Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.05.2021, Az.: 1 ME 55/21

bauaufsichtliche Anordnung; bauordnungsrechtliche Anordnung; denkmalrechtliche Anordnung; Baudenkmal; Baudenkmal, Erhaltung; Bauzaun; Begutachtung; Denkmal; Denkmalschutz; Einzeldenkmal; Instandsetzung; Sachverständigengutachten; Sanierung; Verkehrssicherungspflicht

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
19.05.2021
Aktenzeichen
1 ME 55/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 71155
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 26.02.2021 - AZ: 4 B 5841/19

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Anordnungen zur sachverständigen Feststellung des bestehenden Zustands und des Instandsetzungsbedarfs eines Denkmals sowie der im Einzelnen in fachlich-technischer Hinsicht erforderlichen Maßnahmen können auf § 23 Abs. 1 i.V. mit § 6 Abs. 1 Satz 1 NDSchG gestützt werden, wenn der Denkmalbehörde belastbare tatsächliche Anhaltspunkte für die Schädigung eines Denkmals vorliegen und der Eigentümer nicht von sich aus die notwendigen Maßnahmen zur Feststellung von Art und Umfang eines eventuellen Schadens sowie zu seiner Behebung ergreift.

2. § 23 Abs. 1 i.V mit § 6 Abs. 1 Satz 1 NDSchG dient der Durchsetzung der Erhaltungspflicht und bezieht sich daher nur auf Gefahren, die dem Denkmal selbst drohen. Geht von dem Denkmal eine Gefahr für seine Umgebung aus, ist das allgemeine Bauordnungsrecht einschlägig.

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 4. Kammer - vom 26. Februar 2021 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen eine denkmalrechtliche Anordnung, die ihm Maßnahmen zur Sicherung und Vorbereitung der Sanierung eines historischen Schulgebäudes aufgibt.

Der Antragsteller ist seit dem Jahr 2011 Eigentümer der „Alten Schule“ im Ortsteil C. der Antragsgegnerin. Dabei handelt es sich um die nach Entwürfen von Conrad Wilhelm Hase in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erbaute ehemalige Dorfschule; diese ist aufgrund ihrer geschichtlichen, künstlerischen, wissenschaftlichen und städtebaulichen Bedeutung als Einzeldenkmal in die Denkmalliste eingetragen. Das am östlichen Ortsrand gelegene Gebäude befindet sich aufgrund jahrelanger Vernachlässigung sowohl durch den Antragsteller als auch dessen Rechtsvorgänger in einem äußerst schlechten Erhaltungszustand und ist unter anderem vom Hausschwamm befallen.

Nach jahrelangen vergeblichen Bemühungen der Antragsgegnerin, den Antragsteller zu Instandhaltungsarbeiten zu bewegen, erließ diese unter dem 2. Dezember 2019 eine denkmalrechtliche Anordnung. Unter den noch streitbefangenen Verfügungspunkten zu 1.3 und 1.4 gab sie dem Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und Zwangsgeldandrohung auf, den Pilzbefall bzw. Hausschwamm fachmännisch begutachten zu lassen, um anschließend die Beseitigung vorzunehmen, (1.3) sowie im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht die Straße im westlichen Bereich vor eventuell herabfallenden Dach- und Wandelementen durch einen Bauzaun zu sichern (1.4).

Dagegen wandte sich der Antragsteller mit einem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, den das Verwaltungsgericht Hannover mit dem angegriffenen Beschluss vom 26. Februar 2021 (nur) hinsichtlich der vorgenannten Verfügungspunkte abgelehnt hat. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, die Anordnung einer Begutachtung des Umfangs des Hausschwammbefalls zur Erstellung eines Restaurationskonzepts sei eine wirtschaftlich zumutbare und geeignete Maßnahme, um einer (weiteren) Schädigung der Bausubstanz entgegenzuwirken. Die Anordnung zum Aufstellen des Bauzauns sei geeignet und erforderlich, um der Gefahr durch einen möglichen Abgang von Gebäudeelementen zu begegnen. Diese Gefahr habe der Antragsteller in einem Verfahren auf Erteilung einer denkmalrechtlichen Abrissgenehmigung selbst betont; zudem befinde sich die Alte Schule offenkundig in einem baufälligen Zustand. Fehlerfrei seien auch die auf die vorgenannten Verfügungspunkte bezogenen Zwangsgeldandrohungen.

Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde, der die Antragsgegnerin entgegentritt.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Änderung des angegriffenen Beschlusses.

1. Zu Unrecht wendet sich der Antragsteller gegen die Anordnung, den Hausschwammbefall und die zur Sanierung erforderlichen Maßnahmen durch ein Sachverständigengutachten feststellen zu lassen. Derartige Anordnungen zur sachverständigen Feststellung des bestehenden Zustands und des Instandsetzungsbedarfs eines Denkmals sowie der im Einzelnen in fachlich-technischer Hinsicht erforderlichen Maßnahmen können auf § 23 Abs. 1 i.V. mit § 6 Abs. 1 Satz 1 NDSchG gestützt werden, wenn der Denkmalbehörde belastbare tatsächliche Anhaltspunkte für die Schädigung eines Denkmals vorliegen und der Eigentümer nicht von sich aus die notwendigen Maßnahmen zur Feststellung von Art und Umfang eines eventuellen Schadens sowie zu seiner Behebung ergreift. So liegt der Fall hier. Der großflächige Befall mit Hausschwamm ist unstreitig. In Streit stehen aber sein Umfang im Detail und die zur Schadensbehebung erforderlichen Maßnahmen, deren sachverständiger Feststellung die Anordnung dient.

Vor diesem Hintergrund geht der Einwand des Antragstellers, eine Begutachtung sei nicht erforderlich, weil feststehe, dass und in welchem Umfang der Hausschwamm vorliege, ins Leere. Der Antragsteller missversteht die Verfügung, wenn er meint, es gehe im Schwerpunkt um die Frage, ob überhaupt Hausschwamm vorliege. Im Gegenteil zielt die Verfügung auf eine Begutachtung und Bestandsaufnahme ab, „um anschließend die Beseitigung vorzunehmen“. Mit anderen Worten liegt der Schwerpunkt auf der Feststellung der erforderlichen Maßnahmen, zu denen der Antragsteller in erster Instanz ausgesprochen weitreichende und entsprechend kostenintensive, möglicherweise aber wenig denkmalverträgliche Vorstellungen („vollständige Entkernung“) geäußert hat. Mit dem Gutachten schafft die Antragsgegnerin zugleich die Grundlage, um kurzfristig die erforderlichen Maßnahmen anordnen zu können, wenn der Antragsteller seiner Verpflichtung zum Denkmalerhalt auch weiterhin nicht nachkommt. Das gilt insbesondere mit Blick auf die vom Verwaltungsgericht in seinem Beschluss betonten strengen Anforderungen an die Bestimmtheit denkmalrechtlicher Anordnungen, die allerdings der Denkmalbehörde keinen praktisch nicht möglichen Grad an Konkretisierung abverlangen dürfen (vgl. Senatsbeschl. v. 25.11.2020 - 1 LA 175/18 -, n.v.).

Erfolglos bleibt die Beschwerde auch mit ihren weiteren Einwänden, der Verfügung fehle in Bezug auf die Begutachtungspflicht die erforderliche Begründung, und der Antragsgegnerin sei ein Ermessensnichtgebrauch zur Last zu legen. Im Gegenteil hat die Antragsgegnerin den schlechten Zustand des Denkmals und ihre bisherigen - ausgesprochen geduldigen - Versuche, den Antragsteller zur Instandsetzung zu bewegen, ausführlich dargelegt. Vor diesem Hintergrund ist ihre Schlussfolgerung, es bedürfe nunmehr Instandsetzungs- und Sicherungsmaßnahmen, wohlbegründet und weder in formeller noch in materieller Hinsicht zu beanstanden. Auch die Betätigung des Auswahlermessens dahingehend, die sachverständige Begutachtung zur Feststellung der erforderlichen Maßnahmen anzuordnen, ist fehlerfrei. Angesichts der Tatsache, dass die erforderlichen Maßnahmen im Einzelnen ungeklärt sind, handelt es sich um das mildeste Mittel, das zugleich auch im objektiv verstandenen Interesse des Antragstellers selbst liegt.

2. Im Ergebnis ebenfalls zu Unrecht wendet sich der Antragsteller gegen die Anordnung zur Aufstellung eines Bauzauns zwecks Absicherung der westlich am Gebäude entlangführenden Straße vor herabfallenden Gebäudeteilen. Zutreffend ist allerdings sein Einwand, die Anordnung könne nicht auf § 23 Abs. 1 NDSchG gestützt werden. § 23 Abs. 1 i.V. mit § 6 Abs. 1 Satz 1 NDSchG dient der Durchsetzung der Erhaltungspflicht und bezieht sich daher nur auf Gefahren, die dem Denkmal selbst drohen. Geht von dem Denkmal hingegen eine Gefahr für seine Umgebung aus, ist das allgemeine Bauordnungsrecht - und entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht etwa das subsidiäre Polizeirecht - einschlägig. Das gilt insbesondere dann, wenn der Eigentümer seinen Verkehrssicherungspflichten nicht nachkommt. Betrifft die Gefährdung den öffentlichen Verkehrsraum, können entsprechende Anordnungen auf § 79 Abs. 1 i.V. mit § 16 Abs. 2 NBauO gestützt werden (vgl. zu öffentlich-rechtlichen Verkehrssicherungspflichten zuletzt Senatsbeschl. v. 17.3.2021 - 1 LA 90/20 -, juris Rn. 10 ff.).

Der Fehler führt allerdings nicht zur Rechtswidrigkeit der Anordnung, weil eine Umdeutung der denkmalrechtlichen in eine bauordnungsrechtliche Anordnung gemäß § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V. mit § 47 Abs. 1 VwVfG möglich ist. Bei der gerichtlichen Umdeutung eines fehlerhaften Verwaltungsaktes nach § 47 Abs. 1 VwVfG handelt es sich nicht um eine rechtsgestaltende Entscheidung, sondern um einen Akt der Rechtserkenntnis (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.1.2017 - 8 C 1.16 -, BVerwGE 157, 187 = juris Rn. 17). Voraussetzung ist, dass der richtigerweise zu erlassende Verwaltungsakt auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Das ist der Fall.

Ziel, Form und Verfahren der als denkmalrechtliche Anordnung ergangenen, tatsächlich aber auf § 79 Abs. 1 Satz 1 NBauO zu stützenden Verfügung zum Aufstellen eines Bauzauns unterscheiden sich nicht; die Antragsgegnerin ist auch sachlich und örtlich gleichermaßen zuständig. Zugleich liegen die Anforderungen des § 79 Abs. 1 Satz 1 i.V. mit § 16 Abs. 2 NBauO offenkundig vor; der Antragsteller selbst hat wiederholt die Baufälligkeit des Gebäudes und die Gefahr eines Abgangs von Gebäudeteilen ins Feld geführt.

Bedenken bestehen auch nicht im Hinblick auf die erforderliche Ermessensbestätigung. § 79 Abs. 1 Satz 1 NBauO dient im Unterschied zu § 23 Abs. 1 NDSchG zwar nicht dem Schutz des Denkmals selbst, sondern der Allgemeinheit vor Gefahren, die von einer baulichen Anlage ausgehen. In Bezug auf den konkreten Fall zielte die Anordnung der Antragsgegnerin allerdings ohnehin auf den letztgenannten Zweck ab und orientierte sich damit in der Sache am bauordnungsrechtlichen Ermessensprogramm. Hinzu kommt, dass die Bauaufsichtsbehörde nach ständiger Rechtsprechung des Senats gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 NBauO gegen baurechtswidrige Zustände regelmäßig einzuschreiten hat. Ein „Für und Wider“ braucht nur dann abgewogen zu werden, wenn der Fall so geartet ist, dass ganz bestimmte konkrete Anhaltspunkte für die Angemessenheit einer Ausnahme vorliegen (vgl. Senatsbeschl. v. 11.5.2015 - 1 ME 31/15 -, NdsVBl 2015, 304 = BRS 83 Nr. 101 = juris Rn. 15; v. 18.9.2020 - 1 ME 22/20 -, GewArch 2020, 415 = BauR 2020, 1914 = juris Rn. 16). Das ist hier angesichts der erheblichen Gefahr für Leib und Leben von Passanten offensichtlich nicht der Fall; ein Einschreiten war zwingend geboten.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers begegnet schließlich die Eignung der Maßnahme keinen Bedenken. Richtig ist zwar, dass der Bauzaun den Abgang von Gebäudeteilen nicht verhindern kann. Er verhindert jedoch, dass Passanten bei einem etwaigen Abgang zu Schaden kommen können; darauf zielt die Maßnahme der Antragsgegnerin - wie sie in ihrer Beschwerdeerwiderung nochmals dargelegt hat - ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Der Senat veranschlagt die Kosten der Begutachtung und der Aufstellung des Bauzauns auf insgesamt rund 3.000 EUR; dieser Betrag war aufgrund der Vorläufigkeit der Entscheidung im Eilverfahren zu halbieren.