Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 12.05.2021, Az.: 2 OB 88/21

Beschwerde; Einstellungsbeschluss; Fortführung des Verfahrens; Klagerücknahme; Klageverfahren; Widerruf

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
12.05.2021
Aktenzeichen
2 OB 88/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 71149
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 18.03.2021 - AZ: 8 A 221/19

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Gegen einen Einstellungsbeschluss des Verwaltungsgerichts nach § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist die Beschwerde zulässig, wenn Streit über die Wirksamkeit der Klagerücknahme besteht und das Verwaltungsgericht das Klageverfahren gleichwohl nicht fortsetzt und durch Urteil oder Gerichtsbescheid beendet.
2. Das Beschwerdegericht ist auf die Aufhebung des Einstellungsbeschlusses des Verwaltungsgerichts beschränkt und nicht berechtigt, über die Frage der Wirksamkeit der Klagerücknahme verbindlich zu entscheiden.

Tenor:

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Einstellungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Göttingen - Berichterstatter der 8. Kammer - vom 18. März 2021 aufgehoben.

Gründe

I.

Mit der Beschwerde beanstandet die anwaltlich vertretene Klägerin das Verfahren des Verwaltungsgerichts, namentlich die richterliche Verfügung vom 6. April 2021, mit der sie davon unterrichtet wurde, dass eine Fortsetzung des Klageverfahrens infolge ihrer mit Schriftsatz vom 16. März 2021 erklärten Rücknahme der Klage und der daraufhin erfolgten Einstellung des Klageverfahrens durch Beschluss vom 18. März 2021 nicht in Betracht komme.

Nachdem die Klägerin erfolglos bei der Beklagten einen Antrag auf Zulassung zum Studium der Humanmedizin auf einen Vollstudienplatz, hilfsweise auf einen Teilstudienplatz nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemester 2019/2020 im 3. Fachsemester, hilfsweise im 2. und 1. Fachsemester gestellt hatte, hat sie im August 2019 Klage (8 A 221/19) erhoben und zugleich einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (8 C 219/19) gestellt. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte mit Beschluss vom 29. Oktober 2019 - 8 C 219/19 - im Wege der einstweiligen Anordnung unter Ablehnung ihres Eilantrages im Übrigen verpflichtet, die Antragstellerin auf einen Teilstudienplatz im 2. Fachsemester vorläufig zuzulassen. Während die Beschwerde der Antragstellerin erfolglos blieb, hatte die Beschwerde der Antragsgegnerin zum Teil Erfolg.

Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 16. März 2021 hat die Klägerin die Zurücknahme der Klage erklärt. Daraufhin hat das Verwaltungsgericht das Klageverfahren mit Beschluss vom 18. März 2021 unter Hinweis auf § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO eingestellt.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 18. März 2021 hat die Klägerin die Erklärung ihrer Klagerücknahme widerrufen und den Widerruf auf mehrere Gründe gestützt. Unter dem 19. März 2021 hat die Klägerin beantragt, das Klageverfahren fortzusetzen, und auch diesen Antrag auf mehrere Gründe gestützt. Mit Verfügung vom 6. April 2021 hat das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass die Klagerücknahme wirksam und deshalb von Seiten des Verwaltungsgerichts nichts weiter zu veranlassen sei. Unter dem 8. April 2021 hat die Klägerin gegenüber dem Verwaltungsgericht an ihrem Fortsetzungsantrag festgehalten.

Mit ihrer an den Senat gerichteten Beschwerde vom 8. April 2021 begehrt die Klägerin, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts dahingehend abzuändern, dass das Klageverfahren fortgeführt wird.

II.

Die Beschwerde der Klägerin hat Erfolg.

Der Senat legt das Beschwerdebegehren der Klägerin nach §§ 125 Abs. 1, 88 VwGO dahingehend aus, dass sich ihre Beschwerde gegen den Einstellungsbeschluss des Verwaltungsgerichts vom 18. März 2021 richtet und sie die Fortführung des Klageverfahrens vor dem Verwaltungsgericht erstrebt.

Diese so verstandene Beschwerde ist zulässig. Zwar sind aufgrund einer Klagerücknahme ergangene Einstellungsbeschlüsse nach § 92 Abs. 3 Satz 2 VwGO grundsätzlich nur deklaratorisch und nicht anfechtbar und damit im Regelfall nicht beschwerdefähig. Entsteht aber - wie hier - nachträglich Streit darüber, ob eine Klage wirksam zurückgenommen worden ist, ist hierüber in der Weise zu entscheiden, dass das Klageverfahren durch das Verwaltungsgericht fortgesetzt wird und dieses durch Urteil oder Gerichtsbescheid entscheidet, indem entweder - wenn die Klage als nicht zurückgenommen gilt - eine Sachentscheidung ergeht oder andernfalls der Ausspruch ergeht, dass die Klage wirksam zurückgenommen worden ist (vgl. hierzu BVerwG, Beschl. v. 18.3.1965 - V B 37.65 -, juris Rn. 5, Beschl. v. 12.11.1993 - 2 B 151.93 -, NVwZ-RR 1994, 362, juris und Beschl. v. 7.8.1998 - 4 B 75.98 -, NVwZ-RR 1999, 407, juris Rn. 3; NdsOVG, Urt. v. 15.12.2004 - 7 LB 248/02 -, NVwZ-RR 2006, 22, juris Rn. 31 ff.). Kommt das Verwaltungsgericht dieser prozessualen Verpflichtung nicht nach, ist die Beschwerde gemäß § 146 Abs. 1 VwGO gegen den Einstellungsbeschluss des Verwaltungsgerichts ausnahmsweise zulässig (Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 146 Rn. 16 m.w.N.; HessVGH, Beschl. v. 27.3.1987 - 2 TE 3386/86 -, juris Rn. 5 und v. 12.3.1991 - 1 TE 247/91 -, NVwZ-RR 1992, 55 [OVG Nordrhein-Westfalen 15.03.1991 - 16 B 23603/90], juris Rn. 13; OVG HB, Beschl. v. 19.9.1986 - 2 B 102/86 -, DVBl. 1986, 1212; OVG NRW, Beschl. v. 7.11.1996 - 19 A 5125/96 -, NVwZ-RR 1998, 271, juris Rn. 10 und v. 9.1.1974 - III B 530/73 -, OVGE MüLü 29, 167, NJW 1974, 1102 <LS>; VGH BW, Beschl. v. 9.3.1978 - X 3073/77 -, NJW 1978, 1599 [OVG Saarland 23.12.1977 - II W 129/77] und Beschl. v. 14.6.1984 - 5 S 1270/84 -, VBlBW 1984, 413; OVG Rh.-Pf., Beschl. v. 5.5.1981 - 11 B 8/81 -, DÖV 1981, 974; BayVGH, Beschl. v. 2.7.1981 - 8 C 81 A.601 -, NVwZ 1982, 45 [VGH Hessen 10.03.1981 - II OE 12/80] und v. 21.12.1990 - 7 C 90.3547 -, NVwZ-RR 1991, 389; HambOVG, Beschl. v. 1.3.1990 - Bs IV 10/90 -, NVwZ 1990, 1089, juris Rn. 3 m.w.N.).

Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der Einstellungsbeschluss des Verwaltungsgerichts vom 18. März 2021 ist bereits deshalb aufzuheben, weil er die Klägerin in der hier vorliegenden Konstellation formal beschwert. Denn das Verwaltungsgericht ist - wie ausgeführt - verpflichtet, nunmehr formgerecht durch Urteil oder Gerichtsbescheid unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin eine Entscheidung über den Antrag auf Fortsetzung des Klageverfahrens, d.h. über die Wirksamkeit der Klagerücknahme, und (nur) für den Fall, dass es diese als unwirksam ansieht, eine Entscheidung über den Klageantrag der Klägerin in der Sache zu treffen.

Der Senat hat im Rahmen dieses Beschwerdeverfahrens offenzulassen, ob das Verwaltungsgericht und die Beklagte zu Recht von einer wirksamen Klagerücknahme seitens der Klägerin ausgehen. Dem Beschwerdegericht steht nur ein eingeschränktes Prüfungsrecht zu; es ist in seinem Ausspruch auf die Aufhebung des Einstellungsbeschlusses beschränkt (BayVGH, Beschl. v. 21.12.1990 - 7 C 90.3547 -, NVwZ-RR 1991, 389, 390; VGH BW, Beschl. v. 14.6.1984 - 5 S 1270/84 -, VBlBW 1984, 413, 414 und Beschl. v. 9.3.1978 - X 3073/77 -, NJW 1978, 1599 [OVG Saarland 23.12.1977 - II W 129/77]; OVG NRW, Beschl. v. 7.11.1996 - 19 A 5125/96 -, NVwZ-RR 1998, 271, juris Rn. 21 m.w.N.; OVG Rh.-Pfl., Beschl. v. 5.5.1981 - 11 B 8/81 -, DÖV 1981, 974, 975) und - entgegen der Ansicht der Beklagten auch in aus seiner Sicht gegebenenfalls eindeutigen Fällen - nicht berechtigt, bereits im Beschwerdeverfahren „in die Sache“ einzusteigen und über die Frage der Wirksamkeit der Klagerücknahme verbindlich zu entscheiden (so aber HessVGH, Beschl. v. 12.3.1991 - 1 TE 247/91 -, NVwZ-RR 1992, 55 [OVG Nordrhein-Westfalen 15.03.1991 - 16 B 23603/90], juris Rn. 13 ff. m.w.N., Beschl. v. 2.11.1979 - IX TE 22/79 -, NJW 1981, 187 [BAG 03.07.1980 - 3 AZR 751/79], Beschl. v. 17.3.1983 - 4 TE10/83 -, juris <LS>). Diese Entscheidung obliegt mithin allein dem Verwaltungsgericht, bei dem das Klageverfahren weiterhin anhängig ist.

Eine Kostenentscheidung ist der Schlussentscheidung des Verwaltungsgerichts vorbehalten.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).