Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 18.03.2020, Az.: 12 ME 4/20

Anlage, immissionsschutzrechtliche; Anordnung, immissionsschutzrechtliche; Außengastronomie; Freiluftgaststätte; Kiosk; Lärm; Partymeile

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
18.03.2020
Aktenzeichen
12 ME 4/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 71673
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 19.12.2019 - AZ: 4 B 4022/19

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Verursachen die Kunden eines an einer als "Partymeile" bekannten Straße gelegenen Kiosks nächtlichen Lärm wie Gäste einer Außengastronomie, so ist dieser Lärm dem Kiosk immissionsschutzrechtlich als Betriebslärm zuzurechnen.

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 4. Kammer - vom 19. Dezember 2019 geändert.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die nicht erstattungsfähig sind.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsgegnerin wendet sich dagegen, dass das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 16. August 2019 (Bl. 132 ff. Beiakte - BA - 1 -) wiederhergestellt hat, den der Antragsteller gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 9. August 2019 (Bl. 6 ff. der Gerichtsakte – GA –) erhoben hatte. Durch diesen Bescheid wurde dem Antragsteller nach vorheriger Anhörung (vgl. Bl. 83 f. BA 1) unter näher begründeter Anordnung der sofortigen Vollziehung und unter Androhung eines Zwangsgeldes von 2.000, - EUR kostenpflichtig aufgegeben, innerhalb des Zeitraumes von 1. April bis 31. Oktober eines jeden Jahres den Verkauf und die Abgabe alkoholischer Getränke durch seinen Kioskbetrieb in der Nachtzeit (ab 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr des Folgetages) einzustellen. Wegen der Einzelheiten seiner Begründung wird auf den Bescheid selbst Bezug genommen.

Der Antragsteller betreibt in der G. H., B-Stadt, einen Kiosk, an dem in der Vergangenheit auch während der Nachtzeit alkoholische Getränke verkauft wurden. Es kam zu Beschwerden aus der Nachbarschaft über den Lärm, den Kunden des Antragstellers verursacht hatten.

Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen begründet wie folgt: Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO könne das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen, wenn das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung des angegriffenen Verkaufsverbotes vorerst verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an dieser Vollziehung überwiege. Hierbei komme den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs maßgebliche Bedeutung zu. Nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung lasse sich hier absehen, dass der vom Antragsteller erhobene Widerspruch Erfolg haben werde.

Die Antragsgegnerin stütze das angefochtene Verkaufsverbot auf die §§ 24, 22 Abs. 1 BImSchG. Danach könne die zuständige Behörde im Einzelfall die erforderlichen Anordnungen treffen, um sicherzustellen, dass nicht genehmigungsbedürftige Anlagen ohne nach dem Stand der Technik vermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen betrieben würden. Die Voraussetzungen dieser Ermächtigungsgrundlage lägen nicht vor. Soweit in der Rechtsprechung (vereinzelt) angenommen worden sei, dass der einem Einzelhandelsbetrieb zurechenbare Mitverursachungsbeitrag zur Gesamtlärmbelastung als anlagenbezogener Lärm einzuordnen sei, teile die Kammer diese Einschätzung nicht.

Anlagen im Sinne des BImSchG seien nach § 3 Abs. 5 Nr. 1 BImSchG Betriebsstätten und sonstige ortsfeste Einrichtungen. Der Kiosk des Antragstellers sei zwar eine nicht genehmigungsbedürftige Anlage im Sinne des § 22 BImSchG. Der – hier streitgegenständliche – außerhalb des eigentlichen Verkaufsvorgangs beim Erwerb von Getränken am Kiosk des Antragstellers entstehende Lärm stelle aber keine anlagenbedingte „Immission“ des Kiosks des Antragstellers dar. Er könnte der Betriebsstätte des Antragstellers nur zugeordnet werden, wenn die Immissionen bei der Errichtung oder dem Betrieb der Anlage entstünden. Von Menschen ausgehende Lärmimmissionen, wie hier diejenigen von Personen vor dem Kiosk des Antragstellers, könnten nur dann als anlagenbezogene Immissionen bezeichnet werden, wenn sie in einem funktionellen Zusammenhang mit dem Betrieb stünden und diesem auch in räumlicher Hinsicht noch zuzurechnen seien, weil sie den Bezug zu der emittierenden Anlage noch nicht verloren hätten. Dies schließe es aus, einer Verkaufsstätte den Lärm von Kunden zuzurechnen, die den Bereich der Verkaufsstätte nicht verließen und davor verweilten. Der Kiosk als reine Verkaufsstätte sei nämlich nicht primär (betriebstechnisch bzw. funktionsbezogen) ursächlich für die Lärmimmissionen, sondern die Lärmimmissionen beruhten auf den verhaltensbezogenen „Immissionen“ der Nutzer, die unabhängig vom Vorhandensein des Kiosks (quasi zufällig) nach dem Kauf dort verweilten. Die Antragsgegnerin könne sich nicht darauf berufen, dass der von Personen vor dem Kiosk erzeugte Lärm diesem wie einer Gaststätte zuzurechnen sei. Grundsätzlich treffe es zu, dass der Lärm von Gästen einer Schankwirtschaft dieser anlagenbedingt zuzurechnen sei. Anknüpfungspunkt sei in diesem Fall aber nicht das Verhalten der Anlagenbenutzer, sondern des Anlagenbetreibers, der die Gaststätte und damit Einrichtungen betreibe, die zum Verweilen in und an seiner Anlage einlade. Der Kiosk des Antragstellers sei jedoch keine Gaststätte. Das Verhalten des Antragstellers erschöpfe sich nämlich im bloßen Verkauf „über den Tresen“ und nehme keinen Einfluss darauf, wie sich die Käufer anschließend verhielten, geschweige denn, dass es sie an den Ort der Verkaufsstätte binde. Hinzu komme, dass „Partylärm“ nicht zwangsläufig mit dem Betrieb des Kiosks des Antragstellers verbunden sei. Am Alkoholverkauf auf der G. seien zahlreiche weitere Verkaufsstellen beteiligt. Gar mancher Käufer werde das Getränk nicht vor der Verkaufsstelle des Antragstellers verzehren, sondern sich fortbewegen und mit Käufern von Getränken bei anderen Verkaufsstellen vor dem Kiosk „Party machen“. Schließlich vermisse das Gericht bei der Antragsgegnerin eine Auseinandersetzung mit der Frage, warum sie nur gegen den Kiosk des Antragstellers einschreite, obwohl an zahlreichen weiteren Stellen der G. Alkohol ausgeschenkt bzw. (nur) verkauft werde.

II.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover vom 19. Dezember 2019 hat Erfolg. Denn aus den fristgerecht dargelegten Beschwerdegründen ergibt sich, dass die Begründung der angefochtenen Entscheidung und deren Ergebnis unrichtig sind. Die Entscheidung ist daher wie aus dem Tenor ersichtlich abzuändern.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanz verspricht der Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 9. August 2019 keinen Erfolg.

Zu Unrecht ist die Vorinstanz davon ausgegangen, dass die §§ 24 Satz 1 und 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG keine hinreichende Grundlage für das angefochtene Verkaufsverbot bieten. Gemäß diesen Vorschriften kann die zuständige Behörde im Einzelfall die erforderlichen Anordnungen treffen, um sicherzustellen, dass beim Betrieb einer nicht genehmigungsbedürftigen Anlage nach dem Stand der Technik vermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen vermieden (Nr. 1) oder hiernach unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden (Nr. 2). Nach beiden Alternativen können als Abhilfemaßnahme zeitliche Beschränkungen des Betriebs angeordnet werden, wobei hier offenbleiben kann, welche dieser Alternativen für einschlägig zu halten ist (vgl. dazu: Jarass, BImSchG, 12. Aufl. 2017, § 22 Rn. 35a).

Der Kiosk des Antragstellers ist als Betriebstätte (§ 3 Abs. 5 Nr. 1 Alt. 1 BImSchG) eine Anlage und zudem immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungsbedürftig (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 3 BImSchG i. V. m. § 1 der 4. BImSchV).

Die auf Menschen aus der Nachbarschaft des Kiosks einwirkenden Geräusche, die durch im Umfeld des Kiosks verweilende Kunden erzeugt werden, sind Immissionen (§ 3 Abs. 2 BImSchG).

Diese Immissionen sind entgegen der Auffassung der Vorinstanz dem Betrieb des Kiosks des Antragstellers zuzurechnen. Denn hierzu ist es ausreichend, dass das sie verursachende Geschehen noch erkennbar als Ziel- oder Quellverkehr dieses Betriebes in Erscheinung tritt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 9.4.2003 - BVerwG 6 B 12.03 -,
GewArch 2003, 300 f., hier zitiert nach juris, Rn. 10, und Urt. v. 7.5.1996 - BVerwG 1 C 10.95 -, BVerwGE 101, 157 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 35; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 27.6.2002 - 14 S 2736/01 -, GewArch 2003, 204 ff. [VGH Baden-Württemberg 27.06.2002 - 14 S 2736/01], hier zitiert nach juris, Rn. 65, m. w. N.) und nach der Verkehrssaufassung mit dem Kiosk in einem näheren Zusammenhang steht (vgl. Jarass, BImSchG, 12. Aufl. 2017, § 22 Rn. 6c). Beides ist der Fall, wenn sich – wie hier – vor einem Kiosk Kunden mit dort erworbenen Getränken nur verlangsamt entfernen, weil sie ihre Getränke vor Ort verzehren, oder wenn sie während und nach dem Verzehr im Gespräch im nahen Umfeld des Kiosks verweilen, um ggf. weitere Getränke nachzukaufen. Die daraus entstehenden Emissionen (und Immissionen) sind dem Betreiber nach der Verkehrsauffassung zuzurechnen, weil und soweit sie aus einem vorhersehbarem, aber noch nicht missbräuchlichem (wie etwa absichtlich die Nachtruhe störendem) Verhalten seiner Kunden resultieren (vgl. Roßnagel/Hentschel, in: Führ, GK-BImschG, 2. Aufl. 2019, § 22 Rn. 10). Dabei ist es für ihre Zurechnung keineswegs erforderlich, dass der Antragsteller eine Gaststätte betreibt oder das beschriebene Verhalten seiner Kunden aktiv fördert. Deshalb kommt es nicht darauf an, dass Letzteres in der Vergangenheit sogar der Fall war, weil der Antragsteller auf der Grundlage einer – wohl rechtswidrigen – Sondernutzungserlaubnis (vgl. Bl. 12 ff., 41 BA 1) Stühle auf der Straße vor seinem Kiosk vermietete (vgl. Bl. 38 ff. BA 1). Denn das vormals sogar geförderte Verhalten seiner Kunden ist dem Antragsteller jedenfalls bekannt und führt nicht nur zu einem der Außengastronomie vergleichbaren Geschäftserfolg, sondern auch zu dementsprechenden Immissionen, die daher für das hier in Rede stehende Geschäftsmodell eines Kiosks typisch sind (vgl. Giesberts/Reinhardt, BeckOK UmwR, Stand: 1.1.2020, § 22 BImSchG Rn. 4). Diese Immissionen wären, wenn sie durch den „Verkauf über die Straße“ (§ 8 NGastG; vgl. auch § 7 Abs. 2 Nr. 2 GastG) einer Gastwirtschaft herbeigeführt würden, dem Gastwirt zuzurechnen. Es gibt keinen rechtfertigenden Grund dafür, dies für den Betreiber eines Kiosks anders zu sehen (vgl. OVG NRW, Urt. v. 15.4.2016 - 4 A 17/14 -, GewArch 2016, 350, [353, Rn. 35]) und ihn auf diese Weise sogar zu privilegieren. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Kunden des Kiosks unabhängig von dessen Vorhandensein dort „quasi zufällig“ nach dem Kauf verweilten, wird dem Geschehen weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht gerecht.

Die von den verweilenden Kunden des Kiosks ausgehenden Immissionen sind auch als schädliche Umwelteinwirkungen (§ 3 Abs. 1 BImSchG) zu betrachten, weil sie nach Art, Ausmaß und Dauer geeignet sind, erhebliche Belästigungen der Nachbarschaft herbeizuführen.

Bei der Bestimmung desjenigen, was im Rahmen einer auf die §§ 22 und 24 BImSchG gestützten Anordnung als schädliche Umwelteinwirkung zu betrachten ist, hat die Antragsgegnerin gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 BImSchG i. V. m. Nr. 1 Satz 3 Buchst. b) Doppelbuchst. bb) der TA Lärm zu Recht die TA Lärm für grundsätzlich anwendbar gehalten. Denn die teilweise privilegierende (vgl. BVerwG, Beschl. v. 3.8.2010 - BVerwG 4 B 9.10 -, BauR 2010, 2070 f., hier zitiert nach juris Rn. 3) Herausnahme von Freiluftgaststätten aus dem Anwendungsbereich der TA Lärm (vgl. Nr. 1 Satz 2 Buchst. b] der TA Lärm) ist für den vorliegenden Fall nicht einschlägig, weil der Antragsteller mangels baurechtlich genehmigter Nutzungsänderung (vgl. Bl. 59 f. GA) und fehlender gaststättenrechtlicher Anzeige (§ 2 NGastG) aus seinem Kiosk heraus keine Freiluftgaststätte betreiben darf.

Gemäß Nr. 5.2 Satz 2 Buchst. a) und Nr. 4.2 Buchst. a) der TA Lärm ist die Antragsgegnerin auch zu Recht davon ausgegangen, dass ihr Einschreiten dann in Betracht kommt, wenn die dem Betrieb des Antragstellers zuzurechnenden Immissionen als Zusatzbelastung bereits für sich genommen einen einschlägigen Immissionsrichtwert nach Nr. 6 der TA Lärm überschreiten (vgl. Hansmann, in: Landmann/Rohmer, UmwR, Werkstand: Sep. 2019, Nr. 5.5 der TA Lärm, Rn. 30). Dies ist hier selbst dann der Fall, wenn man zugunsten des Antragstellers davon ausgeht, dass sich die Schutzwürdigkeit der seinem Kiosk gegenüberliegenden Wohnbebauung und der Bewohner des Hauses G. H., die sich jeweils in einem besonderen Wohngebiet (WB) befinden (Bl. 76. bzw. 78 BA 1), gemäß Nr. 6.1 Satz 1 Buchst. d) der TA Lärm grundsätzlich unter Heranziehung lediglich des nächtlichen Immissionsrichtwertes für ein Mischgebiet von 45 dB(A) beurteilt und nicht nach dem ebenfalls durchaus in Betracht kommenden (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 30.11.2012 - 11 KN 187/12 -, NordÖR 2013, 113 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 74) Wert von 40 dB(A) für allgemeine Wohngebiete (Nr. 6.1 Satz 1 Buchst. e) der TA Lärm. Denn nach der nicht überzeugend in Zweifel gezogenen Prognoseberechnung der fachkundigen Antragsgegnerin (Bl. 82 BA 1) sind schon bei nur vier vor dem Kiosk des Antragstellers gleichmäßig sprechenden Personen Beurteilungspegel von mehr als 50 dB(A) an Immissionspunkten der Wohnbebauung auf der dem Kiosk gegenüberliegenden Straßenseite zu erwarten. Anhand der in den Akten der Antragsgegnerin enthaltenen Fotos (Bl. 91 ff. BA 1) ergibt sich im Übrigen, dass häufig noch erheblich mehr Personen vor dem Kiosk des Antragstellers verweilen und kann auch darauf geschlossen werden, dass die Zusatzbelastung an Immissionspunkten des Hauses G. H. noch höher ausfallen wird als diejenige an Immissionspunkten an der gegenüberliegenden Bebauung.

Allerdings lässt sich im Rahmen der §§ 22 und 24 BImSchG nicht allein anhand der Überschreitung eines Immissionsrichtwertes abschließend beurteilen, ob auf Menschen aus der Nachbarschaft einwirkenden Geräusche der Anlage, schädliche Umwelteinwirkungen sind. Vielmehr ist die Erheblichkeit und damit die Zumutbarkeit von Geräuschimmissionen auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. Enders, BeckOK UmwR, Stand: 1.1.2020, § 22 BImSchG, Rn. 11) und hängt sie neben der speziellen Schutzwürdigkeit des betroffenen Baugebietes auch von wertenden Elementen wie solchen der Herkömmlichkeit, der sozialen Adäquanz und einer allgemeinen Akzeptanz ab (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.4.1988 - BVerwG 7 C 33.87 -, NJW 1988, 2396 [2397]). Dafür spricht auch, dass die hier umstrittenen Geräusche denjenigen einer Freiluftgaststätte vergleichbar sind und für solche Geräusche – unter anderem wegen der besonderen Geräuschcharakteristiken menschlicher Laute – anerkannt ist, dass sie sich mithilfe des standardisierten Beurteilungsverfahrens der TA Lärm nicht abschließend beurteilen lassen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 3.8.2010 - BVerwG 4 B 9.10 -, BauR 2010, 2070 f., hier zitiert nach juris, Rn. 3, m. w. N.; Feldhaus/Tegeder, in: Feldhaus, BImSchG, Werkstand: Dez. 2019, Bd. 4, B 3.6, Nr. 1 TA Lärm, Rn. 16). Dementsprechend darf eine Berücksichtigung entsprechender Gesichtspunkte nicht nur im Rahmen einer Ermessensausübung nach Nr. 5.2 Satz 1 i. V. m. Nr. 5.1 Satz 1 bis 3 TA Lärm stattfinden. Zu Recht hat die Antragsgegnerin die außergewöhnliche Lästigkeit des hier in Rede stehenden Lärms hervorgehoben. Die besonderen Umstände, die zugunsten einer Freiluftgaststätte sprechen können, wie kürzere Betriebszeiten, Standortbindung, regionale und örtliche Herkömmlichkeit sowie soziale Adäquanz (vgl. Feldhaus/Tegeder, a. a. O.) lassen sich dagegen zugunsten der sich wie eine Außengastronomie auswirkenden Bewirtschaftung eines Kiosks nicht erfolgreich ins Feld führen, weil ein solcher Kiosk seinem Wesen nach ein Ladengeschäft bleibt. Je mehr sich das vorhersehbare Verhalten der Kunden eines Kiosks daher – wie hier – dem Verhalten von Gästen einer Außengastronomie annähert, umso weniger entspricht die Betriebsführung einem herkömmlichen Geschäftsmodell und sind die durch den Betrieb verursachten Immissionen herkömmlich und sozial adäquat. Dem hält der Antragsteller zu Unrecht entgegen, dass die G. außerordentlich belebt sei und sich ihr Charakter als „Erlebnisstraße“ nicht mit Ansprüchen an ein ruhiges Wohnquartier vereinbaren lasse. Denn diesem Gesichtspunkt ist hier im Grundsatz bereits dann Rechnung getragen, wenn von dem Immissionsrichtwert für ein Mischgebiet ausgegangen wird. Im Übrigen lässt sich die soziale Adäquanz einer Lärmbelastung nicht allein aus der bestehenden Lärmsituation in einer Straße herleiten. Vielmehr kann es gerade notwendig werden, den Charakter einer Straße als „Partymeile“ einzuschränken, wenn diese Straße ihren bestehenden Charakter nur auf Kosten eines berechtigten Ruhebedürfnisses der Anwohner gewonnen hat.

Voraussichtlich ohne Erfolg beanstandet der Antragsteller auch die Ermessensausübung der Antragsgegnerin.

Im Rahmen ihres Entschließungsermessens hat die Antragsgegnerin zu Recht eine Angleichung an die oder eine Auseinandersetzung mit der politischen Haltung der Beigeladenen nicht für erforderlich gehalten. Denn politische Standpunkte sind hier unerheblich. Auch hätte die Antragsgegnerin nicht im Hinblick auf die Möglichkeit der Beigeladenen; eine einheitliche Sperrzeit festzusetzen (§ 10 Satz 1 NGastG i. V. m.
Nr. 3.4.1.2 der Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 ZustVO-Wirtschaft); von einem Einschreiten Abstand nehmen müssen (vgl. dazu für eine Außengastronomie: Nds. OVG, Beschl. v. 23.1.2018 - 12 ME 190/17 -, S. 11 des Abdrucks, unter II. 2. c). Das ergibt sich hier allerdings schon daraus, dass gemäß § 10 Satz 1 NGastG nur eine Sperrzeit für Gaststätten und Spielhallen, nicht aber für Kioske festgesetzt werden kann.

Die Ausübung ihres Auswahlermessens hat die Antragsgegnerin zu Recht am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgerichtet (vgl. Nr. 5.2 Satz 1 i. V. m. Nr. 5.1 Satz 1 der TA Lärm). Das Verbot des Ausschanks alkoholischer Getränke in der Zeit zwischen 22:00 h und 6:00 h erscheint geeignet, den Lärm zu verringern, den vor dem Kiosk des Antragstellers verweilende Kunden hervorrufen. Denn wegen der enthemmenden Wirkung des Alkohols neigen dessen Konsumenten besonders zu lautstarkem Verhalten. Personen, die Alkohol konsumieren wollen, werden aber infolge des Verbots den Kiosk des Antragstellers nachts nicht mehr aufsuchen. Dem kann nicht überzeugend entgegenhalten werden, dass sich vor dem Kiosk auch Personen aufhalten könnten, die ihre alkoholischen Getränke andernorts gekauft haben. Denn deren Anteil wird schon deshalb gering sein, weil sie vor Ort keinen Nachschub an alkoholischen Getränken mehr erhalten können. Im Übrigen geht die Antragsgegnerin nach ihren glaubhaften Angaben (am Ende) in ihrer Beschwerdeschrift (Bl. 109 f. GA) auch gegen andere Betriebe in der G. vor bzw. beabsichtigt dies nach Abschluss des vorliegenden Eilverfahren zu tun.

Die erlassene Verfügung ist auch erforderlich, weil ein ebenso wirksames, aber für den Antragsteller weniger belastendes Mittel als Variante seiner eigenen Inanspruchnahme nicht ersichtlich ist. Dagegen muss sich die Antragsgegnerin nicht darauf verweisen lassen, die Beigeladene könnte gegen lärmende Kunden des Antragstellers als unmittelbare Störer – etwa mit einer Gefahrenabwehrverordnung (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 30.11.2012 - 11 KN 187/12 -, NordÖR 2013, 113 ff.) – vorgehen. Denn diese Möglichkeit ist keine anlagenbezogene Maßnahme.

Gegenüber der Verhältnismäßigkeit der Verfügung – im engeren Sinne – (vgl. Feldhaus/Tegeder, in: Feldhaus, BImSchG, Werkstand: Dez. 2019, Bd. 4., B 3.6, Nr. 5 TA Lärm, Rn. 44 i. V. m. Rn. 13; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: Aug. 2019, Art. 20 Rn. 117) bestehen ebenfalls keine durchgreifenden Bedenken. Zwar meint der Antragsteller, seine wirtschaftlichen Nachteile überwögen den zu erwartenden Effekt des Verbots, weil trotz dieses Verbotes die Eindeckung des „Partyvolks“ in der G. mit Alkohol anderweitig stattfinden werde. Hierbei berücksichtigt er jedoch weder, dass nicht die Auswirkungen des Verbots auf die G. insgesamt zur Debatte stehen, sondern nur diejenigen auf das speziell vor seinem Kiosk verweilende Kundenspektrum, noch, dass die Antragsgegnerin im Übrigen auch gegen andere „Bezugsquellen“ in der Straße vorgeht bzw. vorgehen wird.

Da bereits allein durch die Kunden des Antragstellers schädliche Umwelteinwirkungen zu Lasten der Nachbarschaft auf der gegenüberliegenden Straßenseite und im Hause G. H. verursacht werden, war die Antragsgegnerin im Übrigen nicht gemäß Nr. 5.2 Satz 3 der TA Lärm verpflichtet, ihrer Abhilfemaßnahme eine im Einzelnen näher begründete Störerauswahl zugrunde zu legen. Dies wäre vielmehr erst dann geboten gewesen, wenn – anders als hier – die dem Betrieb des Antragstellers zuzurechnenden Immissionen für sich genommen nicht ausgereicht hätten, um eine schädliche Umwelteinwirkung zu begründen, sodass lediglich nach Nr. 5.2 Satz 2 Buchst. b) der TA Lärm hätte vorgegangen werden können.

Schließlich berücksichtigt der Antragsteller mit dem Hinweis auf die besondere Bedeutung des Saisongeschäftes für seinen Kiosk nicht, dass der Betrieb eines Kiosks, der Emissionen wie eine Außengastronomie zeitigt, nicht sozial adäquat ist.

Der Antragsteller erhebt keine eigenständigen Einwände gegen die Zwangsgeldandrohung und die Gebührenforderung. Gegenüber deren Rechtmäßigkeit bestehen auch aus der Sicht des Senats keine durchgreifenden Bedenken, wobei allerdings die für die Mindestgebühr einschlägige, laufende Nummer des Kostentarifs 44.1.17 lauten muss.

Es ist nach alledem nicht ersichtlich, dass das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines – voraussichtlich unbegründeten – Widerspruchs das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt. Das ergibt sich insbesondere weder aus einer von der Antragsgegnerin vermeintlich zu treffenden „Grundsatzentscheidung“ noch daraus, dass es für den Antragsteller um das (angeblich) letzte Saisongeschäft dieser Art geht und er behauptet, den Betrieb des Kiosks bei Beachtung der Verfügung als unwirtschaftlich aufgeben zu müssen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1 und Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung fußt auf den §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Eine Vorwegnahme der Hauptsache durch das vorliegende Verfahren ist zweifelhaft (vgl. Bl. 137 BA 1), sodass der Senat den Auffangstreitwert halbiert.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).