Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 05.03.2020, Az.: 4 ME 34/20
Beschwerde; Hängebeschluss; Prüfungsumfang; Zulässigkeit; Zwischenentscheidung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 05.03.2020
- Aktenzeichen
- 4 ME 34/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 71652
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 06.02.2020 - AZ: 3 B 16/20
Rechtsgrundlagen
- § 146 Abs 1 VwGO
- § 80 Abs 5 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Eine verwaltungsgerichtliche Zwischenentscheidung (sog. Hängebeschluss) kann gemäß § 146 Abs. 1 VwGO mit der Beschwerde angefochten werden.
2. Der Erlass einer solchen Zwischenentscheidung setzt eine unübersichtlich komplexe Lage voraus, die einer summarischen Prüfung noch nicht zugänglich ist und ein sofortiges Einschreiten zur Vermeidung irreversibler Zustände bzw. schwerer und unabwendbarer Nachteile erfordert.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 3. Kammer - vom 6. Februar 2020 aufgehoben.
Gründe
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 6. Februar 2020, mit dem die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Untersagung der Beschäftigung des Heimleiters bis zur Entscheidung des Gerichts im Eilverfahren vorläufig angeordnet wird, ist zulässig und begründet.
Der Zulässigkeit der Beschwerde steht § 146 Abs. 2 VwGO, wonach prozessleitende Verfügungen und bestimmte Beschlüsse unanfechtbar sind, nicht entgegen. Die angefochtene Entscheidung ist keine Verfügung in diesem Sinne, deren Gegenstand allein eine Anordnung zum förmlichen Fortgang des Verfahrens sein könnte. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht eine sich - wenn auch befristet - materiell-rechtlich auswirkende Regelung in Form eines Beschlusses getroffen, der auch nicht den in § 146 Abs. 2 VwGO ausdrücklich genannten Beschlüssen unterfällt. Damit bleibt es bei dem in § 146 Abs. 1 VwGO postulierten Grundsatz, wonach den Beteiligten gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, die Beschwerde zusteht, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist (vgl. u.a. Bay. VGH, Beschl. v. 31.5.2019 - 8 CS 19.1073 -; Hess. VGH, Beschl. v. 28.4.2017 - 1 B 947/17 -; Nds. OVG, Beschl. v. 2.9.2014 - 5 ME 142/14 -). Der Senat sieht vor dem Hintergrund des insoweit eindeutigen Gesetzeswortlauts auch keinen Anlass, einen ohne förmliche Anknüpfung an § 146 Abs. 2 VwGO und damit außerhalb der Prozessordnung stehenden Ausschluss der Beschwerde nur aus verfahrensökonomischen Gründen anzunehmen (so aber VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 15.3.2018 - 11 S 2094/17 - und Rudisile, in: Schoch/Schneider/Bier, 37. EL Juli 2019, VwGO § 146 Rn. 11a m.w.N. zu den vertretenen Auffassungen).
Die Beschwerde ist begründet, weil die hier allein zu prüfenden Voraussetzungen für den in Rede stehenden Zwischenbeschluss nicht vorliegen.
Da sich die Befugnis zum Erlass eines sog. Hängebeschlusses unmittelbar aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ergibt, setzt der Erlass einer solchen Entscheidung eine unübersichtlich komplexe Lage voraus, die einer summarischen Prüfung noch nicht zugänglich ist und ein sofortiges Einschreiten des Gerichts zur Vermeidung irreversibler Zustände bzw. schwerer und unabwendbarer Nachteile erfordert (vgl. Bay. VGH, a.a.O., m.w.N.).
Eine solche Notwendigkeit besteht hier nicht. Das Verwaltungsgericht hat in der Begründung des angefochtenen Beschlusses in erster Linie darauf abgehoben, dass der zunächst vorgelegte Verwaltungsvorgang nicht vollständig sei. Dies kann für sich genommen nicht genügen, um den Erlass einer Zwischenentscheidung zu rechtfertigen (vgl. Sächs. OVG, Beschl. v. 17.12.2003 - 3 BS 399/03 -), zumal das Gericht gar nicht versucht hat, die für notwendig gehaltenen Informationen auf den in eiligen Fällen üblichen Wegen (per Fax oder telefonisch) anzufordern. Im Übrigen sind die verlangten Unterlagen mittlerweile bei Gericht eingegangen. Es liegen auch keine tragfähigen Anhaltspunkte für den Eintritt eines schweren, unabwendbaren Nachteils auf Seiten der Antragstellerin vor. Ein allgemeiner Verweis auf den Fachkräftemangel im Pflegebereich und die auch vom Verwaltungsgericht angenommene Doppelbelastung der stellvertretend eingesetzten Pflegedienstleitung genügt hierfür nicht. Die Dauer des gerichtlichen Eilverfahrens ist mit einer längeren Urlaubsabwesenheit vergleichbar, die im Rahmen des üblichen Betriebsablaufs ebenfalls ohne Neueinstellungen kompensiert werden muss. Die Antragstellerin hat im Beschwerdeverfahren selbst vorgetragen, dass die Wahrnehmung der Aufgaben der Einrichtungsleitung durch die stellvertretende Pflegedienstleitung (nur) vorübergehend erfolgen könne. Soweit sie geltend macht, dass ggf. mit einem Bewerbungszeitraum von mehr als sechs Monaten zu rechnen sei, bevor eine neue Heimleitung gefunden werde, steht dies nicht im Zusammenhang mit dem durch das gerichtliche Eilverfahren eintretenden Zeitablauf und kann für den Erlass einer Zwischenentscheidung damit keine Rolle spielen. Im Übrigen ist anzumerken, dass diese Erwägung selbst bei der Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht maßgeblich sein könnte, weil dies den gesetzgeberischen Wertungen zuwiderliefe. Das Gesetz sieht zum Schutz der Heimbewohner vor unqualifiziertem Personal in § 14 NuWG nicht nur vor, dass die aufschiebende Wirkung der Klage gegen eine Beschäftigungsuntersagung der hier vorliegenden Art entfällt, sondern regelt in § 12 Abs. 2 NuWG ebenfalls, dass die Heimaufsichtsbehörde befugt ist, eine kommissarische Heimleitung einzusetzen, solange der Betreiber die Stelle nicht durch eine geeignete Person wiederbesetzt hat.
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, da das Verfahren auf Erlass einer Zwischenentscheidung einschließlich des ihm zugeordneten Beschwerdeverfahrens keine eigenständige Kostenfolge auslöst. Aus dem vorgenannten Grund ist auch die Festsetzung eines Streitwerts entbehrlich (vgl. Nds. OVG, a.a.O, m.w.N.).