Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 17.05.2021, Az.: 1 MN 47/21

Abwägung; Bebauungsplan; Ortsumgehung; Prognosehorizont; Prognosezeitraum; Verkehr; Verkehrsprognose

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
17.05.2021
Aktenzeichen
1 MN 47/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 71168
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die verkehrlichen Auswirkungen einer planfestgestellten und im vordringlichen Bedarf des BVWP 2030 enthaltenen Ortsumgehung können im Rahmen einer Bauleitplanung auch dann zu berücksichtigen sein, wenn planfeststellungsrechtlich noch ein ergänzendes Verfahren durchzuführen ist und ein Baubeginn noch nicht feststeht.

Tenor:

Der vom Rat der Antragsgegnerin am 4. November 2019 als Satzung beschlossene Bebauungsplan Nr. 36 „Am Mühlenwege“ wird vorläufig bis zur Rechtskraft einer Entscheidung des Senats über den von den Antragstellern gestellten Normenkontrollantrag außer Vollzug gesetzt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird auf 20.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsteller, zwei Landwirte, wenden sich gegen den Bebauungsplan Nr. 36 „Am Mühlenwege“ der Antragsgegnerin, weil sie eine verschlechterte Zufahrt zu ihren dem Plangebiet gegenüberliegenden Hofstellen befürchten.

Die Antragsteller sind Eigentümer der im Aktivrubrum bezeichneten Grundstücke, die mit landwirtschaftlichen Hofstellen bestanden sind. Sie liegen nördlich der Altenhäger Straße, der stark befahrenen Ortsdurchfahrt der Bundesstraße 441 (D-Stadt-Uchte) durch den Ortsteil Altenhagen der rund 5 km westlich von Wunstorf gelegenen Antragsgegnerin.

Gegenüberliegend südlich der Altenhäger Straße liegt das Plangebiet, das gegenwärtig als Ackerfläche genutzt wird. Der angegriffene Bebauungsplan setzt dort im Wesentlichen allgemeine Wohngebiete fest, die im Nordosten an ein bereits bestehendes Baugebiet anschließen. Im Nordwesten zur Altenhäger Straße ist die Errichtung eines 3 m hohen Lärmschutzwalls vorgesehen, der das Wohngebiet von den Lärmemissionen der Bundesstraße abschirmen soll. Ferner trifft der Bebauungsplan in § 9 der textlichen Festsetzungen Vorkehrungen zum Schutz der Wohnbebauung vor Verkehrslärmimmissionen. Festgesetzt werden verschiedene Lärmpegelbereiche mit Vorgaben zum Schalldämmmaß von Wänden und Fenstern sowie abhängig vom Abstand zur Altenhäger Straße die Ausstattung der Schlafräume und Kinderzimmer mit schallgedämmten Lüftungsöffnungen sowie die Anordnung der Außenwohnbereiche im Schallschatten.

Die Erschließung des Gebiets soll über zwei Ringstraßen erfolgen, die an einen auszubauenden, von Nordwesten nach Südosten verlaufenden Feldweg angebunden werden. Der Feldweg soll seinen bisherigen Anschluss an die Altenhäger Straße verlieren und stattdessen einen neuen Anschluss gegenüber dem Grundstück A-Straße erhalten. Die Altenhäger Straße wird im Bereich des neuen Anschlusses aufgeweitet, um einen von Osten her kommenden Linksabbiegerstreifen in das Plangebiet und eine Querungshilfe für Fußgänger zu ermöglichen. Der Bebauungsplan enthält auch für die baulichen Veränderungen der bestehenden Straßen die erforderlichen Festsetzungen.

Das Planaufstellungsverfahren vollzog sich wie folgt: Den Planaufstellungsbeschluss fasste der Rat der Antragsgegnerin am 18. Dezember 2017. Nach frühzeitiger Öffentlichkeitsbeteiligung folgte in der Zeit vom 18. Juni 2019 bis zum 19. Juli 2019 die öffentliche Auslegung. Gegenstand der Auslegung waren unter anderem ein Verkehrsgutachten vom 23. Oktober 2017 zur Leistungsfähigkeit der vorgesehenen Anbindung des Plangebiets an die Altenhäger Straße sowie eine schalltechnische Untersuchung vom 5. April 2018. Das Verkehrsgutachten kommt bei Berücksichtigung einer weiteren Wohnbebauung der westlich des Plangebiets gelegenen landwirtschaftlichen Nutzflächen und einem Prognosehorizont 2030 zu dem Ergebnis einer in allen Fahrtrichtungen mindestens ausreichenden Verkehrsqualität. Die schalltechnische Untersuchung, die im Wesentlichen auf den Annahmen des Verkehrsgutachtens aufbaut, weist auch unter Berücksichtigung des Lärmschutzwalls Überschreitungen insbesondere der nächtlichen Orientierungswerte der DIN 18005 im nördlichen Plangebiet aus; dort werden im Bereich der Baufelder Nachtwerte von bis zu 52 dB(A) erreicht. Die Antragsteller erhoben Einwendungen, die sich insbesondere mit der Verkehrssituation auseinandersetzten; sie befürchteten aufgrund der Verkehrszunahme und der baulichen Veränderungen eine deutlich verschlechterte Anbindung ihrer Grundstücke. Diese und andere Einwendungen wies der Rat der Antragsgegnerin unter dem 4. November 2019 zurück und beschloss den Bebauungsplan als Satzung. Öffentlich bekanntgemacht wurde der Plan im Amtsblatt des Landkreises Schaumburg vom 30. Juni 2020.

Mit einem am 21. September 2020 gestellten Normenkontrollantrag (1 KN 135/20) und diesem nach Beginn von Erschließungsarbeiten im März 2021 nachgeschobenen Normenkontrolleilantrag wiederholen und vertiefen die Antragsteller ihre Einwendungen. Insbesondere rügen sie eine abwägungsfehlerhafte Behandlung der Belange des Verkehrs und des Immissionsschutzes. Die zunehmende Verkehrsbelastung der Altenhäger Straße aufgrund des Neubaugebiets werde dazu führen, dass sie ihre Hofstellen zu Verkehrsspitzenzeiten nicht mehr erreichen könnten. Das Verkehrsgutachten sei defizitär, weil es die planfestgestellte und zum Bau anstehende Ortsumgehung Wunstorf nicht berücksichtige; diese werde zu einer Verkehrszunahme von rund 10 % (1.500 Fahrzeuge/Tag) in der Ortslage führen. Damit verschlechtere sich die Anbindung des Plangebiets in einzelnen Beziehungen; hier sinke die Qualität von ausreichend auf mangelhaft. Die Verkehrszunahme sei auch in der schalltechnischen Untersuchung zu berücksichtigen gewesen und führe zu einer weiteren Verschlechterung der ohnehin unbefriedigenden Immissionssituation. Hinreichende städtebauliche Gründe dafür, Wohnbebauung derart nah an die Altenhäger Straße heranzuführen, seien nicht ersichtlich. Zudem handele es sich bei der Festsetzung eines allgemeinen Wohngebiets um einen „Etikettenschwindel“, weil die Planung tatsächlich auf ein reines Wohngebiet abziele.

Die Antragsteller beantragen,

den Bebauungsplan Nr. 36 der Antragsgegnerin vorläufig außer Vollzug zu setzen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie verneint das Vorliegen von Abwägungsfehlern. Selbst wenn man die geplante Ortsumgehung Wunstorf in dem Verkehrsgutachten hätte berücksichtigen müssen, führe das zu keiner relevanten Änderung. Erstens sei keineswegs gesichert, dass die Ortsumgehung eine Verkehrszunahme bewirke; eine solche Zunahme weise nur ein einziges, auf großräumige Betrachtungen angelegtes Verkehrsmodell aus. Zweitens baue das Verkehrsgutachten auf einer Worst-Case-Betrachtung auf; die enthaltenen Sicherheitsreserven seien so groß, dass eine Ergebnisrelevanz eines ohnehin nicht vorliegenden Ermittlungsdefizits ausgeschlossen sei. Auch die Belange des Immissionsschutzes seien fehlerfrei ermittelt und abgewogen worden. Für die Planung sprächen überzeugende städtebauliche Gründe, insbesondere die ortskernnahe Lage des Plangebiets. Die Verkehrsimmissionen ließen sich mit aktiven und passiven Schallschutzmaßnahmen auf ein verträgliches Maß vermindern. Eine ergänzende schalltechnische Untersuchung unter Einbeziehung einer um 1.500 Fahrzeuge/Tag erhöhten Verkehrsmenge, jedoch unter Ausklammerung der von dem möglichen weiteren Neubaugebiet im Westen verursachten Verkehrsbewegungen, belege zudem, dass sich die Immissionssituation nur um 0,3 dB(A) verändere und es keiner neuen Festsetzungen zum Lärmschutz bedürfe. Um einen „Etikettenschwindel“ handele es sich schließlich ebenfalls nicht.

Der Beigeladene hat sich zur Sache nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.

II.

Der zulässige Normenkontrolleilantrag ist begründet.

Der Senat hat sich mit Beschluss vom 28. Februar 2020 - 1 MN 153/19 -, juris Rn. 15, dem vom 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in ständiger Rechtsprechung (Beschl. v. 25.2.2015 - 4 VR 5.14 -, ZfBR 2015, 381 = BauR 2015, 968 = juris Rn. 12; v. 16.9.2015 - 4 VR 2.15 -, BRS 83 Nr. 58 = juris Rn. 4; v. 30.4.2019 - 4 VR 3.19 -, BauR 2019, 1442 = juris Rn. 4) vertretenen Prüfungsmaßstab für Anträge nach § 47 Abs. 6 VwGO angeschlossen. Zu prüfen sind danach zunächst die Erfolgsaussichten des in der Sache anhängigen Normenkontrollantrages, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Ergibt diese Prüfung, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug des Bebauungsplans bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn dessen (weiterer) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist.

1. Die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs der Antragsteller sind hoch. Der Bebauungsplan der Antragsgegnerin leidet unter einem beachtlichen Fehler im Abwägungsvorgang, weil die Verkehrsprognose fehlerhaft ist und dies zumindest zu einer fehlerhaften Behandlung der Belange des Immissionsschutzes führt.

a) Das in § 1 Abs. 7 BauGB verankerte Abwägungsgebot ist verletzt, wenn eine (sachgerechte) Abwägung überhaupt nicht stattfindet, wenn in die Abwägung Belange nicht eingestellt werden, die nach Lage der Dinge hätten eingestellt werden müssen, wenn die Bedeutung der betroffenen privaten Belange verkannt wird oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen Belangen in einer Weise vorgenommen wird, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens ist das Abwägungsgebot nicht verletzt, wenn sich die Gemeinde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet (BVerwG, Urt. v. 12.12.1969 - IV C 105.66 -, BVerwGE 34, 301 = juris Rn. 29). Zur Unwirksamkeit des Plans führen Mängel im Abwägungsvorgang nur, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind (§ 214 Abs. 3 Satz 2, 2. Hs. BauGB).

aa) Einen Mangel im Abwägungsvorgang weist die Behandlung der Belange des Verkehrs auf. Die Antragsteller rügen zu Recht, dass die Auswirkungen der Planung auf den Kraftfahrzeugverkehr nicht gemäß den Anforderungen des § 2 Abs. 3 BauGB ermittelt worden sind, weil das der planerischen Abwägung zugrunde liegende Verkehrsgutachten die Auswirkungen der geplanten Ortsumgehung Wunstorf nicht berücksichtigt und deshalb nicht feststeht, dass der neu zu bauende Anschluss des Plangebietes an die Altenhäger Straße über eine (mindestens) ausreichende Verkehrsqualität verfügt. Eine Verkehrsprognose ist gerichtlich darauf zu kontrollieren, ob sie nach einer geeigneten Methode durchgeführt wurde, ob der zugrunde gelegte Sachverhalt zutreffend ermittelt wurde und ob das Ergebnis einleuchtend begründet ist (vgl. Senatsbeschl. v. 28.10.2020 - 1 MN 47/20 -, juris Rn. 6). Zu einer zutreffenden Sachverhaltsermittlung gehört mit Blick auf den in dem Gutachten fehlerfrei zugrunde gelegten Prognosehorizont 2030 die Berücksichtigung der Ortsumgehung. Diese ist mit Beschluss vom 30. Dezember 2016 planfestgestellt. Der im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung festgestellte Verstoß gegen den artenschutzrechtlichen Verbotstatbestand des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG wegen möglicher betriebsbedingter Tötungen von Rotmilanen, Turmfalken, Rauchschwalben und Staren durch Kollisionen mit dem Straßenverkehr kann in einem ergänzenden Verfahren beseitigt werden (vgl. Nds. OVG. Urt. v. 27.8.2019 - 7 KS 24/17 -, RdL 2020, 354 = juris). Aufgrund der Einstufung in den vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans 2030 erscheint auch die Finanzierung gesichert. Ein baldiger Baubeginn und eine Fertigstellung bis 2030 waren daher zum rechtlich maßgeblichen Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses - anders möglicherweise noch bei Erstellung des Gutachtens zwei Jahre zuvor - zu erwarten; dennoch ist eine Betrachtung der Auswirkungen der Ortsumgehung unterblieben.

Ob der daraus folgende Mangel im Abwägungsvorgang auch erheblich ist, weil er offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen ist, kann der Senat im Ergebnis offenlassen. Er ist allerdings offensichtlich, weil sich der Planungs- und Realisierungsstand der Ortsumgehung der Presseberichterstattung entnehmen ließ und die Vertreter der Antragsgegnerin selbst die Auswirkungen der Ortsumgehung auf die Verkehrsbelastung im eigenen Ortskern stets öffentlichkeitswirksam und kritisch begleitet hatten (vgl. nur HAZ v. 18.1.2019 „Umgehung löst Ängste in A-Stadt aus“; SN v. 8.8.2019 „Wedemeier fordert erneut Ortsumgehung für A-Stadt“). Ob die konkrete Möglichkeit besteht, dass die Planung bei Berücksichtigung der Ortsumgehung anders ausgefallen wäre, bedarf keiner Entscheidung.

Unbeachtlich ist der Abwägungsfehler allerdings nicht deshalb, weil - wie die Antragsgegnerin meint – offen ist, ob und vor allem in welchem Umfang die Ortsumgehung Wunstorf zu einer Verkehrszunahme auf dem westlich gelegenen Abschnitt der Bundesstraße 441 führen wird. Richtig ist zwar, dass es nicht zwingend erscheint, das recht grobmaschige Verkehrsmodell Niedersachsen und die darin prognostizierte Zunahme des Verkehrs um 1.500 Fahrzeuge/Tag zugrunde zu legen. Dennoch erscheint die Annahme einer relevanten Verkehrszunahme, von der nach den oben zitierten Presseberichten im Übrigen auch die Antragsgegnerin selbst ausgeht, in einer Weise plausibel, dass eine vertiefte Untersuchung geboten gewesen wäre. Die Ortsumgehung führt - wie die Antragsteller zu Recht ausgeführt haben - dazu, dass die bislang sehr stauanfällige und aufgrund zahlreicher Ampeln zeitaufwändige Ortsdurchfahrt durch Wunstorf entfällt; der Zeitgewinn insbesondere zu den Verkehrsspitzenzeiten dürfte beachtlich sein. Dies hat zur Folge, dass die Nutzung der Bundesstraße 441 für den aus Richtung D-Stadt kommenden und in Richtung Loccum und Stolzenau fließenden Verkehr gegenüber den Alternativrouten an Attraktivität gewinnen wird.

Unbeachtlich ist der Abwägungsfehler auch nicht deshalb, weil das Verkehrsgutachten mit der Einbeziehung des perspektivisch zu beplanenden weiteren Wohngebiets im Westen des Plangebiets einen konservativen Ansatz zugrunde legt und demzufolge mit Reserven rechnet. Denn der Rat der Antragsgegnerin hat sich bei seiner Abwägung ausweislich der Planbegründung (etwa S. 20 und 22) davon leiten lassen, dass die vorliegende Planung insofern zukunftsfest ist, als die zu erstellenden Verkehrsanlagen auch die von weiterer Wohnbebauung im Westen ausgelösten Verkehrsströme aufnehmen können. Das schließt es aus, den entsprechenden Ansatz des Verkehrsgutachtens im Nachhinein zu korrigieren (vgl. Senatsbeschl. v. 28.10.2020 - 1 MN 47/20 -, juris Rn. 6).

In Betracht kommt eine Unbeachtlichkeit des Abwägungsfehlers allerdings mit Blick auf den im Verkehrsgutachten angesetzten - und dort bereits gegenüber dem realen Wert als mit Sicherheitsreserven versehen bezeichneten - pauschalen Schwerverkehrsanteil von 10 % (statt real 9,1 %, siehe S. 20 des Verkehrsgutachtens). Der Verkehrsgutachter hat in seiner ergänzenden Berechnung vom 15. Juni 2020 ausgeführt, bei Berücksichtigung einer Verkehrszunahme von 1.500 Fahrzeugen/Tag und Berücksichtigung des realen Schwerverkehrsanteils ergebe sich nahezu keine Veränderung der Verkehrsqualität im Einmündungsbereich. Dies mag dazu führen, dass der Abwägungsfehler gemäß § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB unbeachtlich ist, weil aufgrund im Wesentlichen unveränderter Verkehrsverhältnisse davon auszugehen sein könnte, dass der Rat den Plan in Kenntnis dieser Umstände unverändert beschlossen hätte.

bb) Die fehlerhafte Ermittlung der Verkehrsbelastungen, die als Zahlengrundlage in die schalltechnische Untersuchung vom 5. April 2018 eingeflossen ist, führt indes dazu, dass die Belange des Immissionsschutzes - wie die Antragsteller zutreffend vorgetragen haben - in beachtlicher Weise abwägungsfehlerhaft behandelt worden sind. Auch hier liegt ein Ermittlungsfehler schon deshalb vor, weil die naheliegende, von der Antragsgegnerin in anderem Zusammenhang selbst erwartete Verkehrszunahme infolge der Ortsumgehung unberücksichtigt geblieben ist. Da die schalltechnische Untersuchung zudem eigene Annahmen zum Schwerverkehrsanteil ansetzt und insofern nicht die Werte des Verkehrsgutachtens übernimmt, kommt ihr auch nicht zugute, dass der Verkehrsgutachter dort mit Reserven gerechnet hat.

Der daraus folgende Abwägungsfehler ist aus den oben genannten Gründen auch offensichtlich und auf das Ergebnis von Einfluss. Die schalltechnische Untersuchung gelangt bereits ohne Berücksichtigung der Ortsumgehung zu dem Ergebnis, dass der nördliche Teil des Plangebiets erheblich mit Verkehrslärm belastet ist. Die Orientierungswerte der DIN 18005 für ein allgemeines Wohngebiet von 55 dB(A) tags und in Bezug auf Verkehrslärm 45 dB(A) nachts sind auch unter Berücksichtigung des Lärmschutzwalls bis hin zu einer Entfernung von 75 m bzw. 100 m zur Straßenachse der Altenhäger Straße überschritten. Diese Überschreitung kompensiert die Planung mit der Festsetzung passiven Schallschutzes unter Festlegung von Lärmpegelbereichen. Es besteht mindestens die konkrete Möglichkeit - wenn nicht die Notwendigkeit -, dass der Rat der Antragsgegnerin diese Festsetzungen abweichend getroffen hätte, wenn er erkannt hätte, dass eine höhere Verkehrsbelastung höhere Lärmbelastungen im Plangebiet zur Folge hat.

Soweit die Antragsgegnerin dagegen unter Vorlage einer ergänzenden schalltechnischen Stellungnahme vom 26. März 2021 einwendet, tatsächlich führe die Zunahme des Verkehrs auf der Altenhäger Straße um 1.500 Fahrzeuge/Tag nur zu einer Lärmzunahme von 0,3 dB(A) sowie zu einer Verschiebung der Isophonen um 2 bis 5 m in südlicher Richtung, vermag sie damit keine Unbeachtlichkeit des Ermittlungsfehlers zu begründen. Denn die ergänzende schalltechnische Stellungnahme berücksichtigt zwar ein erhöhtes Verkehrsaufkommen auf der Altenhäger Straße infolge der Ortsumgehung, lässt aber die perspektivisch zu beplanenden Flächen westlich des Plangebiets und die daraus resultierenden Verkehrsströme im Unterschied zur Untersuchung vom 5. April 2018 außer Acht. Die ergänzende Stellungnahme legt damit ein Szenario zugrunde, das nicht Gegenstand der Abwägung des Rates war.

Hinzu kommt, dass die planerische Festsetzung der Lärmpegelbereiche und der Anforderungen des passiven Schallschutzes für Schlafräume/Kinderzimmer und Außenwohnbereiche auf den Isophonen der schalltechnischen Untersuchung vom 5. April 2018 beruht. Jede Veränderung gibt dem Rat deshalb Anlass, seine Festsetzungen erneut auf ihre Tauglichkeit zu überprüfen; dies gilt zumal mit Blick darauf, dass die ergänzende schalltechnische Stellungnahme selbst (naheliegenderweise) Veränderungen der Lärmpegelbereiche aufzeigt (siehe Anlage 5).

cc) Für den Fall, dass die Antragsgegnerin die vorliegenden Mängel in einem ergänzenden Verfahren gemäß § 214 Abs. 4 BauGB beheben möchte, weist der Senat auf folgende weitere Gesichtspunkte hin.

Erstens fällt auf, dass die zeichnerische Festsetzung der Lärmpegelbereiche von der entsprechenden Darstellung in der schalltechnischen Untersuchung vom 5. April 2018 abweicht (dort Anlage 5, Blatt 2). Deutlich sichtbar ist dies bei der Abgrenzung der Lärmpegelbereiche I und II im Westen des Plangebiets. Soweit hierfür nicht besondere Sachgründe vorliegen, die der Senat gegenwärtig nicht erkennen kann, dürfte auch darin ein Mangel des Plans liegen.

Zweitens begegnet die Bestimmtheit der textlichen Festsetzungen zum passiven Schallschutz in § 9 Abs. 2 Nr. 2 und 3 Bedenken. Die Vorschriften enthalten Vorgaben zur Gestaltung von Schlaf- und Kinderzimmern bzw. Außenwohnbereichen in Abhängigkeit vom jeweiligen Außenlärmpegel. Überschreitet dieser 45 dB(A) bzw. 58 dB(A), sind bestimmte Vorkehrungen zu treffen. Es folgt eine Konkretisierung dahingehend, dass eine Überschreitung in Bereichen von „bis zu ca. 70 m südöstlich der Fahrbahn der B 441“ bzw. „bis zu ca. 50 m südöstlich der Fahrbahn der B 441“ besteht. Dem Plan selbst lässt sich damit auch unter Zuhilfenahme seiner Begründung nicht entnehmen, wann genau die Vorgaben zum passiven Schallschutz eingreifen. Die angegebenen Lärmwerte lassen sich nach Maßgabe des gemeindlichen Wunsches, zugleich eine perspektivische Westerweiterung des Wohngebietes einzubeziehen, nur rechnerisch, nicht aber durch Messung ermitteln. Eine solche rechnerische Ermittlung setzt indes die Kenntnis der notwendigen Eingabeparameter aus, die weder der Festsetzung noch der Planbegründung zu entnehmen sind. Die nur ungefähre („ca.“) Abstandsangabe ist nicht vollziehbar; hinzukommt, dass ihr Bezugspunkt „südöstlich der B 441“ unklar bleibt. Bestimmt wäre die Festsetzung schließlich voraussichtlich selbst dann nicht, wenn auf die schalltechnische Untersuchung zurückgegriffen würde, obwohl diese weder Bestandteil der Festsetzungen noch der Planbegründung ist und sogar eine Bezugnahme fehlt. Denn die zeichnerischen Darstellungen der Untersuchung sind mit einem Maßstab von 1:2.000 möglicherweise zu unpräzise, um die erforderliche punktgenaue Abgrenzung in der Örtlichkeit vornehmen zu können.

Offen lässt der Senat schließlich, ob der Planung hinreichend gewichtige Gründe zugrunde liegen, die es rechtfertigen, Wohnbebauung in den deutlich lärmbelasteten Norden des Plangebiets, und zwar bis in die unmittelbare Nähe des Lärmschutzwalls und des parallel verlaufenden Weges, vordringen zu lassen (vgl. zu den Maßstäben Senatsbeschl. v. 21.2.2020 - 1 MN 147/19 -, NVwZ-RR 2020, 717 = juris Rn. 30 ff. unter Bezugnahme auf BVerwG, Urt. v. 22.3.2007 - 4 CN 2.06 -, BVerwGE 128, 238 = NVwZ 2007, 831 = juris Rn. 14 f.). Das Ziel einer sparsamen Inanspruchnahme von Grund und Boden (§ 1a Abs. 2 BauGB) mag jedenfalls im Rahmen dieser Planung kein ausreichender Grund sein. Erstens legt die Planung darauf angesichts der nach dem städtebaulichen Entwurf weithin vorgesehenen Bebauung mit freistehenden Einfamilienhäusern auf recht großen Grundstücken generell eher geringen Wert. Vor diesem Hintergrund leuchtet es weniger ein, wenn dieser Aspekt (nur) dort bemüht wird, wo deutlich unbefriedigende Wohnverhältnisse zu erwarten sind. Zweitens wären eine weiter südliche Führung der Erschließungsstraße, ein dann möglicher veränderter Grundstückszuschnitt mit größeren Grundstücken im Norden zu Lasten der südlichen Grundstücke sowie die Festsetzung einer von der Altenhäger Straße entfernteren Baugrenze durchaus geeignet, ein vergleichbares Maß an Ausnutzung bei deutlich günstigeren Immissionsverhältnissen für alle Bewohner zu gewährleisten. Hinzu kommt schließlich, dass der Plan die Möglichkeiten des passiven Schallschutzes bei weitem nicht ausschöpft. Wie die Antragsteller zutreffend ausführen, wäre beispielsweise eine geschlossene Gebäudezeile entlang der Altenhäger Straße, deren schutzwürdige Wohnräume nach Süden angeordnet wären, geeignet, den Immissionsschutz insgesamt deutlich zu verbessern. Ob diese Gesichtspunkte nur einen Schönheits- oder bereits einen Abwägungsfehler begründen, lässt der Senat mit Blick darauf, dass sich die Antragsgegnerin der Frage des Immissionsschutzes ohnehin erneut stellen muss, offen.

2. Ist der Bebauungsplan damit aller Voraussicht nach im Normenkontrollverfahren für unwirksam zu erklären, geht die gebotene Abwägung zu Gunsten der Antragsteller aus. Angesichts der Rechtswidrigkeit der Planung ist es ihnen nicht zuzumuten, deren nachteilige Auswirkungen auch nur vorübergehend hinzunehmen.