Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 17.03.2020, Az.: 10 LC 181/18
Ausschlussfrist; Beiladung; Jugendhilfeträger; Kosten, aufgewendete; Kostenerstattung; Kostenerstattungsanspruch; Rechtskraft; Rückerstattung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 17.03.2020
- Aktenzeichen
- 10 LC 181/18
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2020, 71701
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 06.03.2018 - AZ: 3 A 398/15
Rechtsgrundlagen
- § 89a Abs 1 S 1 SGB 8
- § 111 SGB 10
- § 112 SGB 10
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Aufgewendete Kosten im Sinne des § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind entweder die unmittelbar gegenüber dem Kind aufgewandten Kosten oder die gegenüber einem dritten Jugendhilfeträger erstatteten Kosten.
2. Ist der Tatbestand des § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII im Hinblick auf die gegenüber dem Kind aufgewandten Kosten erfüllt, entsteht dieser Anspruch nicht ein weiteres Mal durch die Rückerstattung gegenüber einem dritten Jugendhilfeträger, der zu Unrecht in Anspruch genommen worden ist.
3. Kosten für die Erfüllung eines Rückerstattungsanspruchs im Sinne von § 112 SGB X zählen nicht zu den nach §§ 89a Abs. 1 Satz 1, 89f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII erstattungspflichtigen Kosten.
4. Durch die streitgenössische Beiladung ist ein nachfolgendes Verfahren zwischen einer der Hauptparteien und dem Beigeladenen, soweit der personelle und sachliche Umfang der Rechtskraft reicht, präjudiziert.
5. Kommt eine sachliche Entscheidung des erstattungspflichtigen Jugendhilfeträgers gegenüber dem Hilfeempfänger nicht in Betracht und würde deshalb die Regelung des § 111 Satz 2 SGB X n. F. ins Leere laufen, ist § 111 Satz 2 SGB X a. F. entsprechend anzuwenden.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover – 3. Kammer – vom 6. März 2018 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erstattung von Aufwendungen im Zusammenhang mit Jugendhilfeleistungen, die er für E. (im Folgenden: Kind) erbracht hat.
Das Kind wurde am F. in G. geboren. Das Kind und seine Mutter hatten seit März 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt zunächst im Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Der nicht sorgeberechtigte Kindesvater hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im hier relevanten Zeitraum durchgehend in G.. Auf Antrag der Kindesmutter vom 9. Oktober 1990 brachte die Beklagte das Kind ab diesem Zeitpunkt in einer Bereitschaftspflegefamilie in ihrem Gemeindegebiet unter. Mit Beschluss vom 13. November 1990 entzog das Amtsgericht B-Stadt der Mutter das Sorgerecht und bestellte zunächst das Jugendamt der Beklagten zum Vormund. Zum 8. Mai 1991 wechselte das Kind in die Pflegefamilie „H.“. Diese Pflegefamilie wohnte zum damaligen Zeitpunkt ebenfalls auf dem Gemeindegebiet der Beklagten, zog aber am 3. Juli 1995 in das Gebiet des Klägers um. Auf den Antrag der Beklagten vom 30. Juni 1995 übernahm der Kläger den Hilfefall mit Wirkung vom 1. Oktober 1995. Die Beklagte erkannte mit Schreiben vom 6. Oktober 1995 ihre Kostenerstattungspflicht gemäß § 89a KJHG mit Wirkung vom 1. Oktober 1995 an. Das Kind erhielt im Anschluss an die Hilfe zur Erziehung Hilfe für junge Volljährige. Diese wurde zum 31. Dezember 2007 eingestellt.
Die Kindesmutter begründete ihren gewöhnlichen Aufenthalt spätestens zum 26. August 2002 in I.. Sie behielt diesen gewöhnlichen Aufenthalt für die hier interessierende Zeit vom 1. Oktober 2004 bis zum 31. Dezember 2007 durchgehend bei. Auf Aufforderung des Klägers erkannte die Stadt I. ihre Kostenerstattungspflicht gemäß § 89a SGB VIII mit Schreiben vom 5. Februar 2004 an und erstattete dem Kläger für den oben genannten Zeitraum Kosten im Umfang von insgesamt 26.830,13 EUR.
Mit Schreiben vom 30. November und 16. Dezember 2011 forderte die Stadt I. den Kläger auf, ihr die im Wege der Kostenerstattung geleisteten Aufwendungen nach § 112 SGB X zurückzuerstatten. Ihre Erstattungsleistungen seien zu Unrecht erfolgt. Zur Begründung berief sich die Stadt I. auf die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 9. Dezember 2010 – 5 C 17.09 –). Danach sei davon auszugehen, dass die B., die Beklagte im hiesigen Verfahren, trotz des Umzugs der Kindesmutter nach I. für die Gewährung von Jugendhilfe zuständig geblieben sei.
Mit Schreiben vom 22. Dezember 2011, eingegangen bei der Beklagten am 23. Dezember 2011, beantragte daraufhin der Kläger bei der Beklagten „vorsorglich“ die Anerkennung ihrer Kostenerstattungspflicht nach § 89a SGB VIII für den Zeitraum vom 1. Oktober 2004 bis zum 31. Dezember 2007. Mit Schreiben vom 16. Januar 2012 lehnte die Beklagte eine Kostenerstattung unter Hinweis auf die Ausschlussfrist gemäß § 111 SGB X ab. Mit Schreiben vom 27. April 2012 machte der Kläger gegenüber der Beklagten eine Kostenerstattung in Höhe von 26.830,13 EUR zuzüglich Zinsen geltend und forderte eine Zahlung des Betrages an die Stadt I.. Mit Schriftsatz vom 6. Juli 2012 hatte er gegen die Beklagte Klage beim Verwaltungsgericht Hannover auf Freistellung von der Verpflichtung gegenüber der Stadt I. erhoben (– 3 A 4305/12 –).
Am 29. Dezember 2011 erhob die Stadt I. beim Verwaltungsgericht Lüneburg Klage gegen den Kläger (– 4 A 277/11 –). Am 20. Dezember 2012 beantragte der Kläger in diesem Verfahren, die Beklagte beizuladen, und begründete dies damit, dass die Entscheidung über die Frage, wer der zuständige örtliche Kostenträger sei, nur einheitlich gegenüber ihm und der Beklagten ergehen könne. Zugleich wies er darauf hin, dass er gegen die Beklagte vor dem Verwaltungsgericht Hannover Klage erhoben habe. Das Verwaltungsgericht Lüneburg lud die Beklagte antragsgemäß mit Beschluss vom 9. Januar 2013, der Beklagten am 11. Januar 2013 zugestellt, gemäß § 65 Abs. 1 VwGO bei.
Mit Urteil vom 11. Juni 2013 (– 4 A 277/11 –) verpflichtete das Verwaltungsgericht Lüneburg den Kläger, an die Stadt I. Kostenerstattungsleistungen in Höhe von 26.830,13 EUR zurückzuerstatten. Zur Begründung bezog sich das Gericht im Wesentlichen auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Dezember 2010. Unter Beachtung dieser Rechtsprechung sei „stets die Beigeladene“ (die Beklagte) „und nicht die Klägerin“ (die Stadt I.) „nach § 89a SGB VIII dem Beklagten“ (dem Kläger) „gegenüber erstattungspflichtig“ (Seite 8 UA). Der Kläger beantragte daraufhin unter dem 20. Juli 2013 die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil. Der seinerzeit für das Jugendhilferecht zuständige 4. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts lehnte den Antrag auf Zulassung der Berufung mit Beschluss vom 24. September 2014 (– 4 LA 156/13 –) ab. Der 4. Senat stützte seinen Beschluss darauf, dass der örtlich zuständige Leistungsträger für die Gewährung von Jugendhilfe ohne Anwendung des § 86 Abs. 6 SGB VIII „die Beigeladene“ (die Beklagte) „gemäß § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII in der bis zum 31. Dezember 2013 geltenden Fassung gewesen“ sei (Seite 4 BA). Am 6. November 2014 hat der Kläger den sich aus dem damit rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg ergebenden Betrag von 30.377,60 EUR an die Stadt I. gezahlt. Die Summe entsprach der Klageforderung in Höhe von 26.830,13 EUR zuzüglich Prozesszinsen.
Bereits mit Gerichtsbescheid vom 8. Oktober 2013 (– 3 A 4305/12 –) hatte das Verwaltungsgericht Hannover eine Klage des Klägers gegen die Beklagte auf Zahlung von 26.830,13 EUR, hilfsweise auf Feststellung der Verpflichtung zur Freistellung gegenüber der Stadt I., als unzulässig abgewiesen. Dem Kläger stehe kein Rechtsschutzbedürfnis zu. Über den von der Stadt I. geltend gemachten Rückerstattungsanspruch nach § 112 SGB X sei (zum damaligen Zeitpunkt) noch nicht rechtskräftig entschieden. Den daraufhin gestellten Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung nahm der Kläger mit am 11. September 2014 beim Verwaltungsgericht Hannover eingegangenen Schriftsatz zurück.
Am 23. Januar 2015 hat der Kläger Klage im vorliegenden Verfahren erhoben. Er beruft sich darauf, gemäß § 89a SGB VIII gegen die Beklagte einen Anspruch auf Kostenerstattung zu haben. Dieser sei dadurch entstanden, dass die Stadt I. vom Kläger gemäß § 112 SGB X ihre bisherigen Kostenerstattungen zurückgefordert habe. Im Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg und im Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts sei übereinstimmend festgestellt worden, dass die Beklagte für die Gewährung der Jugendhilfemaßnahme (grund-)zuständig gewesen sei. Die Beteiligten würden jetzt noch allein darüber streiten, ob ein Kostenerstattungsanspruch des Klägers nach § 111 SGB X ausgeschlossen sei. Dies komme aber aus zwei Gründen nicht in Betracht. Zum einen könne die Ausschlussfrist erst mit der tatsächlichen Zahlung an die Stadt I. am 6. November 2014 zu laufen beginnen. Zum anderen entspreche es der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, § 111 SGB X einschränkend dahingehend auszulegen, dass er auf Erstattungsansprüche örtlicher Jugendhilfeträger untereinander nicht anwendbar sei. Dies gebiete auch der Schutz der Pflegestellenorte.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zur Zahlung von 30.377,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an ihn zu verurteilen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, der Kläger mache keine Kosten im Sinne des § 89a SGB VIII geltend, sondern Kosten im Rahmen einer Rückabwicklung von zu Unrecht erhaltener Kostenerstattung gemäß § 112 SGB X. Kostenerstattungsansprüche gemäß den §§ 89 ff. SGB VIII seien gemäß § 111 SGB X untergegangen bzw. gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X verjährt.
Mit Urteil vom 6. März 2018 hat das Verwaltungsgericht Hannover die Klage abgewiesen. Bei den vom Kläger an die Stadt I. gezahlten Rückerstattungsbeiträgen handele es sich um Kosten, die der Kläger im Sinne des § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII aufgewendet habe. Der Anspruch auf Erstattung dieser Kosten sei auch nicht gemäß § 111 Satz 1 SGB X ausgeschlossen. Diese Vorschrift sei hier zwar analog anzuwenden. Die danach geltende Frist von 12 Monaten nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, habe der Kläger allerdings gewahrt. Für den Fristbeginn sei auf den Eintritt der Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Lüneburg durch den Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 24. September 2014 abzustellen. Der Anspruch sei auch nicht gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X verjährt. Die Norm erfasse den vorliegenden Fall ebenfalls nicht direkt. Abzustellen sei aber wiederum auf den Eintritt der Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgericht Lüneburg. Die 4-jährige Frist habe daher erst mit Ablauf des Jahres 2014 zu laufen begonnen. Die Beklagte sei aber nicht im Sinne des § 89a SGB VIII jugendhilferechtlich örtlich zuständig gewesen. Die Passagen der Entscheidungsgründe im Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 11. Juni 2013 sowie im Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 24. September 2014, wonach die Beklagte (seinerzeit Beigeladene) ohne die Anwendung von § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständig gewesen wäre und daher im Sinne des § 89a SGB VIII erstattungspflichtig sei, entfalteten im hiesigen Verfahren keine Bindungswirkung. Daher sei die örtliche (Grund-)Zuständigkeit der Beklagten erneut zu prüfen und als Ergebnis dieser Prüfung zu verneinen. Den maßgeblichen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 30.09.2009 – 5 C 18.08 –, juris, und vom 14.11.2013 – 5 C 34.12 –, juris) sei nicht zu folgen. Sie stünden weder mit dem Gesetzeswortlaut noch mit der Gesetzessystematik oder dem Sinn und Zweck der Regelung des § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII in der bis zum 31. Dezember 2013 geltenden Gesetzesfassung im Einklang. Die Erstattungspflicht der Beklagten könne auch nicht auf ein prozessuales Geständnis im Sinne des § 288 ZPO noch auf ein Anerkenntnis im Sinne des § 307 ZPO noch auf ein materiell-rechtliches Kostenanerkenntnis gestützt werden.
Gegen dieses Urteil, dem Kläger am 26. März 2018 zugestellt, richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung vom 6. April 2018, eingegangen beim Verwaltungsgericht am 9. April 2018, die der Kläger mit Schriftsatz vom 25. Mai 2018, eingegangen per Fax am gleichen Tag, wie folgt begründet hat: Der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch resultiere bereits aus dem Kostenanerkenntnis der Beklagten vom 6. Oktober 1995. Dieses sei auch nicht unwirksam. Es habe im Einklang mit der materiellen Rechtslage gestanden. Die Beklagte habe ihre Kostenerstattungspflicht zudem ohne Einschränkungen erklärt. Sie sei auch selbst im Vorprozess vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg von der sie dem Grunde nach treffenden Pflicht ausgegangen und habe sich lediglich unter Hinweis auf den Ausschlusstatbestand des § 111 SGB X bzw. mit Erhebung der Einrede der Verjährung gemäß § 113 SGB X verteidigt. Das Schuldanerkenntnis erfasse auch Erstattungsleistungen an einen anderen Sozialleistungsträger, die er aufgrund seiner Zuständigkeit gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII für die von diesem anderen Sozialleistungsträger erbrachten Jugendhilfeleistungen habe erbringen müssen. Die Tatbestandsvoraussetzungen der von der Beklagten auch im erstinstanzlichen Verfahren erhobenen prozessualen Einreden gemäß den §§ 111, 113 SGB X lägen nicht vor. Das Verwaltungsgericht habe auch die Bindungswirkung verkannt, die sich aus der Beiladung der jetzigen Beklagten im Vorprozess vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg ergebe. Die Kostenzuständigkeit im Sinne des § 89a SGB VIII sei entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht erneut zu prüfen. Zwar seien die Streitgegenstände des Vorprozesses und des jetzigen Verfahrens nicht identisch. Dennoch sei aufgrund der Beiladung über die Kostenzuständigkeit auch für dieses Verfahren bindend entschieden. Jedenfalls könne er sich aber im Wege der Einrede auf das Ergebnis der Zuständigkeitsprüfung im Vorverfahren beziehen. Unter Zugrundelegung der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergebe sich die Zuständigkeit der Beklagten im Übrigen auch direkt aus § 89a SGB VIII in Verbindung mit § 86 Abs. 5 SGB VIII. Die Kritik des Verwaltungsgerichts an dieser Rechtsprechung überzeuge nicht.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 6. März 2018 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 30.377,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
Über die Berufung hat entschieden werden können, obwohl die Beteiligten nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen sind, da diese ordnungsgemäß geladen worden sind.
Die Klage ist zwar zulässig.
Der Zulässigkeit steht nicht die Rechtskraft des Gerichtsbescheids des Verwaltungsgerichts Hannover vom 8. Oktober 2013 – 3 A 4305/12 – entgegen. Der Kläger hat mit am 11. September 2014 eingegangenen Schriftsatz seinen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Folge zurückgenommen, dass der Gerichtsbescheid wiederauflebt (vgl. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 84 Rn. 38). Mit dem infolge des Ablaufs der Monatsfrist gemäß § 84 Abs. 2 VwGO formell rechtskräftigen Gerichtsbescheid, der gemäß § 84 Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO einem Urteil gleichsteht, wurde die Klage (mit einem identischen Streitgegenstand) aber lediglich als unzulässig abgewiesen. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht Hannover aus, dem Kläger stehe kein Rechtsschutzbedürfnis zu. Er begehre vorbeugenden Rechtsschutz ohne ein dafür erforderliches besonderes Rechtsschutzinteresse. Soweit der Kläger vom Verwaltungsgericht Lüneburg zur Rückerstattung gegenüber der Stadt I. verurteilt worden sei, sei dieses Urteil noch nicht rechtskräftig. Bei einem solchen Prozessurteil erwächst nur die Entscheidung in Rechtskraft, dass die in den Urteilsgründen genannte Sachurteilsvoraussetzung (zum Entscheidungszeitpunkt: noch) fehlt. Diese Rechtskraft geht nicht so weit wie die des Sachurteils und schützt den Beklagten nicht davor, erneut mit einer Klage wegen desselben Streitgegenstandes überzogen zu werden (vgl. Kilian in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 121 Rn. 69). Dies gilt insbesondere dann, wenn – wie hier – die Abweisung der Klage als (derzeit) unzulässig auf das Fehlen von Sachurteilsvoraussetzungen fußt, die später noch geschaffen werden bzw. eintreten können.
Die Klage ist aber nicht begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch (mehr) gemäß § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII. Er hat als nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständiger örtlicher Träger zwar Kosten aufgewendet (dazu unter 1), die von der Beklagten als kostenerstattungspflichtige Trägerin (dazu unter 2) zu erstatten waren. Der Erstattungsanspruch des Klägers ist aber ausgeschlossen (dazu unter 3). Andere Anspruchsgrundlagen bestehen nicht (dazu unter 4).
1. Gemäß § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind die Kosten, die ein örtlicher Träger auf Grund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII aufgewendet hat, von dem örtlichen Träger zu erstatten, der zuvor zuständig war.
Der Kläger hat aufgrund seiner Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII unmittelbar Kosten aufgewandt, nämlich bis zum 31. Dezember 2007 Hilfe zur Erziehung gemäß § 27 SGB VIII bzw. Hilfe für junge Volljährige gemäß § 41 SGB VIII erbracht. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist allein auf diese unmittelbar gegenüber dem Kind bzw. dessen Pflegepersonen aufgewandten Kosten abzustellen.
Kosten, die ein örtlicher Träger aufgrund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII aufgewendet hat, im Sinne der §§ 89a Abs. 1 Satz 1, 89f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind die Ausgaben eines Trägers der öffentlichen Jugendhilfe nur insoweit, als diese eindeutig abgrenzbar einer bestimmten Jugendhilfemaßnahme konkret zugeordnet werden können (vgl. Senatsbeschluss vom 11.10.2019 – 10 LA 57/18 –, juris Rn. 15). Dabei handelt es sich insbesondere um die laufenden Leistungen ("Pflegegeld") und die einmaligen Leistungen zum Unterhalt des Kindes bzw. des Jugendlichen sowie die ergänzenden pädagogischen Leistungen der Hilfe zur Erziehung und damit jedenfalls um die typischerweise, aufgrund eines mit dem Aufenthalt des Kindes bei einer Pflegeperson verbundenen Übergangs der Zuständigkeit anfallenden Kosten (Senatsbeschluss vom 11.10.2019 – 10 LA 57/18 –, juris Rn. 18). Derartige Kosten sind hier dem Kläger bis zum 31. Dezember 2007 entstanden.
Von dem Grundsatz, dass aufgewendete Kosten im Sinne des § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII die unmittelbar gegenüber dem Kind bzw. dessen Pflegepersonen für eine konkrete Hilfemaßnahme aufgewandten Kosten sind, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 05.04.2007 – 5 C 25.05 – juris Leitsatz und Rn. 11, und vom 30.09.2009 – 5 C 18.08 –, juris Rn. 32) allerdings dann eine Ausnahme zu machen, wenn der nach § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII erstattungsberechtigte Jugendhilfeträger seinerseits gegenüber einem dritten Jugendhilfeträger, der die Kosten gegenüber dem Kind unmittelbar aufgewandt hat, zur Kostenerstattung beispielsweise gemäß § 89c Absatz 1 SGB VIII verpflichtet ist. Denn ein Jugendhilfeträger hat Kosten aufgrund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII nicht nur dann aufgewendet, wenn er eine Jugendhilfeleistung entweder selbst erbracht hat oder durch einen Dritten hat erbringen lassen und dafür die Kosten getragen hat. Vielmehr ist diese Voraussetzung auch dann erfüllt, wenn der erstattungsberechtigte Jugendhilfeträger zwar die Jugendhilfeleistung weder unmittelbar selbst noch mittelbar durch einen Dritten erbracht hat, aber gerade wegen seiner Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII Kosten einem dritten Jugendhilfeträger für die von diesem Jugendhilfeträger erbrachten Jugendhilfeleistungen erstatten muss (BVerwG, Urteil vom 30.09.2009 – 5 C 18.08 –, juris Rn. 32). In einem solchen Fall entsteht der Anspruch nach § 89a SGB VIII überhaupt erst durch diese Erstattung gegenüber dem dritten Jugendhilfeträger, da vorher noch gar keine Kosten von dem nach § 89a SGB VIII erstattungsberechtigten Jugendhilfeträger aufgewandt worden waren. Nur hinsichtlich dieser Konstellation hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dass aufgewendete Kosten auch erstattete Kosten sein können.
Von dieser Konstellation unterscheidet sich der vorliegende Fall aber grundlegend, da hier die Kosten bereits bis Ende 2007 vom Kläger unmittelbar gegenüber dem Kind bzw. dessen Pflegepersonen aufgewandt worden sind. Das Tatbestandsmerkmal des § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII – „Kosten, die ein örtlicher Träger aufgrund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 aufgewendet hat“ – war damit bereits Ende 2007 abschließend erfüllt. Diese Kosten hätte der Kläger gegenüber der Beklagten gemäß § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII vor Ablauf der 12-monatigen Ausschlussfrist des § 111 SGB X geltend machen müssen. Nach Ablauf dieser Frist ist der Anspruch (wie noch unter 3. gezeigt wird) ausgeschlossen.
Nach Ablauf der genannten Ausschlussfrist kann der Anspruch nach § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII auch nicht noch einmal “aufleben“. Wie bereits ausgeführt, können aufgewandte Kosten im Sinne dieser Norm nur sein entweder die unmittelbar (oder mittelbar durch die Beauftragung eines Dritten) gegenüber dem Kind aufgewandten Kosten oder die gegenüber einem dritten Jugendhilfeträger erstatteten Kosten, durch die erstmals Kosten auf Seiten des nach § 89a Absatz 1 Satz 1 SGB VIII erstattungsberechtigten Jugendhilfeträgers entstehen. Hier ist der Tatbestand des § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII bereits durch die gegenüber dem Kind bzw. dessen Pflegepersonen unmittelbar aufgewandten Kosten abschließend erfüllt. Allein diese Kosten sind folglich erstattungsfähig. Dass der Kläger sich vor Ablauf der genannten Ausschlussfrist (aus heutiger Sicht auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 86 Abs. 5 SGB VIII a.F., geändert durch das KJVVG vom 27. Juni 2013, BGBl. I, Seite 3464: Urteile vom 09.12.2010 – 5 C 17.09 –, juris Rn. 22, vom 12.05.2011 – 5 C 4.10 –, juris Rn. 25, und vom 14.11.2013 – 5 C 34.12 –, juris Rn. 22 ff.) fehlerhaft nicht an die Beklagte, sondern an einen nicht zur Erstattung verpflichteten Jugendhilfeträger (Stadt I.) gewandt hat, lässt diesen Anspruch unter keinem Gesichtspunkt “wiederaufleben“. Die rein kausale Verknüpfung, dass die Kosten dem Kläger im Zusammenhang mit seiner Zuständigkeit gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII entstanden sind, genügt nicht.
Hinzu kommt, dass es sich bei dem Rückerstattungsanspruch der Stadt I. nach § 112 SGB X, aufgrund dessen der Kläger die von der Stadt I. zu Unrecht erstatteten Kosten an diese zurückerstattet hat, ohnehin nicht um einen Erstattungsanspruch im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts handelt, weil der Kläger diese Kosten nicht wegen seiner Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII aufgrund eines im 7. Kapitel 3. Abschnitt des SGB VIII geregelten Kostenerstattungsanspruchs der Stadt I. erstattet hat, sondern weil er die Stadt I. nach Maßgabe der angeführten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zu Unrecht in Anspruch genommen und diese die Rückerstattung der ohne Rechtsgrund erfolgten Erstattungen verlangt hat. Kosten für die Erfüllung eines Rückerstattungsanspruchs im Sinne von § 112 SGB X zählen daher nicht zu den nach §§ 89a Abs. 1 Satz 1, 89f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII erstattungspflichtigen Kosten.
2. Die Beklagte ist auch erstattungspflichtig.
Diese Erstattungspflicht steht entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bereits aufgrund der Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 11. Juni 2013 (– 4 A 277/11 –) gemäß § 121 Nr. 1 VwGO für das vorliegende Verfahren bindend fest.
Mit der Ablehnung des Berufungszulassungsantrags des Klägers (in jenem Verfahren Beklagter) durch den Beschluss des 4. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 24. September 2014 (– 4 LA 156/13 –) wurde dieses Urteil gemäß § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig. Das Urteil bindet, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist, gemäß § 121 Nr. 1 VwGO die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger. Zu den Beteiligten zählte gemäß § 63 Nr. 3 VwGO die Beklagte als (einfach) Beigeladene im Sinne des § 65 Abs. 1 VwGO in jenem Verfahren.
Die Wirkungen des Urteils sind im Verhältnis des Klägers (als im früheren Verfahren Beklagter) zu der Beklagten (als im früheren Verfahren Beigeladene) für nachfolgende Verfahren zwischen diesen Beteiligten präjudiziell. Über die Wirkungen der Rechtskraft hinaus verhindert die Beiladung im nachfolgenden Prozess eine von der im Verfahren zwischen dem (ehemaligen) Kläger und dem (ehemaligen) Beklagten abweichende Beurteilung der Rechtslage; ein nachfolgendes Verfahren zwischen einer der Hauptparteien und dem Beigeladenen ist, soweit der personelle und sachliche Umfang der Rechtskraft reicht, dadurch präjudiziert (vgl. grundlegend BVerwG, Urteil vom 16.09.1981 – 8 C 1.81, 8 C 2.81 –, juris Rn. 14; ferner BVerwG, Beschlüsse vom 24.08.2016 – 9 B 54.15 –, juris Rn. 7, vom 10.10.2012 – 3 B 56.12 –, juris Rn. 4 f., und vom 05.03.1998 – 4 B 153.97 –, juris Rn. 9; Kilian/Hissnauer in Sodan/Ziekow, 5. Aufl. 2018, VwGO § 121 Rn. 100). Vergleichbar mit der Streitverkündung im Zivilprozess handelt es sich bei der Beiladung in derartigen Konstellationen um eine “streitgenössische“ (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.03.1987 – 3 C 2.86 –, juris Rn. 36) bzw. “streitverkündende“ Beiladung. Sie dient dem Zweck, die sonst auf die Hauptbeteiligten des Verfahrens beschränkte Rechtskraftwirkung des verwaltungsgerichtlichen Urteils für den Fall ihres endgültigen Unterliegens wegen möglicher Regressansprüche einer Hauptpartei gegen den Beigeladenen auf diesen auszudehnen (vgl. BVerwG, a.a.O.; BayVGH, Beschluss vom 18.07.2017 – 20 ZB 16.182 –, juris Rn. 4; Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 121 Rn. 41). Durch die Beiladung soll vermieden werden, dass ein am streitigen Rechtsverhältnis beteiligter Dritter, auf den sich ohne Beteiligung an dem Prozess die Rechtskraft des Urteils nicht erstrecken würde, die Fragen, über die zwischen den bisherigen Streitbeteiligten rechtskräftig entschieden ist, erneut zur gerichtlichen Prüfung stellen und möglicherweise eine abweichende Entscheidung erlangen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 07.02.1986 – 4 C 30.84 –, juris Rn. 12; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22.02.1991 – 15 A 1518/90 –, juris Rn. 9, 11, jeweils für einen Fall der notwendigen Beiladung; Clausing in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juli 2019, § 121 Rn. 97). Auch der einfach Beigeladene kann diesem Zweck der Beiladung entsprechend in einem weiteren Verfahren die Richtigkeit der getroffenen Entscheidung, soweit sie ihn betrifft, nicht mehr in Frage stellen (Clausing in Schoch/Schneider/Bier, a.a.O.). Die Rechtskrafterstreckung auf den Beigeladenen gemäß § 121 Nr. 1 VwGO in Verbindung mit den §§ 63 Nr. 3, 65 Abs. 1 VwGO führt damit im Verhältnis des (Haupt-)Beteiligten zum Beigeladenen zum selben Ergebnis wie eine zivilprozessuale Streitverkündung gemäß den §§ 74 Abs. 1, 68 Halbsatz 1 ZPO.
Über die grundsätzliche Kostenerstattungspflicht der Beklagten kann daher nicht mehr abweichend vom Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg entschieden werden.
Das Verwaltungsgericht Lüneburg hat in den Urteilsgründen (Seite 8 UA) die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs der Stadt I. gemäß § 112 SGB X als erfüllt angesehen, weil diese nicht nach § 89a SGB VIII kostenerstattungspflichtig gewesen sei, sondern stattdessen stets die Beklagte. Daran ist auch die Beklagte als in jenem Verfahren Beigeladene im Verhältnis zum Kläger gebunden. Die Beiladung war nämlich im oben genannten Sinne “streitgenössisch“ (bzw. streitverkündend). Sie erfolgte auf Betreiben des Klägers (= Beklagter in dem damaligen Verfahren), der die Beiladung mit Schreiben vom 20. Dezember 2012 zu einem Zeitpunkt beantragte, in dem er bereits die Beklagte vor dem Verwaltungsgericht Hannover vorsorglich auf Freistellung von den Forderungen der Stadt I. bzw. auf Zahlung in Anspruch nahm. Auf dieses Parallelverfahren wies der Kläger in dem Beiladungsantrag hin. Der Sinn des Beiladungsantrags erschloss sich auch dem Verwaltungsgericht Lüneburg. Dies ergibt sich schon daraus, dass das Gericht das Verwaltungsgericht Hannover um Übersendung der Akten zum Parallelverfahren mit der Begründung bat, dass der Kläger von der Beklagten Freistellung beantragen werde, falls er im Verfahren betreffend die Rückforderungsklage der Stadt I. unterliege (Blatt 53 der Akte zum Verfahren des VG Lüneburg – 4 A 277/11 –). Es kann daher offenbleiben, ob die gleichen Bindungen auch dann entstanden wären, wenn die Beiladung nicht auf Antrag des Klägers oder ohne eine entsprechende Begründung dieses Antrags oder schlicht von Amts wegen erfolgt wäre.
Der Umfang der Bindungswirkung des Urteils des Verwaltungsgerichts Lüneburg erschöpft sich auch nicht darin, dass jedenfalls nicht die Stadt I. gemäß § 89a SGB VIII kostenerstattungspflichtig sei. Ein solches Verständnis wird dem Zweck der Beiladung nicht gerecht. Der gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständige Jugendhilfeträger wäre danach gerade in den Fällen, in denen mehrere Jugendhilfeträger (potentiell) kostenerstattungspflichtig sind, dem (Prozess-)Risiko ausgesetzt, jedem dieser Träger unter Verweis auf einen jeweils anderen Träger zu unterliegen. Um diesem (nicht nur auf Fälle konkurrierender Erstattungspflichtiger beschränkten) Risiko sich widersprechender Urteile vorzubeugen, existiert geradezu die Möglichkeit, die Rechtskraft durch die Beiladung auf Dritte auszudehnen.
3. Der somit dem Grunde und der Höhe nach bindend festgestellte Anspruch des Klägers gegen die Beklagte ist aber gemäß § 111 SGB X ausgeschlossen.
Ein Ausschluss gemäß § 111 SGB X ergibt sich allerdings nicht schon aus der Bindungswirkung des rechtskräftigen Urteils des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 11. Juni 2013. Das Verwaltungsgericht Lüneburg hat sich in seinem Urteil zwar auch mit der Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X im Verhältnis des Klägers zur Beklagten befasst (Seite 11 f. UA). Es hat den Ausschluss eines Kostenerstattungsanspruchs im Verhältnis der Beteiligten dieses Rechtsstreits zueinander aber nur unter dem Blickwinkel geprüft, ob der Kläger dem Rückerstattungsanspruch der Stadt I. gemäß § 112 SGB X entgegenhalten könnte, dass sein eigener Erstattungsanspruch gegen die Beklagte aufgrund der Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X ausgeschlossen sei. Das Verwaltungsgericht hat aber von vornherein verneint, dass ein Anspruchsausschluss gemäß § 111 Satz 1 SGB X im Verhältnis der Beteiligten dieses Verfahrens auf den Rückerstattungsanspruch gemäß § 112 SGB X, der Gegenstand des dortigen Verfahrens war, in diesem Sinne „durchschlagen“ kann. Konsequenterweise hat das Verwaltungsgericht die Frage, ob ein Rückgriff des Klägers gegen die Beklagte gemäß § 111 Satz 1 SGB X ausgeschlossen ist, offen gelassen, soweit es ausgeführt hat: „ggf. auf Grund der Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X keine Möglichkeit hat, eine Erstattung der in Rede stehenden Beträge von der Beigeladenen zu verlangen“ (Seite 11 UA). Es kann daher offenbleiben, ob sich eine – wie hier – „streitgenössische Beiladung“ (bzw. „streitverkündende Beiladung“) in einem Folgeprozess zwischen diesen Beteiligten stets nur zuungunsten des Beigeladenen auswirken kann (vgl. für den Zivilprozess Althammer in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 68 Rn. 6).
Die Frage, ob der Erstattungsanspruch des Klägers gemäß § 111 Satz 1 SGB X ausgeschlossen ist, ist daher im vorliegenden Verfahren eigenständig zu prüfen und als Ergebnis dieser Prüfung zu bejahen.
Nach § 111 Satz 1 SGB X ist ein Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht.
Der erstattungsberechtigte Kläger hat die nach den obigen Feststellungen (unter 1.) maßgeblichen Aufwendungen gegenüber dem Kind bzw. dessen Pflegepersonen aufgrund seiner Zuständigkeit gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII längstens für einen bis zum 31. Dezember 2007 andauernden Zeitraum erbracht. Denn mit Ablauf dieses Tages endete die Hilfe für Erziehung für junge Volljährige.
Für den Beginn des Laufs der 12-Monats-Frist ist nach § 111 Satz 2 SGB X in der hier entsprechend anzuwendenden, bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (im Folgenden: a. F.), der Zeitpunkt der Entstehung des Erstattungsanspruchs gemäß § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII maßgeblich. Dieser Anspruch ist mit der Beendigung der Leistung am 31. Dezember 2007 entstanden und binnen der nach § 111 Satz 2 SGB X a. F. geltenden Frist nicht geltend gemacht worden.
§ 111 Satz 2 SGB X a. F. lautete:
„Der Lauf der Frist“ (gemeint: die 12-Monats-Frist nach Satz 1) „beginnt frühestens mit Entstehung des Erstattungsanspruchs.“
§ 111 Satz 2 SGB X in der seit dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung lautet hingegen:
„Der Lauf der Frist beginnt frühestens mit dem Zeitpunkt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat.“
Die letztere Fassung wäre gemäß § 120 Abs. 2 SGB X eigentlich auch hier anzuwenden. Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 19.08.2010 – 5 C 14.09 –, juris Rn. 16; so auch Niedersächsisches OVG, Urteil vom 10.04.2002 – 4 LB 3480/01 –, juris Rn. 49 ff., insbesondere Rn. 56 ff. zu § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X; Bayerischer VGH, Beschluss vom 22.08.2001 – 12 B 99.889 –, juris Rn. 15 f., insbesondere zur gesetzgeberischen Intention; VG Kassel, Urteil vom 03.11.2014 – 5 K 1540/12.KS –, juris Rn. 28) hierzu entschieden:
„Eine Ausnahme von der nach § 120 Abs. 2 SGB X angeordneten Anwendung des § 111 Satz 2 SGB X in der ab dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung ist hier jedoch deshalb zu machen, weil eine sachliche Entscheidung des erstattungspflichtigen Beklagten gegenüber der Hilfeempfängerin nicht in Betracht kam und demzufolge die Regelung des § 111 Satz 2 SGB X ins Leere gehen würde (vgl. BSG, Urteil vom 10. Mai 2005 - B 1 KR 20/04 R - SozR 4-1300 § 111 Nr. 3 Rn. 21 ff.). Denn zwischen dem Beklagten und der Hilfeempfängerin bestand keine unmittelbare Rechtsbeziehung. Die Hilfeempfängerin konnte den Beklagten nicht auf die Erbringung einer Sozialleistung in Anspruch nehmen. Ausschließlich der Kläger war als örtlich zuständiger Träger der Jugendhilfe gegenüber der Hilfeempfängerin zur Gewährung von Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27, 34 SGB VIII und Hilfe für junge Volljährige gemäß § 41 SGB VIII verpflichtet. Für die vorliegende Fallkonstellation ist daher § 111 Satz 2 SGB X in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung entsprechend anzuwenden. Danach beginnt die Ausschlussfrist im konkreten Fall frühestens in dem Zeitpunkt, in dem - bezogen auf die Leistung, deren Erstattung begehrt wird - die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 89d Abs. 1 Satz 1 SGB VIII erfüllt sind.“
Dem folgt der Senat. Auch hier kam – wie in dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall – eine sachliche Entscheidung der erstattungspflichtigen Beklagten gegenüber dem Hilfeempfänger nicht in Betracht und würde demzufolge die Regelung des § 111 Satz 2 SGB X n. F. ins Leere gehen. Für die vorliegende Fallkonstellation ist daher § 111 Satz 2 SGB X in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung entsprechend anzuwenden.
Angesichts der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 14/4375, Seite 60), nach der ausschließlich die Fälle geregelt werden sollten, in denen der erstattungspflichtige Sozialleistungsträger erst nach Ablauf der 12-Monats-Frist über die Hilfegewährung (mit Rückwirkung) entschieden hat, besteht im Übrigen auch kein Anlass, § 111 Satz 2 SGB X n. F. auf andere Fälle der Kenntniserlangung erweiternd anzuwenden.
Wird § 111 SGB X in der genannten Weise angewendet, ist der Anspruch ausgeschlossen. Denn der letzte Tag, für den die Leistung erbracht wurde, war der 31. Dezember 2007.
Für jugendhilferechtliche Erstattungsansprüche ist die Leistung im Sinne von § 111 Satz 1 SGB X nach dem zuständigkeitsrechtlichen Leistungsbegriff des Kinder- und Jugendhilferechts zu bestimmen. Der Leistungsbegriff des § 111 Satz 1 SGB X ist kontextabhängig und bereichsspezifisch auszulegen. Dementsprechend ist bei den im Kinder- und Jugendhilferecht angesiedelten Erstattungsverhältnissen und so auch bei dem hier in Rede stehenden Erstattungsverhältnis nach § 89a SGB VIII für die inhaltliche Ausfüllung des in § 111 Satz 1 SGB X verwendeten Begriffs der Leistung auf den zuständigkeitsrechtlichen Leistungsbegriff des Kinder- und Jugendhilferechts zurückzugreifen. Danach bilden alle im Rahmen einer Gesamtbetrachtung erforderlichen Maßnahmen und Hilfen zur Deckung eines qualitativ unveränderten und kontinuierliche Hilfe gebietenden jugendhilferechtlichen Bedarfs eine einheitliche Leistung, sofern sie ohne beachtliche Unterbrechung gewährt worden sind (BVerwG, Urteil vom 27.04.2017 – 5 C 8.16 –, juris Rn. 10 m.w.N.).
Übertragen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die durch den Kläger erbrachten Jugendhilfeleistungen gemäß §§ 33, 41 SGB VIII eine Einheit darstellen. Diese einheitliche Leistung endete am 31. Dezember 2007. An diesem Tag endete die Hilfe für junge Volljährige. Die tags darauf – unabhängig von der fehlenden Kenntnis des Klägers von der Person des zutreffenden Anspruchsgegners – zu laufen begonnene Ausschlussfrist endete mit Ablauf des 31. Dezember 2008. Die Geltendmachung gegenüber der Beklagten im November 2011 erfolgte daher zu spät.
4. Ein Anspruch des Klägers ergibt sich auch nicht aus einem anderen Rechtsgrund.
Insbesondere hat die Beklagte mit dem Anerkenntnis ihrer Kostenerstattungspflicht vom 6. Oktober 1995 keinen weiteren neben dem gesetzlichen Anspruch bestehenden Anspruch auf Kostenerstattung gegen sich begründet. Das Verwaltungsgericht Lüneburg hat im Verfahren zwischen der Stadt I. und dem Kläger zutreffend ausgeführt, dass Schuldanerkenntnisse im Bereich sozialrechtlicher Erstattungsansprüche zwischen Leistungsträgern die Erfüllungsbereitschaft im Rahmen der derzeit angenommenen örtlichen Zuständigkeit anzeigen und die rechtzeitige Geltendmachung des Kostenerstattungsanspruchs gemäß § 111 Satz 1 SGB X (bei unveränderter Sachlage) bestätigen sollen (vgl. VG Lüneburg, Urteil vom 11.06.2013 – 4 A 277/11 –, Seite 9 UA).
Dafür, dass die Beklagte ihre Kostenerstattungspflicht im Sinne eines abstrakten Schuldanerkenntnisses unabhängig von bestehenden gesetzlichen Verpflichtungen begründen wollte, bestehen keine Anhaltspunkte. Die Beklagte bezog sich vielmehr im Gegenteil im Kostenanerkenntnis vom 6. Oktober 1995 explizit auf die zum damaligen Zeitpunkt geltende gesetzliche Anspruchsgrundlage gemäß § 89a KJHG.
Das Schreiben der Beklagten ist auch nicht als deklaratorisches oder kausales Schuldanerkenntnis zu werten.
Das kausale Schuldanerkenntnis hat zur Voraussetzung, dass die Parteien das Schuldverhältnis insgesamt oder in einzelnen Punkten dem Streit oder der Ungewissheit zu entziehen und es endgültig festzulegen suchen (BeckOK BGB/Gehrlein, 53. Ed. 01.02.2020, BGB § 781 Rn. 8 m.w.N.). Streit oder Ungewissheit über die Kostenerstattungspflicht bestand aber zwischen den Beteiligten im Oktober 1995 gar nicht. Sie gingen übereinstimmend (gemäß allen damals hierzu vertretenen Rechtsansichten) von einer Kostenerstattungspflicht der Beklagten aus.
Aus diesem Grund kommt auch ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis nicht in Betracht. Im Übrigen stünde auch ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis unter dem Vorbehalt künftiger Änderungen des Lebenssachverhalts (vgl. Habersack in Münchner Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2017, § 781 Rn. 21). Spätestens mit dem Umzug der Kindesmutter in den Zuständigkeitsbereich der Stadt I. wäre ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis gegenstandslos geworden. Davon gingen offensichtlich auch die Beteiligten aus. Der Kläger nahm nämlich nach dem Umzug nur noch die Stadt I. in Anspruch.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor. Soweit das Verwaltungsgericht die Sprungrevision gemäß § 134 VwGO zugelassen hatte, beruhte dies darauf, dass das Verwaltungsgericht aus seiner Sicht ohne Bindung an die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Lüneburg zu entscheiden hatte, welcher Leistungsträger im Sinne des § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII für die Jugendhilfeleistungen (grund-)zuständig gewesen war. Die daraufhin in dem angefochtenen Urteil getroffene Entscheidung wich von Entscheidungen des ehemals zuständigen 4. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts ab. Entgegen der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts ist aber für dieses Verfahren die (Grund-)Zuständigkeit durch das rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg bindend vorgegeben.