Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.12.2013, Az.: 11 LA 139/13

Begehung einer Straftat von erheblicher Bedeutung durch einen Ausländer i.R.d. Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
19.12.2013
Aktenzeichen
11 LA 139/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 51013
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2013:1219.11LA139.13.0A

Fundstellen

  • AUAS 2014, 14-16
  • DÖV 2014, 311

Amtlicher Leitsatz

Hat ein Ausländer eine Straftat von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 25 Abs. 3 Satz 2 Buchst. b AufenthG begangen, ist die diesem Ausschlusstatbestand zugrunde liegende gesetzgeberische Wertung auch bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG im Rahmen der Ermessensentscheidung, ob bei Vorliegen eines Ausweisungsgrundes von der Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abgesehen werden kann, zu berücksichtigen.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf

Zulassung der Berufung gegen das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts

hat keinen Erfolg.

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Die gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 2. September 2011 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Urteil abgewiesen.

Die dagegen geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 5 VwGO liegen nicht vor bzw. sind nicht hinreichend dargelegt worden.

1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.

Wie die Beklagte in dem Bescheid vom 2. September 2011 und das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil zutreffend dargelegt haben, kann dem Kläger aufgrund der Sperrwirkung der gegen ihn ergangenen Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis nur auf der Grundlage von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG erteilt werden. Da bei dem Kläger ein Ausweisungsgrund vorliegt, erfüllt er nicht die Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, von der nur im Wege der Ermessensausübung abgesehen werden kann (§ 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Dass das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Ausnahmefalles verneint und die Ermessensentscheidung der Beklagten als rechtmäßig angesehen hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

Der Kläger macht zur Begründung seines Zulassungsantrages geltend, die Beklagte habe keine wirkliche Ermessensausübung vorgenommen, sondern allein aufgrund der Straftat und der Höhe der verhängten Strafe die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis versagt. Zudem habe das Verwaltungsgericht zu Unrecht angenommen, dass aus generalpräventiven Gründen das öffentliche Interesse an der Versagung des Aufenthaltstitels gewichtiger sei als sein privates Interesse an der Legalisierung des Aufenthalts und als Indiz dafür die Regelung des § 25 Abs. 3 Satz 2 Buchst. b AufenthG herangezogen. Diese Regelung beziehe sich jedoch ausschließlich auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG. Dieses Vorbringen führt nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils.

Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Beklagte, wie sich der Begründung ihres Bescheides entnehmen lässt, eine Ermessensentscheidung getroffen und das sich aus der Verurteilung des Klägers zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren wegen zweifachen Totschlages ergebende öffentliche Interesse an der Versagung eines Aufenthaltstitels gegen das private Interesse des Klägers an einer rechtlichen Absicherung seines Aufenthalts in Deutschland abgewogen. Die Beklagte hat dazu ausgeführt, dass der Kläger mit der vorsätzlichen Tötung von zwei Menschen eine besonders schwerwiegende Straftat begangen habe und es aus generalpräventiven Gründen im öffentlichen Interesse liege, dass er keinen Aufenthaltstitel erhalte. Dem Schutz des Klägers vor Abschiebung könne mit einer Duldung Rechnung getragen werden. Sein privates Interesse an der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sei somit als gering einzuschätzen, zumal die ihm erteilte Duldung Erwerbstätigkeit zulasse. Soweit der Kläger meint, dabei habe es sich nicht um eine "wirkliche" Ermessensausübung gehandelt, kann dem nicht gefolgt werden. Der Sache nach beanstandet der Kläger insofern die von der Beklagten vorgenommene und vom Verwaltungsgericht bestätigte Gewichtung des öffentlichen Interesses. Daraus lassen sich ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils nicht herleiten.

Für die Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist abzuwägen, welches Gewicht dem Ausweisungsgrund gegenüber dem privaten Interesse des Ausländers an der Erteilung eines Aufenthaltstitels zukommt. Bei gravierenden Ausweisungsgründen kommt auch die Erteilung einer Duldung in Betracht. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis mit der Gesamtsystematik des Aufenthaltsgesetzes in Einklang stehen muss (Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: September 2013, § 5, Rn. 81).

Insofern hat das Verwaltungsgericht bei der Prüfung, ob die Beklagte den Ausweisungsgrund zutreffend gewichtet hat, zu Recht auch die gesetzgeberische Wertung herangezogen, die sich aus der Regelung der humanitären Aufenthaltsrechte in § 25 AufenthG und hier insbesondere aus § 25 Abs. 3 Satz 2 Buchst. b AufenthG ergibt. Danach wird einem Ausländer bei Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder Abs. 7 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht erteilt, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen hat. Der Gesetzgeber hat in § 25 Abs. 3 und 5 AufenthG zwingende Ausschlusstatbestände vorgesehen, die bei einem Verschulden des Ausländers die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen ausschließen. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll insbesondere Straftätern und Personen, die rechtsmissbräuchlich einen Antrag auf weiteren Aufenthalt stellen, kein Aufenthaltsrecht gewährt werden (siehe dazu: BT-Drs. 15/955, S. 14 u. 15). Da der Tatbestand des § 25 Abs. 3 Satz 2 Buchst. b AufenthG an ein in der Vergangenheit liegendes Verhalten des Ausländers anknüpft, reicht die Begehung einer Straftat von erheblicher Bedeutung für die Erfüllung des Ausschlusstatbestandes aus. Es bedarf daher weder der Feststellung einer Wiederholungsgefahr noch einer auf den Einzelfall bezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung (BayVGH, Urt. v. 15.6.2011 - 19 B 10.2539 -, [...], Rn. 31 ff.; Burr, in: GK-AufenthG, § 25, Rn. 51; Dienelt, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl., § 25, Rn. 50 ff.). Dass der Kläger eine Straftat von erheblicher Bedeutung im Sinne des Ausschlusstatbestandes des § 25 Abs. 3 Satz 2 Buchst. b AufenthG begangen hat, hat das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt und ist von dem Kläger mit Zulassungsgründen nicht angegriffen worden. Dem Kläger könnte also, selbst wenn er die Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG erfüllen würde, trotz Vorliegens zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse nach § 25 Abs. 3 AufenthG keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, weil in seinem Fall der Ausschlusstatbestand des § 25 Abs. 3 Satz 2 Buchst. b AufenthG eingreift. Wenn aber der genannte Ausschlusstatbestand auf dem Umweg über § 25 Abs. 5 AufenthG wirkungslos würde, bestünde ein vom Gesetzgeber nicht gewollter Wertungswiderspruch. Denn dann würde die gesetzgeberische Intention, bei Vorliegen von Ausschlusstatbeständen nach § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu unterbinden, unterlaufen werden (vgl.: BayVGH, Urt. v. 15.6.2011 - 19 B 10.2539 -, [...], Rn. 59; siehe auch: BayVGH, Urt. v. 20.3.2013 - 19 BV 11.288 -, [...], Rn. 104 f.).

Zudem hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auch darauf gestützt, dass die Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG bei einem Abstellen auf spezialpräventive Gesichtspunkte nicht anders ausgefallen wäre, da noch von einem aktuellen Ausweisungsgrund auszugehen sei. So sei der seit der Entlassung aus der Strafhaft am 23. September 2009 vergangene Zeitraum mit Blick auf die Schwere der von dem Kläger begangenen Straftat zu kurz, um derzeit eine günstige Prognose hinsichtlich der Wiederholungsgefahr abgeben zu können. Es müsse sich erst noch zeigen, ob der Kläger auch nach dem Wegfall des Drucks der Bewährungszeit - im September 2013 - längerfristig straffrei bleiben werde. Mit diesen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts selbständig tragenden Gründen hat sich der Kläger in der Begründung seines Zulassungsantrages nicht substantiiert auseinander gesetzt, so dass es insofern auch an einer hinreichenden Darlegung der Zulassungsgründe fehlt.

2. Eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO scheidet ebenfalls aus.

Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur dann zu, wenn sie in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht eine Frage aufwirft, die im Rechtsmittelzug entscheidungserheblich und fallübergreifender Klärung zugänglich ist sowie im Interesse der Rechtseinheit oder der Fortentwicklung des Rechts geklärt werden muss. Der Zulassungsantrag muss eine konkrete Frage aufwerfen, deren Entscheidungserheblichkeit erkennen lassen und (zumindest) einen Hinweis auf den Grund enthalten, der das Vorliegen der grundsätzlichen Bedeutung rechtfertigen soll (Kopp/Schenke, VwGO, 18. Auflage, § 124, Rn. 10). Dabei ist substantiiert zu begründen, warum die Frage für grundsätzlich und klärungsbedürftig gehalten wird, und weshalb die Rechtsfrage entscheidungserheblich und ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist (Kopp/Schenke, a.a.O., § 124 a, Rn. 54, m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

Der Kläger hat hinsichtlich der von ihm als grundsätzlich bedeutsam angesehenen Frage,

"ob eine grundsätzliche Versagung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG bei bestimmten schweren Straftaten, wie hier vorliegend, zulässig ist und den Ausschluss der persönlichen Belange des Betroffenen zulässt",

weder die Klärungsbedürftigkeit noch die Entscheidungserheblichkeit hinreichend dargelegt. So wird weder aus der Frage selbst, noch mangels weiterer Begründung sonst ersichtlich, welchen rechtlichen Aspekt des angefochtenen Urteils der Kläger damit konkret aufgreifen will. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass das Verwaltungsgericht die Ermessensentscheidung der Beklagten nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zum Absehen von den Regelerteilungsvoraussetzungen überprüft und nicht etwa entschieden hat, dass eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG bei bestimmten schweren Straftaten zu versagen ist.

3. Die Berufung kann auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs zugelassen werden.

Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verschafft den Verfahrensbeteiligten ein Recht darauf, sich zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen zweckentsprechend und erschöpfend zu erklären und Anträge zu stellen (vgl. auch §§ 86 Abs. 2 und 3, 104 Abs. 1, 108 Abs. 2 VwGO) und verpflichtet das Gericht darüber hinaus, das entscheidungserhebliche Vorbringen und die Anträge der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen. Das Verwaltungsgericht ist verpflichtet, das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse zu stützen, zu denen die Beteiligten sich zuvor äußern konnten, und die Gründe in dem Urteil anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

Soweit der Kläger geltend gemacht hat, das Verwaltungsgericht habe deshalb rechtliches Gehör verletzt, weil es seine persönlichen Belange nicht berücksichtigt habe, ergibt sich daraus kein Verfahrensfehler. Das Gericht ist nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Ein Verstoß gegen § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG ist vielmehr erst dann anzunehmen, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BVerfG, Entsch. v. 2.12.1969 - 2 BvR 320/69 -, BVerfGE 27, 251 [BVerfG 02.12.1969 - 2 BvR 320/69]). Der Kläger hat bereits nicht hinreichend dargelegt, dass das Verwaltungsgericht tatsächliches Vorbringen übergangen hat. Dies ist im Übrigen auch sonst nicht ersichtlich. Dass das Verwaltungsgericht den rechtlichen Ausführungen des Klägers nicht gefolgt ist und die Frage, ob die Beklagte die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu Recht versagt hat, anders beurteilt hat als dieser, vermag einen Gehörsverstoß nicht zu begründen.