Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.05.2021, Az.: 9 LA 124/20
Anerkennung; Antragstellung; Divergenz; Einreise; Eltern; Familienasyl; Flüchtlingseigenschaft; Frist; Geschwister; Hinweispflicht; minderjährig; minderjährig; Unverzüglichkeit; Zuerkennung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 11.05.2021
- Aktenzeichen
- 9 LA 124/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2021, 71143
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 03.06.2020 - AZ: 12 A 2350/18
Rechtsgrundlagen
- § 26 Abs 3 S 1 Nr 3 AsylVfG 1992
- Art 23 Abs 1 EURL 95/2011
- Art 10 Abs 1 EURL 32/2013
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft von Eltern bzw. minderjährigen ledigen Geschwistern, die nach der Anerkennung ihres minderjährigen Kindes bzw. Geschwisters in das Bundesgebiet eingereist sind, setzt gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 zweite Alternative, Satz 2, Abs. 5 AsylG voraus, dass der Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich - d.h. in der Regel innerhalb von zwei Wochen - nach der Einreise gestellt worden ist.
2. Auf eine Kenntnisnahme der erforderlichen Umstände kommt es nicht an. § 26 AsylG sieht keine diesbezüglichen Hinweis- und Belehrungspflichten vor.
3. Die Voraussetzung der unverzüglichen Antragstellung nach Einreise gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 zweite Alternative AsylG für die Zuerkennung von Familienasyl stellt keinen Verstoß gegen Artikel 10 Abs. 1 Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU und Artikel 23 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU dar.
Tenor:
Die Anträge der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 3. Juni 2020 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover – Einzelrichter der 12. Kammer – und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe werden abgelehnt.
Die Kläger tragen die außergerichtlichen Kosten des gerichtskosten-freien Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner. Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Prozesskostenhilfeverfahrens werden nicht erstattet.
Gründe
I. Der Antrag der Kläger, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover zuzulassen, mit dem dieses ihre Klage auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise auf Gewährung subsidiären Schutzes abgewiesen hat, bleibt ohne Erfolg.
Die von ihnen geltend gemachten Zulassungsgründe gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG wegen einer Divergenz, gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG wegen eines Verfahrensmangels nach § 138 Nr. 3 VwGO und gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sind nicht hinreichend dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) bzw. liegen nicht vor.
1. Die Berufung ist nicht wegen einer von den Klägern geltend gemachten Divergenz gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG zuzulassen.
Eine Divergenz setzt voraus, dass das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Die Darlegung einer solchen Abweichung erfordert, dass der Zulassungsantrag einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechts- oder verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz benennt, mit dem das Verwaltungsgericht einem in der Rechtsprechung eines in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Divergenzgerichts zur selben Rechtsvorschrift aufgestellten entscheidungstragenden Rechts- oder Tatsachensatz widersprochen hat.
Eine Divergenz liegt hier nicht vor.
a) Die Kläger tragen vor, das Verwaltungsgericht weiche von Rechtsgrundsätzen des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 13. Mai 1997 (– 9 C 35.96 – juris) zum Erfordernis der Unverzüglichkeit im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG a. F. (1993) ab.
Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass die Kläger, die nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für den weiteren Sohn der Klägerin zu 1. bzw. den Bruder der Kläger zu 2. bis 4. in das Bundesgebiet eingereist sind, keinen Anspruch auf Zuerkennung von Familienflüchtlingsschutz nach § 26 Abs. 3 Satz 1 und 2 i. V. m. § 26 Abs. 5 AsylG hätten, weil sie ihren Asylantrag nicht unverzüglich nach der Einreise gestellt hätten. Unverzüglich bedeute entsprechend der Legaldefinition in § 121 BGB ohne schuldhaftes Zögern. Der Antrag müsse danach zwar nicht sofort, aber alsbald gestellt werden. Im Hinblick auf die im gesamten Asylverfahrensrecht verkürzten Fristen sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Frist von zwei Wochen in der Regel angemessen und ausreichend (S. 8 des Urteilsabdrucks – UA –). Die Kläger hätten ihren Asylantrag nicht innerhalb von zwei Wochen nach ihrer Einreise gestellt, sondern dem Bundesamt erst mehr als vier Monate nach ihrer Einreise einen schriftlichen Asylantrag übermittelt, ohne dass besondere Umstände vorlägen, die einen so langen Zeitraum zwischen Einreise und Asylantragsstellung rechtfertigen könnten (S. 9 UA).
Die Kläger meinen, das Verwaltungsgericht weiche hiermit von Rechtsgrundsätzen im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Mai 1997 (a. a. O.) ab. Zwar stelle das Bundesverwaltungsgericht auch auf § 121 BGB ab und darauf, dass die Antragstellung „ohne schuldhaftes Zögern“ erfolgen müsse. Es konkretisiere den Beginn der Antragsfrist aber insoweit, dass der Antrag nicht sofort, sondern unter Berücksichtigung der persönlichen Lebensumstände alsbald gestellt werde und dem jeweiligen Antragsteller eine gewisse „Überlegungsfrist“ zuzubilligen sei. Das Bundesverwaltungsgericht ziele daher für den Beginn der Frist auf die Kenntnisnahme von den erforderlichen Umständen zur Asylantragstellung ab. Demgegenüber habe das Verwaltungsgericht den Einreisezeitpunkt als regelmäßigen Referenzzeitpunkt für den Beginn der Unverzüglichkeitsfrist herangezogen und die Einzelfallprüfung und die Prüfung der persönlichen Lebensumstände auf extreme Einzelfälle beschränkt.
Dieser Vortrag greift nicht durch.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 13. Mai 1997 (a. a. O., Rn. 10) zum Erfordernis der Unverzüglichkeit im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG a. F. (1993) im Hinblick auf Kinder eines Asylberechtigten, die in Deutschland nach dessen Antragstellung, aber vor der Anerkennung geboren worden sind, ausgeführt, dass unverzüglich entsprechend der Legaldefinition in § 121 BGB ohne schuldhaftes Zögern bedeutet. Der Antrag muss danach zwar, so das Bundesverwaltungsgericht weiter, nicht sofort, aber – unter Berücksichtigung der persönlichen Lebensumstände der Eltern – alsbald gestellt werden. Dabei ist einerseits den Eltern eine angemessene Überlegungsfrist zuzubilligen, andererseits aber auch das von § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG a. F. (1993) als Ordnungsvorschrift verfolgte öffentliche Interesse, möglichst rasch Rechtsklarheit zu schaffen, zur Geltung zu bringen. Im Hinblick auf die im gesamten Asylverfahrensrecht verkürzten Fristen hält das Bundesverwaltungsgericht eine Frist von zwei Wochen in der Regel für angemessen und ausreichend. Ein späterer Antrag ist nach dem Bundesverwaltungsgericht folglich regelmäßig nur dann rechtzeitig, wenn sich aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall ergibt, dass der Antrag nicht früher gestellt werden konnte.
Diese Rechtsgrundsätze betreffend die Antragstellung nach der Geburt eines Kindes von Asylberechtigten im Rahmen des § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG a. F. (1993) hat das Verwaltungsgericht seinem Urteil zugrunde gelegt (S. 8, 9 UA) und beanstandungsfrei im vorliegenden Fall auf den Zeitpunkt der Einreise übertragen (S. 9 UA; s. a. BVerwG, Urteil vom 13.5.1997, a. a. O., Rn. 7, wonach die Geburt im Bundesgebiet der Einreise ins Bundesgebiet als Bezugspunkt der Unverzüglichkeit der Antragstellung entspricht). Dies stellt keine Abweichung, sondern eine zulässige Anwendung der vorgenannten Rechtsgrundsätze dar. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass sich in Fällen wie hier der Anknüpfungszeitpunkt aus dem Wortlaut des § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Abs. 1 Nr. 3 AsylG ergibt, wonach der Antrag „unverzüglich nach der Einreise“ gestellt wird (s. S. 10 UA). Das Verwaltungsgericht ist unter Anwendung der dargelegten Rechtsgrundsätze des Bundesverwaltungsgerichts davon ausgegangen, dass das Erfordernis der Unverzüglichkeit grundsätzlich eine Antragstellung binnen zweier Wochen ab Einreise voraussetzt (S. 8 UA; s. a. VGH BW, Urteil vom 15.11.2000 – A 12 S 367/99 – juris Rn. 18 zu § 26 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG 1997). Es hat weiter ausdrücklich den Rechtsgrundsatz aus dem genannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts beachtet, wonach ein späterer Antrag folglich regelmäßig nur dann rechtzeitig ist, wenn sich aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall ergibt, dass der Antrag nicht früher gestellt werden konnte (S. 8, 9). Dass das Verwaltungsgericht diesen Rechtsgrundsatz auf „extremer Einzelfälle beschränkt“ hätte, ist daher nicht ersichtlich.
Dass das Bundesverwaltungsgericht – wie die Kläger meinen – auf die Kenntnisnahme der erforderlichen Umstände abstellen würde, lässt sich dem Urteil vom 13. Mai 1997 nicht entnehmen. Darin heißt es, dass von einem gewissenhaften Asylsuchenden, dessen Aufenthalt im Bundesgebiet vorläufig und nur zur Durchführung seines Asylverfahrens gestattet sei, zu erwarten sei, dass er sich nach der Geburt eines Kindes über dessen Rechtsstellung, ggf. durch Einholung von Rechtsrat Klarheit verschaffe und den erforderlichen Antrag stelle (a. a. O., Rn. 10). Dass die Frist erst ab der Kenntnis des jeweiligen Antragstellers von den Umständen begönne, hat das Bundesverwaltungsgericht mit diesen Ausführungen aber nicht festgestellt.
Soweit die Kläger zugleich mit ihren Ausführungen geltend machen wollen, dass das Verwaltungsgericht etwaige Rechtsgrundsätze des Bundesverwaltungsgerichts fehlerhaft angewendet hätte, vermögen sie damit eine Divergenz nicht zu begründen. Abgesehen davon, dass das Verwaltungsgericht die Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Rechtsgrundsätze geprüft hat, stellt eine nur unrichtige Anwendung eines in obergerichtlicher bzw. höchstrichterlicher Rechtsprechung entwickelten und vom Tatsachengericht nicht infrage gestellten Rechtsgrundsatzes keine Abweichung im Sinne des Zulassungsrechtes dar. Eine Divergenz liegt daher nicht vor, wenn das Berufungsgericht einen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts im Einzelfall rechtsfehlerhaft angewandt oder daraus nicht die rechtlichen Folgerungen gezogen hat, die etwa für die Sachverhalts- und Beweiswürdigung im Einzelfall geboten sind (BVerwG, Beschluss vom 14.4.2011 – 2 B 27.10 – juris Rn. 4).
b) Die Kläger tragen weiter vor, das Verwaltungsgericht weiche von dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 2. August 2018 (– III ZR 466/16 – juris) ab. Der Bundesgerichtshof hat darin festgestellt, dass das Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung davon ausgeht, dass § 14 Satz 1 SGB I, wonach jeder Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch hat, nicht nur diejenigen Leistungsträger, denen gegenüber Rechte geltend zu machen oder Pflichten zu erfüllen sind, zur Beratung verpflichtet sind (s. § 14 Satz 2 SGB I; hier: Träger der Rentenversicherung), sondern Beratungspflichten auch eine „andere Behörde" (hier: Grundsicherungsamt bzw. Sozialamt) treffen können (a. a. O., Rn. 16).
Weder der Bundesgerichtshof noch das Bundessozialgericht sind jedoch divergenzfähige Gerichte i. S. v. § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG.
Vorliegend geht es auch nicht um das Verhältnis zwischen Leistungsberechtigten und Leistungsträgern gemäß § 14 Satz 1 SGB I.
Im Übrigen sieht § 26 AsylG selbst keine Hinweis- und Belehrungspflichten vor. Auch den §§ 13, 14 AsylG lassen sich derartige Verpflichtungen des Bundesamtes nicht entnehmen. Es ist auch nicht erkennbar, dass eine Hinweis- und Belehrungspflicht der Ausländerbehörde auf die Möglichkeit der Beantragung von Familienasyl bestünde. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof weist in seinem Beschluss vom 17. Januar 2019 (– 20 ZB 18.32762 – juris Rn. 9) zutreffend darauf hin, dass dem Bedürfnis nach Regelung behördlicher Hinweispflichten der Gesetzgeber in zahlreichen Vorschriften des Asyl- und Aufenthaltsgesetzes Rechnung getragen hat (z.B. in §§ 14 Abs. 1 Satz 3, 10 Abs. 7, 20 Abs. 1 Satz 4, 25 Abs. 3 Satz 2, 33 Abs. 4 AsylG, 82 Abs. 3 AufenthG). Soweit die Kläger vortragen, § 82 Abs. 3 AufenthG gebe ihnen das Recht, auf die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG hingewiesen zu werden, geht es hier nicht um die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG durch die Ausländerbehörde, sondern um das Verfahren beim Bundesamt über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Gewährung subsidiären Schutzes. Zudem ist nicht erkennbar, weshalb das Bundesamt ein Verhalten (oder Unterlassen) der Ausländerbehörde kennen bzw. ermitteln und sich zurechnen lassen müsste (vgl. VG Augsburg, Urteil vom 15.10.2018 – Au 4 K 18.30820 – juris Rn. 18). Behördliche Beratungspflichten im Hinblick auf die unverzügliche Antragstellung im Sinne von § 26 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 3 AsylG ergeben sich schließlich auch nicht aus dem Untersuchungsgrundsatz gemäß § 24 VwVfG.
Soweit die Kläger zugleich mit ihren Ausführungen geltend machen wollen, dass das Verwaltungsgericht ihre Antragstellung bei der Ausländerbehörde fehlerhaft nicht zugleich als Asylantrag i. S. v. § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AsylG ausgelegt habe, machen sie ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung geltend. Einen solchen Zulassungsgrund sieht § 78 AsylG indes nicht vor.
2. Die Berufung kann auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO zugelassen werden.
Die Kläger machen geltend, das Verwaltungsgericht habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen, soweit das Vorbringen nicht ausnahmsweise aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts unberücksichtigt bleiben muss oder kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.6.2002 – 1 BvR 670/91 – BVerfGE 105, 279 = juris Rn. 99). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht dies getan hat. Es ist nicht gehalten, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen, sondern darf sich auf die für seine Entscheidung leitenden Gründe beschränken. Aus einem Schweigen der Urteilsgründe zu Einzelheiten des Prozessstoffs allein kann daher noch nicht der Schluss gezogen werden, das Gericht habe das Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen. Nur wenn sich aus den besonderen Umständen des Falls ergibt, dass das Gericht seine Pflicht zur Kenntnisnahme und Erwägung entscheidungserheblichen Vorbringens verletzt hat, liegt eine Gehörsversagung vor. Nicht hingegen verpflichtet das Gebot rechtlichen Gehörs das Gericht dazu, dem zur Kenntnis genommenen und erwogenen Vorbringen in der Sache zu folgen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5.11.2018 – 1 B 78.18 – juris Rn. 2).
Gemessen hieran haben die Kläger eine Versagung rechtlichen Gehörs nicht dargetan.
Die Kläger wenden sich gegen die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, die Klägerin zu 1. habe nicht glaubhaft gemacht, dass sie nach ihrer Einreise gemeinsam mit ihrem Bruder bei der Ausländerbehörde vorgesprochen und dort einen Asylantrag gestellt habe. Das Verwaltungsgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass ausschließlich der Bruder der Klägerin zu 1. als Dolmetscher fungiert habe und sie der deutschen Sprache nicht mächtig gewesen sei. Deshalb sei nicht nachvollziehbar, inwieweit sie eine Aussage darüber treffen solle, ob gegenüber der Ausländerbehörde ein Asylgesuch tatsächlich geltend gemacht worden sei. Nicht nachvollziehbar sei auch die Feststellung des Verwaltungsgerichts, ihre Angaben zur behaupteten Asylantragstellung seien vage geblieben.
Das Verwaltungsgericht hat aber den Vortrag der Klägerin zu 1., sie habe die deutsche Sprache nicht verstanden und könne daher nicht sagen, was ihr Bruder gegenüber den ihr namentlich nicht bekannten Mitarbeitern der Ausländerbehörde erzählt habe, ausdrücklich gewürdigt (S. 9 UA). Der Sache nach wenden sich die Kläger vielmehr gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts. Etwaige diesbezügliche Fehler sind jedoch regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 5.11.2018 – 1 B 78.18 – juris Rn. 5; vom 23.10.2017 – 1 B 144.17 – juris Rn. 6).
Allenfalls schwerwiegende Mängel bei der Sachverhalts- und Beweiswürdigung können einen Verfahrensmangel (und damit unter Umständen eine Gehörsversagung) darstellen. Solche schwerwiegenden Mängel sind insbesondere dann anzunehmen, wenn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3.9.2018 – 1 B 41.18 – juris Rn. 3).
Ein derartiger Mangel ist hier nicht zu erkennen. Das Verwaltungsgericht hat in nicht willkürlicher Weise unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin zu 1. und des Inhalts des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Ausländerbehörde erläutert, weshalb es den Vortrag der Klägerin zu 1. nicht für hinreichend glaubhaft hält (S. 9 UA).
Ohne Erfolg bleibt das Vorbringen der Kläger, das Verwaltungsgericht hätte nur nach Befragen des Bruders letztlich eine Würdigung bezüglich der Tatsachenfrage vornehmen können, ob gegenüber der Ausländerbehörde tatsächlich ein Asylgesuch geltend gemacht worden sei oder nicht. Damit rügen sie eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO. Eine mögliche Verletzung der dem Gericht obliegenden Aufklärungspflicht gehört aber nicht zu den in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 VwGO bezeichneten Verfahrensmängeln, bei deren Vorliegen die Berufung zuzulassen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 14.6.2019 – 9 LA 69/19 –; SächsOVG, Beschluss vom 26.1.2021 – 3 A 493/18.A – juris Rn. 31; OVG NRW, Beschluss vom 19.3.2019 – 11 A 610/19.A – juris Rn. 29).
Soweit die Kläger vortragen, das Verwaltungsgericht habe selbst ausgeführt, dass nach Inhalt der Ausländerakte zumindest habe festgestellt werden können, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus „familiären Gründen“ begehrt worden sei und danach die Möglichkeit bestanden habe, dass hiermit die Geltendmachung von Familienasyl gemeint gewesen sei, wenden sie sich wiederum gegen die Würdigung des Verwaltungsgerichts und zeigen damit keinen Verfahrensfehler auf. Im Übrigen haben die Kläger die Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht ganz korrekt wiedergegeben. Es hat festgestellt, dass in dem von der Klägerin zu 1. gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen „nicht – jedenfalls nicht ohne weiteres –“ein Asylantrag im Sinne von § 13 Abs. 1 AsylG zu sehen sei (S. 9/10 UA). Ob ein Ausländer bei der Vorstellung bei der Ausländerbehörde (auch) einen Asylantrag stellen wollte, bedarf der Ermittlung seines konkreten Begehrens durch Auslegung seiner Erklärung (Senatsbeschluss vom 1.7.2019 – 9 LA 87/19 – juris Rn. 12). Solche Umstände hat das Verwaltungsgericht hier offenkundig nicht festgestellt.
3. Die Berufung ist nicht wegen einer von den Klägern geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zuzulassen.
Eine Rechtssache ist grundsätzlich bedeutsam i. S. d. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG, wenn sie eine höchstrichterlich oder – soweit es eine Tatsachenfrage betrifft – obergerichtlich noch nicht beantwortete Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsfähig wäre und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf.
Das diesbezügliche Darlegungserfordernis nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG setzt die Formulierung einer bestimmten, ungeklärten und für die Berufungsentscheidung erheblichen Tatsachen- oder Rechtsfrage und die Angabe voraus, worin die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Es muss erläutert werden, dass und inwiefern die Berufungsentscheidung zur Klärung einer bisher ungeklärten fallübergreifenden Tatsachen- oder Rechtsfrage führen kann. Die Darlegung muss sich auch auf die Entscheidungserheblichkeit des geltend gemachten Zulassungsgrunds erstrecken. Dabei muss sich der Antragsteller mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 5.11.2018 – 1 B 77.18 – juris Rn. 9; vom 20.9.2018 – 1 B 66.18 – juris Rn. 3, jeweils zu §§ 132 Abs. 2 Nr. 1, 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).
Die Kläger haben die Frage aufgeworfen,
„ob die zu erfüllende Voraussetzung für die Zuerkennung von Familienasyl nach § 26 Abs. 3 Nr. 3 zweite Alternative einen Verstoß gegen Artikel 10 Abs. 1 Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU und Artikel 23 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU darstellt“.
Die aufgeworfene Frage lässt sich indes ohne die Durchführung eines Berufungsverfahrens verneinen.
a) Nach Artikel 10 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Anträge auf internationalen Schutz nicht allein deshalb abgelehnt oder von der Prüfung ausgeschlossen werden, weil die Antragstellung nicht so rasch wie möglich erfolgt ist.
Es trifft zwar zu, dass § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 zweite Alternative AsylG bei Einreise nach Anerkennung des Stammberechtigten eine unverzügliche Asylantragstellung erfordert, die dann vorliegt, wenn der Antrag ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 BGB) gestellt wird.
Ein Anspruch auf Familienasyl bzw. Internationalen Schutz nach § 26 AsylG gewährt aber nur einen von einem unanfechtbar anerkannten Asylberechtigten bzw. Flüchtling bzw. subsidiär Schutzberechtigten (Stammberechtigten) abgeleiteten Schutzstatus. Es ist nicht erforderlich, dass der Familienangehörige selbst die Tatbestandsmerkmale der politischen Verfolgung i. S. d. Art 16a Abs. 1 GG bzw. die Gefährdungstatbestände des Flüchtlingsschutzes oder des subsidiären Schutzes erfüllt.
Versäumt der nach der Anerkennung des Stammberechtigten eingereiste Familienangehörige diese Frist, hat er zwar keinen Anspruch auf einen abgeleiteten Schutz. Es wird ihm aber nicht jeglicher Schutz versagt, sondern der Familienangehörige ist bei verspäteter Asylantragstellung nicht daran gehindert, eigene Umstände geltend zu machen und damit eine originäre und nicht lediglich eine abgeleitete Schutzgewährung zu erlangen (Epple in: GK-AsylG, Stand: März 2019, § 26 Rn. 50).
Zutreffend hat das Verwaltungsgericht deshalb festgestellt, dass eine (unzulässige) Ablehnung eines Asylantrages i. S. von Artikel 10 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU nicht vorliegt, wenn der Asylantrag – wie im Fall der Kläger – durch die zuständige Behörde lediglich im Hinblick auf die Zuerkennung von Familienflüchtlingsschutz als nicht unverzüglich gestellt zurückgewiesen, im Übrigen aber materiell-rechtlich geprüft wird.
Dass – wie die Kläger bereits vor dem Verwaltungsgericht vorgetragen haben – ein Asylsuchender, der illegal und ohne Aussicht auf Zuerkennung abgeleiteten Flüchtlingsschutzes in die Bundesrepublik einreist, durch das Erfordernis der unverzüglichen Asylantragstellung besser stünde, als ein Asylbewerber, der – wie die Kläger – mit einem Visum zum Zwecke der Familienzusammenführung einreist, erschließt sich vor diesem Hintergrund auch im Zulassungsverfahren nicht. Vielmehr wird der Familienangehörige im Falle der Fristversäumung wie jeder andere Antragsteller behandelt, der sich auf eigene Gründe beruft.
Ohne Erfolg wenden die Kläger ein, die Stellung des Familienasylantrags solle nach der Intention des Gesetzgebers der Verfahrensvereinfachung dienen und dadurch würden die Angehörigen letztlich gegenüber Asylsuchenden privilegiert, die das Asylverfahren auf individuelle Verfolgungsgründe stützten. Mit der Unverzüglichkeitsregelung würden ihnen aber zur Erlangung dieses abgeleiteten Anspruchs weitergehende Hürden gestellt.
Es trifft zu, dass die Regelung über das Familienasyl das Verfahren vereinfachen soll. Sie dient neben der Entlastung des Bundesamtes und der Verwaltungsgerichtsbarkeit auch der Integration der nahen Familienangehörigen der in der Bundesrepublik Deutschland als Asylberechtigte aufgenommenen politisch Verfolgten (BT-Drs. 11/6960, S. 29/30). Der (nur abgeleitete) Anspruch auf Familienasyl bzw. internationalen Schutz nach § 26 AsylG ist aber deshalb an die unverzügliche Antragstellung bei Einreise nach Anerkennung des Stammberechtigten geknüpft, um dem Grundgedanken des § 26 AsylG Rechnung zu tragen, das gemeinsame Schicksal der Familienangehörigen in einem gewissen zeitlichen Zusammenhang zu berücksichtigen (vgl. Epple, a. a. O., § 26 Rn. 47). Denn das Familienasyl dient auch der raschen Integration der Familie (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.5.1997 – 9 C 35.96 – juris Rn. 8).
Ohne Erfolg wenden die Kläger ein, die vom Bundesverwaltungsgericht bemessene Frist von zwei Wochen sei zu kurz bemessen. Eine vergleichbare Regelung im Asylverfahren sei außerhalb des Familienasylverfahrens nicht vorhanden.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Dauer der Frist u. a. auf die ebenfalls im Asylverfahrensrecht geregelte Klagefrist von zwei Wochen (s. § 74 Abs. 1 AsylG) gestützt. Außerdem hat es keine Ausschlussfrist angenommen, sondern auch einen späteren Antrag regelmäßig dann für rechtzeitig gehalten, wenn sich aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall ergibt, dass der Antrag nicht früher gestellt werden konnte (BVerwG, Urteil vom 13.5.1997, a. a. O., Rn. 10). Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat darüber hinaus darauf abgestellt, ob der Antragsteller das getan hat, was man billigerweise von ihm verlangen kann (HessVGH, Beschluss vom 24.6.2003 – 10 UE 843/03.A – juris Rn. 21).
Gründe, die im Hinblick auf nachträglich eingereiste Angehörige regelmäßig eine längere Frist (ab Einreise) erforderlich erscheinen lassen könnten, sind nicht zu erkennen. Zwar geht es bei einer Einreise eines Familienangehörigen nach einer Anerkennung des Stammberechtigten nicht darum, über die Anträge aller Familienmitglieder möglichst in einem Verfahren zu entscheiden und bei erfolglosem Ausgang der Verfahren den Aufenthalt der Familie im Bundesgebiet möglichst bald zu beenden (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.5.1997, a. a. O., Rn. 8). Jedoch besteht auch in diesen Verfahren ein Interesse daran, dass die Asylverfahren aller Familienmitglieder zügig abgeschlossen werden. Insofern kommt der Antragsfrist auch in diesen Fällen eine Ordnungsfunktion zu. Eine zeitnahe Entscheidung ist auch deshalb geboten, weil – wie ausgeführt – der Familienangehörige seinen Antrag auf das gemeinsame Schicksal mit dem anerkannten Stammberechtigen stützt, dessen Anerkennung auf im Zeitpunkt der Entscheidung über seinen Antrag maßgeblichen Umständen beruht.
b) Die Voraussetzung einer unverzüglichen Antragstellung bei Einreise nach Anerkennung des Stammberechtigten verstößt auch nicht gegen Artikel 23 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU. Danach tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass der Familienverband aufrechterhalten werden kann. Dem trägt § 26 AsylG Rechnung, der die Möglichkeit einer Gewährung von Familienasyl bzw. abgeleitetem internationalen Schutz vorsieht. Das Erfordernis einer unverzüglichen Antragstellung bei Einreise nach Anerkennung des Stammberechtigten gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 und 2 i. V. m. § 26 Abs. 5 AsylG schließt die Gewährung des abgeleiteten Schutzes nicht aus, sondern ist Voraussetzung für die Gewährung.