rechtsstreitigkeiten, die eine Rundfunkbeitragsbefreiung zum Gegenstand haben, gerichtskostenfrei sind, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats und darüber hinaus auch der allgemeinen Auffassung (vgl. nur den unveröffentlichten Streitwertbeschluss des BVerwG zum Urt. v. 30.10.2019 - 6 C 34.10 -; zum früheren § 6 RGebStV: BVerwG, Beschl. v. 20.4.2011 - 6 C 10.10 -, juris Rn. 3). Deshalb unterfällt auch die vom Kläger angestrengte Verpflichtungsklage der Gerichtskostenfreiheit gemäß § 188 VwGO, ohne dass es darauf ankommt, welchen Zweck er mit dem Rechtsstreit verfolgt und auf welche Argumente er sein Begehren gestützt hat.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).