Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 17.05.2010, Az.: 4 LB 22/09
Alleinige Zuständigkeit des vorrangig verpflichteten Sozialhilfeträgers auf Ebene der Verpflichtung zum Hilfesuchenden durch die Vorrangigkeit seiner Leistunsgverpflichtung; Erstattungsanspruch eines Jugendhilfeträgers aufgrund einer Nachrangigkeit der Jugendhilfe gegenüber der Leistungen der Eingliederungshilfe für geistig behinderte junge Menschen
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 17.05.2010
- Aktenzeichen
- 4 LB 22/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 24070
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2010:0517.4LB22.09.0A
Rechtsgrundlagen
- § 10 Abs. 2 S. 2 SGB VIII a.F.
- § 103 Abs. 1 SGB X
- § 104 SGB X
- § 105 Abs. 1 S. 1 SGB X
Fundstellen
- DVBl 2010, 1060
- JAmt 2010, 385-387
Amtlicher Leitsatz
- 1.
§ 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X knüpft an eine materielle Leistungsunzuständigkeit an, die allein durch einen Nachrang der Jugendhilfe gegenüber Leistungen der Eingliederungshilfe für geistig behinderte junge Menschen nach § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII a.F. nicht begründet wird.
- 2.
Der Vorrang der Eingliederungshilfe bewirkt auf der Ebene der Verpflichtung zum Hilfesuchenden keine alleinige Zuständigkeit des vorrangig verpflichteten Sozialhilfeträgers. Daher sind Leistungen der Jugendhilfe trotz des Nachrangs gegenüber Maßnahmen der Eingliederungshilfe rechtmäßig.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Erstattung der Kosten in Höhe von 33.460,99 EUR, die sie in dem Zeitraum vom 27. März 1996 bis zum 31. März 1997 für A. B. aufgewandt hat.
A. B. wurde am 2. Juli 1983 geboren. Da seine Eltern erhebliche Alkoholprobleme hatten und eine Entwicklungsverzögerung bei ihm festgestellt worden war, erhielt er ab August 1985 eine Hausfrühförderung. Im Herbst 1986 wurde A. B. in einem Ganztagskindergarten aufgenommen. Am 14. September 1987 wurde er im Rahmen der Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege, die die Klägerin seinen Eltern gewährte, in einer Pflegefamilie untergebracht. Da die Pflegemutter nach dem Suizid ihres Mannes dem Kind nicht mehr gewachsen war, wurde A. B. am 24. August 1990 im Haus C. in D. aufgenommen. Die Klägerin gewährte dafür Hilfe zur Erziehung in der Form der Heimerziehung.
Das Heim teilte der Klägerin mit Schreiben vom 30. Januar 1995 mit, dass A. B. von einer Psychologin auf eine geistige Behinderung untersucht worden sei. Der psychologischen Stellungnahme der Dipl.-Psychologin E. vom 10. Dezember 1994 zufolge sei das Kind geistig behindert.
Daraufhin wandte sich das Jugendamt der Klägerin am 27. März 1996 unter Bezugnahme auf die psychologische Stellungnahme vom 10. Dezember 1994 an das Sozialamt der Klägerin mit der Bitte um Übernahme des Hilfefalls in die dortige Zuständigkeit. Zugleich machte das Jugendamt einen Kostenerstattungsanspruch geltend. Außerdem wurden A.F. Eltern gebeten, beim Sozialamt einen Antrag auf Eingliederungshilfe zu stellen.
Am 21. August 1996 ging beim Jugendamt der Klägerin eine sozialhygienische Stellungnahme des Gesundheitsamts des Kreises G. vom 13. Mai 1996 ein, aus der sich ergibt, dass bei A. B. eine Entwicklungsverzögerung, eine schwerwiegende soziale Anpassungsstörung und eine geistige Behinderung vorliegen. Das Jugendamt leitete diese Stellungnahme am 28. August 1996 an das Sozialamt weiter. Daraufhin gewährte der Beklagte A. B. ab dem 1. April 1997 Eingliederungshilfe nach §§ 39 Abs. 1, 40 Abs. 1 i.V.m. § 43 Abs. 1 und § 28 BSHG durch Übernahme der Kosten seiner Unterbringung im Haus C..
Danach machte die Klägerin mit Schreiben vom 19. Juni 1997 beim früheren Niedersächsischen Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben einen Kostenerstattungsanspruch ab dem 10. Dezember 1994 mit der Begründung geltend, A. B. gehöre zu denjenigen, die nach den §§ 39, 100 BSHG Anspruch auf Eingliederungshilfe hätten. Das Landesamt erwiderte unter dem 4. August 1997, dass eine Kostenerstattung nicht in Betracht komme. Möglicherweise stehe gegenwärtig die geistige Behinderung des Kindes im Vordergrund. Entscheidend für die Feststellung der sachlichen Zuständigkeit sei jedoch, aus welchem Grund der Hilfeempfänger in die Betreuung aufgenommen worden sei. Damals habe wegen der erheblichen Verhaltensauffälligkeiten und der psychosozial bedingten Entwicklungsverzögerung des Kindes eindeutig die Hilfe zur Erziehung im Vordergrund gestanden. Diese Hilfe sei auch gewährt worden.
Die Klägerin hielt in der Folgezeit an dem Kostenerstattungsbegehren fest, beschränkte dieses jedoch auf den Zeitraum vom 27. März 1996 bis zum 31. März 1997.
Am 21. Dezember 2000 hat die Klägerin Klage erhoben und zu deren Begründung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen: A. B. sei zunächst im Rahmen der Jugendhilfe betreut worden, weil man von einer seelischen Behinderung ausgegangen sei. Erst während der Heimunterbringung habe sich eine geistige Behinderung des Kindes herausgestellt. Das entsprechende Gutachten vom 10. Dezember 1984 sei dem Sozialamt am 27. März 1996 übersandt worden. Von diesem Zeitpunkt an stehe ihr ein Kostenerstattungsanspruch gegen den Beklagten zu. Das Haus C. sei von seinem Konzept her in der Lage, sowohl geistig behinderte als auch entwicklungsgestörte Kinder und Jugendliche zu betreuen. Eine Unterbringung dort hätte daher auch dann erfolgen können, wenn die geistige Behinderung des Kindes früher festgestellt worden wäre.
Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, ihr die in der Zeit vom 27. März 1996 bis zum 31. März 1997 für den Hilfeempfänger A. B. aufgewendeten Kosten in Höhe von 33.460,99 EUR zu erstatten.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
und erwidert, ein Kostenerstattungsanspruch bestehe nicht. Der Klägerin sei bereits am 27. März 1996 bekannt gewesen, dass bei A. B. die Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe nach §§ 39, 40 BSHG vorliegen. Gleichwohl habe sie die von ihr gewährte Jugendhilfe nicht eingestellt. Eine sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers zur Leistungserbringung habe nicht bestanden. Im Übrigen habe § 105 Abs. 1 und 2 SGB X gegenüber dem Träger der Sozialhilfe nur von dem Zeitpunkt an Geltung, in dem diesem bekannt geworden sei, dass die Voraussetzungen für seine Leistungspflicht vorliegen. Das sei hier der 26. November 1996 gewesen, weil die im Mai 1996 erstellte sozialhygienische Stellungnahme des Gesundheitsamts des Landkreises G. und der Bericht des Hauses C. vom 21. November 1996 erst an diesem Tag bei ihm eingegangen seien.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage durch Urteil vom 2. August 2006 stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe nach § 105 SGB X einen Anspruch auf Erstattung der Kosten, die sie in dem Zeitraum vom 27. März 1996 bis zum 31. März 1997 für A. B. aufgewendet habe. Die Klägerin habe in dem betreffenden Zeitraum Jugendhilfe geleistet, obwohl aufgrund mehrerer Gutachten und Stellungnahmen festgestanden habe, dass A. B. geistig behindert sei und deshalb einen Anspruch auf Eingliederungshilfe nach dem BSHG besitze, der nach § 10 Abs. 2 SGB VIII den Leistungen der Jugendhilfe vorgehe. Der Erstattungsanspruch sei auch nicht nach§ 105 Abs. 3 SGB X ausgeschlossen, weil dem damals als überörtlicher Träger der Sozialhilfe handelnden Niedersächsischen Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben jedenfalls seit dem 27. März 1996 bekannt gewesen sei, dass A. B. geistig behindert sei. Der Beklagte müsse sich die Kenntnis des Sozialamts der Klägerin zurechnen lassen, weil dieses nach § 1 der Heranziehungsverordnung zur Durchführung der in der sachlichen Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe liegenden Aufgaben herangezogen worden sei und dabei in eigenem Namen tätig werde. Das Gericht könne sich auch nicht der Auffassung des Beklagten anschließen, dass es auf die formal bewilligte Hilfe ankomme. Für den Kostenerstattungsanspruch sei vielmehr ausschlaggebend, dass der Jugendhilfeträger Leistungen erbracht habe, obwohl ein Anspruch auf diese Leistungen gegenüber dem Sozialhilfeträger bestanden habe, und dass das Haus C. von seinem Konzept her in der Lage gewesen sei, auch geistig behinderten Kindern gerecht zu werden.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Beklagten, die der Senat durch Beschluss vom 26. Januar 2009 (4 LA 206/06) zugelassen hat.
Der Beklagte trägt zur Begründung der Berufung im Wesentlichen Folgendes vor: § 105 SGB X regele den Kostenerstattungsanspruch eines unzuständigen Leistungsträgers. Die Klägerin habe in dem hier maßgeblichen Zeitraum jedoch Hilfe zur Erziehung nach dem SGB VIII erbracht, für die sie originär zuständig gewesen sei. Der Leistungsberechtigte habe einen Bedarf an Hilfe zur Erziehung gehabt, da er bereits als Kleinkind aus seiner Familie genommen worden sei und seine Erziehung anderweitig sichergestellt werden musste. Die Heimbetreuung sei ursprünglich wegen der häuslichen Verhältnisse und nicht wegen der später diagnostizierten geistigen Behinderung erforderlich gewesen. Das Verwaltungsgericht habe die Tatsache, dass die Klägerin formal Hilfe zur Erziehung geleistet habe, entgegen dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. September 1999 (5 C 26/98) außer Acht gelassen. Das Verwaltungsgericht habe außerdem nicht berücksichtigt, dass die Klägerin davon abgesehen habe, die Hilfe zur Erziehung in dem hier relevanten Zeitraum einzustellen und die erforderliche Hilfe als vorläufige Leistung zu erbringen. Erkenne ein Jugendhilfeträger, dass von einem bestimmten Zeitpunkt an die Voraussetzungen der Eingliederungshilfe vorliegen, und gewähre er dennoch weiterhin Jugendhilfe, habe er keinen Erstattungsanspruch. Die Klägerin könne den von ihr geltend gemachten Erstattungsanspruch schließlich auch nicht aus § 104 SGB X herleiten. Diese Vorschrift spreche von einem nachrangig verpflichteten Leistungsträger. Ein Nachrang nach § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII könne sich aber erst bei einem Aufeinandertreffen von Hilfe zur Erziehung einerseits und Leistungen der Eingliederungshilfe andererseits ergeben. Voraussetzung dafür sei, dass entsprechende Leistungen auch tatsächlich erbracht worden seien, woran es hier fehle. Dass das Heim grundsätzlich in der Lage gewesen sei, auch Leistungen der Eingliederungshilfe für geistig behinderte Kinder zu erbringen, dürfte demgegenüber nicht relevant sein.
Der Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichterin der 3. Kammer - vom 2. August 2006 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
und verweist auf ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beteiligten (Beiakten A bis D) verwiesen.
II.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ist unbegründet.
Diese Entscheidung trifft der Senat nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 130 a Satz 1 VwGO durch Beschluss, weil der die Berufung einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht als notwendig ansieht.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben, weil die Klägerin einen Anspruch gegen den Beklagten auf Erstattung der Kosten in Höhe von 33.460,99 EUR hat, die sie in dem Zeitraum vom 27. März 1996 bis zum 31. März 1997 für A. B. aufgewandt hat. Dieser Anspruch ergibt sich entgegen der Auffassung der Vorinstanz aber nicht aus § 105 SGB X, sondern aus § 104 SGB X.
Die Klägerin kann ihr Erstattungsbegehren nicht auf § 105 SGB X stützen. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Bestimmung ist, wenn ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs. 1 SGB X vorliegen, der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Denn die Klägerin hat in dem hier maßgeblichen Zeitraum Jugendhilfeleistungen erbracht, für die sie zweifelsohne örtlich und sachlich zuständig gewesen ist.
Ausweislich der Verwaltungsvorgänge hat die Klägerin den Eltern von A. B. seit dem 14. September 1987 Hilfe zur Erziehung zunächst in Vollzeitpflege in einer Pflegefamilie gemäß §§ 27, 33 SGB VIII und ab dem 24. August 1990 in einer Einrichtung über Tag und Nacht (Heimerziehung) durch Unterbringung im Haus C. gemäß §§ 27, 34 SGB VIII gewährt. Diese Jugendhilfe hat die Klägerin nach den Verwaltungsvorgängen ungeachtet der schon in der psychologischen Stellungnahme vom 10. Dezember 1994 festgestellten geistigen Behinderung des Kindes in dem hier maßgeblichen Zeitraum vom 27. März 1996 bis zum 31. März 1997 fortgesetzt. Dass die Betreuung von A. B. im Haus C. auch der geistigen Behinderung des Kindes Rechnung getragen haben mag, steht dem nicht entgegen, weil nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die von dem öffentlichen Sozialleistungsträger verantwortete Maßnahme und nicht die vom Heimträger tatsächlich erbrachte Leistung maßgebend ist (BVerwG, Urt. v. 23.9.1999 - 5 C 26.98 -, BVerwGE 109, 325). Da die Klägerin Träger der Jugendhilfe ist, hat sie die Jugendhilfe auch als zuständiger Leistungsträger erbracht. Daran ändert der Umstand nichts, dass nach § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem BSHG für körperlich oder geistig behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte junge Menschen den Leistungen nach dem SGB VIII vorgehen. § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X knüpft nämlich an eine materielle Leistungsunzuständigkeit an, die allein durch einen Nachrang der Jugendhilfe gegenüber Leistungen der Eingliederungshilfe für geistig behinderte junge Menschen nach § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII nicht begründet wird (BVerwG, Urt. v. 2.3.2006 - 5 C 15.05 -, BVerwGE 125, 95). Daher lässt sich ein Erstattungsanspruch nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts weder damit begründen, die Klägerin habe als Jugendhilfeträger Leistungen erbracht, obwohl ein Anspruch auf Eingliederungshilfe gegen den Sozialhilfeträger bestanden habe, noch damit rechtfertigen, das Heim sei in der Lage gewesen, auch geistig behinderten Kindern gerecht zu werden.
Der von der Klägerin geltend gemachte Erstattungsanspruch gegen den Beklagten ergibt sich aber aus § 104 SGB X. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Bestimmung ist, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat; nach § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist ein Leistungsträger nachrangig verpflichtet, soweit er bei gleichzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.
Die Klägerin hat in dem hier maßgeblichen Zeitraum - wie bereits ausgeführt - Jugendhilfe geleistet. Das ist geschehen, ohne dass die Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 SGB X vorgelegen haben, weil der Anspruch auf die von der Klägerin erbrachte Jugendhilfe nicht nachträglich ganz oder teilweise entfallen ist. Die Klägerin ist zudem nur nachrangig zur Gewährung der erbrachten Jugendhilfe verpflichtet gewesen, da A. B. vorrangig einen Anspruch auf Eingliederungshilfe gegen den Beklagten als den überörtlichen Träger der Sozialhilfe besaß. Das ergibt sich aus Folgendem:
Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII in der hier maßgeblichen Fassung vom 15. März 1996 gehen Leistungen nach dem SGB VIII Leistungen nach dem BSHG grundsätzlich vor. Etwas anderes gilt nur für Maßnahmen der Eingliederungshilfe nach dem BSHG für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert sind oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, da diese Maßnahmen nach § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII den Leistungen nach dem SGB VIII vorgehen. Diese Regelung des Vor- bzw. Nachrangs zwischen Leistungen der Jugendhilfe und der Sozialhilfe setzt voraus, dass sowohl ein Anspruch auf Jugendhilfe als auch ein Anspruch auf Sozialhilfe besteht und beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.9.1999 - 5 C 26.98 -, BVerwGE 109, 325; BVerwG, Urt. v. 2.3.2006 - 5 C 15.05 -, BVerwGE 125, 95; Senatsurt. v. 25.7.2007 - 4 LB 91/07 -). Dabei stellt § 10 Abs. 2 SGB VIII nicht auf den Schwerpunkt in Bezug auf eine der beiden Hilfeleistungen, sondern auf die Art der miteinander konkurrierenden Leistungen ab (vgl. BVerwG, Urt. v. 3.9.1999 - 5 C 26.98 -, BVerwGE 109, 325; BVerwG, Urt. v. 2.3.2006 - 5 C 15.05 -, BVerwGE 125, 95; Senatsurt. v. 25.7.2007 - 4 LB 91/07 -).
A. B. ist ausweislich der in den Verwaltungsvorgängen vorhandenen Stellungnahmen - was auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist - geistig behindert. Daher bestand in dem hier maßgeblichen Zeitraum vom 27. März 1996 bis zum 31. März 1997 neben dem Anspruch der Eltern des Kindes auf Jugendhilfe in der Form der Heimerziehung auch ein Anspruch des Kindes auf Eingliederungshilfe nach §§ 39 Abs. 1 Satz 1, 40 Abs. 1 und 43 BSHG. Dieser Anspruch, der sich nach § 100 Abs. 1 Nr. 1 BSHG gegen den Beklagten richtete, ist nach § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII gegenüber der von der Klägerin erbrachten Jugendhilfe vorrangig gewesen, weil Eingliederungshilfe wegen geistiger Behinderung in einem Heim nach dem BSHG und Heimerziehung nach dem SGB VIII deckungsgleich sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.9.1999 - 5 C 26.98 -, BVerwGE 109, 325). Die Hilfe in besonderen Lebenslagen, zu der die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen gehört (§ 27 Abs. 1 Nr. 3 BSHG), umfasst nach § 27 Abs. 3 Satz 1 BSHG nämlich ebenso wie die Jugendhilfe in der Form einer Heimerziehung nach dem SGB VIII auch die Sicherung des Lebensunterhalts des Kindes, wenn sie in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung gewährt wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 2.3.2006 - 5 C 15.05 -, BVerwGE 125, 95 ). Der demnach bestehende Vorrang der Eingliederungshilfe gegenüber der Jugendhilfe hat zur Folge, dass die Klägerin bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung des Beklagten selbst keine Leistung hätte erbringen müssen. Somit ist die Klägerin gegenüber dem Beklagten als dem überörtlichen Sozialhilfeträger i.S.d. § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X nur nachrangig zur Leistungserbringung verpflichtet gewesen. Daher ist der Beklagte als der vorrangig Leistungspflichtige der Klägerin nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X erstattungspflichtig.
Dem kann der Beklagte nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass ein Nachrang der Jugendhilfe nach § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII gegenüber den in § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII bezeichneten Maßnahmen der Eingliederungshilfe voraussetze, dass entsprechende Leistungen auch tatsächlich erbracht würden, was im vorliegenden Fall nicht geschehen sei. Denn diese Auffassung ist offensichtlich unzutreffend. Nach§ 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Die Erstattungspflicht setzt also nicht voraus, dass der vorrangig verpflichtete Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat. Vielmehr genügt es, dass der Berechtigte vorrangig gegen ihn einen Anspruch hat oder hatte, der Leistungsträger also - wie hier der Beklagte - vorrangig zur Leistung verpflichtet ist oder war. Die Regelung des Vor- bzw. Nachrangs zwischen Jugendhilfe und Sozialhilfe nach § 10 Abs. 2 SGB VIII setzt gleichfalls lediglich voraus, dass sowohl ein Anspruch auf Jugendhilfe als auch ein Anspruch auf Sozialhilfe besteht und beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind (BVerwG, Urt. v. 2.3.2006 - 5 C 15.05 -, BVerwGE 125, 95 m.w.N.).
Gegen den von der Klägerin geltend gemachten Erstattungsanspruch lässt sich ebenfalls nicht mit Erfolg einwenden, dass die von der Klägerin erbrachte Jugendhilfe wegen des Vorrangs der Eingliederungshilfe rechtswidrig gewesen sei. Denn ein Vorrang der Eingliederungshilfe bewirkt auf der Ebene der Verpflichtung zum Hilfesuchenden keine alleinige Zuständigkeit des vorrangig verpflichteten Sozialhilfeträgers (BVerwG, Urt. v. 23.9.1999 - 5 C 26.98 -, BVerwGE 109, 325). Daher sind die Leistungen der Jugendhilfe, die die Klägerin erbracht hat, trotz des Nachrangs gegenüber Maßnahmen der Eingliederungshilfe rechtmäßig gewesen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.5.2008 - 5 B 203.07 -; Senatsurt. v. 25.7.2007 - 4 LB 91/07 -).
Schließlich liegt auch die Voraussetzung des § 104 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz SGB X vor, dass der Beklagte nicht geleistet hat, bevor er von der Leistung der Klägerin Kenntnis erlangt hat. Außerdem bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass das Erstattungsbegehren der Klägerin nach § 104 Abs. 3 SGB X in Verbindung mit den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften der Höhe nach nicht berechtigt ist.