Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 30.03.2020, Az.: 2 LB 452/18
Anhörung; Anhörungspflicht; Minderjähriger
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 30.03.2020
- Aktenzeichen
- 2 LB 452/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 71683
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 09.03.2017 - AZ: 7 A 83/16
Rechtsgrundlagen
- § 24 AsylVfG 1992
- § 25 AsylVfG 1992
- Art 14 Abs 1 EURL 32/2013
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Die Vorschriften des AsylG regeln nicht, wann Minderjährige von dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge anzuhören sind.
2. § 24 Abs. 1 Satz 6 AsylG regelt lediglich, dass in dem dort genannten Fall eine Anhörung der Eltern des minderjährigen Kindes entbehrlich ist.
3. Da es auch in der Richtlinie 2013/32/EU an einer Vorgabe fehlt, hat die Beklagte ihre Entscheidung, ob sie eine Anhörung des Minderjährigen durchführt, an der ihr obliegenden Aufklärungspflicht (§ 24 Abs. 1 Satz 1 AsylG) auszurichten.
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - Einzelrichterin der 7. Kammer - vom 9. März 2017 geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Der Beschluss ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Beschlusses vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin, eine 1999 geborene syrische Staatsangehörige arabischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit aus Homs, die über subsidiären Schutz verfügt, begehrt im Wege der Aufstockungsklage die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Die Klägerin reiste gemeinsam mit ihrer Familie (Eltern und Geschwister) nach Deutschland ein. Im März 2016 stellte ihre Mutter für sie einen Asylantrag. In ihrer Anhörung vor dem Bundesamt gaben die Eltern der Antragstellerin im Wesentlichen an, sie hätten Syrien aufgrund des Krieges und der instabilen Situation verlassen. Ihre Kinder hätten dort seelische Schäden erlitten. Ihr eigenes Haus sei zerstört worden, während sie sich darin aufgehalten hätten. Sie seien vom einen zum anderen Ort geflüchtet. Sie hätten auch einen behinderten Sohn, den sie immer hätten tragen müssen und der medizinisch nicht habe versorgt werden können. Hinsichtlich des älteren Sohnes habe man die Sorge gehabt, dass er zur Armee eingezogen werde. Für ihre Kinder seien - abgesehen von deren Erkrankungen - dieselben Asylgründe wie für sie selbst maßgeblich. In der Asylakte der Eltern der Klägerin finden sich auf Blatt 86 der Vermerk: „Die minderjährige Tochter der Antragsteller (A., geb. 25.01.1999) wird unter AZ 6117773 geführt. Bitte gemeinsam entscheiden.“, sowie auf Blatt 87 die Verfügung: „Zusammen mit der Tochter (AZ 6117773) in die EZ-entscheidungsreif Ablage weiterleiten“. Auf eine Anhörung der Klägerin verzichtete die Beklagte.
Die Beklagte erkannte der Klägerin mit Bescheid vom 31. Mai 2016 subsidiären Schutz zu, lehnte jedoch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab. Zur Begründung des Bescheides führte die Beklagte u.a. aus: „Dem Asylantrag wird stattgegeben, daher wird im Verfahren der Antragstellerin von einer persönlichen Anhörung abgesehen (§ 24 Abs. 1 S. 5 AsylG). Die gesetzliche Vertreterin der Antragstellerin machte für sie keine eigenen Asylgründe geltend.“
Mit ihrer dagegen gerichteten Klage hat sich die Klägerin ergänzend auf eine drohende politische Verfolgung aufgrund ihrer illegalen Ausreise und ihres Aufenthaltes im westlichen Ausland berufen.
Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides vom 31. Mai 2016 zu verpflichten, ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuzuerkennen. Zur Begründung hat das Gericht zusammenfassend ausgeführt: Nach Auswertung der vorliegenden Erkenntnismittel sei davon auszugehen, dass ihr bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung drohe. Die Klägerin sei aus Syrien ausgereist, hätte sich länger im westlichen Ausland aufgehalten und einen Asylantrag gestellt. Diese Risikomerkmale machten es beachtlich wahrscheinlich, dass ihr der syrische Staat eine regimefeindliche Gesinnung unterstellen und sie deshalb bei der Rückkehr verhaften und misshandeln werde.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung der Beklagten. Diese greift die Auffassung des Verwaltungsgerichts an, gegenwärtig habe bei Rückkehr mit Verfolgung zu rechnen, wer Syrien illegal verlassen, einen Asylantrag gestellt und sich im westlichen Ausland aufgehalten habe. Die Beklagte erläutert außerdem, dass von einer Anhörung der Klägerin abgesehen worden sei, weil die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Satz 5 AsylG vorlägen. Danach könne von einer Anhörung angesehen werden, wenn das Bundesamt einem nach § 13 Abs. 2 Satz 2 AsylG beschränkten Asylantrag stattgeben wolle. Dabei sei keine vollumfängliche Stattgabe auch hinsichtlich des Flüchtlingsschutzes erforderlich; es reiche die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus.
Die Beklagte beantragt,
das erstinstanzliche Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise (sinngemäß), unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 31. Mai 2016 zu verpflichten, über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Sie verteidigt das angegriffene Urteil und weist darauf hin, sie sei im Sinne einer Reflexverfolgung besonders gefährdet, weil sich ihr Bruder – Kläger im Verfahren 2 LB 450/18 – dem Wehrdienst entzogen habe. Sie beantragt außerdem „weitere Sachverhaltsermittlung“ durch Einholung diverser Gutachten bzw. Auskünfte. Die Voraussetzungen für ein Absehen von einer Anhörung vor dem Bundesamt hätten entgegen der Auffassung der Beklagten nicht vorgelegen. Ihrem Antrag sei nur teilweise stattgegeben worden. Dies erfülle nicht den Tatbestand des § 24 Abs. 1 Satz 5 AsylG. Einer Entscheidung nach § 130a VwGO tritt sie entgegen. Sie sei zu keinem Zeitpunkt angehört worden. Wollte der Senat die Berufung für begründet erachten, ohne ihr die Möglichkeit gegeben zu haben, ihre Fluchtgründe persönlich zu schildern, müsse er ihr Vorbringen als wahr unterstellen.
Der Senat hat mit Beschlüssen vom 6. Januar 2020 in den Verfahren der Eltern und der Geschwister der Klägerin den Berufungen der Beklagten stattgegeben (Verfahren 2 LB 450/18 und 2 LB 451/18).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen. Die von dem Senat zugrunde gelegten Erkenntnismittel ergeben sich aus der übersandten Liste.
II.
Der Senat trifft diese Entscheidung nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss (§ 130a Satz 1 VwGO), weil er die Berufung einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (zur Zulässigkeit einer Entscheidung nach § 130a VwGO vgl. Senatsbeschl. v. 5.9.2017 - 2 LB 186/17 -, juris Rn. 18 ff.). Weitere Sachverhaltsermittlungen oder eine Anhörung der Klägerin in einer mündlichen Verhandlung sind rechtlich nicht geboten und auch nicht angezeigt. Es wird das Vorbringen der Eltern der Klägerin, das diese bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zugleich für die Klägerin geltend gemacht haben, wie im Folgenden dargelegt, als wahr unterstellt. Es besteht entgegen der Auffassung der Klägerin auch kein Anlass, neue Gutachten oder Auskünfte einzuholen. Wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt, liegen der Entscheidung des Senats die erforderlichen aktuellen Gutachten und Auskünfte verschiedener Stellen zugrunde. Überdies kann der dahingehende „Antrag“ der Klägerin nur als Anregung gewertet werden, da ein förmlicher Beweisantrag als Mindestanforderung die Benennung eines Beweisthemas hat.
Die zulässige Berufung ist begründet. Die auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtete Klage ist zulässig, aber unbegründet und daher abzuweisen (A.). Auch dem Hilfsantrag ist nicht stattzugeben (B).
A. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO die statthafte Klageart. Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob die Statthaftigkeit einer Verpflichtungsklage in einem Fall, in dem das Bundesamt eine nach §§ 24, 25 AsylG gebotene Anhörung eines Asylbegehrenden zu Unrecht unterlässt, fraglich bzw. an besondere Voraussetzungen gebunden ist (vgl. hierzu etwa VG Trier, Urt. v. 8.3.2017 - 7 K 76/17.TR -, juris Rn. 13 ff.; VG Sigmaringen, Urt. v. 23.11.2016 - A 5 K 1495/16 -, juris Rn. 18). Denn ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Klägerin im Verfahren vor dem Bundesamt nicht angehört worden ist.
Die Vorschriften des AsylG regeln nicht, wann Minderjährige - die Klägerin war im Jahr 2016 noch nicht volljährig - anzuhören sind. § 12 AsylG trifft lediglich eine Regelung zur Handlungsfähigkeit, nicht aber zur Anhörung. Die §§ 24, 25 AsylG enthalten dazu ebenfalls keine Aussage. § 24 Abs. 1 Satz 3 AsylG sieht zwar vor, dass das Bundesamt den Ausländer persönlich anzuhören hat. Die Vorschrift geht jedoch – wie § 25 AsylG zeigt – grundsätzlich von einem handlungsfähigen Ausländer aus; Minderjährige werden im Asylgesetz insgesamt als Teil der Familie behandelt (vgl. § 14a AsylG). § 24 Abs. 1 Satz 6 AsylG regelt lediglich, dass von der Anhörung abzusehen ist, wenn der Asylantrag für ein im Bundesgebiet geborenes Kind unter sechs Jahren gestellt und der Sachverhalt auf Grund des Inhalts der Verfahrensakten der Eltern oder eines Elternteils ausreichend geklärt ist. Hiermit ist aber gemeint, dass eine Anhörung (nicht dieses Kindes, sondern) der Eltern entbehrlich ist, die ansonsten bei minderjährigen Kindern im Regelfall – je nach Alter der Kinder – an deren Stelle anzuhören oder in deren Anhörung einzubinden sind. Unmittelbare Rückschlüsse auf die Frage, wann minderjährige Kinder anzuhören sind, ergeben sich hieraus nicht.
Auch aus europäischem Recht lässt sich nicht ableiten, dass die Klägerin vom Bundesamt vor einer Entscheidung hätte angehört werden müssen. Art. 14 Abs. 1 Unterabs. 3 und 4 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes sieht vor: „Hat eine Person internationalen Schutz für von ihr abhängige Personen förmlich beantragt, so muss jedem abhängigen Volljährigen Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung gegeben werden. Die Mitgliedstaaten können in den nationalen Rechtsvorschriften festlegen, in welchen Fällen einem Minderjährigen Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung gegeben wird.“
Fehlt es danach an einer ausdrücklichen gesetzlichen Vorgabe zu dieser Frage, hat die Beklagte ihre Entscheidungen an der ihr obliegenden Aufklärungspflicht (§ 24 Abs. 1 Satz 1 AsylG) auszurichten. Dabei liegt es nahe, zwischen Fällen von unbegleiteten und begleiteten Minderjährigen zu differenzieren, da in den letztgenannten Fällen eine persönliche Anhörung des Minderjährigen vielfach unter dem Gesichtspunkt der Sachverhaltsaufklärung nicht angezeigt sein wird, wenn für ihn von seinen Eltern keine besonderen Gründe geltend gemacht werden. So liegt der Fall auch hier, da die Eltern der Klägerin den Asylantrag für sie gestellt und dabei geltend gemacht haben, für ihre Kinder lägen keine gesonderten Asylgründe vor und es sich der Beklagten auch nicht aufdrängen musste, dass das bezogen auf die Klägerin anders zu beurteilen sein könnte. Dementsprechend hat die Klägerin auch im gesamten Verfahren nichts vorgetragen, was über das Vorbringen ihrer Eltern hinausginge.
Unschädlich ist in diesem Zusammenhang, dass die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid das Absehen von der Anhörung nicht nur mit dem Hinweis darauf begründet hat, dass die Mutter der Klägerin für sie keine eigenen Asylgründe geltend gemacht habe, sondern darüber hinaus auf § 24 Abs. 1 Satz 5 AsylG verwiesen hat. Diese Begründung ist - abgesehen davon, dass sie rechtlich nicht tragbar sein dürfte, wenn auf einen Antrag auf internationalen Schutz nur subsidiärer Schutz gewährt, der Antrag also gerade teilweise abgelehnt wird - ersichtlich nicht das Motiv für das Absehen von der Anhörung gewesen, sondern, wie die Aktenvermerke in den Verwaltungsvorgängen des Bundesamts zeigen, die Annahme, dass der die Klägerin betreffende Sachverhalt aufgrund der Anhörung ihrer Eltern geklärt war.
Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG.
1. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründe) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG gelten Handlungen als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). In § 3a Abs. 2 AsylG werden einzelne Beispiele für Verfolgungshandlungen genannt. Gemäß § 3c AsylG sind Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, u. a. der Staat oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen.
Zwischen den in § 3 Abs. 1 AsylG genannten und in § 3b Abs. 1 AsylG jeweils näher erläuterten Verfolgungsgründen sowie den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG beschriebenen Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Dabei ist unerheblich, ob der Ausländer tatsächlich z.B. die religiösen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger nur zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG). Für den Bereich des Asylrechts hat das Bundesverfassungsgericht diese Verknüpfung von Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund dahingehend konkretisiert, dass es für eine politische Verfolgung ausreiche, wenn der Ausländer der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet wird, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist. Unerheblich ist dabei, ob der Betreffende aufgrund der ihm zugeschriebenen Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung (überhaupt) tätig geworden ist (BVerfG, Beschl. v. 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 -, juris Rn. 5; Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 31). Die Maßnahme muss darauf gerichtet sein, den von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an einen oder mehrere Verfolgungsgründe zu treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin “wegen“ eines Verfolgungsgrundes im Sinne des § 3b AsylG erfolgt, ist anhand des inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme zu beurteilen, nicht hingegen nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten. Diese Zielgerichtetheit muss nicht nur hinsichtlich der durch die Verfolgungshandlung bewirkten Rechtsgutverletzung, sondern auch in Bezug auf die Verfolgungsgründe im Sinne des § 3b AsylG, an die die Handlung anknüpft, anzunehmen sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.1.2009 - 10 C 52.07 -, juris Rn. 22; Urt. v. 21.4.2009 - 10 C 11.08 -, juris Rn. 13). Für die Verknüpfung reicht ein Zusammenhang im Sinne einer Mitverursachung aus. Gerade mit Blick auf komplexe und multikausale Sachverhalte ist nicht zu verlangen, dass ein bestimmter Verfolgungsgrund die zentrale Motivation oder die alleinige Ursache einer Verfolgungsmaßnahme ist. Indes genügt eine lediglich entfernte, hypothetische Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund den Anforderungen des § 3a Abs. 3 AsylG nicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 -, juris Rn. 13).
Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) drohen (stRspr, vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 -, juris Rn. 19, 32; Beschl. v. 15.8.2017 - 1 B 120.17 -, juris Rn. 8). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab bedingt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Diese Würdigung ist auf der Grundlage einer „qualifizierenden“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Hierbei sind gemäß Art. 4 Abs. 3 RL 2011/95/EU neben sämtlichen mit dem Herkunftsland verbundenen relevanten Tatsachen unter anderem das maßgebliche Vorbringen des Antragstellers und dessen individuelle Lage zu berücksichtigen. Entscheidend ist, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, Urt. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 -, juris Rn. 32 m.w.N.). Damit kommt dem qualitativen Kriterium der Zumutbarkeit maßgebliche Bedeutung zu. Das entspricht dem Begriffsverständnis des Europäischen Gerichtshofs zur Auslegung von Art. 1 lit. A Nr. 2 GFK und Art. 2 lit. d der Richtlinie 2011/95/EU (vgl. Senatsbeschl. v. 17.8.2018 - 2 LA 1584/17 -, juris Rn. 12 ff.).
Eine Verfolgung ist danach beachtlich wahrscheinlich, wenn einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Ausländers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert (vgl. BVerwG, Beschl. v. 7.2.2008 - 10 C 33.07 -, juris Rn. 37).
Beim Flüchtlingsschutz gilt für die Verfolgungsprognose ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Das gilt unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Die Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU, nicht (mehr) durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Nach dieser Vorschrift besteht eine tatsächliche Vermutung, dass sich eine frühere Verfolgung bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen wird. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften (vgl. BVerwG, Urt. v. 1.6.2011 - 10 C 25.10 -, juris Rn. 21 f.; Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 34).
Bei der gebotenen Prognose, ob die Furcht des Ausländers vor Verfolgung im Rechtssinne begründet ist, ihm also mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, ist es Aufgabe des Gerichts, die Prognosetatsachen zu ermitteln, diese im Rahmen einer Gesamtschau zu bewerten und sich auf dieser Grundlage gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO eine Überzeugung zu bilden.
Diese Überzeugungsbildung ist aufgrund der Tatsache, dass unabhängige und gesicherte Informationen vielfach fehlen und die verschiedenen Akteure, auf deren Informationen die Gerichte angewiesen sind, sehr unterschiedliche Interessen verfolgen, gerade in Bezug auf Syrien erheblich erschwert (vgl. Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 37 ff.; VGH BW, Urt. v. 2.5.2017 - A 11 S 562/17 -, juris Rn. 33 ff.). Deshalb bedarf es in besonderem Maße einer umfassenden Auswertung aller Erkenntnisquellen auch zur allgemeinen Lage in Syrien. Besonderes Gewicht ist den Berichten des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) beizumessen, der gemäß Art. 35 Nr. 1 GFK und Art. 2 Nr. 1 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967 (BGBl. 1969 II S. 1293) die Durchführung der Genfer Flüchtlingskonvention überwacht (Art. 8 Abs. 2 Satz 2 RL 2011/95/EU und Art. 10 Abs. 3 Satz 2 b) RL 2013/32/EU; vgl. EuGH, Urt. v. 30.5.2013 - C-528/11 -, juris Rn. 44). Gewisse Prognoseunsicherheiten sind dabei als unvermeidlich hinzunehmen und stehen der Überzeugungsbildung nicht grundsätzlich entgegen, wenn eine weitere Sachaufklärung keinen Erfolg verspricht. Auf die Feststellung objektivierbarer Prognosetatsachen kann trotz alledem aber nicht verzichtet werden. Die Annahme einer beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit kann nicht auf bloße Hypothesen und ungesicherte Annahmen gestützt werden.
Die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz kommt nicht schon dann in Betracht, wenn eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit nicht zur Überzeugung des Gerichts feststeht, sondern in der Gesamtsicht der vorliegenden Erkenntnisse lediglich ausreichende Anhaltpunkte für eine Prognose sowohl in die eine wie die andere Richtung vorliegen, also eine Situation besteht, die einem non-liquet vergleichbar ist (so aber OVG MV, Urt. v. 21.3.2018 - 2 L 238/13 -, juris Rn. 41). Die beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung ist tatbestandliche Voraussetzung für eine Entscheidung zugunsten des Ausländers. Kann das Gericht nicht das nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorgegebene Maß an Überzeugungsgewissheit gewinnen, dass einem Ausländer Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, scheidet eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 33.18 -, juris Rn. 18; Senatsbeschl. v. 5.12.2018 - 2 LB 570/18 -, juris Rn. 25; OVG NRW, Urt. v. 1.8.2018 - 14 A 619/17.A -, juris Rn. 52 ff.; OVG SH, Urt. v. 10.10.2018 - 2 LB 67/18 -, juris Rn. 25; OVG Berl.-Bbg., Urt. v. 12.2.2019 - 3 B 27/17 -, juris Rn. 33).
2. Nach diesen Maßgaben besteht für die Klägerin zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) bei einer - hypothetischen - Rückkehr nach Syrien keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung aus den in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründen. Dabei hält der Senat an der Auffassung, bei der hypothetischen Rückkehr sei nicht eine vereinzelte Rückkehr, sondern - angesichts der hohen Zahl der in den letzten Jahren aus Syrien Geflüchteten - eine Rückkehr des Einzelnen als Teil einer Rückkehrwelle von beträchtlicher Größe zu unterstellen (so Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 44; Senatsbeschl. v. 18.4.2018 - 2 LB 101/18 -, juris Rn. 119), nicht mehr fest (so bereits Senatsbeschl. v. 5.12.2018 - 2 LB 570/18 -, juris Rn. 26). Zwar hat Russland im Juli 2018 einen sogenannten „Rückkehrplan“ für Flüchtlinge angekündigt, und das syrische Regime hat im Juli 2018 erstmals offiziell zur Flüchtlingsrückkehr aufgerufen (Auswärtiges Amt [AA], Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, 20.11.2019, S. 21). Tatsächlich gibt es aber derzeit keine größeren Rückkehrwellen nach Syrien und auch keine hinreichend konkreten, darauf gerichteten Überlegungen zu einer sicheren Rückkehr syrischer Flüchtlinge. Im Jahr 2018 sollen nach Angaben der Vereinten Nationen lediglich 56.066 Personen aus dem Ausland nach Syrien zurückgekehrt sein; im ersten Halbjahr 2019 waren es 52.000 Personen (AA v. 20.11.2019, S. 21). Angesichts einer Gesamtzahl von rund 6,7 Millionen Auslandsflüchtlingen (https://www.unhcr.org/dach/de/services/statistiken, Stand 19.6.2019) sowie einer weiter anhaltenden Flucht von Menschen aus Syrien sind dies nur geringe Zahlen, die die Annahme einer echten Rückkehrbewegung nicht gestatten.
In der Sache führt dieser veränderte Blickwinkel jedoch zu keiner anderen Entscheidung. Die Klägerin ist ihren eigenen Angaben zufolge nicht vorverfolgt ausgereist. Nachfluchtgründe, also eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit begründende Ereignisse, die eingetreten sind, nachdem sie das Herkunftsland verlassen hat (§ 28 Abs. 1a AsylG), liegen ebenfalls nicht vor. Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit folgt weder aus einer (illegalen) Ausreise, einer Asylantragstellung und einem längeren Aufenthalt im westlichen Ausland (dazu unter a) noch aus einer Reflexverfolgung wegen der Wehrpflichtentziehung des Bruders der Klägerin (dazu unter b). Auch aus der sunnitischen Religionszugehörigkeit ergibt sich eine solche ebenso wenig (dazu unter c) wie aus der Herkunft aus einem (ehemals) von der Opposition beherrschten Gebiet (dazu unter d).
a) In Bezug auf die (illegale) Ausreise aus Syrien, die Stellung eines Asylantrags sowie den längeren Aufenthalt im westlichen Ausland (sog. Trias) verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf sein Urteil vom 27. Juni 2017 (- 2 LB 91/17 -, juris Rn. 43 ff.; ebenso auch Senatsbeschl. v. 5.12.2018 - 2 LB 570/18 -, juris Rn. 28 ff.). Für den Senat stellt sich die Lage weiterhin so dar, dass Rückkehrer bei ihrer Einreise nach Syrien am Flughafen bzw. an einer Grenzübergangsstelle mit einer Kontrolle ihrer Personalpapiere, einer datenbankgestützten Überprüfung, ob der Betreffende gesucht wird, sowie gegebenenfalls mit einer Durchsuchung und Befragung rechnen müssen (vgl. AA, Auskunft an HessVGH zu 3 A 638/17.A v. 12.2.2019, S. 1; Deutsche Orient-Stiftung/Deutsches Orient-Institut [DOS/DOI], Auskunft an HessVGH zu 3 A 638/17.A v. 22.2.2018, S. 1; Immigration and Refugee Board of Canada [IRBC], Syria: Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the country illegally, and people who have not completed military service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion [2014-December 2015] v. 19.1.2016, Tz. 2; Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH], Syrien: Rückkehr, Auskunft der SFH-Länderanalyse v. 21.3.2017, S. 7 f.). Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a Abs. 1 und 2 AsylG - Misshandlungen bis hin zu Folter, Inhaftierung, Verschwindenlassen, Ermordung - drohen denjenigen Personen, deren Profil irgendeinen Verdacht erregt (vgl. AA v. 20.11.2019, S. 14 f., 21, 25; UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien, April 2017, S. 5; Danish Immigration Service [DIS], Syria: Security Situation in Damascus, Province and Issues Regarding Return to Syria, Februar 2019, S. 15 ff.; auch Europäisches Zentrum für Kurdische Studien v. 29.3.2017, S. 1 f.). Auch den jüngsten Erwägungen des UNHCR zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen (5. Fassung, November 2017), lässt sich hingegen nicht entnehmen, dass Rückkehrer per se einer besonderen Gefährdung ausgesetzt sind. Es besteht allerdings die bei Kontakten mit syrischen Sicherheitsbehörden generell existierende Gefahr, Opfer einer willkürlichen Festnahme, Misshandlung und Folter zu werden. Es kann als belegt gelten, dass derartige Praktiken in Syrien systemisch sind (vgl. AA v. 20.11.2019, S. 14 f., 21; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [BFA], Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien v. 25.1.2018, S. 34; DOS/DOI v. 22.2.2018, S. 2, SFH v. 21.3.2017, S. 8 ff.). Die Sicherheitskräfte verfügen über eine „carte blanche“, um zu tun, was immer sie möchten, wenn sie irgendjemanden aus irgendeinem Grund verdächtigen. Alles kann passieren; es gibt dementsprechend keinerlei Garantien (IRBC v. 19.1.2016, Tz. 2). Misshandlungen kann es auch ohne triftigen Grund geben. Auch Personen, die nichts mit der Opposition zu tun haben, und sogar regimenahe Personen können verhaftet und misshandelt werden (vgl. AA v. 20.11.2019, S. 21; Foreign Policy, A Deadly Welcome Awaits Syria’s Returning Refugees, 6.2.2019). Eine eindeutige Strategie der syrischen Behörden zum Umgang mit Rückkehrern ist nicht erkennbar. Der Umgang ist maßgeblich von der Entscheidung des jeweils diensthabenden Beamten der Sicherheitskräfte und seiner persönlichen Einstellung abhängig (DIS, Februar 2019, S. 25; ähnlich AA v. 12.2.2019, S. 2; Amnesty International, Auskunft an VG Berlin zu VG 2 K 668.16 A v. 26.3.2019, S. 1 f.). Das Vorgehen der Sicherheitskräfte ist generell von Brutalität und Willkür geprägt (vgl. Finnish Immigration Service, Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, veröffentlicht 14.12.2018, S. 39 ff.; AA v. 20.11.2019, S. 14 ff.; SFH v. 21.3.2017, S. 9).
Vor diesem Hintergrund lässt der Senat offen, ob angesichts der nicht von der Hand zu weisenden Möglichkeit, bei der Einreise Opfer willkürlicher Gewaltanwendung zu werden, eine Verfolgungshandlung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (vgl. zu dem erheblichen Risiko insbes. AA v. 20.11.2019, S. 22). Jedenfalls fehlt es an der gemäß § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung zwischen einer etwaigen Verfolgungshandlung und einem Verfolgungsgrund i. S. v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b AsylG. Die dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel lassen den Schluss, dass Rückkehrern ohne besonderes Profil von Seiten des syrischen Staates regelhaft eine oppositionelle Gesinnung zugeschrieben wird, weiterhin nicht zu (vgl. insbesondere AA v. 20.11.2019, S. 25, und v. 12.2.2019, S. 2; DIS, Februar 2019, S. 19 f.). Auch Amnesty International liegen keine Erkenntnisse vor, dass die syrische Regierung bereits grundsätzlich die Stellung eines Asylantrags als Ausdruck regimefeindlicher oder oppositioneller Haltung versteht (AI, Auskunft an HessVGH zu 3 A 638/17.A v. 20.9.2018, S. 1). Ein solcher Schluss widerspräche vor dem Hintergrund, dass aus Syrien nach Angaben des UNHCR mittlerweile rund 6,7 Millionen Menschen geflohen sind (https://www.unhcr.org/dach/de/services/statistiken, Stand 19.6.2019)) und allein die Bundesrepublik Deutschland seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs im Jahr 2011 bis zum 31. Dezember 2018 rund 745.000 syrische Flüchtlinge aufgenommen hat (Statistisches Bundesamt, Fachserie 1 Reihe 2, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, Ausländische Bevölkerung, Stand: 15.4.2019, S. 93) auch offensichtlich der Realität (vgl. bereits Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 56).
Das entspricht den offiziellen Äußerungen des syrischen Regimes. Gegenüber dem Danish Immigration Service hat der Leiter der Abteilung für Einwanderung und Pässe (Chief of Immigration and Passports Department) im syrischen Innenministerium, General Naji Numeir, ausgeführt, dass Personen, die illegal ausgereist und/oder Asyl in benachbarten oder westlichen Staaten erhalten hätten, keine Verfolgung zu befürchten hätten. Die Regierung erkenne an, dass die Flucht aufgrund des Krieges und vor Gruppen, die die Regierung bekämpft hätten, erfolgt sei. Auf eine Strafverfolgung werde verzichtet; allerdings müssten die betreffende Personen mit der Botschaft in Kontakt treten und ihren Status klären (DIS, Februar 2019, S. 67 f.). Bei aller Vorsicht, die bei der Bewertung der offiziellen Äußerungen syrischer Stellen angebracht ist, zeigt dies: Auch dem syrischen Staat steht klar vor Augen, dass - was die Schilderungen der Kläger in den zahlreichen beim Senat anhängigen Verfahren bestätigen - die allgemeine Lebenssituation in Syrien und die Bedrohung durch den Bürgerkrieg hinreichende Motive sind, das Land zu verlassen und Zuflucht in einem anderen Staat zu suchen. Ohne ein Hinzutreten besonderer gefahrerhöhender Umstände ist daher nicht davon auszugehen, dass Rückkehrer allein wegen ihrer (illegalen) Ausreise, der Asylantragstellung und dem längeren Aufenthalt im westlichen Ausland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an den Verfolgungsgrund der (unterstellten) oppositionellen politischen Gesinnung anknüpfende Verfolgung zu befürchten haben. In dieser Bewertung der Lage sind sich die Obergerichte - soweit sie sich geäußert haben - seit längerem einig (vgl. VGH BW, Urt. v. 9.8.2017 - A 11 S 710/17 -, juris Rn. 38 ff.; BayVGH, Urt. v. 12.12.2016 - 21 B 16.30364 -, juris Rn. 62 ff.; OVG Berl.-Bbg., Urt. v. 22.11.2017 - 3 B 12/17 -, juris Rn. 27 ff.; BremOVG, Urt. v. 24.1.2018 - 2 LB 194/17 -, juris Rn. 39 ff.; HambOVG, Urt. v. 11.1.2018 - 1 Bf 81/17.A -, juris Rn. 52 ff.; HessVGH, Urt. v. 26.7.2018 - 3 A 403/18.A -, juris Rn. 13; OVG NRW, Urt. v. 21.2.2017 - 14 A 2316/16.A -, juris Rn. 29 ff.; OVG RP, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris Rn. 40 ff.; OVG Saarl., Urt. v. 26.4.2018 - 1 A 543/17 -, juris Rn. 32 ff. und Urt. v. 2.2.2017 - 2 A 515/16 -, juris Rn. 21 ff.; SächsOVG, Urt. v. 7.2.2018 - 5 A 1245/17.A -, juris Rn. 21 ff.; OVG LSA, Beschl. v. 29.3.2017 - 3 L 249/16 -, juris Rn. 9 ff.; OVG SH, Urt. v. 23.11.2016 - 3 LB 17/16 -, juris Rn. 37 ff.; ThürOVG, Urt. v. 15.6.2018 - 3 KO 155/18 -, juris Rn. 60 ff.; stRspr.).
Aus den vorliegenden Berichten über eine von der syrischen Regierung geplante Bodenreform ergibt sich keine abweichende Beurteilung. Das Anfang April 2018 zum Wiederaufbau des Landes erlassene Dekret Nr. 10/2018 sieht vor, in jedem Bezirk Ämter für den Wiederaufbau zu schaffen. Nachdem dort neue Bebauungspläne erstellt und bekannt gemacht worden sind, sind die Besitzer von Land, Häusern und Wohnungen aufgerufen, ihre Eigentumsrechte bei dem Amt nachzuweisen. Dafür haben sie ein Jahr Zeit (vgl. AA v. 20.11.2019, S. 29 f.; Finnish Immigration Service, 14.12.2018, S. 60). Ist eine persönliche Geltendmachung nicht möglich, kann dies auch durch bestimmte Angehörige oder zugelassene Anwälte erfolgen. Gelingt einem früheren Eigentümer der Eigentumsnachweis nicht fristgemäß, wird sein Eigentum der öffentlichen Hand zugeschlagen, ohne dass eine Entschädigung vorgesehen ist (vgl. Human Rights Watch [HRW], Syria’s New Property Law - Questions and Answers, v. 29.5.2018, S. 1 f.). Hieran knüpft sich die Sorge, das syrische Regime werde derartige Stadtentwicklungsdekrete vor allem in den Gebieten früherer Hochburgen der Opposition erlassen und dort beim Wiederaufbau Anhänger des Regimes bevorzugen. Zudem bestünden vor allem für ins Ausland geflüchtete Syrer trotz der mit Dekret 42/2018 von 30 Tagen auf ein Jahr verlängerten Frist erhebliche Hindernisse für eine Geltendmachung ihrer Eigentumspositionen, was eine eventuelle Rückkehr deutlich erschwere (vgl. AA v. 20.11.2019, S. 29 f.; HRW v. 29.5.2018, S. 3, 6).
Der Senat lässt offen, ob künftig zu erwartende, auf dem vorstehend beschriebenen Verfahren beruhende Enteignungen als Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a Abs. 1 und 2 AsylG angesehen werden können. Denn jedenfalls enthalten die vorliegenden Berichte zu den Dekreten Nr. 10/2018 und 42/2018 keinen tatsächlichen Anhalt dafür, dass entsprechende Enteignungsmaßnahmen regelhaft und zielgerichtet in Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund i. S. v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b AsylG, also etwa eine unterstellte oppositionelle Gesinnung für alle ins westliche Ausland geflohenen Syrer, erfolgen würden (so auch OVG SH, Urt. v. 10.7.2018 - 2 LB 34/18 -, juris Rn. 79 f.; OVG NRW, Urt. v. 23.5.2018 - 14 A 817/17.A -, juris Rn. 39 f.; OVG Berl.-Bbg., Urt. v. 12.2.2019 - 3 B 27/17 -, juris Rn. 22). Die angekündigten Maßnahmen treffen vielmehr - rein formal - jeden syrischen Staatsbürger mit Grundbesitz. Auch geht aus den vorliegenden Berichten nicht hervor, dass bei den angekündigten Maßnahmen eine Unterscheidung zwischen Binnenvertriebenen innerhalb Syriens und ins Ausland geflohenen Syrern getroffen wird. Soweit einzelne Quellen das Dekret Nr. 10/2018 als Teil eines Plans ansehen, die Bevölkerungszusammensetzung in einzelnen Gebieten zugunsten regimetreuer Bevölkerungsteile zu verschieben, ist das nicht hinreichend belegt. Andere Quellen gehen eher davon aus, dass es bei dem Dekret neben dem Wiederaufbau darum gehe, lukrative Geschäftsprojekte zu ermöglichen und Finanzmittel zu Gunsten des Regimes zu generieren (vgl. DIS, Februar 2019, S. 59 f.). Auf eine Verfolgung aus den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Gründen deutet das nicht hin.
b) Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG folgt nicht aus dem Vortrag der Klägerin zu einer ihr drohenden Reflexverfolgung wegen der Wehrpflichtentziehung ihres Bruders. Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass sich allein aus einer Wehrdienstentziehung keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG für syrische Flüchtlinge ergibt (vgl. nur Beschl. v. 2.7.2019 - 2 LB 402/19 -, juris, sowie die Ausführungen im Verfahren des Bruders der Klägerin - 2 LB 450/18 - Beschluss vom 6. Januar 2020). Schon vor diesem Hintergrund scheidet eine Reflexverfolgung ihrer Verwandten regelmäßig – so auch hier – aus.
c) Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit ergibt sich nicht aus der sunnitischen Religionszugehörigkeit. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung, dass die Zugehörigkeit zum sunnitischen Glauben keinen risikoerhöhenden Faktor darstellt, fest (vgl. Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 68 f.; Senatsbeschl. v. 5.12.2018 - 2 LB 570/18 -, juris Rn. 62; wie hier auch VGH BW, Urt. v. 9.8.2017 - A 11 S 710/17 -, juris Rn. 48 und v. 27.3.2019 - A 4 S 335/19 -, juris Rn. 42; OVG Berl.-Bbg., Urt. v. 22.11.2017 - 3 B 12/17 -, juris Rn. 39; BremOVG, Urt. v. 24.1.2018 - 2 LB 194/17 -, juris Rn. 66 f.; HambOVG, Urt. v. 11.1.2018 - 1 Bf 81/17.A -, juris Rn. 84 ff.; OVG NRW, Urt. v. 21.2.2017 - 14 A 2316/16.A -, juris Rn. 83 f.; SächsOVG, Urt. v. 7.2.2018 - 5 A 1245/17.A -, juris Rn. 25; OVG SH, Urt. v. 18.10.2018 - 2 LB 40/18 - Rn. 36 ff.). Den vorliegenden Erkenntnismitteln lassen sich keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass sunnitischen Religionszugehörigen bei einer Rückkehr nach Syrien seitens des syrischen Regimes eine von der allgemeinen Gefährdungslage für alle Rückkehrer (vgl. oben Tz. 2. a)) abweichende, strengere Behandlung droht. Es mag zwar sein, dass Sunniten aus Sicht des Regimes generell nicht im Ruf stehen, besonders regierungstreu zu sein, und die Zugehörigkeit zur sunnitischen Volksgruppe einen bereits bestehenden Verdacht, die betreffende Person könne in Verbindung mit der Opposition stehen, verstärken kann (vgl. Finnish Immigration Service, 14.12.2018, S. 42). Das allein reicht aber für die Annahme, Sunniten drohe generell Verfolgung, nicht aus. Die weitaus meisten Erkenntnisquellen enthalten keinerlei dahingehende Angaben und führen die sunnitische Religionszugehörigkeit auch nicht als Risikofaktor auf (vgl. etwa DIS, Februar 2019, S. 15 ff. und S. 25 f.).
Zudem ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass etwaige drohende Verfolgungshandlungen hinsichtlich der Gruppe der sunnitischen Religionszugehörigen an einen Verfolgungsgrund i. S. v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b AsylG anknüpfen würden. Daraus, dass der UNHCR (vgl. UNHCR, November 2017, S. 37, 59 ff.) der Auffassung ist, Mitglieder religiöser und ethnischer Minderheiten erfüllten ein Risikoprofil, folgt derartiges nicht. Dies gilt schon deshalb, weil sunnitische Glaubenszugehörige gerade keine religiöse Minderheit in Syrien bilden, sondern etwa drei Viertel der Bevölkerung stellen. Zwar gehört die syrische Regierungselite den Alawiten an, wohingegen eine Vielzahl von syrischen Rebellengruppen aus der sunnitisch-arabischen Bevölkerungsmehrheit stammen. Sunniten sind jedoch sowohl im Regime als auch in den Streitkräften vertreten (vgl. Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 69 m. w. N.). Soweit der UNHCR zu der Einschätzung gelangt, dass einzelne religiös-fundamentalistische Rebellengruppen in ihren Herrschaftsgebieten Angehörige anderer religiöser und ethnischer Minderheiten verfolgen (vgl. UNHCR, November 2017, S. 63), ist dies vorliegend ohne rechtliche Relevanz, da eine hypothetische Rückführung nur in vom syrischen Staat beherrschte Gebiete erfolgen könnte (vgl. Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 69). Im Übrigen geht der UNHCR in seinen aktuellen Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen (5. Fassung, November 2017) selbst nicht mehr davon aus, dass die Zugehörigkeit zum sunnitischen Glauben per se einen risikoerhöhenden Faktor darstelle (anders noch die 4. Fassung v. November 2015, S. 26), sondern verweist hinsichtlich der Lage von Sunniten, die als regierungsfeindlich angesehen werden könnten, auf seine allgemeinen Ausführungen zu tatsächlichen oder vermeintlichen Oppositionellen (vgl. UNCHR, November 2017, S. 63). Ohne Hinzutreten besonderer gefahrerhöhender Umstände kann daher nicht davon ausgegangen werden, das syrische Regime unterstelle sunnitischen Religionszugehörigen generell eine oppositionelle Gesinnung.
d) Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG folgt nicht aus der Herkunft aus einem (ehemals) von der Opposition beherrschten Gebiet (vgl. Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 70 f.; Senatsbeschl. v. 5.12.2018 - 2 LB 570/18 -, juris Rn. 63 ff.; OVG BW, Urt. v. 27.3.2019 - A 4 S 335/19 -, juris Rn. 43; BayVGH, Urt. v. 20.6.2018 - 21 B 18.30854 -, juris Rn. 65 ff.; OVG Berl.-Bbg., Urt. v. 21.3.2018 - OVG 3 B 28.17 -, juris Rn. 46; BremOVG, Urt. v. 24.1.2018 - 2 LB 194/17 -, juris Rn. 62 ff.; HambOVG, Urt. v. 11.1.2018 - 1 Bf 81/17.A -, juris Rn. 52, 54; OVG NRW, Urt. v. 3.9.2018 - 14 A 838/18.A - juris Rn. 32 ff.; OVG RP, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris Rn. 160 ff.; OVG Saarl., Urt. v. 25.7.2018 - 1 A 621/17 -, juris Rn. 35; OVG SH, Urt. v. 4.5.2018 - 2 LB 17/18 -, juris Rn. 82 ff.; SächsOVG, Urt. v. 6.2.2019 - 5 A 1066/17.A -, juris Rn. 27 f.). Die dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel lassen nicht den Schluss zu, dass allein die Herkunft aus einem „oppositionsnahen“ Gebiet mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dazu führt, dass das syrische Regime dem Betroffenen eine feindliche Gesinnung unterstellt und ihn deshalb verfolgt (vgl. AA v. 12.2.2019, S. 2; Finnish Immigration Service, 14.12.2018, S. 41 f.; DIS, Februar 2019, S. 15 f.). Das entspricht der Einschätzung des UNHCR. Dieser geht davon aus, dass Personen, die aus Gebieten stammen oder in Gebieten wohnen, die als regierungsfeindlich angesehen werden, nur abhängig von den Umständen des Einzelfalls aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Meinung internationalen Schutz benötigen (UNHCR, November 2017, S. 40, 43). Maßgeblich ist daher nicht allein die Herkunft, sondern es kommt auf die individuellen Umstände des Falles, also auf individuelle Verfolgungsgründe an. Dabei ist im Sinne einer Gesamtschau auch die Herkunft des Betroffenen zu berücksichtigen (vgl. BFA v. 25.1.2018, S. 81 f.).
Diese Einschätzung deckt sich mit der Beobachtung, dass zahlreiche ehemalige Oppositionsgebiete mittlerweile vom Regime zurückerobert wurden, ohne dass es dort zu flächendeckenden Verfolgungsmaßnahmen gekommen ist. Das Regime bietet vielmehr regelmäßig den Abschluss eines Versöhnungsabkommens an. Versöhnungsabkommen sind Vereinbarungen, die ein Gebiet, das zuvor unter der Kontrolle einer oppositionellen Gruppierung stand, offiziell wieder unter die Kontrolle des Regimes bringen sollen. Derartige Abkommen sehen häufig eine „Evakuierung“, also eine zwangsweise Umsiedlung oppositioneller Kämpfer sowie den Einzug der Männer zur syrischen Armee vor (Finnish Immigration Service, 14.12.2018, S. 26 ff. und S. 49 ff.; BFA, August 2017, S. 35; vgl. auch SFH v. 23.3.2017, S. 7). Letzteres zeigt, dass das Regime allein anknüpfend an die Herkunft keine Regimegegnerschaft unterstellt. Versöhnungsabkommen schließen eine individuelle Verfolgung allerdings nicht aus. Im Gegenteil muss jede Person, die aufgrund individueller Umstände mit der Opposition bzw. mit bewaffneten Rebellen in Verbindung gebracht wird, weiterhin mit Inhaftierung, Folter, Verschwindenlassen und dem Tod rechnen (Finnish Immigration Service, 14.12.2018, S. 53 ff.; UNHCR, April 2017, S. 20).
Dass zurückkehrende Syrer aus (ehemaligen) Oppositionsgebieten mit einer Gefahrenlage konfrontiert sein können, die über die allgemeine Gefährdungslage für alle Rückkehrer (vgl. oben Nr. 2. a)) hinausgeht, ist schließlich deshalb nicht beachtlich wahrscheinlich, weil es sich dabei gerade um die Personen handelt, die sich dem Konflikt und damit einer oppositionellen Betätigung durch Flucht in das Ausland entzogen haben (zutreffend OVG SH, Urt. v. 4.5.2018 - 2 LB 17/18 -, juris Rn. 85). Für jedermann und damit auch für das Regime ist offensichtlich, dass es sich bei diesen vielen tausend betroffenen Personen um diejenigen handelt, die das Land in Anbetracht der Brutalität der Kriegsparteien aus begründeter Furcht um Leib und Leben verlassen und sich gegen ein aktives Tätigwerden gegen das Regime entschieden haben. Dass Rückkehrer aus (ehemals) oppositionellen Gebieten in einer nicht quantifizierbaren Anzahl von Fällen gleichwohl misshandelt und inhaftiert werden (vgl. DIS, Februar 2019, S. 15 f.; AA, 13.11.2018, S. 21; UNHCR, April 2017, S. 20 ff.), ändert daran nichts. Bei jedem Kontakt mit syrischen Sicherheitskräften drohen willkürliche Gewalt und Inhaftierung. Jeder Rückkehrer ist daher in gewissem Umfang gefährdet (vgl. SFH, 21.3.2017, S. 10 f.). Diese Gefährdung knüpft aber nicht an Verfolgungsgründe i. S. v. § 3b AsylG an. Der Senat hält deshalb daran fest, dass es auch bei einer Herkunft aus einem (ehemaligen) Oppositionsgebiet weiterhin individueller Verfolgungsgründe bedarf, um die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu begründen. Daran fehlt es in diesem Fall.
B. Aus den Ausführungen unter A. ergibt sich, dass auch der Hilfsantrag der Klägerin keinen Erfolg hat. Der angefochtene Bescheid vom 31. Mai 2016 ist rechtmäßig.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.4.2017 - 1 B 22.17 -, juris Rn. 4 ff.).